Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.06.2018, Az. I ZB 48/17

1. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 8157

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Gegenstand

Urheberrechtsstreitsache: Rechtsmitteleinlegung bei funktionell unzuständigem Gericht auf Grund unzutreffender Rechtsmittelbelehrung; Verweisung an das zuständige Gericht – Pizzafoto


Leitsatz

Pizzafoto

Besteht für eine Rechtsmittelzuständigkeit eine landesgesetzliche Konzentration nach § 105 UrhG für Urheberrechtsstreitsachen und erteilt das erstinstanzliche Gericht eine unzutreffende Belehrung über das für das Rechtsmittelverfahren zuständige Gericht, kann die Partei bei dem in der Rechtsmittelbelehrung angeführten Gericht fristwahrend Rechtsmittel einlegen, auch wenn dessen Zuständigkeit für das Rechtsmittelverfahren tatsächlich nicht gegeben ist. Das funktional unzuständige Gericht hat die Sache entsprechend § 281 ZPO an das nach der Konzentrationsregelung zuständige Rechtsmittelgericht zu verweisen (Fortführung von BGH, 22. März 2016, I ZB 44/15, GRUR 2016, 636 - Gestörter Musikvertrieb).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des [X.] - 9. Zivilkammer - vom 6. Juni 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] - 9. Zivilkammer - zurückverwiesen.

Gegenstandswert: bis 3.000 €

Gründe

1

I. Die Beklagte unterhält für ihren in [X.]    betriebenen [X.] eine Internetseite, auf der sie im [X.] die Fotografie einer Pizza ohne Nennung des Fotografen verwendet hat. Die Klägerin macht geltend, sie habe diese Fotografie gefertigt. Sie hat die Beklagte wegen Verletzung ihres [X.]s auf Unterlassung, Erstattung von Rechtsverfolgungskosten und Auskunftserteilung sowie eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskunft in Anspruch genommen sowie beantragt, festzustellen, dass sie Urheberin der streitgegenständlichen Fotografie sei. Ferner hat die Klägerin Schadensersatzfeststellung sowie die Feststellung begehrt, dass der Beklagten kein Anspruch auf Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zusteht.

2

Nachdem sich das von der Klägerin angerufene [X.] für sachlich unzuständig erklärt hatte und das Amtsgericht [X.] nach einem mit dem [X.] geführten Streit über die örtliche Zuständigkeit vom [X.] gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zum örtlich zuständigen Gericht erklärt worden war, hat das Amtsgericht [X.] mit Teil- und Endurteil vom 30. Dezember 2016 dem Unterlassungsantrag, dem Auskunftsantrag, den Anträgen auf Feststellung der Urhebereigenschaft der Klägerin sowie dem negativen Feststellungsantrag in vollem Umfang und dem Antrag auf Erstattung von Rechtsverfolgungskosten teilweise stattgegeben. Die Anträge auf eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskunftserteilung sowie auf Feststellung der Schadensersatzpflicht hat es als zweite Stufe der Klage angesehen und nicht beschieden. In der Rechtsbehelfsbelehrung hat das Amtsgericht [X.] das [X.] als Berufungsgericht benannt.

3

Die Beklagte hat gegen das ihrem Rechtsanwalt am 12. Januar 2017 zugestellte amtsgerichtliche Urteil mit einem beim [X.] am 6. Februar 2017 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und unter anderem beantragt, die Berufung an ein zuständiges Gericht zu verweisen, wenn das angerufene Gericht nicht zuständig sein sollte.

4

Das [X.] hat die Beklagte mit Beschluss vom 11. April 2017 darauf hingewiesen, dass gemäß § 13 Abs. 1 der Verordnung des [X.] über Zuständigkeiten in der Justiz [X.] ([X.]) für die Berufung das [X.] und nicht das [X.] zuständig sei. Am 20. April 2017 hat das [X.] die Beklagte zudem darauf hingewiesen, dass die Berufung wegen Unzuständigkeit unzulässig sei und eine Verweisung nach § 281 ZPO nicht in Betracht komme. Mit Beschluss vom 6. Juni 2017 hat das [X.] sodann gemäß § 522 Abs. 1 ZPO die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen.

5

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des Beschlusses des [X.] und die Klageabweisung, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht beantragt.

