Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.06.2017, Az. 1 StR 458/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 9371

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Gegenstand

Aufhebung des Strafausspruchs mit den dazugehörigen Feststellungen in der Revisionsinstanz: Vorliegen doppelrelevanter Tatsachen; Abtrennbarkeit des Straferschwerungsgrundes des gewerbsmäßigen Handelns vom Tatgeschehen im Falle des Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel zu Doping-Zwecken


Leitsatz

1. Für die Frage, wann Schuldspruch und Strafzumessung so miteinander verknüpft sind, dass ein die Strafbarkeit erhöhender oder mindernder Umstand eine doppelrelevante Tatsache darstellt, kommt es neben der besonderen Lage des Einzelfalls auf die Trennbarkeit von den bindenden Feststellungen an.

2. Ob es sich dabei um einen Umstand handelt, der der Tatausführung das entscheidende Gepräge gibt, von ihm also nicht trennbar ist, wird von dem Grundsatz der Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Urteilsgründe bestimmt.

3. Die Gewerbsmäßigkeit als Handlungsmotivation im Rahmen der Verwirklichung eines Regelbeispiels ist - anders als die von der Bindungswirkung erfassten subjektiven Elemente der Tatbegehung - in der Regel vom Tatgeschehen abtrennbar, ohne die innere Einheit der Urteilsgründe zu gefährden.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 22. Juni 2016, soweit es ihn betrifft, aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

In einem ersten Rechtsgang wurde der Angeklagte [X.]wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu [X.]opingzwecken im Sport in 35 Fällen jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken, in einem Fall auch in Tateinheit mit Inverkehrbringen von bedenklichen Arzneimitteln zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat durch Beschluss vom 25. November 2015 das Urteil wegen eines Verfahrensfehlers im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

2

Nach Rechtskraft des Schuldspruchs ist der Angeklagte [X.]nunmehr zur Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Hiergegen wendet er sich mit der Sachrüge.

3

[X.]as Rechtsmittel hat Erfolg; der Strafausspruch, über den allein noch zu entscheiden war, weist durchgreifende Rechtsfehler auf; denn das [X.] hat den Umfang der innerprozessualen Bindung an die Feststellungen des ersten in dieser Sache ergangenen Urteils verkannt.

4

1. Es hat Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten [X.]getroffen, welche aber fast wortgleich mit denen des ersten Urteils sind. [X.]es Weiteren hat es – freilich unnötigerweise (vgl. hierzu [X.], Urteile vom 9. April 2015 – 4 StR 585/14, [X.], 600 und vom 4. [X.]ezember 1984 – 1 [X.], NJW 1985, 638) – über mehrere Seiten wörtlich wiedergegeben, welche Feststellungen im ersten Rechtsgang getroffen worden waren. Ungeachtet des [X.] hat es dieses Urteil soweit zitiert, als es darin heißt, die Angeklagten „handelten dabei in der Absicht, sich durch den wiederholten Verkauf der Präparate eine Einnahme von einiger [X.]auer und einigem Umfang zu erschließen“ bzw. „er handelte dabei bereits damals in der Absicht, sich durch den wiederholten Verkauf der Präparate eine Einnahme von einiger [X.]auer und einigem Umfang zu erschließen“. Bei der Strafzumessung hat das [X.] nur ausgeführt, dass sich der Strafrahmen aus § 95 Abs. 3 [X.] ergebe, die Regelwirkung nicht entfalle und diesen erhöhten Strafrahmen sodann zugrunde gelegt. In der Liste der angewendeten Vorschriften – gegenüber dem Urteil im ersten Rechtsgang unverändert – findet sich § 95 Abs. 3 Satz 2 [X.] lit. b [X.]. [X.]iese Vorschrift erfasste u.a. das gewerbsmäßige Handeln als Regelbeispiel eines beson[X.] schweren Falles des vorsätzlichen Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu [X.]opingzwecken im Sport. Eigene, mit einer eigenständigen Beweiswürdigung belegte Feststellungen zur gewerbsmäßigen Handlungsweise des Angeklagten oder eine Bewertung [X.]elben hat es nicht getroffen.

