Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.03.2012, Az. 2 StR 592/11

2. Strafsenat | REWIS RS 2012, 7655

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Gegenstand

Sicherungsverwahrung: Übernahme von Feststellungen aus einem aufgehobenen Urteil bei der erneuten Verurteilung; Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts bei der Anordnung wegen schweren Kindesmissbrauchs; Absehen von der Anordnung trotz bestehender hangbedingter Gefährlichkeit


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 24. August 2011 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Der Angeklagte war durch Urteil des [X.] vom 19. März 2009 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 20 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der [X.] das Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, weil die [X.] der Sicherungsverwahrung rechtlicher Überprüfung nicht standgehalten hatte (Urteil vom 4. November 2009 - 2 StR 347/09, [X.], 77). Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil hat der [X.] mit Beschluss vom selben Tag als unbegründet verworfen. Mit nunmehr angefochtenem Urteil hat das [X.] auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren erkannt und die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet.

2

Nach den insoweit bindenden Feststellungen zum Schuldspruch im Urteil des [X.]s vom 19. März 2009 nahm der Angeklagte zwischen Juni 2007 und Mai 2008 in 20 Fällen sexuelle Handlungen an dem damals 12 bzw. 13 Jahre alten [X.] seiner ehemaligen Lebensgefährtin vor, wobei er in allen Fällen u.a. den Analverkehr vollzog. Diese Taten beging der Angeklagte, der mit Urteil vom 20. Juli 2005 (8007 [X.]/03.Ls) durch das [X.] bereits wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden war, innerhalb laufender Bewährungszeit.

3

Die auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist nicht begründet.

4

1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und damit unzulässig (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO).

5

2. Die Überprüfung aufgrund der Sachrüge hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

6

a) Das [X.] hat zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten hinreichende eigene Feststellungen getroffen und diese dem Straf- und [X.] rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt. Zwar hat es in den Urteilsgründen ausgeführt, dass "infolge der auf den Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen beschränkten Teilaufhebung (...) die Feststellungen zur Person des Angeklagten und zur Sache in Rechtskraft erwachsen" seien ([X.]) und im [X.] daran die insoweit aufgehobenen Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten aus dem Urteil vom 19. März 2009 wörtlich und in An- und Abführungszeichen gesetzt übernommen. Diese für sich genommen rechtsfehlerhaften Ausführungen nötigen aber entgegen der Ansicht des [X.] nicht zur (erneuten) Aufhebung des Urteils.

7

Nach Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen durch das Revisionsgericht ist der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter gehalten, eigene Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten zu treffen und diese im Urteil mitzuteilen (vgl. [X.], Beschluss vom 4. Dezember 2003 - 4 [X.], [X.], 211; [X.], Beschluss vom 28. März 2007 - 2 StR 62/07, NJW 2007, 1540, 1541; vgl. auch [X.], [X.], [X.], 42). Hat der Angeklagte in dem neuen Verfahren dieselben Angaben gemacht, wie sie in dem früheren, jedoch insoweit aufgehobenen Urteil enthalten sind, kann zwar auf die aufgehobenen Feststellungen aus dem früheren Urteil nicht Bezug genommen werden; sie können jedoch - auch im Wortlaut - in das neue Urteil übernommen werden, sofern kein Zweifel daran verbleibt, dass es sich um neue, eigenständig getroffene Feststellungen handelt ([X.], Beschluss vom 16. Februar 2000 - 3 StR 24/00, [X.]R StPO § 267 Abs. 1 S. 1 Bezugnahme 3; Beschlüsse vom 14. Oktober 2008 - 4 [X.], [X.], 148, 149 sowie 4 [X.], [X.], 91, 92; [X.] 54. Aufl. § 354 Rn. 46). Diesen Anforderungen hat das [X.] entsprochen, indem es im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt hat, dass zum Lebensweg des Angeklagten "die Beweisaufnahme keine weitergehenden Feststellungen erbracht", der Angeklagte "die in dem angefochtenen Urteil zu seiner Person getroffenen Feststellungen ausdrücklich als zutreffend bezeichnet und diese vor der Kammer im Einzelnen wiederholt" habe und keine Veranlassung bestanden habe, die Angaben in Zweifel zu ziehen ([X.]). Diese Ausführungen belegen, dass sich das [X.] - anders als in den Ausführungen auf [X.] zum Ausdruck gebracht - nicht an die vom [X.] aufgehobenen Feststellungen aus dem Urteil vom 19. März 2009 gebunden gesehen und zutreffend eigenständig inhaltsgleiche Feststellungen getroffen hat.

8

b) Auch im Übrigen ist die Strafzumessung rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das [X.] im Hinblick auf die konkreten Tatumstände und das Bewährungsversagen des Angeklagten eine Milderung des Strafrahmens nach § 176a Abs. 4 StGB abgelehnt hat.

