Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 07.03.2017, Az. 2 BvR 162/16

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2017, 14576

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Verneinung einer Beschwer iSd § 116 StVollzG ohne sachliche Begründung bei Verpflichtungsantrag und bloßer Verurteilung zu Neubescheidung verletzt Willkürverbot (Art 3 Abs 1 GG) sowie Rechtsschutzgarantie (Art 19 Abs 4 GG) - Wiedereinsetzung bei fehlendem Verschulden der Fristversäumung aufgrund rechtzeitiger Aufgabe der Beschwerdeschrift zur Post


Tenor

Dem Beschwerdeführer wird Wiedereinsetzung in die Verfassungsbeschwerdefrist gewährt.

Der Beschluss des [X.] vom 8. Oktober 2015 - III -1 Vollz (Ws) 366/15 - verletzt den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.

Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Das [X.] hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob Art. 19 Abs. 4 GG im Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem Strafvollzugsgesetz die Annahme einer rechtsmittelfähigen Beschwer gebietet, wenn die Strafvollstreckungskammer auf einen [X.] lediglich eine Neubescheidung des Antragstellers angeordnet hat, und ob ein Verstoß gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt.

2

1. Der Beschwerdeführer wurde im Jahr 2011 wegen Verstößen gegen das Waffen-, das Sprengstoff- und das [X.] zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Außerdem wurde gemäß § 63 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, die zunächst im [X.] und seit April 2013 in der Maßregelvollzugsklinik H… vollstreckt wurde. Der Beschwerdeführer hatte einen Amoklauf an seiner ehemaligen Schule geplant.

3

2. Er verfügte im Maßregelvollzug über eine Spielekonsole "[X.]", die er mit einer Festplatte nutzte. Nachdem die Spielekonsole im April 2014 von einem externen Unternehmen repariert und an die [X.] zurückgeschickt worden war, bemerkte diese erstmals die Festplatte an dem Gerät. Dabei ist zwischen der [X.] und dem Beschwerdeführer streitig, ob es sich um eine interne oder eine externe Festplatte handelt. Unter Berufung auf ihre Medienregelung, wonach der Besitz von Festplatten grundsätzlich untersagt ist, stellte die [X.] die Festplatte sicher und gab dem Beschwerdeführer die Konsole ohne die Festplatte zurück.

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3. Am 11. Juli 2014 beantragte der Beschwerdeführer die Herausgabe der Festplatte. Er berief sich auf Bestandsschutz, weil er die Festplatte von Anfang an benutzt habe, und machte zudem geltend, dass von dem Gerät keine Gefahr ausgehe. Es ermögliche lediglich das Abspielen von Musik und Spieleinhalten, nicht aber das Speichern von Filmdateien. Mit Schreiben vom 25. August 2014 vertiefte der Beschwerdeführer sein Vorbringen, nachdem die [X.] es unter dem 5. August 2014 abgelehnt hatte, ihm seine Festplatte herauszugeben. Er trug insbesondere vor, dass die Medienregelung veraltet und interne Festplatten erlaubt seien und dass es sich bei seiner Festplatte um eine solche handele. Ferner verfüge ein anderer Patient ebenfalls über eine Spielekonsole mit einer Festplatte.

5

4. Die [X.] lehnte die Herausgabe der Festplatte zuletzt im Oktober 2014 ab und verwies darauf, dass externe Festplatten nicht erlaubt seien. Der Beschwerdeführer könne als Speichermedium eine SD-Karte nutzen.

6

5. Daraufhin stellte der Beschwerdeführer am 15. Oktober 2014 einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Darin ersuchte er die zuständige Strafvollstreckungskammer um einen "gerichtlichen Entscheid". Es bestehe Bestandsschutz hinsichtlich seiner vollständigen [X.], und es sei nicht nachvollziehbar, dass er nunmehr darauf verwiesen werde, eine SD-Karte zu nutzen, deren Erwerb nach der aktuellen Medienregelung der Anstalt zudem verboten sei. Die Überprüfung des Sachverhalts durch eine neutrale Instanz sei nunmehr erforderlich.