5

2. Allein ausweislich der Liste der angewendeten Vorschriften ergibt sich, dass das [X.] § 95 Abs. 3 [X.] lit. b [X.] zugrunde gelegt hat. [X.]ie Anwendung dieser Strafzumessungsregel ist für sich genommen im Ergebnis nicht zu beanstanden, auch wenn die Vorschrift seit dem 18. [X.]ezember 2015, mithin zur Zeit des Urteils – vom [X.] nicht ersichtlich in den Blick genommen – nicht mehr galt.

6

a) Gemäß § 2 Abs. 1 StGB findet das sogenannte Tatzeitprinzip Anwendung, wonach sich die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, welches zur [X.] galt. Im Tatzeitraum galt § 95 Abs. 3 [X.] lit. b [X.]. Abweichend von diesem Tatzeitprinzip kann sich die Strafbarkeit gemäß § 2 Abs. 3 StGB nach dem Meistbegünstigungsprinzip bestimmen. [X.]anach ist das mildeste Gesetz anzuwenden (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 25. November 2014 – 5 StR 527/14, [X.], 99 [X.]), wenn sich die Gesetzeslage seit der Beendigung der Tat geändert hat. [X.]em entspricht es, dass der Schutzzweck des Art. 103 Abs. 2 GG insoweit auf die rückwirkende Anwendung neuen materiellen Rechts zuungunsten des [X.] beschränkt ist, wobei sowohl die rückwirkende Strafbegründung als auch die rückwirkende Strafverschärfung hiervon erfasst wird ([X.], Urteil vom 20. März 2002 – 2 BvR 794/95, [X.]E 105, 135 Rn. 67 ff.; [X.] vom 22. August 1994 – 2 BvR 1884/93, [X.], 315; Beschluss vom 26. Februar 1969 – 2 BvL 15/68 Rn. 72, [X.]E 25, 269, 284 ff.).

7

b) Im vorliegenden Fall hat sich das Gesetz seit der Tatbegehung geändert. § 95 Abs. 3 [X.] lit. [X.]. § 95 Abs. 1 [X.] lit. a [X.] ist zum 17. [X.]ezember 2015 außer [X.] getreten. [X.]as dort geregelte Unrecht – Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu [X.]opingzwecken – ist jedoch seitdem in § 4 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes gegen [X.]oping im Sport ([X.]) erfasst.

8

c) [X.]ieses neue Recht erweist sich aber für den Angeklagten im konkreten Einzelfall nicht als günstiger. [X.]enn eine Betrachtung des alten und neuen Gesetzes als jeweils Ganzes ergibt keine Begünstigung des Angeklagten durch das neue Recht. So hat zwar § 95 Abs. 3 [X.] lit. b [X.] für die Fälle der gewerbsmäßigen Begehung einen beson[X.] schweren Fall vorgesehen, der einen Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren eröffnete. Bei Entfallen der Regelwirkung sah der Normalstrafrahmen Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor. Im neuen Gesetz ist für die gewerbsmäßige Begehung allerdings ein Qualifikationstatbestand vorgesehen, der den Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren enthält (§ 4 IV [X.] lit. b [X.]), für den Fall der Annahme eines minder schweren Falls steht ein abgesenkter Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren zur Verfügung (§ 4 V [X.]).

9

[X.]amit verbleibt es bei der Anwendbarkeit des zur Tatzeit geltenden Rechts.

3. Jedoch hat das [X.] diese Strafzumessungsregel auf Feststellungen des Urteils im ersten Rechtsgang gestützt, die – weil hier allein den Strafausspruch betreffend – durch den Beschluss des [X.] im ersten Revisionsverfahren mit aufgehoben waren (vgl. jeweils zur gewerbsmäßigen Begehung [X.], Beschlüsse vom 29. Mai 2012 – 3 [X.], [X.], 356; vom 22. April 2008 – 3 [X.]; allgemein zu beson[X.] schweren Fällen und vom 16. Februar 2000 – 3 StR 24/00, [X.]R [X.] § 353 Abs. 2 [X.] 18; a.[X.]/[X.], [X.], 60. Aufl., § 353 Rn. 20 unter Bezugnahme auf die oben zitierten Entscheidungen, die diese Ansicht jedoch nicht tragen; abw. noch bis zur 57. Aufl.). [X.]en [X.] fehlt insoweit die tatsachengestützte Grundlage und eine eigene Bewertung dieser Tatsachen.