6

II. Das [X.] ist von seiner Unzuständigkeit ausgegangen und hat die Berufung deshalb als unzulässig angesehen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

7

Gemäß § 13 Abs. 1 [X.] sei das [X.] für Berufungen in [X.] im Bezirk des [X.] ausschließlich zuständig. Eine fristwahrende Berufungseinlegung sei nur beim funktionell zuständigen [X.] möglich gewesen. Eine Verweisung gemäß § 281 ZPO an das [X.] scheide aus, da diese Bestimmung auf die funktionelle Zuständigkeit grundsätzlich nicht anwendbar sei. Im Streitfall gelte auch keine Ausnahme, weil das Rechtmittelgericht nach dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 1 [X.] einfach und eindeutig zu bestimmen sei und diese Vorschrift den Parteien zudem schon im erstinstanzlichen Verfahren bekannt gewesen sei. Aus dem in der Berufungsschrift gestellten [X.] ergebe sich zudem, dass die Beklagte selbst befürchtet habe, dass die Rechtsmittelbelehrung im amtsgerichtlichen Urteil unzutreffend gewesen sei. Über einen eventuellen Wiedereinsetzungsantrag habe das hierfür zuständige [X.] zu entscheiden.

8

[X.]. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde ist zulässig (dazu unter [X.]) und hat auch in der Sache Erfolg. Das [X.] hat im angefochtenen Beschluss zwar mit Recht angenommen, dass es sich bei der vorliegenden Sache um eine [X.] handelt und gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 [X.] für die Berufung das [X.] funktionell zuständig ist (dazu unter [X.]). Gleichwohl hat das [X.] die Berufung zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Die Beklagte durfte aufgrund der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung des Amtsgerichts ihre Berufung fristwahrend auch beim [X.] einlegen. Das [X.] war deshalb gehalten, die Streitsache an das funktionell zuständige [X.] zu verweisen (dazu unter [X.] 3).

9

1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zulässig, weil der Sache - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt - grundsätzliche Bedeutung zukommt. Zudem ist die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig. Die Entscheidung des Berufungsgerichts verletzt die Beklagte in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), nach dem der Zugang zu den durch die Zivilprozessordnung eröffneten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf (vgl. [X.], Beschluss vom 26. April 2005 - 1 BvR 1924/04, [X.], 1931, 1932 mwN). Dem trägt die angegriffene Entscheidung - wie sich gleichfalls aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt - nicht hinreichend Rechnung.

2. Allerdings hat das [X.] mit Recht angenommen, dass für die Berufung der Beklagten im Streitfall das [X.] funktionell zuständig ist.

a) Die Bestimmung des § 105 Abs. 1 [X.] ermächtigt Landesregierungen, durch Rechtsverordnung [X.], für die das [X.] in erster Instanz oder in der Berufungsinstanz zuständig ist, für die Bezirke mehrerer [X.]e einem von ihnen zuzuweisen, wenn dies der Rechtspflege dienlich ist. Gemäß dieser Ermächtigung hat das Land [X.] in § 13 Abs. 1 Nr. 1 [X.] bestimmt, dass für den im Streitfall maßgeblichen Bezirk des [X.] dem [X.] [X.], für die das [X.] in erster Instanz oder in der Berufungsinstanz zuständig ist, zugewiesen sind. [X.] sind nach § 104 Satz 1 [X.] Rechtsstreitigkeiten, durch die ein Anspruch aus einem der im [X.]sgesetz geregelten Rechtsverhältnisse geltend gemacht wird. So liegt es hier. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche gemäß § 97, § 101 [X.] aus der Verletzung von ihr als Fotografin zustehenden [X.]en an einem Lichtbildwerk im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 5 [X.] oder an einem Lichtbild gemäß § 72 [X.] geltend.

b) Die vom Landesgesetzgeber gemäß § 105 [X.] vorgenommene Zuständigkeitsbestimmung betrifft die funktionelle Zuständigkeit des maßgeblichen Gerichts ([X.], Beschluss vom 10. Dezember 1987 - [X.] 801/87, juris Rn. 1 und 4; Beschluss vom 22. März 2016 - [X.], [X.], 636 Rn. 11 = [X.], 728 - Gestörter Musikvertrieb).

