Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 29.09.2020, Az. 2 BvR 412/20

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2020, 3018

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Generalklausel des § 2 Abs 4 StVollzG NW keine Grundlage für Ausweitung von Disziplinarmaßnahmen - insoweit verfassungsrechtliche Bedenken gegen fachgerichtliche Rechtsanwendung - unstatthafte Anhörungsrüge hält Monatsfrist des § 93 BVerfGG nicht offen - Verfassungsbeschwerde mangels Fristwahrung unzulässig


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ab Zustellung des angegriffenen Beschlusses des [X.] vom 21. Januar 2020 - III - 1 Vollz (Ws) 618/19 - erhoben wurde. Daran ändert auch die vom Beschwerdeführer eingelegte [X.] nichts.

2

Die Erhebung der fachgerichtlichen [X.] war nicht geeignet, die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde offen zu halten, denn sie war von vornherein unzulässig (vgl. [X.] 5, 17 <19>; 48, 341 <344>; [X.], 203 <205>). Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] wird durch die Einlegung eines offensichtlich unstatthaften oder offensichtlich unzulässigen Rechtsmittels und die darauf ergehende gerichtliche Entscheidung die Monatsfrist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde nicht neu in [X.] gesetzt (vgl. [X.] 48, 341 <344>). Offensichtlich unstatthaft oder unzulässig ist ein Rechtsmittel, wenn der Beschwerdeführer nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre bei Einlegung des Rechtsmittels über die Unstatthaftigkeit oder Unzulässigkeit nicht im Ungewissen sein konnte (vgl. [X.] 28, 1 <6>).

3

Es kann offenbleiben, ob der Beschwerdeführer lediglich perpetuierte Gehörsverstöße des erstinstanzlichen Gerichts rügt, da er jedenfalls in der Sache ausschließlich eine fehlerhafte Rechtsanwendung der [X.] des § 2 Abs. 4 des [X.] geltend macht. Darin, dass ein Gericht der Rechtsauffassung des [X.] nicht folgt, liegt jedoch kein Gehörsverstoß, der im Gewand der [X.] verfassungsbeschwerdefristwahrend gerügt werden könnte (vgl. [X.] 87, 1 <33>; BVerfGK 13, 480 <481 f.>).

4

Dass das [X.] in seiner Entscheidung vom 6. Februar 2020 - III - 1 Vollz (Ws) 618/19 - die Zulässigkeit der [X.] ausdrücklich offengelassen hat, kann an diesem Ergebnis nichts ändern. Die vom Ausgangsgericht vorgenommene Zurückweisung als unbegründet ist für die Bewertung der Zulässigkeit dieses Rechtsbehelfs mit Blick auf die Monatsfrist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde nicht von Bedeutung und der eigenständigen Prüfung des [X.] ohne Bindungswirkung an die Entscheidung des [X.] überantwortet (vgl. [X.], 203 <205 ff.>).

5

Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die vom Beschwerdeführer gerügte Auslegung und Anwendung des § 2 Abs. 4 des [X.] durch die Entscheidungen des [X.] vom 4. November 2019 sowie des [X.] vom 21. Januar 2020 als Eingriffsgrundlage für die Anordnung einer Freizeit- und Umschlusssperre Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG ausreichend berücksichtigt (zur allgemeinen Handlungsfreiheit vgl. [X.] 130, 76 <110 f.>). Nach der Intention des [X.], die in der [X.] in § 2 Abs. 4 des [X.] verankert ist, sollte die [X.] gerade nicht dazu dienen, die gesetzlich geregelten Disziplinarmaßnahmen durch die Anwendung derselben auszuweiten (vgl. [X.]/5413, [X.]). Über die [X.] des § 2 Abs. 4 des [X.] können lediglich allgemeine Sicherungsmaßnahmen, für die es keine ausdrückliche anderweitige Regelung im Gesetz gibt, angeordnet werden (vgl. [X.]/5413, [X.]). Die Subsumtion einer wenn auch zeitlich kurzen Disziplinarmaßnahme in Form einer Umschluss- und Freizeitsperre unter § 2 Abs. 4 des [X.] (vgl. § 80 Abs. 1 Nr. 4 StVollzG [X.]) begegnet insoweit verfassungsrechtlichen Bedenken.

6

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 412/20

29.09.2020

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Hamm, 6. Februar 2020, Az: III-1 Vollz (Ws) 618/19, Beschluss

Art 2 Abs 1 GG, § 93 Abs 1 S 1 BVerfGG, § 2 Abs 4 StVollzG NW, § 80 Abs 1 Nr 4 StVollzG NW

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 29.09.2020, Az. 2 BvR 412/20 (REWIS RS 2020, 3018)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3018


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 BvR 412/20

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 412/20, 29.09.2020.


Az. 1 Vollz (Ws) 618/19

Oberlandesgericht Hamm, 1 Vollz (Ws) 618/19, 06.02.2020.

Oberlandesgericht Hamm, 1 Vollz (Ws) 618/19, 21.01.2020.


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Referenzen
Wird zitiert von

2 BvR 955/17

Zitiert

1 Vollz (Ws) 618/19

Zitieren mit Quelle:
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