a) Hebt das Revisionsgericht ein Urteil in Anwendung des § 353 Abs. 2 [X.] im Strafausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen auf, so bezieht sich diese Aufhebung auf solche Umstände tatrichterlicher Sachverhaltsfeststellung, die ausschließlich die Straffrage betreffen. Hinsichtlich des nicht beanstandeten Schuldspruchs tritt [X.] ein. [X.] Feststellungen, die ausschließlich die Schuldfrage betreffen, und solche, die als doppelrelevante Umstände zugleich für Schuld- und Straffrage von Bedeutung sind, bleiben aufrechterhalten und sind für das weitere Verfahren bindend ([X.], Beschlüsse vom 27. Oktober 2015 – 3 [X.], [X.], 520; vom 10. Juni 2015 – 1 [X.] und vom 29. September 2009 – 3 [X.], [X.], 74; Urteil vom 14. Januar 1982 – 4 [X.], [X.]St 30, 340; kritisch [X.] 1980, 303, 305; [X.]. [X.] 1966, 106, 109; [X.], Horizontale [X.] des Schuldspruchs, 1993).

Eine Bindung des neuen Tatgerichts an das insoweit teilweise aufgehobene Urteil besteht in der Regel hinsichtlich festgestellter Sachverhaltsumstände, in denen die gesetzlichen Merkmale der dem Angeklagten zur Last gelegten Straftat gefunden worden sind und an solche Bestandteile der Sachverhaltsschilderung, aus denen das frühere Tatgericht im Rahmen der Beweiswürdigung seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten abgeleitet hat. Hierunter sollen solche Umstände fallen, die das Tatgeschehen im Sinne eines geschichtlichen Vorgangs näher beschreiben, zum Beispiel die Umstände schildern, die der Tatausführung das entscheidende Gepräge gegeben haben ([X.], Beschluss vom 27. Oktober 2015 – 3 [X.], [X.], 520; Urteil vom 12. Juni 2014 – 3 [X.], [X.], 182; Beschluss vom 29. September 2009 – 3 [X.], [X.], 74; Urteil vom 30. November 2005 – 5 [X.], [X.], 317; Beschlüsse vom 17. November 1998 – 4 [X.], [X.], 417 und vom 11. [X.]ezember 1986 – 1 StR 574/86, [X.]R [X.] § 353 Abs. 2 [X.] 1; Urteil vom 14. Januar 1982 – 4 [X.], [X.]St 30, 340; Beschluss vom 17. [X.]ezember 1971 – 2 StR 522/71, [X.]St 24, 274; enger [X.], Urteil vom 6. Mai 1981 – 2 [X.]: Umstand bezieht sich auch auf den Schuldspruch; [X.], Urteil vom 24. März 1981 – 1 [X.], NStZ 1981, 448: untrennbar mit dem Schuldspruch verbunden; vgl. auch LR/[X.], [X.], 26. Aufl., § 353 Rn. 29 ff.). Es kann von den Schuldspruch lediglich illustrierenden, ihn aber nicht beeinflussenden Tatsachen gesprochen werden (vgl. [X.], [X.] und innerprozessuale Bindungswirkung des Strafurteils, 1961, [X.], 81 ff. [X.] und mit einer kritischen [X.]arstellung der die Bindungswirkung ausweitenden Entwicklung der Rechtsprechung).