3. Die von der Beklagten danach gegenüber dem [X.] als dem zuständigen Berufungsgericht einzuhaltenden Fristen zur Einlegung der Berufung (§ 519 Abs. 1 ZPO) und zu deren Begründung (§ 520 Abs. 3 Satz 1 ZPO) sind im Streitfall durch die fristgerechte Einreichung der Berufung und der Berufungsbegründung beim funktionell unzuständigen [X.] gewahrt worden. Dieses ist gehalten, die Sache entsprechend § 281 ZPO gemäß dem Antrag der Beklagten an das zuständige [X.] zu verweisen.

a) Allerdings kann die Berufung fristwahrend grundsätzlich nur bei dem nach der Zuständigkeitskonzentration zuständigen Gericht eingereicht werden, wenn die gesetzliche Regelung zur Zuständigkeit für das Rechtsmittelverfahren eindeutig ist (vgl. [X.], [X.], 636 Rn. 18 - Gestörter Musikvertrieb, mwN). Die hier in Rede stehende Regelung zur Zuständigkeit für die Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung in [X.] lässt jedoch nicht stets mit hinreichender Sicherheit erkennen, ob über das Rechtsmittel das allgemein zuständige Rechtsmittelgericht oder aber das Rechtsmittelgericht zu entscheiden hat, das nach der Spezialregelung zuständig ist, durch die die Zuständigkeit bei einem bestimmten Rechtsmittelgericht konzentriert worden ist. Mit der Frage, ob eine [X.] vorliegt, können schwierige [X.] verbunden sein. Diese können dazu führen, dass für die Parteien die Beurteilung, bei welchem Gericht Berufung einzulegen ist, zweifelhaft erscheinen kann. Der Grundsatz der Rechtsmittelklarheit, nach dem für die Parteien zweifelsfrei erkennbar sein muss, welches Rechtsmittel für sie in Betracht kommt und unter welchen Voraussetzungen es zulässig ist ([X.]E 108, 341, 349; [X.], Beschluss vom 19. November 2015 - [X.], [X.] 2016, 1580 Rn. 2; [X.], [X.], 636 Rn. 19 - Gestörter Musikvertrieb), gebietet in einem solchen Fall die Zulassung der fristwahrenden Berufungseinlegung und -begründung beim allgemein zuständigen Rechtsmittelgericht ([X.], [X.], 636 Rn. 18 f. - Gestörter Musikvertrieb).

Das funktional unzuständige Gericht hat die Sache unter diesen Umständen entsprechend § 281 ZPO an das nach der Konzentrationsregelung zuständige Rechtsmittelgericht zu verweisen (zur Verweisung bei einer Zuständigkeitskonzentration in [X.] gemäß § 89 GWB vgl. [X.], Urteil vom 30. Mai 1978 - [X.], [X.]Z 71, 367, 371 [juris Rn. 20] - [X.]; [X.], [X.], 153; zur Verweisung bei [X.] gemäß § 105 [X.] vgl. [X.], [X.] 2001, 392 f.; [X.] in Schricker/Loewenheim, [X.], 5. Aufl., § 105 [X.] Rn. 7; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 4. Aufl., § 105 [X.] Rn. 5; [X.]/[X.], 20. Edition 20. April 2018, § 105 [X.] Rn. 1; [X.] in Dreier/[X.], [X.], 6. Aufl., § 105 Rn. 7; zur Verweisung in Wettbewerbsrechtssachen gemäß § 13 Abs. 2 UWG vgl. [X.]/[X.] in Harte/[X.], UWG, § 13 Rn. 51; MünchKomm.UWG/Ehricke, 2. Aufl., § 13 Rn. 36; zur Verweisung bei [X.] gemäß § 140 Abs. 2 [X.] vgl. [X.]/[X.], [X.], 3. Aufl., § 140 Rn. 37 f.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie im Streitfall - das erstinstanzliche Gericht in seiner Rechtsmittelbelehrung unzutreffend das allgemein zuständige Rechtsmittelgericht angegeben hat (vgl. [X.], [X.], 636 Rn. 18 f. - Gestörter Musikvertrieb).

b) Nach diesen Grundsätzen ist die Berufung der Beklagten beim [X.] fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das [X.] war gehalten, die Sache entsprechend § 281 ZPO antragsgemäß an das funktional zuständige [X.] zu verweisen.

IV. Nach alledem kann der mit der Rechtsbeschwerde angefochtene Beschluss des [X.]s keinen Bestand haben. Er ist deshalb aufzuheben, die Sache ist zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Das [X.] wird die Sache gemäß dem Antrag der Beklagten entsprechend § 281 ZPO an das zuständige [X.] zu verweisen haben.

Koch     

      

Schaffert     

      

[X.]

      

Löffler     

      

Schwonke     

      

Meta

I ZB 48/17

07.06.2018

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Freiburg (Breisgau), 6. Juni 2017, Az: 9 S 16/17

§ 281 ZPO, § 13 Abs 1 Nr 1 GerZustJuV BW, § 105 UrhG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.06.2018, Az. I ZB 48/17 (REWIS RS 2018, 8157)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 183-184 REWIS RS 2018, 8157

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