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6. Die [X.] führte in ihrer Stellungnahme vom 13. November 2014 aus, die Wegnahme der Festplatte sei rechtmäßig gewesen. Elektronische Geräte zum Speichern und zur Verarbeitung größerer Datenmengen könnten bereits aufgrund ihrer abstrakt-generellen Gefährlichkeit für die Sicherheit in (Maßregel-) [X.] untersagt werden. Aufgrund der anstaltsinternen Medienregelung, die dem Beschwerdeführer bekannt gewesen sei, sei der Besitz von Geräten zum Speichern größerer Datenmengen untersagt. Besondere Ausnahmegründe lägen in der Person des Beschwerdeführers nicht vor. Der Besitz einer externen Festplatte sei zu keinem Zeitpunkt genehmigt worden. Bei der Verlegung müsse die neue Anstalt zudem nicht alle bestehenden Erlaubnisse der vorherigen Einrichtung ungeprüft übernehmen.

8

7. Der Beschwerdeführer ergänzte seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit einem Schreiben vom 8. Dezember 2014. Im Wesentlichen führte er aus, die Argumentation der [X.] gehe fehl, wonach aus Sicherheitsgründen bereits vorhandene Gegenstände nachträglich eingezogen werden dürften. Dies sei nur im Falle eines verletzten Vertrauensverhältnisses aufgrund missbräuchlicher Anwendung des Geräts möglich. Zudem habe die Anstalt insoweit die besondere Situation der Unterbringung im Vergleich zum Strafvollzug nicht hinreichend berücksichtigt. Es handele sich vorliegend um eine interne und keine externe Festplatte, was anhand einer Fotodokumentation nachgewiesen werden könne. In weiteren Schreiben vom 4. April und 5. Juni 2015 wiederholte er im Wesentlichen seinen Vortrag.

9

8. Mit Beschluss vom 12. Juni 2015 wurde die [X.] durch das [X.] verpflichtet, den Beschwerdeführer unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer neu zu bescheiden.

Der Antrag, mit dem "sinngemäß die Herausgabe der Festplatte" begehrt werde, sei begründet. Zwar ergebe sich aus von der [X.] vorgelegten Lichtbildern, dass es sich bei der Festplatte um ein externes Gerät handele, das nach der Medienregelung unzulässig sei. Die Anstalt könne den Besitz jedoch nicht unter pauschaler Berufung auf die Medienregelung verbieten, weil es sich dabei um eine interne Verwaltungsvorschrift handele. Entscheidend sei vielmehr, ob von der Festplatte eine Gefährdung im Sinne von § 7 Abs. 3 und Abs. 4 des [X.] ([X.]) ausgehe. Dies habe die Anstalt jedoch nicht dargelegt. Insbesondere habe sie nicht aufgezeigt, welche Art von konkretem Missbrauch bei einer Nutzung der Festplatte zu befürchten sei und welche Gefahren dies mit sich bringe. Darüber hinaus sei die Entscheidung ermessensfehlerhaft, weil anderen Patienten die Nutzung einer Spielekonsole mit Festplatte gestattet worden sei.

9. Gegen den landgerichtlichen Beschluss legte der Beschwerdeführer am 20. Juli 2015 Rechtsbeschwerde ein. Er rügte insbesondere, dass auf den von der [X.] vorgelegten Lichtbildern nicht seine, sondern eine andere Konsole abgebildet sei. Diese Lichtbilder und das dazugehörige Schreiben der [X.] seien ihm vor der Entscheidung nicht zugestellt worden, so dass er hierzu nicht habe Stellung nehmen können. Entgegen der Auffassung des [X.] handele es sich bei der sichergestellten Festplatte nicht um eine externe, sondern um eine interne. Dies ergebe sich daraus, dass sie nicht über einen USB-Anschluss verfüge, sondern über einen speziellen [X.]-Anschluss mit der Spielekonsole verbunden werde. Die Kammer habe nicht aufgeklärt, inwieweit eine SD-Karte weniger gefährlich sein solle als seine [X.]-Festplatte.

10. Mit angegriffenem Beschluss vom 8. Oktober 2015 verwarf das [X.] die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Der Beschwerdeführer sei durch den angegriffenen Beschluss vom 12. Juni 2015 nicht beschwert, weil das [X.] seinem Antrag vollumfänglich entsprochen habe, indem es die [X.] verpflichtet habe, den Beschwerdeführer unter Beachtung seiner Rechtsauffassung neu zu bescheiden.

11. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 21. Oktober 2015 eine Anhörungsrüge und Gegenvorstellung. Entgegen der Auffassung des [X.] sei er durch den landgerichtlichen Beschluss beschwert, weil er eine Verpflichtungsklage erhoben, das [X.] die [X.] aber nicht zur Herausgabe der Festplatte verpflichtet habe. Seinem Begehren sei somit nicht entsprochen worden und ein neues Verfahren werde notwendig. Außerdem beruhe die landgerichtliche Entscheidung wie auch die des [X.] auf einer falschen Tatsachengrundlage, weil es sich bei seiner Festplatte um eine interne Festplatte handele. Darauf habe er mehrfach hingewiesen. Das [X.] habe sich damit nicht auseinandergesetzt.

12. Das [X.] wies die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellungen mit Beschluss vom 1. Dezember 2015 zurück. Das Gericht habe den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Ergänzend wies der Senat darauf hin, dass für die Frage, ob eine Beschwer vorliege, allein der Tenor der angegriffenen Entscheidung maßgeblich sei und nicht deren Begründung. Die Gegenvorstellungen seien zurückzuweisen, weil der Senat weder von unzutreffenden tatsächlichen oder prozessualen Voraussetzungen ausgegangen sei noch sonst Anlass bestehe, den in Rechtskraft erwachsenen Beschluss aufzuheben oder abzuändern.

Dieser Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 8. Dezember 2015 zugestellt.

13. Bereits mit Bescheid vom 14. September 2015 war die [X.] der Verpflichtung zur Neubescheidung nachgekommen und hatte die Herausgabe der Festplatte - mit ausführlicherer Begründung - erneut abgelehnt. Darin führte sie im Wesentlichen aus, die externe Festplatte des Beschwerdeführers ermögliche einen nicht mehr kontrollierbaren Daten- und Informationsaustausch. So könnten therapiekritische Daten eingebracht oder Informationen über Sicherheitsvorkehrungen weitergegeben werden. Darüber hinaus lägen in der Person des Beschwerdeführers Gründe für die Annahme einer Gefahr für die Sicherheit der Einrichtung vor. So habe dieser bereits mehrfach versucht, mobile Speichergeräte zu bekommen, und bei der Einbringung der Spielekonsole und der Festplatte falsche Tatsachen vorgetäuscht. Darüber hinaus hätten Besucher versucht, dem Beschwerdeführer Zugang zu rechtsradikalen und gewaltverherrlichenden Darstellungen zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund müsse davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Nutzung der Festplatte versuchen würde, unerlaubte Dateien weiterzugeben, um die Empfänger zu die Sicherheit und Ordnung gefährdenden Handlungen anzustiften. Demgegenüber könne sich der Beschwerdeführer nicht auf Bestandsschutz berufen, weil der Besitz der Spielekonsole von der vorherigen [X.] nicht genehmigt worden sei. Im Übrigen treffe der Vortrag des Beschwerdeführers nicht zu, wonach interne Festplatten genehmigungsfähig seien.

1. Mit seiner am 9. Januar 2016 nach Ablauf der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 [X.] eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer ausdrücklich nur gegen "die abschließende Entscheidung des [X.] […] vom 04.12.2015". Gemeint ist die letzte Entscheidung des [X.] vom 1. Dezember 2015 über die Anhörungsrüge und Gegenvorstellung. Der Begründung der Verfassungsbeschwerde lässt sich jedoch entnehmen, dass der Beschwerdeführer auch die Entscheidung des [X.] vom 8. Oktober 2015 angreifen will, mit der die Rechtsbeschwerde verworfen worden ist. Er macht nicht geltend, dass sich aus der Behandlung der Anhörungsrüge und Gegenvorstellung eine eigenständige verfassungsrechtliche Beschwer ergebe, sondern dass die Rechtsbeschwerde aus unzutreffenden Gründen verworfen worden sei.