Insoweit darf der neue Tatrichter keine neuen, den bisherigen wi[X.]prechende Feststellungen treffen und seiner Entscheidung zugrunde legen ([X.], Beschlüsse vom 31. Oktober 1995 – 1 [X.], [X.], 203; vom 21. Oktober 1987 – 2 StR 345/87, [X.]R [X.] § 353 Abs. 2 [X.] 4 und vom 21. Mai 1987 – 2 [X.], [X.]R [X.] § 353 Abs. 2 [X.] 2). [X.]ies folgt aus dem Grundsatz der Einheitlichkeit und damit notwendigen Wi[X.]pruchsfreiheit der Entscheidung, der unabhängig davon Gültigkeit beansprucht, ob ein Urteil über die Schuld- und Straffrage gleichzeitig entscheidet, oder ob nach rechtskräftigem Schuldspruch die Strafe aufgrund einer zum Strafausspruch erfolgreichen Revision neu festgesetzt wird ([X.], Urteil vom 9. April 2015 – 4 StR 585/14; Beschlüsse vom 21. Oktober 1980 – 1 [X.], [X.]St 29, 359 und vom 19. [X.]ezember 1956 – 4 StR 524/56, [X.]St 10, 71, 74; diff. [X.] aaO S. 322, 329). [X.]er neue Tatrichter muss die bestehen gebliebenen Feststellungen deswegen weder wiederholen noch hierauf Bezug nehmen ([X.], Urteil vom 9. April 2015 – 4 StR 585/14, [X.], 600; Beschluss vom 13. Mai 2003 – 1 [X.], [X.], 384; Urteil vom 24. September 1987 – 4 StR 413/87, [X.]R [X.] § 353 Abs. 2 [X.] 3).

b) [X.]as Merkmal der gewerbsmäßigen Begehung nach § 95 Abs. 3 Satz 2 [X.] lit. b [X.] ist – an[X.] als bei der Ausgestaltung der [X.] als Qualifikationstatbestandsmerkmal, wie z.B. in § 152a Abs. 3 StGB oder § 4 Abs. 4 [X.] lit. b [X.] – kein tatbestandsbegründendes und mithin den Schuldspruch unmittelbar tragendes Element. Es handelt sich nach der Gesetzestechnik um ein Regelbeispiel für einen Straferschwerungsgrund (Raum in [X.]/[X.][X.], [X.], 2. Aufl., § 95 Rn. 47 [X.]). Zwar charakterisieren solche Regelbeispiele ähnlich wie selbständige Qualifikationstatbestände einen erhöhten, in der Regel zur Strafrahmenverschiebung führenden Unrechts- und Schuldgehalt. [X.]ennoch sind die Merkmale der Regelbeispiele keine Tatbestandsmerkmale, da ihre Indizwirkung durch das Hinzutreten von besonderen strafmildernden Umstände entkräftet werden kann (grundsätzlich hierzu [X.], Urteil vom 31. März 2004 – 2 [X.], NJW 2004, 2394). [X.]amit handelt es sich auch nicht um den Schuldspruch tragende Feststellungen. Infolgedessen muss für sie gelten, was für andere Umstände gilt, welche die Strafbarkeit erhöhen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 21. Oktober 1980 – 1 [X.], [X.]St 29, 359 und vom 16. Februar 2000 – 3 StR 24/00, [X.]R [X.] § 353 Abs. 2 [X.] 18).

c) [X.]ie gewerbsmäßige Begehung nach § 95 Abs. 3 Satz 2 [X.] lit. b [X.] stellt jedenfalls im hier vorliegenden Fall auch keinen doppelrelevanten Umstand in dem beschriebenen Sinne dar.