9

c) Die [X.] ist ebenfalls frei von Rechtsfehlern.

aa) Die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung sind, wie der [X.] bereits in seinem Urteil vom 4. November 2009 festgestellt hat, erfüllt. Das [X.] und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 ([X.]) enthält keine dem Angeklagten günstige Änderung.

bb) Das [X.] hat - sachverständig beraten - mit tragfähiger Begründung festgestellt, dass der Angeklagte, bei dem eine homophile Alterspädophilie vorliegt, infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist. Entgegen den Ausführungen der Revision steht dieser Annahme nicht entgegen, dass sich die [X.] wie schon die früher abgeurteilten Taten gegen ein aus dem [X.] Umfeld des [X.] stammendes Opfer richteten (vgl. hierzu bereits die Ausführungen im [X.]surteil vom 4. November 2009, [X.], 77 mwN). Das [X.] hat zudem ausdrücklich in den Blick genommen, dass nach dem Urteil des [X.] vom 4. Mai 2011 (NJW 2011, 1931 ff.) die hier maßgeblichen Bestimmungen über die Sicherungsverwahrung verfassungswidrig sind und diese bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber - längstens bis 31. Mai 2013 - nur nach Maßgabe der Gründe jener Entscheidung weiter anwendbar bleiben. Danach unterliegt die Anordnung der Maßregel einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung". Gemessen daran ist die Verhältnismäßigkeit in der Regel nur gewahrt, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (vgl. [X.], Urteil vom 7. Juli 2011 - 2 [X.], [X.], 32; Urteil vom 19. Oktober 2011 - 2 [X.], [X.], 213, 214; Beschluss vom 20. Oktober 2011 - 2 [X.]). Rechtlich zutreffend hat das [X.] Taten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, deren Begehung durch den Angeklagten auch künftig zu erwarten ist, im konkreten Fall als solchermaßen "schwere Sexualstraftaten" im Sinne der Weitergeltungsanordnung des [X.] eingeordnet (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 2 StR 328/11, [X.], 212, 213, Rn. 6; [X.], Beschlüsse vom 2. August 2011 - 3 [X.], [X.]R StGB § 66 Strikte Verhältnismäßigkeit 1, vom 11. August 2011 - 3 [X.] und vom 26. Oktober 2011 - 5 StR 267/11, [X.], 9).

Das [X.] hat sich sowohl im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung als auch bei der ihm obliegenden Ermessensentscheidung erschöpfend mit der Frage auseinandergesetzt, ob andere geeignete Maßnahmen gegeben sind, um der vom Angeklagten ausgehenden Gefahr für die Allgemeinheit zu begegnen oder diese zumindest erheblich abzuschwächen. Dies hat es mit tragfähiger Begründung verneint. Entgegen dem [X.] musste sich das [X.] dabei nicht ausdrücklich mit dem Umstand befassen, dass der Angeklagte erstmals zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt worden ist und bislang "praktisch nicht" therapiert wurde. Die Wirkungen eines erstmals erlebten längeren Strafvollzugs und von in diesem Rahmen (möglicherweise) wahrgenommenen Therapieangeboten können zwar im Einzelfall wesentliche gegen die Anordnung der Maßregel sprechende Gesichtspunkte darstellen (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Dezember 2010 - 5 [X.], [X.], 276). Ein Absehen von der Anordnung trotz bestehender hangbedingter Gefährlichkeit kommt in Ausübung des in § 66 Abs. 2 StGB eingeräumten Ermessens aber nur dann in Betracht, wenn bereits zum Zeitpunkt des Urteilserlasses die Erwartung begründet ist, der Täter werde hierdurch eine Haltungsänderung erfahren, sodass für das Ende des Strafvollzugs eine günstige Prognose gestellt werden kann. Zum Zeitpunkt des Urteilserlasses noch ungewisse positive Veränderungen und lediglich mögliche Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug können indes nicht genügen. Vielmehr bedarf es - worauf der [X.] bereits in seinem Urteil vom 4. November 2009 hingewiesen hat (vgl. [X.], 77, 78) - zumindest konkreter Anhaltspunkte für einen Behandlungserfolg (vgl. auch [X.], Urteile vom 5. Februar 1985 - 1 StR 833/84, [X.], 261; vom 19. Juli 2005 - 4 [X.], [X.], 337, 338 und vom 3. Februar 2011 - 3 [X.], NStZ-RR 2011, 172 sowie [X.]/[X.] in [X.]. § 66 Rn. 233). Solche sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Das Verhalten des Angeklagten im Strafvollzug und zukünftig möglicherweise eintretende Haltungsänderungen werden demnach im Rahmen der obligatorischen Prüfung nach § 67c Abs. 1 StGB zu berücksichtigen sein (vgl. [X.], Urteile vom 4. Februar 2004 - 1 StR 474/03, [X.], 202, 203, und vom 19. Juli 2005 - 4 [X.], [X.], 337; [X.] 59. Aufl. § 66 Rn. 36).

Ernemann                                             [X.]                                     Berger

                            Eschelbach                                       Ott

Meta

2 StR 592/11

28.03.2012

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Trier, 24. August 2011, Az: 8041 Js 16255/08 - 1a KLs

§ 66 Abs 1 Nr 3 StGB vom 27.12.2003, § 66 Abs 2 StGB vom 27.12.2003, § 176a Abs 2 Nr 1 StGB, Art 1 GG, Art 2 GG, Art 20 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.03.2012, Az. 2 StR 592/11 (REWIS RS 2012, 7655)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7655

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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