Bundessozialgericht, Beschluss vom 28.04.2017, Az. B 1 KR 15/17 B

1. Senat | REWIS RS 2017, 11705

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Prozesskostenhilfe - verspäteter Eingang des PKH-Gesuchs - Fristversäumnis - prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts


Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 14. Februar 2017 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 14. Februar 2017 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin ist mit ihrem Begehren, ihr 220,92 Euro Kosten für das selbst beschaffte Arzneimittel [X.] zu erstatten und sie zukünftig mit diesem Medikament zu versorgen, bei der [X.] und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das [X.] unter Bezugnahme auf die Entscheidung des [X.] ua ausgeführt, das begehrte Fertigarzneimittel sei zulassungspflichtig und weder in [X.] noch EU-weit zugelassen. Ein Anspruch auf eine Versorgung nach den Grundsätzen des Off-Label-Use scheide aus. Eine notstandsähnliche Situation, die eine grundrechtsorientierte Erweiterung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertige, liege ebenso wenig vor wie ein Seltenheitsfall (Beschluss vom 14.2.2017, zugestellt am [X.]). Die Klägerin hat mit einem am 17.3.2017 beim [X.] eingegangenen und an das B[X.] weitergeleiteten Schreiben selbst sinngemäß Beschwerde ("Widerspruch") gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss vom 14.2.2017 eingelegt und unter Beifügung einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe (Erklärung) die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Das Schreiben nebst Erklärung mit Anlagen ist am [X.] beim B[X.] eingegangen.

2

II. 1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte PKH unter Beiordnung eines anwaltlichen Bevollmächtigten. Nach § 73a Abs 1 S 1 [X.]G iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem B[X.] nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn - ua - die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es.

3

a) Die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil die Klägerin nicht fristgerecht innerhalb der Beschwerdefrist (§ 160a Abs 1 S 2 [X.]G) beim B[X.] PKH beantragt hat (vgl zu diesem Erfordernis B[X.] Beschluss vom 10.12.2014 - [X.] KR 11/14 B - Juris Rd[X.] 6; B[X.] [X.] 3-1500 § 67 [X.] mwN). Unter Berücksichtigung des Anspruchs auf ein faires Verfahren darf ein Gericht aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten (vgl [X.] 57, 250, 275; [X.] 60, 1, 6 f; [X.] 75, 183, 188 ff) und ist zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet (vgl [X.] 38, 105, 111 ff; [X.] 40, 95, 98 f; [X.] 46, 202, 210; [X.] 78, 123, 126). Dementsprechend kann der verspätete Eingang des [X.] nicht einem Beteiligten vorgeworfen werden, wenn das Fristversäumnis (auch) auf Fehlern beruht, die im Verantwortungsbereich des Gerichts bei Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht liegen (vgl [X.] 93, 99, 114 f, dort zur Weiterleitung einer beim [X.] eingegangenen Berufung an das O[X.]; B[X.] [X.] 3-1500 § 67 [X.] mwN).

4

So liegt der Fall hier. Denn das Fristversäumnis ist dem Organisationsbereich des [X.] zuzuordnen. Gegen den ihr am [X.] zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 17.3.2017 (Freitag) "Widerspruch" eingelegt und die Erklärung eingereicht. Das [X.] hat erst am 20.3.2017 (Montag) die Weiterleitung des Schriftsatzes an das B[X.] verfügt. Die Verfügung wurde am 21.3.2017 ausgeführt. Das [X.] hätte angesichts des drohenden Fristablaufs durch eine zeitnahe Weiterleitung des Schreibens der Klägerin für einen rechtzeitigen Zugang des [X.] beim B[X.] Sorge tragen müssen und auch können. Eine prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts besteht immer dann, wenn es darum geht, eine Partei oder ihren Prozessbevollmächtigten nach Möglichkeit vor den fristbezogenen Folgen eines bereits begangenen Fehlers zu bewahren. Ein [X.] kann daher erwarten, dass offenkundige Versehen wie zB die Einlegung eines Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht in angemessener Zeit bemerkt und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um ein drohendes Fristversäumnis zu vermeiden (vgl [X.] 93, 99, 114 f; B[X.]E 38, 248, 261 f = [X.] 1500 § 67 [X.] f; B[X.] [X.] 3-1500 § 67 [X.]; B[X.] Beschluss vom 17.11.2015 - [X.] KR 130/14 B - Juris Rd[X.] 5). Zwar ist ein Gericht grundsätzlich nicht verpflichtet, jedes Schriftstück unmittelbar nach seinem Eingang daraufhin zu überprüfen, ob darin etwa eine [X.] enthalten ist, die an das zuständige Gericht weitergeleitet werden muss (vgl B[X.]E 38, 248, 261 = [X.] 1500 § 67 [X.] f); insbesondere besteht keine Verpflichtung, ggf außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen, um den rechtzeitigen Eingang der [X.] bei dem zuständigen Gericht zu gewährleisten (vgl B[X.] Beschluss vom [X.] [X.]3 R 280/12 B - Juris Rd[X.] 6 mwN). Hier ist der Charakter des Schreibens der Klägerin als Antrag auf Zulassung der Revision und Bewilligung von PKH für das Verfahren vor dem B[X.] aber deutlich zum Ausdruck gekommen. Der drohende Fristablauf ist unschwer und nicht nur erst bei eingehender Durcharbeitung zu erkennen gewesen. Der Antrag ist auch noch so früh beim [X.] eingegangen, dass das [X.] die hinreichende Möglichkeit hatte, es bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang rechtzeitig weiterzuleiten. Dass bei dieser Sachlage die Weiterleitung des Schreiben nicht schon am Freitag verfügt und die Verfügung am selben Tag ausgeführt wurde, kann der Klägerin nicht zugerechnet werden.