aa) Für die Frage, wann Schuldspruch und Strafzumessung so miteinander verknüpft sind, dass ein die Strafbarkeit erhöhender oder mindernder Umstand eine doppelrelevante Tatsache darstellt, kommt es neben der besonderen Lage des Einzelfalls (vgl. [X.], Urteil vom 24. März 1981 – 1 [X.], NStZ 1981, 448; Beschluss vom 21. Oktober 1980 – 1 [X.], [X.]St 29, 359 mit der [X.]arstellung der Entwicklung der Rechtsprechung; Beschluss vom 24. Juli 1963 – 4 [X.], [X.]St 19, 46, 48; [X.] in Festschrift für [X.], [X.], 622) auf die [X.] von den bindenden Feststellungen an ([X.], Urteil vom 24. März 1981 – 1 [X.], NStZ 1981, 448: untrennbar mit dem Schuldspruch verbunden; Beschluss vom 21. Oktober 1980 – 1 [X.], [X.]St 29, 359; gegen die Annahme einer [X.] [X.] aaO S. 201 ff., 257 ff. [X.], der selber von „100 % [X.]oppelrelevanz“ und einem umfassenden Beweiserhebungsgebot zum Strafzumessungssachverhalt ausgeht). [X.]ie Bestimmung, ob es sich um einen Umstand handelt, der der Tatausführung das entscheidende Gepräge gibt, es mithin im Sinne eines geschichtlichen Vorgangs näher beschreibt, wird dabei von dem Grundsatz der Einheitlichkeit und Wi[X.]pruchsfreiheit der Urteilsgründe überwölbt und daran ausgerichtet. Hierin liegt der Unterschied zum prozessualen Tatbegriff nach § 264 [X.], der der Bestimmung der Reichweite der Kognitionspflicht des Gerichts und des bei Aburteilung eintretenden Strafklageverbrauchs dient (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Oktober 2016 – 3 [X.], [X.], 26 [X.]; [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 264 Rn. 6 ff.). Geschichtlicher Vorgang in einem von der inneren Einheit der Urteilsgründe – und nicht wie beim prozessualen Tatbegriff von der Vermeidung einer unnatürlichen Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorganges – geprägten Sinne sind danach die den Schuldspruch näher beschreibenden Feststellungen über die einzelnen, auch außertatbestandlichen Tatmodalitäten, die Handlungsabläufe und die Identität der Handelnden, die über das Mindestmaß an Tatsachen hinausgehen, ohne das der Schuldspruch überhaupt keinen Bestand hätte ([X.], Urteil vom 14. Januar 1982 – 4 [X.], [X.]St 30, 340; enger noch [X.], Urteil vom 29. Januar 1935 – 4 [X.] 981/34, [X.]St 69, 110, 114). Ist es danach möglich, einen Umstand herauszulösen und insoweit abweichende Feststellungen zu treffen, ohne die innere Einheit der Urteilsgründe in Frage zu stellen, wird es sich in der Regel nicht um eine doppelrelevante Tatsache handeln.

bb) [X.]em entspricht es, dass eine Beurteilung, ob der [X.] des gewerbsmäßigen Handelns gegeben ist, in der Regel möglich ist, ohne dass die bestandskräftigen Feststellungen hierdurch berührt werden. [X.]enn die dieser Beurteilung zugrunde liegenden Tatsachen sind nach der „[X.]enkfolge“, die das Gericht bei der Entscheidung einzuhalten hat, abtrennbar (vgl. zur gleichgelagerten Frage der Beschränkbarkeit des Rechtsmittels, [X.], Beschluss vom 24. Juli 1963 – 4 [X.], [X.]St 19, 46, 48). [X.]ie gewerbsmäßige Begehung hat auf das eigentliche Tatbild keinen Einfluss, ist für die Tatausführung nicht entscheidend prägend, so dass die innere Einheit der Urteilsgründe ohne eine Bindungswirkung grundsätzlich nicht gefährdet ist. [X.]as unterscheidet dieses Regelbeispiel auch von den Regelbeispielen des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, [X.] oder Nr. 4 StGB, die Umstände des äußeren Tatgeschehens als strafschärfendes Merkmal erfassen (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Oktober 1980 – 1 [X.], [X.]St 29, 359: [X.]oppelrelevanz in der Regel gegeben [zur Beschränkbarkeit des Rechtsmittels]; vgl. aber auch [X.], Beschluss vom 16. Februar 2000 – 3 StR 24/00, [X.]R [X.] § 353 Abs. 2 [X.] 18: [X.]oppelrelevanz für Voraussetzungen und Anwendbarkeit beson[X.] schwere Fälle pauschal abgelehnt).