Der Beschwerdeführer rügt insbesondere eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG sowie des Rechts auf ein faires Verfahren. Außerdem seien Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Er macht geltend, dass er - entgegen der Auffassung des [X.] - durch den Beschluss des [X.] beschwert sei. Er habe vor dem [X.] die Aushändigung der Festplatte beantragt. Da es sich hierbei um einen [X.] gehandelt habe, habe das [X.] seinem Antrag nicht vollumfänglich entsprochen, indem es die [X.] lediglich zur Neubescheidung verpflichtet habe. Das [X.] habe rechtsfehlerhaft keine Herausgabe angeordnet. Insbesondere habe es den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, weil es verkannt habe, dass es sich bei der Festplatte nicht um eine externe, sondern um eine interne Festplatte handele. Das [X.] habe ihn unter anderem in seinen Rechten aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 33 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt und ihm durch die Verpflichtung zur Neubescheidung keine Abhilfe verschafft, sondern der [X.] ermöglicht, Gründe zur Ablehnung der Herausgabe nachzuschieben. Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, weil das [X.] dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit gegeben habe, zu den von der [X.] übersandten Lichtbildern Stellung zu nehmen, auf die in dem landgerichtlichen Beschluss verwiesen worden sei und die eine andere Konsole als die des Beschwerdeführers zeigten. Dass die sich aus dem Beschluss ergebende Beschwer fortwirke, manifestiere sich auch in der daraufhin erfolgten Neubescheidung vom 14. September 2015, mit der die Herausgabe der Festplatte erneut abgelehnt worden sei.

2. Mit am 19. Januar 2016 eingegangenem Schreiben hat der Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 93 Abs. 2 [X.] beantragt. Dass die - am 8. Januar 2016 abgelaufene - Monatsfrist nicht eingehalten worden sei, beruhe nicht auf seinem Verschulden. Bereits am 3. Januar 2016 habe er die Postsendung mit der Verfassungsbeschwerde dem Klinikpersonal übergeben. Sie sei jedoch erst am 5. Januar 2016 versandt worden. [X.]n habe es vier Tage bis zur Zustellung gedauert, weshalb die Verfassungsbeschwerde einen Tag zu spät beim [X.] eingegangen sei.

Zur Glaubhaftmachung seines Vortrags hat der Beschwerdeführer eine "Postkontrollliste" vorgelegt. Darin finden sich die Eintragung "[X.]" mit [X.] 3. Januar 2016 sowie eine Unterschrift des Beschwerdeführers und eine Paraphe. Außerdem hat der Beschwerdeführer eine Rechnung der [X.] für den Versand eines Einschreibens an das [X.] am 5. Januar 2016 vorgelegt. Der Umschlag, mit dem die Verfassungsbeschwerde eingegangen ist, trägt einen Barcode des Postdienstleisters Postcon vom 6. Januar 2016 und eine Frankierung der [X.] vom 7. Januar 2016.

3. Das [X.], dem Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, hat sich nicht geäußert. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen vor.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an. Dies ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Die Verfassungsbeschwerde ist hinsichtlich des Beschlusses des [X.] vom 8. Oktober 2015 zulässig und offensichtlich begründet. Die Kammer ist zur Sachentscheidung berufen (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]), denn das [X.] hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden.

1. a) Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich gegen den Beschluss des [X.] vom 1. Dezember 2015 über die Anhörungsrüge richtet. Der Beschluss über eine Gehörsrüge kann allenfalls dann mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, wenn er eine eigenständige verfassungsrechtliche Beschwer bewirkt (vgl. [X.], 496 <498> m.w.N.). Weder trägt der Beschwerdeführer eine solche Beschwer vor, noch ist sie ersichtlich. Er macht ausschließlich geltend, dass die Rechtsbeschwerde aus unzutreffenden Gründen verworfen worden sei.

