Bundessozialgericht, Beschluss vom 20.11.2019, Az. B 1 KR 39/19 B

1. Senat | REWIS RS 2019, 1357

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Eingang der Beschwerde beim LSG - Weiterleitung an das BSG im ordentlichen Geschäftsgang - Ablauf der Beschwerdefrist - Risiko- und Verantwortungsbereich des Prozessbeteiligten


Tenor

Der Antrag des [X.], ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 10. Mai 2019 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 10. Mai 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren auf Übernahme weiterer 602,21 Euro Kosten für eine Unterkieferprothese zusätzlich zum gewährten doppelten Festzuschuss bei der [X.] und dem [X.] erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid vom 10.12.2018). Das [X.] hat die Berufung nicht zugelassen. Das vom Kläger als "Berufung" bezeichnete Rechtsmittel hat das L[X.] wegen Unterschreitung des für die [X.] der Berufung maßgeblichen Wertes der Beschwer als unzulässig verworfen (Beschluss vom 10.5.2019).

2

Der Kläger hat [X.] mit einem an das L[X.] gerichteten Schriftsatz "Beschwerde bzw. Berufung" gegen den L[X.]-Beschluss (zugestellt am [X.]) eingelegt und hinzugefügt: "Gilt ggf. auch als Nichtzulassungsbeschwerde zum [X.]." Ferner hat er Prozesskostenhilfe ([X.]) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt und um Übersendung eines [X.]-Formulars gebeten ([X.], Eingang beim L[X.] am [X.], einem Montag). Das L[X.] hat die Beschwerdeschrift an das B[X.] elektronisch weitergeleitet (Schreiben vom 19.6.2019, Eingang im EGVP des B[X.] am 19.6.2019). Mit weiterem [X.]em Schreiben (21.6.2019, Eingang beim B[X.] am [X.]) hat der Kläger die auf das B[X.] bezogenen Anträge aus dem Schreiben vom [X.] wiederholt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

3

II. 1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte [X.] unter Beiordnung eines anwaltlichen Bevollmächtigten. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem B[X.] nur dann [X.] bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn - ua - die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es.

4

a) Ein Rechtsmittelkläger ist dann an der Einhaltung der Rechtsmittelfrist wegen Bedürftigkeit ohne sein Verschulden gehindert, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist einen Antrag auf Bewilligung von [X.] stellt und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Erklärung) auf dem vorgeschriebenen Formular einreicht (vgl zB B[X.] Beschluss vom [X.] KR 80/07 B - mwN; B[X.] [X.] 1750 § 117 [X.] und 3; [X.] [X.] 1750 § 117 [X.]). Für die Bewilligung von [X.] ist nach der Rspr des B[X.] und der anderen obersten Gerichtshöfe des [X.] grundsätzlich Voraussetzung, dass sowohl der Antrag auf [X.] als auch die Erklärung in der für diese gesetzlich vorgeschriebenen Form (§ 73a Abs 1 Satz 1 [X.]G, § 117 Abs 2 und 4 ZPO), dh mit dem durch die Prozesskostenhilfeformularverordnung vom [X.] ([X.]) eingeführten Formular, bis zum Ablauf der Beschwerdefrist eingereicht werden (vgl B[X.] [X.] 1750 § 117 [X.] und 3; B[X.] Beschluss vom [X.] - B 7 [X.] 14/01 B; B[X.] Beschluss vom 15.11.2017 - [X.] KR 4/17 BH - juris RdNr 5; B[X.] Beschluss vom 14.3.2018 - [X.] KR 11/18 B - juris RdNr 3; [X.], 84; [X.] [X.] 1750 § 117 [X.] und 6; [X.] NJW 2000, 3344).

5

Der Senat kann offenlassen, ob der Kläger mit seinem an das L[X.] gerichteten Schreiben Nichtzulassungsbeschwerde zum B[X.] eingelegt und [X.] dafür beantragt hat unter der innerprozessualen Bedingung, dass eine Selbstkorrektur durch das L[X.] nicht möglich ist. Der Kläger hat jedenfalls schon nicht innerhalb der einmonatigen Rechtsmittelfrist für die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 160a Abs 1 Satz 2 [X.]G) beim B[X.] ordnungsgemäß [X.] beantragt. Vielmehr hat er seinen formlosen [X.]-Antrag ohne nähere Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen an das L[X.] übersandt und dieses implizit aufgefordert, seinen Antrag an das B[X.] weiterzuleiten. Dieser schon die aufgezeigten formellen Voraussetzungen nicht erfüllende Antrag ist nicht vor Ablauf der Monatsfrist, die hier am [X.], dem Tag nach der Zustellung des L[X.]-Beschlusses, begann und am [X.], einem Montag, endete (vgl § 160a Abs 1 Satz 2, § 64 Abs 3 [X.]G), beim B[X.] eingegangen.

