Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.05.2011, Az. X ARZ 101/11

10. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 7149

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Gegenstand

Besonderer Gerichtsstand des Haustürgeschäfts: Klage eines an einem Vermögensfonds beteiligten Anlegers gegen ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen wegen Verletzung von Pflichten aus einem Mittelverwendungskontrollvertrag; sachlicher Zusammenhang für eine Streitgenossenschaft bei Klagen gegen Kapitalanlagevermittler und Wirtschaftsprüfungsunternehmen


Leitsatz

1. Auch wenn ein Vertrag über die Beteiligung an einem in der Rechtsform der Kommanditgesellschaft organisierten Vermögensfonds im Rahmen eines Haustürgeschäfts zustande gekommen ist, kann eine Klage gegen ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen, das vom Anleger wegen Verletzung von Pflichten aus einem mit der Kommanditgesellschaft geschlossenen Vertrag über die Kontrolle der Mittelverwendung in Anspruch genommen wird, nicht im besonderen Gerichtsstand des Haustürgeschäfts gemäß § 29c ZPO erhoben werden .

2. Der für eine Streitgenossenschaft gemäß § 60 ZPO erforderliche sachliche Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Ansprüchen ist gegeben, wenn der Kläger geltend macht, sowohl der Vermittler einer Kapitalanlage als auch ein wegen desselben Schadens als Gesamtschuldner in Anspruch genommenes Wirtschaftsprüfungsunternehmen hätten erkennen können und müssen, dass der Emissionsprospekt Fehler aufweise und das Geschäftsmodell der Kapitalanlage gegen Vorschriften des Kreditwesengesetzes verstoße. Der Zusammenhang wird nicht dadurch aufgehoben, dass die Beklagten aus unterschiedlichen Verträgen in Anspruch genommen werden, zwischen denen ihrerseits kein unmittelbarer Zusammenhang besteht .

Tenor

Als zuständiges Gericht wird das [X.] bestimmt.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt von den [X.] Ersatz des Schadens aus einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage.

2

Der Kläger beteiligte sich im November 2004 auf Vermittlung der [X.] zu 1 über eine Treuhandkommanditistin an einem Vermögensfonds in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft (nachfolgend: [X.]). Über das Vermögen der [X.] ist mit Beschluss vom 12. September 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet worden.

3

Die Beklagte zu 2, eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, hat im Auftrag der [X.] deren Emissionsprospekt in der Fassung vom 17. März 2004 begutachtet. Ferner hat sie mit der [X.] einen - im Emissionsprospekt im Wortlaut wiedergegebenen - [X.] geschlossen. Nach diesem Vertrag durften Verfügungen über das Bankkonto, auf das die [X.] überwiesen wurden, nur mit Zustimmung der [X.] zu 2 erfolgen. Diese hatte vor der Erteilung der Zustimmung zu prüfen, ob bestimmte im Vertrag festgelegte formale Kriterien erfüllt waren.

4

Der Kläger nimmt beide [X.] vor dem [X.] auf Erstattung seiner Einlagen Zug um Zug gegen Abtretung seiner Beteiligungsrechte an der [X.] in Anspruch und begehrt ergänzend die Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich künftig eintretender Nachteile. Er macht geltend, die Beklagte zu 1 habe ihn bei der Vermittlung der Anlage nicht hinreichend über die mit der Anlage verbundenen Risiken, über beanstandete Verstöße gegen die Vorschriften des Kreditwesengesetzes bei vergleichbaren Geschäften, über negative Presseberichte und über Fehler des Emissionsprospekts aufgeklärt. Die Beklagte zu 2 habe die ihr obliegenden Pflichten aus dem [X.], in dessen Schutzbereich der Kläger einbezogen sei, verletzt, weil sie fahrlässig nicht erkannt habe, dass das Geschäftsmodell der [X.] gegen die Vorschriften des Kreditwesengesetzes verstoßen habe und dass der Emissionsprospekt unrichtig und unvollständig gewesen sei.

5

Die Beklagte zu 2 hat die örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt. Der Kläger beantragt nunmehr, das [X.], hilfsweise ein anderes Gericht gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als zuständiges Gericht zu bestimmen. Die Beklagte zu 2 tritt diesem Antrag entgegen und beantragt hilfsweise, als zuständiges Gericht das [X.] zu bestimmen.

6

Das [X.] hält den Antrag auf Bestimmung eines Gerichtsstands für zulässig und begründet. Es sieht sich an einer dem Antrag stattgebenden Entscheidung durch den Beschluss des [X.] vom 11. November 2010 (1 AR 32/10 (Zust), nicht veröffentlicht) gehindert und hat die Sache deshalb dem [X.] vorgelegt.

7

II. Die Vorlage ist zulässig.

8

Das [X.] hat in dem genannten Beschluss eine Bestimmung des Gerichtsstands in einem im Wesentlichen gleich gelagerten Fall abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der wegen unzureichender Aufklärung in Anspruch genommene Anlagevermittler und die wegen Verletzung von Pflichten aus dem [X.] in Anspruch genommene Wirtschaftsprüfungsgesellschaft seien nicht als Streitgenossen anzusehen. Das vorlegende [X.] sieht die Voraussetzungen für eine Streitgenossenschaft hingegen als gegeben an. Damit würde es in einer Rechtsfrage von der Entscheidung des [X.] abweichen.

9

III. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des Gerichtsstands gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO sind erfüllt.

1. Zutreffend ist das vorlegende Gericht davon ausgegangen, dass die Parteien nicht denselben allgemeinen Gerichtsstand haben und dass für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist.

a) Für die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Klage ist der besondere Gerichtsstand für Haustürgeschäfte (§ 29c ZPO) nicht gegeben.