cc) Eine solche, eben nicht durch die Tat im Sinne von § 264 [X.] geprägte Auslegung des Begriffs der doppelrelevanten Tatsachen wird belegt durch die diesbezügliche Handhabung der Voraussetzungen und der Anwendbarkeit des § 21 StGB durch die Rechtsprechung. [X.]anach sind die Feststellungen zur erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit ausschließlich dem Rechtsfolgenausspruch zugehörig ([X.], Beschlüsse vom 27. Oktober 2015 – 3 [X.], [X.], 520; vom 16. Februar 2000 – 3 StR 24/00, [X.]R [X.] § 353 II [X.] 18 und vom 10. Mai 1995 – 2 [X.], [X.]R [X.] § 353 II [X.] 16; kritisch hierzu [X.] in Festschrift für [X.], [X.], 622). Zwar handelt es sich bei den Voraussetzungen des § 21 StGB um Umstände, die im Rahmen des konkreten geschichtlichen Vorkommnisses nach § 264 [X.] im Sinne eines zeitlich abgeschlossenen Vorgangs verwirklicht sind. Sie sind aber – jedenfalls solange das Revisionsgericht bei der vorhergehenden Entscheidung eine Beeinflussung des Schuldspruchs durch Annahme von nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit ausschließen konnte – vom Schuldspruch in der Regel wi[X.]pruchsfrei trennbar und für das Gepräge der Tatausführung nicht entscheidend. Eine vom ersten Urteil abweichende Beurteilung der Voraussetzungen des § 21 StGB würde das Tatgeschehen nicht im Sinne eines anderen geschichtlichen Vorgangs umschreiben (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 30. November 2005 – 5 [X.], [X.], 3794; Beschlüsse vom 17. November 1998 – 4 [X.], [X.], 417 und vom 31. Oktober 1995 – 1 [X.], [X.], 203). Es mag zwar im Einzelfall denkbar sein, dass die neu festgestellten Anknüpfungspunkte für die Voraussetzungen des § 21 StGB den bindenden Feststellungen zum Tathergang (vgl. [X.] aaO; Beschlüsse vom 17. November 1998 – 4 [X.], [X.], 149 und vom 3. November 1998 – 4 StR 523/98, [X.], 154; Urteil vom 14. Januar 1982 – 4 [X.], [X.]St 30, 340) hierzu wi[X.]prechen, an solchen Feststellungen wäre das Tatgericht allerdings schon nach den allgemeinen Regeln im Hinblick auf die innere Einheit der Urteilsgründe gehindert (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Februar 2000 – 3 StR 24/00, [X.]R [X.] § 353 Abs. 2 [X.] 18).

d) Etwas anderes ergibt sich auch nicht vor dem Hintergrund, dass subjektive Elemente der Tatbegehung wie Beweggründe bzw. das tatauslösende Moment ([X.], Urteil vom 12. Juni 2014 – 3 [X.], [X.], 182; Beschlüsse vom 16. Mai 2002 – 3 [X.], [X.], 101 und vom 11. [X.]ezember 1987 – 2 [X.], [X.]R [X.] § 353 Abs. 2 [X.] 5; Urteile vom 14. Januar 1982 – 4 [X.], [X.]St 30, 340 und vom 6. Mai 1981 – 2 [X.]; zum Motiv [X.], Urteil vom 24. März 1981 – 1 [X.], NStZ 1981, 448; Beschluss vom 23. Februar 1978 – 2 [X.] hatte die Frage der [X.]oppelrelevanz des Tatmotivs noch offengelassen) als doppelrelevante Tatsachen anzusehen sind, die trotz Aufhebung des Strafausspruchs das neu zuständige Tatgericht binden. [X.]afür, dass die [X.] nach der bisherigen Rechtsprechung hiervon nicht erfasst sein soll, spricht schon, dass die diese betreffenden und eine Bindungswirkung insoweit eindeutig verneinenden Entscheidungen ([X.], Beschlüsse vom 29. Mai 2012 – 3 [X.], [X.], 356 und vom 22. April 2008 – 3 [X.]; vgl. allgemein zu beson[X.] schweren Fällen [X.], Beschluss vom 16. Februar 2000 – 3 StR 24/00, [X.]R [X.] § 353 Abs. 2 [X.] 18) zu keinem Zeitpunkt aufgegeben oder relativiert worden sind (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 12. Juni 2014 – 3 [X.], [X.], 182: weitgehende Formulierung hinsichtlich der Bindungswirkung: nur insoweit keine Bindung als nicht zum Tatgeschehen gehörend; Beschluss vom 27. Oktober 2015 – 3 [X.], [X.], 520 [sog. Rückläufer zu 3 [X.]]: Feststellungen zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit gehören nur zum Rechtsfolgenausspruch).