6

b) Dem Kläger ist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 Abs 2 Satz 4 [X.]G) zu gewähren. Nach der Rspr des B[X.] liegt Verschulden eines Prozessbeteiligten grundsätzlich vor, wenn die von einem gewissenhaften Prozessführenden im prozessualen Verkehr erforderliche Sorgfalt außer [X.] gelassen worden ist (vgl zB B[X.]E 1, 227, 232; B[X.]E 61, 213, 214 = [X.] 1500 § 67 [X.]8 S 42; B[X.] [X.] 3-1500 § 67 [X.]1 S 60 mwN; B[X.] [X.] 4-1500 § 160a [X.]3 RdNr 5). Unter Berücksichtigung des Anspruchs auf ein faires Verfahren darf ein Gericht allerdings aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten (vgl [X.]E 57, 250, 274 f; [X.]E 60, 1, 6 f; [X.]E 75, 183, 188 und 190) und ist zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet (vgl [X.]E 38, 105, 111 ff; [X.]E 40, 95, 98 f; [X.]E 46, 202, 210; [X.]E 78, 123, 126). Dementsprechend ist Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn das Fristversäumnis auch auf Fehlern beruht, die im Verantwortungsbereich des Gerichts bei Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht liegen (vgl [X.]E 93, 99, 114 f, dort zur Weiterleitung einer beim [X.] eingegangenen Berufung an das O[X.]; B[X.] [X.] 3-1500 § 67 [X.]1 S 61 mwN). Eine prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts besteht immer dann, wenn es darum geht, eine Partei oder ihren Prozessbevollmächtigten nach Möglichkeit vor den fristbezogenen Folgen eines bereits begangenen Fehlers zu bewahren. Ein [X.] kann daher erwarten, dass offenkundige Versehen wie zB die Einlegung eines Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht in angemessener Zeit bemerkt und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um ein drohendes Fristversäumnis zu vermeiden (vgl [X.]E 93, 99, 114 f; B[X.]E 38, 248, 261 f = [X.] 1500 § 67 [X.] S 11 f; B[X.] [X.] 3-1500 § 67 [X.]1 S 61). Die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht der Gerichte begründet jedoch keine generelle Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der Zuständigkeit bei Eingang des Schriftsatzes. Die Gerichte sind auch nicht verpflichtet, außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen und den rechtzeitigen Eingang eines fristwahrenden Schriftsatzes beim zuständigen Gericht zu gewährleisten (so schon B[X.]E 38, 248, 261 = [X.] 1500 § 67 [X.] S 10 f; B[X.] Beschluss vom 14.12.2010 - [X.]0 EG 4/10 R - Juris Rd[X.]3; B[X.] Beschluss vom 23.7.2012 - [X.]3 R 280/12 B - juris RdNr 6). Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von [X.] wegen geboten ist, kann sich nicht nur am Interesse des Rechtsuchenden an einer möglichst weit gehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss (vgl [X.]K 7, 198, 200; [X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 2147/00 - juris RdNr 7 = NJW 2001, 1343). Hiernach hat das L[X.] seine Fürsorgepflicht nicht verletzt. Das L[X.] hat die erst am letzten Tag der Beschwerdefrist eingegangene Beschwerde im ordentlichen Geschäftsgang an das B[X.] weitergeleitet. Es fällt in den Risiko- und Verantwortungsbereich des [X.], dass seine bewusst an das L[X.] adressierte Beschwerde nach Weiterleitung erst nach Ablauf der Beschwerdefrist beim B[X.] eingegangen ist.

7

c) Da dem Kläger keine [X.] zusteht, kann er auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (vgl § 73a Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 121 ZPO).

8

2. Die von dem Kläger selbst eingelegte Beschwerde ist durch Beschluss ohne Zuziehung [X.] als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 [X.]G). Sie entspricht nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften, weil sie nicht durch einen vor dem B[X.] zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 [X.]G) eingelegt worden ist. Schon die Beschwerdeschrift muss von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Hierauf hat das L[X.] den Kläger in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses ausdrücklich hingewiesen.

9

3. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

Meta

B 1 KR 39/19 B

20.11.2019

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Regensburg, 10. Dezember 2018, Az: S 8 KR 119/18, Gerichtsbescheid

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 1 S 2 SGG, § 67 Abs 1 SGG, § 67 Abs 2 S 4 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 20.11.2019, Az. B 1 KR 39/19 B (REWIS RS 2019, 1357)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 1357

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