5

b) Nach Durchsicht der Akten fehlen aber auch unter Würdigung des Vorbringens der Klägerin Anhaltspunkte dafür, dass sie einen der in § 160 Abs 2 [X.] bis 3 [X.]G abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.

6

Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall der Klägerin hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G). Insbesondere ist mit Blick auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats kein Klärungsbedarf zu Fragen im Zusammenhang mit dem Off-Label-Use (vgl nur B[X.]E 95, 132 Rd[X.] 20 = [X.] 4-2500 § 31 [X.] Rd[X.] 27; B[X.]E 97, 112 = [X.] 4-2500 § 31 [X.] 5; B[X.] [X.] 4-2500 § 31 [X.]5; B[X.] Urteil vom 13.12.2016 - [X.] KR 1/16 R - vorgesehen für B[X.]E und [X.]; B[X.] Urteil vom 13.12.2016 - [X.] KR 10/16 R - vorgesehen für B[X.]E und [X.]) oder der grundrechtsorientierten Erweiterung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl nur B[X.]E 96, 170 = [X.] 4-2500 § 31 [X.] 4; B[X.]E 100, 103 = [X.] 4-2500 § 31 [X.] 9; B[X.] Urteil vom 13.12.2016 - [X.] KR 1/16 R - vorgesehen für B[X.]E und [X.]; B[X.] Urteil vom 13.12.2016 - [X.] KR 10/16 R - vorgesehen für B[X.]E und [X.]) erkennbar.

7

Es ist auch nicht ersichtlich, dass das [X.] entscheidungstragend von der Rechtsprechung des B[X.], des [X.] oder des [X.] abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 [X.] 2 [X.]G). Ebenso fehlt jeglicher Anhalt dafür, dass die Klägerin einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler des [X.] bezeichnen könnte (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G). Nach § 160 Abs 2 [X.] [X.]G ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann auf eine Verletzung von § 109 [X.]G und § 128 Abs 1 S 1 [X.]G (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 [X.]G (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Nach Durchsicht der Akten ist insbesondere ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht nicht erkennbar. Die anwaltlich vertretene Klägerin hat keinen Beweisantrag gestellt. Auch soweit das [X.] nach dem [X.] zur beabsichtigten Entscheidung nach § 153 Abs 4 [X.]G die Klägerin nicht erneut angehört hat, nachdem diese ihre Berufungsbegründung "ergänzt" hat, fehlen Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Verfahrensfehlers. [X.] ein Gericht durch Beschluss über eine zulässige Berufung entscheiden, muss es die Beteiligten nach ordnungsgemäßer Anhörung nur dann erneut anhören, wenn sich die Prozesssituation entscheidungserheblich ändert (B[X.] [X.] 4-1500 § 153 [X.]3). Die Ausführungen der Klägerin nach der Anhörungsmitteilung haben die Prozesssituation nicht (mehr) geändert. Sie sind für die Entscheidung des [X.] nicht relevant gewesen.

8

2. Die von der Klägerin selbst eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unzulässig, da sie nicht von einem vor dem B[X.] zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt worden ist (§ 73 Abs 4 [X.]G).

9

Die Verwerfung des Rechtsmittels der Klägerin erfolgt entsprechend § 169 S 3 [X.]G ohne Zuziehung [X.] (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 [X.]G).

3. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

Meta

B 1 KR 15/17 B

28.04.2017

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Dortmund, 27. Oktober 2016, Az: S 39 KR 1873/13, Urteil

§ 73a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 1 S 2 SGG, § 114 ZPO, § 121 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 28.04.2017, Az. B 1 KR 15/17 B (REWIS RS 2017, 11705)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 11705

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