Eine eigenständige Beschwer ergibt sich auch nicht daraus, dass das [X.] in dem Beschluss vom 1. Dezember 2015 ergänzend angemerkt hat, für die Frage, ob eine Beschwer vorliege, sei der Tenor der angefochtenen Entscheidung maßgebend, nicht dagegen deren Begründung. Dabei handelt es sich um eine Erwägung, die bereits den Gründen des Beschlusses vom 8. Oktober 2015 zugrunde liegt.

b) Hinsichtlich des Beschlusses des [X.] vom 8. Oktober 2015 ist die Verfassungsbeschwerde zulässig, obwohl der Beschwerdeführer sie nicht innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] eingelegt hat. Der Beschluss des [X.] über die (nicht offensichtlich unzulässige) Anhörungsrüge ist dem Beschwerdeführer am 8. Dezember 2015 zugestellt worden, die Verfassungsbeschwerde ist am 9. Januar 2016, einem Samstag, eingegangen. Dem Beschwerdeführer ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 93 Abs. 2 [X.] zu gewähren.

Zur Begründung des [X.] müssen sowohl der Hinderungsgrund als auch die Umstände, die für die Beurteilung des Verschuldens maßgebend sind, dargelegt werden. Erforderlich ist eine substantiierte und schlüssige Darstellung der für die unverschuldete Fristversäumnis wesentlichen Tatsachen (vgl. [X.], Beschlüsse der [X.] des Zweiten Senats vom 9. April 2008 - 2 BvR 454/08 -, juris, Rn. 3 und vom 25. Oktober 2011 - 2 BvR 751/11 -, juris, Rn. 4 f.). Die von dem Beschwerdeführer vorgelegte "Postkontrollliste" lässt erkennen, dass er am 3. Januar 2016 ein Schreiben an das [X.] zur Post gegeben hat. Die [X.] versandte das Schreiben offenbar erst am 5. Januar 2016 und es dauerte weitere vier Tage, bis dieses beim [X.] einging. Bei der Anwendung der verfahrensrechtlichen Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dürfen Verzögerungen der Briefbeförderung durch die Post dem Beschwerdeführer nicht als Verschulden angerechnet werden (vgl. [X.]E 50, 1 <3>; 51, 146 <149>; 51, 352 <354>; 53, 25 <28>; 98, 169 <196 f.>). Der Bürger kann darauf vertrauen, dass die nach ihren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten eingehalten werden (vgl. [X.]E 40, 42 <45>; 41, 23 <27>; 53, 25 <29>; 62, 334 <337>; stRspr). Im Verantwortungsbereich des Absenders liegt es danach allein, das zu befördernde Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Post zu geben, dass es nach deren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen bei normalem Verlauf der Dinge den Empfänger fristgerecht erreichen kann (vgl. [X.]E 62, 334 <337>). Dies hat der Beschwerdeführer getan. Er musste nicht damit rechnen, dass die von ihm bereits am 3. Januar 2016 zur Post gegebene Sendung das [X.] erst nach Ablauf des 8. Januar 2016 erreichen würde.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Der Beschluss des [X.] vom 8. Oktober 2015 verstößt gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG niedergelegte Willkürverbot und verletzt den Beschwerdeführer darüber hinaus in dem in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz.

a) aa) Ein verfassungsrechtliches Eingreifen gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte kommt nur in seltenen Ausnahmefällen unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Bedeutung als Willkürverbot in Betracht (vgl. [X.]E 74, 102 <127>; stRspr). Ein Richterspruch verstößt nicht schon dann gegen das Verbot objektiver Willkür, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren fehlerhaft sind. Hinzukommen muss, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. [X.]E 80, 48 <51>), etwa wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. [X.]E 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>).

bb) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. [X.]E 67, 43 <58>; stRspr). Dabei fordert Art. 19 Abs. 4 GG keinen Instanzenzug. Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger auch insoweit eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. [X.]E 40, 272 <274 f.>; 54, 94 <96 f.>; 122, 248 <271>; stRspr). Die Garantie wirksamen Rechtsschutzes schließt gewisse Erschwerungen des Zugangs zu den Gerichten durch sachgerechte prozessrechtliche Anforderungen - vor allem solche, die einer geordneten Rechtspflege und damit ebenfalls der Wirksamkeit des Rechtsschutzes dienen - nicht aus (vgl. [X.]E 10, 264 <267 f.>; 88, 118 <123 f.>; [X.]K 10, 509 <513>; stRspr). Die Rechtsmittelgerichte dürfen ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel jedoch nicht durch die Art und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen; der Zugang zu den in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanzen darf nicht von unerfüllbaren oder unzumutbaren Voraussetzungen abhängig gemacht oder in einer durch [X.] nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden (vgl. [X.]E 96, 27 <39>; 117, 244 <268>; 122, 248 <271>; stRspr).

