Bundessozialgericht, Beschluss vom 22.11.2022, Az. B 1 KR 13/22 BH

1. Senat | REWIS RS 2022, 9677

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Prozesskostenhilfe für Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren - fehlerhafte Adressierung des Prozesskostenhilfeantrags an ein unzuständiges Gericht - Eingang beim zuständigem Gericht nach Fristablauf - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - prozessuale Fürsorgepflichten der Gerichte


Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 10. Dezember 2021 unter Beiordnung einer Rechtsanwältin zu bewilligen, wird abgelehnt.

Gründe

1

I. Die Klägerin hat mit Schreiben vom [X.] einen Antrag auf Prozesskostenhilfe ([X.]) für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 10.12.2021, ihr zugestellt am 20.12.2021, unter Beiordnung einer Rechtsanwältin gestellt. Das Schreiben ging ausweislich des [X.] am 25.1.2022 beim [X.] und nach Weiterleitung am [X.] beim [X.] ein. Der Vertreter des seinerzeit zuständigen Berichterstatters wies die Klägerin mit Verfügung vom 11.2.2022 darauf hin, dass die maßgebliche Frist von einem Monat für den Antrag auf [X.] bei Eingang ihres Schreibens bereits abgelaufen und der Antrag daher unzulässig sei. Darauf hat die Klägerin mit Schreiben vom [X.] mitgeteilt, sie habe den Brief an das [X.] am [X.] und damit rechtzeitig zur Post gegeben. Mit Schreiben vom 25.2.2022 hat der Berichterstatter der Klägerin mitgeteilt, dass auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens eine Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ausgeschlossen sein dürfte, da sie den Antrag an das [X.] gesandt habe und er dort erst nach Fristablauf eingegangen sei. Darauf hat die Klägerin einen [X.] über eine [X.]-Sendung vom [X.] vorgelegt und mit am [X.] eingegangenen Schreiben vom [X.] und [X.] erwidert, ihre Nachfrage beim Kundenservice der [X.] habe ergeben, dass der Brief beim [X.] am [X.] zugestellt worden sei. Das [X.] habe nicht so lange mit der Weiterleitung warten dürfen. Sie beantrage hilfsweise Wiedereinsetzung.

2

II. 1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte [X.] unter Beiordnung einer anwaltlichen Bevollmächtigten. Die Bewilligung von [X.] für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision setzt nach der Rechtsprechung des [X.] und der anderen obersten Gerichtshöfe des [X.] voraus, dass der Antragsteller sowohl den Antrag auf [X.] als auch die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Erklärung) in der für diese gesetzlich vorgeschriebenen Form (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG, § 117 Abs 2 und 4 ZPO) bis zum Ablauf der Beschwerdefrist einreicht (vgl zB [X.] vom 20.2.2018 - [X.] KR 12/18 B - juris Rd[X.]; [X.] vom 15.11.2017 - [X.] KR 4/17 BH - juris RdNr 5). Der Antrag der Klägerin ist jedoch erst am [X.] und damit nach Ablauf der Beschwerdefrist, die am [X.] endete (§ 160a Abs 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs 2, § 63 Abs 2 Satz 1 SGG, §§ 180, 182 ZPO), eingegangen. Maßgeblich für die Fristwahrung ist der Eingang beim [X.] (§ 160a Abs 1 Satz 2 SGG); der Eingang bei einem anderen Gericht wahrt die Frist daher nicht ([X.] vom [X.] - [X.] KR 107/21 B - juris RdNr 2). Auf die Frist für die Einlegung der Beschwerde und die Erforderlichkeit der rechtzeitigen Antragstellung und Einreichung des [X.]-Formulars nebst Anlagen ist die Klägerin in der zutreffenden Rechtsmittelbelehrung des [X.] hingewiesen worden.

3

2. Der Klägerin kann keine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist (§ 67 SGG) gewährt werden. Sie war nicht "ohne Verschulden" an der Einhaltung der Frist verhindert.

4

Die Fristversäumnis beruht hier auch darauf, dass die Klägerin ihr Schreiben vom [X.] entgegen der klaren Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils nicht an das [X.], sondern an das Berufungsgericht adressiert und versandt hat. Umstände, die ein fehlendes Verschulden der Klägerin an dieser Fehladressierung des Rechtsmittels begründen könnten, hat sie nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.