Wie das vorlegende Gericht zutreffend darlegt, erfasst § 29c ZPO ohne Rücksicht auf die Anspruchsgrundlage alle Klagen, mit denen Ansprüche geltend gemacht werden, die sich auf ein Haustürgeschäft im Sinne von § 312 BGB gründen. Hierzu gehören auch alle Folgeansprüche aus Haustürgeschäften sowie Ansprüche wegen Verschuldens bei Vertragsschluss oder wegen einer in Zusammenhang mit dem Haustürgeschäft begangenen unerlaubten Handlung gegen den Vertragspartner oder gegen Dritte, die in die Vertragsanbahnung eingeschaltet waren ([X.], Beschluss vom 7. Januar 2003 - [X.] 362/02, NJW 2003, 1190 f.).

Die Ansprüche, die der Kläger gegen die Beklagte zu 2 geltend macht, erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Die Beklagte zu 2 war nicht in die Anbahnung, den Abschluss oder die Abwicklung des nach dem Vortrag des [X.] als Haustürgeschäft zu qualifizierenden Anlagevertrages einbezogen. Die gegen sie erhobenen Ansprüche stellen auch keine Folgeansprüche aus diesem Vertrag dar. Sie werden auf den [X.] gestützt. Dieser Vertrag steht nicht in rechtlichem Zusammenhang mit dem Haustürgeschäft. Dass der geltend gemachte Schaden auch durch den Abschluss des [X.] verursacht worden ist, reicht für die Anwendung des § 29c ZPO nicht aus.

b) Ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand ist auch nicht gemäß § 32b ZPO am Sitz der [X.] begründet. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind, wie das vorlegende Gericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, jedenfalls hinsichtlich der Klage gegen die Beklagte zu 1 nicht erfüllt.

§ 32b ZPO findet keine Anwendung, wenn ein Beklagter wegen Verletzung eines Anlageberatungsvertrags auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird. Dies gilt auch dann, wenn der Beklagte sich bei der Beratung auf öffentliche Kapitalmarktinformationen bezogen hat ([X.], Beschluss vom 30. Januar 2007 - [X.] 381/06, NJW 2007, 1364 Rn. 11; Beschluss vom 30. Oktober 2008 - [X.], [X.], 513 Rn. 15). Für Ansprüche aus einem Anlagevermittlungsvertrag gilt nichts anderes.

2. Der Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstands steht auch nicht entgegen, dass die Klage bereits - vor demselben Gericht - gegen beide [X.] anhängig ist (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 23. Februar 2011 - [X.] 388/10, zur [X.] vorgesehen, Rn. 6 f. mwN, Volltext in juris).

3. Die [X.] sind Streitgenossen im Sinne von § 60 ZPO.

§ 60 ZPO beruht weitgehend auf Zweckmäßigkeitserwägungen und ist deshalb grundsätzlich weit auszulegen. Dies gestattet es, auch ohne Identität oder Gleichheit des tatsächlichen und rechtlichen Grundes der geltend zu machenden Ansprüche Streitgenossenschaft anzunehmen, wenn diese Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt ([X.], Beschluss vom 23. Mai 1990 - [X.], [X.] 1991, 222 f. = NJW-RR 1991, 381). Ein solcher Zusammenhang ist auch im Streitfall gegeben. Er ergibt sich entgegen der Auffassung des [X.] nicht nur daraus, dass hinter beiden Lebenssachverhalten derselbe Vermögensfonds steht. Der Kläger nimmt die [X.] vielmehr auch auf Ersatz derselben Schäden in Anspruch und stützt seine Ansprüche gegenüber beiden [X.] jedenfalls auch darauf, dass diese Fehler im Emissionsprospekt und Verstöße gegen Vorschriften des Kreditwesengesetzes übersehen haben. Der sachliche Zusammenhang wird nicht dadurch aufgehoben, dass die Ansprüche gegen die beiden [X.] auf unterschiedliche Verträge gestützt werden, die ihrerseits nicht in unmittelbarem rechtlichen Zusammenhang stehen. Er ist auch nicht deshalb zu verneinen, weil die Pflichten, deren Verletzung der Kläger geltend macht, unterschiedlichen Inhalt haben und sich nach dem [X.] nur insoweit decken, als sie dem Schutz (potentieller) Anleger dienten. Trotz der bestehenden Unterschiede erscheinen die erhobenen Ansprüche ihrem Wesen nach gleichartig, weil der Kläger seine Klage darauf stützt, dass beide [X.] einen Beitrag zum Vertrieb der Kapitalanlage geleistet haben, obwohl sie hätten erkennen können und müssen, dass der Emissionsprospekt Fehler aufweise und die Tätigkeit der [X.] gegen Vorschriften des Kreditwesengesetzes verstoße.

IV. Als zuständiges Gericht bestimmt der Senat das [X.].

Im Bezirk dieses Gerichts haben sowohl der Kläger als auch die Beklagte zu 1 ihren allgemeinen Gerichtsstand. Ferner ist hier auch der Anlagevertrag abgeschlossen worden, der zum Eintritt der geltend gemachten Schäden geführt hat. Diesen Gesichtspunkten kommt im Streitfall stärkeres Gewicht zu als dem von der [X.] zu 2 aufgezeigten Umstand, dass beim [X.] und beim [X.] bereits eine Vielzahl von Verfahren wegen vergleichbarer Sachverhalte anhängig ist.

[X.]                                       Gröning                                                Bacher

                                  Hoffmann                                           Schuster

Meta

X ARZ 101/11

03.05.2011

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARZ

§ 29c ZPO, § 60 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.05.2011, Az. X ARZ 101/11 (REWIS RS 2011, 7149)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7149

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