Zwar handelt es sich bei der [X.] auch um eine Handlungsmotivation. [X.]enn gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger [X.]auer verschaffen will. Liegt diese Absicht vor, ist bereits die erste Tat als gewerbsmäßig begangen einzustufen, auch wenn es entgegen den ursprünglichen Intentionen des [X.] zu weiteren Taten nicht kommt. Ob die Angeklagten gewerbsmäßig gehandelt haben, beurteilt sich nach ihren ursprünglichen Planungen sowie ihrem tatsächlichen, strafrechtlich relevanten Verhalten über den gesamten ihnen jeweils anzulastenden Tatzeitraum (st. Rspr.; siehe nur [X.], Urteil vom 17. Juni 2004 – 3 [X.], [X.]St 49, 177, 181). [X.]emnach hebt sich die [X.] als Handlungsmotivation aber von den von der Bindungswirkung erfassten subjektiven Elementen der Tatbegehung ab. Während letztere das Tatgeschehen maßgeblich prägen, von ihm als geschichtlichen Vorgang nicht loslösbar sind, ohne denselben umzuschreiben, gilt dies für die [X.] in der Regel nicht. [X.]as liegt daran, dass der maßgebliche Bezugspunkt für die zugrunde liegende besondere subjektive Einstellung des [X.] – an[X.] als das Merkmal des Eigennutzes (vgl. [X.], Urteil vom 24. März 1981 – 1 [X.], NStZ 1981, 448) oder die Gewinnabsicht ([X.], Beschluss vom 11. [X.]ezember 1987 – 2 [X.], [X.]R [X.] § 353 Abs. 2 [X.] 5) – nicht die konkrete Tat ist, sondern darüber hinausreicht. [X.]er besondere Unrechtsgehalt liegt gerade in der auf die Begehung weiterer Taten gerichteten Planung. [X.]ie die [X.] begründenden Umstände können deswegen in der Regel hinzugedacht oder hinweggedacht werden, ohne dass der den Schuldspruch tragende Geschehensablauf hiervon berührt würde.

Solchen Feststellungen freilich, die darauf hinausliefen, der Angeklagte habe bei den Taten nicht mit der Absicht gehandelt, Einkünfte zu erzielen, würde die Bindungswirkung entgegenstehen. [X.]enn der Tatbestand des Inverkehrbringens ist ausweislich der Feststellungen des ersten Urteils durch Verkauf der Substanzen verwirklicht worden. [X.]ieser Umstand gehört damit zu den den Schuldspruch tragenden, das Tatgeschehen prägenden und mithin bindenden Feststellungen. Ob aber dieser Verkauf von der Absicht getragen war, zukünftig weitere solche Taten zu begehen, um sich hieraus eine nicht unerhebliche Einnahmequelle zu verschaffen, kann das neu zuständige Tatgericht regelmäßig und auch im vorliegenden Fall prüfen und bewerten, ohne sich mit dem bindend gewordenen Teil der Feststellungen in Konflikt zu setzen.

Graf     

      

Jäger     

      

Cirener

      

[X.]     

      

Bär     

      

Meta

1 StR 458/16

20.06.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 22. Juni 2016, Az: 9 KLs 385 Js 12742/15 (2)

§ 353 Abs 2 StPO, § 95 Abs 3 S 2 Nr 2 Buchst b AMG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.06.2017, Az. 1 StR 458/16 (REWIS RS 2017, 9371)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 2847 REWIS RS 2017, 9371

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