5

Das Verschulden der Klägerin ist vorliegend auch nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil ein pflichtwidriges Verhalten des [X.] für die Fristversäumung primär ursächlich war. Zwar ist anerkannt, dass Wiedereinsetzung auch dann zu gewähren ist, wenn eine fristwahrende Rechtsmittelschrift an das unzuständige Gericht übersandt worden ist und aufgrund eines pflichtwidrigen Verhaltens dieses Gerichts erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist beim zuständigen Gericht eingeht ([X.] vom 10.12.1974 - [X.] 2/73 - [X.], 248, 258 ff = [X.] 1500 § 67 [X.] ff; [X.] vom 14.12.2010 - [X.]0 EG 4/10 R - juris RdNr 13 und vom 20.12.2011 - [X.] [X.]61/11 B - juris RdNr 9, jeweils mwN). Dies setzt jedoch voraus, dass die Rechtsmittelschrift bei Behandlung durch das unzuständige Gericht im ordnungsgemäßen Geschäftsgang noch innerhalb der Rechtsmittelfrist beim Rechtsmittelgericht eingegangen wäre ([X.] vom 14.12.2010 - aaO; [X.] vom 8.2.2012 - XII Z[X.]65/11 - NJW 2012, 1591 RdNr 21 f). Denn die Gerichte sind im Rahmen ihrer nachwirkenden Fürsorgepflicht nicht verpflichtet, außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen, um den rechtzeitigen Eingang einer vom Rechtsmittelführer falsch adressierten Rechtsmittelschrift bei dem zuständigen Gericht zu gewährleisten ([X.] vom 14.12.2010 - aaO; [X.] vom [X.] - 6 [X.]/07 - NJW 2008, 932 RdNr 5).

6

Hier ist nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeschrift der Klägerin bei einer Behandlung durch das [X.] im ordentlichen Geschäftsgang noch bis zum Ablauf der Beschwerdefrist an das [X.] gelangt wäre. Das Schreiben der Klägerin ist nach dem Eingangsstempel des [X.] am 25.1.2022 beim [X.] eingegangen. Selbst wenn es - wie die Klägerin vorträgt - bereits am [X.], also am [X.], beim [X.] eingegangen wäre, änderte dies nichts. Insoweit kann offen bleiben, ob die Klägerin einen früheren Zugang mit dem von ihr vorgelegten Beleg der Einlieferung einer [X.]-Sendung glaubhaft gemacht hat, zumal die Zusatzleistung [X.] einen Zustellnachweis gerade nicht enthält. Jedenfalls ist ein Fehlverhalten des [X.] nicht ersichtlich. Zwar hatte die Klägerin auf der ersten Seite des Schriftsatzes vom [X.] "[X.], Bitte vorziehen [X.]" vermerkt; in dem Schriftsatz war aber nicht angegeben, wann das Urteil des [X.] der Klägerin zugestellt worden war. Für die Mitarbeiter der Poststelle oder der Geschäftsstelle wäre mithin - den Eingang am [X.] unterstellt - nicht auf den ersten Blick erkennbar gewesen, dass der Fristablauf unmittelbar bevorstand. Jedenfalls unter diesen Umständen waren besondere beschleunigende Maßnahmen im Rahmen der nachwirkenden Fürsorgepflicht nicht geboten (s aber [X.] vom 15.7.2003 - 4 [X.]/02 - NJW-RR 2003, 901, juris RdNr 12 f, das bei eindeutiger Erkennbarkeit des Fristablaufs aus dem Schriftsatz eine Weiterleitung noch am selben Tag verlangt hat). Es entspricht vielmehr grundsätzlich dem üblichen Geschäftsgang, wenn die richterliche Erstbearbeitung eines Dokuments wegen der regelmäßig erforderlichen verwaltungstechnischen Vorarbeiten (Zuordnung des Dokuments zu einer Akte oder Anlegen der Akte; Zuständigkeitsbestimmung; Zutrag) nicht sofort oder unmittelbar am ersten Tag erfolgt ([X.] vom 12.10.2016 - [X.] [X.]/16 R - [X.], 71 = [X.] 4-1500 § 65a [X.], RdNr 29). Dann hätte aber eine Zuleitung an das [X.] im ordentlichen Geschäftsgang jedenfalls nicht mehr bewirkt, dass der falsch adressierte [X.] noch vor Fristablauf beim [X.] eingegangen wäre. Ein möglicherweise hier pflichtwidrig zu langes Zuwarten des [X.] mit der Weiterleitung des Antrages wäre somit für die Fristversäumung nicht kausal geworden.

7

Die Bewilligung von [X.] muss daher abgelehnt werden (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO). Damit entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der [X.] (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

        

Schlegel

Scholz

[X.]

Meta

B 1 KR 13/22 BH

22.11.2022

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Reutlingen, 25. Juli 2017, Az: S 6 KR 1536/16

§ 64 Abs 2 SGG, § 67 SGG, § 73a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 1 S 2 SGG, § 114 Abs 1 S 1 ZPO, § 117 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 22.11.2022, Az. B 1 KR 13/22 BH (REWIS RS 2022, 9677)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9677

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XII ZB 165/11

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