b) Das [X.] hat die von § 116 [X.] vorausgesetzte Beschwer in einer mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbarenden Weise ausgelegt.

aa) [X.] des Strafvollzugsgesetzes ist nach dem Willen des Gesetzgebers im Wesentlichen an den Verwaltungsprozess angelehnt (vgl. BTDrucks 17/9874, [X.]). Dort - und dementsprechend im Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem [X.] - wird für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels eine formelle Beschwer des Rechtsmittelführers vorausgesetzt, die vorliegt, wenn die Wirkungen der ergangenen Entscheidung ungünstiger sind als die der beantragten Entscheidung oder - anders ausgedrückt - die angefochtene Entscheidung, soweit sie verbindlich werden kann, hinter dem Begehren des Rechtsmittelführers zurückbleibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1981 - 7 C 30, 31/80 -, NJW 1983, S. 407 m.w.N.). Es ist allgemein anerkannt, dass eine solche Beschwer bei Verpflichtungsanträgen vorliegt, wenn die ergangene Entscheidung zwar aufgehoben, die Behörde jedoch nur zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verurteilt wird (vgl. [X.], in: [X.], [X.], 14. Aufl. 2014, Vor § 124 Rn. 25; [X.]/[X.], in: [X.]/[X.]/[X.], Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 124 Rn. 26; zum Tenor in diesem Fall vgl. [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 4. Aufl. 2014, § 113 Rn. 451; [X.]/[X.], in: [X.]/[X.], [X.], 22. Aufl. 2016, § 113 Rn. 185; [X.], in: [X.]/[X.]/Bier, [X.], § 113 Rn. 75 ; vgl. auch [X.], Beschluss vom 8. Februar 1990 - 1 [X.] 423/89 ([X.]) -, juris, Rn. 3; [X.], Beschluss vom 18. Dezember 2015 - 3 [X.]/15 Vollz -, juris, Rn. 29).

bb) Mit Blick auf die für die Beurteilung der Beschwer auch im Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz zu beachtenden Maßstäbe hat die Entscheidung des [X.] die in § 116 [X.] normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen in einer durch [X.] nicht mehr zu rechtfertigenden Weise ausgelegt und dadurch zugleich Art. 19 Abs. 4 GG verletzt.

Es ist offensichtlich, dass das [X.] dem Antrag des Beschwerdeführers, den es zu Recht als [X.] ausgelegt hat, nur teilweise und - entgegen der Auffassung des [X.] - nicht vollständig entsprochen hat. Der Beschwerdeführer begehrte die Herausgabe seiner Festplatte und bekam durch das [X.] lediglich einen Anspruch auf neue Bescheidung seines Antrags zuerkannt. Damit bleibt die ergangene Entscheidung hinter derjenigen zurück, die der Beschwerdeführer beantragt hatte. Die Entscheidung des [X.], es liege keine Beschwer vor, weicht von der bisherigen Rechtsprechung und der einhelligen Ansicht in der Literatur (siehe dazu [X.])aa), Rn. 31) ab, ohne dies sachlich zu begründen.

3. Ob weitere Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt sind, kann angesichts der festgestellten Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG dahinstehen.

1. Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer durch den Beschluss des [X.] vom 8. Oktober 2015 - [X.] ([X.]) 366/15 - in seinen Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG verletzt worden ist. Der Beschluss ist daher gemäß § 95 Abs. 2 [X.] aufzuheben; die Sache ist an das [X.] zurückzuverweisen.

2. Die Anordnung der Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 [X.]; der Beschwerdeführer hat sein Rechtsschutzziel im Wesentlichen erreicht.

Meta

2 BvR 162/16

07.03.2017

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Hamm, 1. Dezember 2015, Az: III-1 Vollz (Ws) 366/15, Beschluss

Art 3 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, § 93 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 7 Abs 3 MRVG NW, § 7 Abs 4 MRVG NW, § 116 Abs 1 StVollzG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 07.03.2017, Az. 2 BvR 162/16 (REWIS RS 2017, 14576)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 1735 REWIS RS 2017, 14576

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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