Bundessozialgericht, Beschluss vom 18.01.2011, Az. B 2 U 256/10 B

2. Senat | REWIS RS 2011, 10379

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Verletzung rechtlichen Gehörs - Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit - Besprechungen über den Prozessstoff mit nur einem Verfahrensbeteiligten


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 17. Juni 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten um die Feststellung und Entschädigung der Berufskrankheit nach [X.] 2108 der Anlage (ab [X.]) zur [X.] (Bescheid vom 18.3.1997 und Widerspruchsbescheid vom 6.10.1997 der [X.]). Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25.10.1999). Das [X.] hat die Berufung zurückgewiesen (Beschluss vom 14.6.2004). Auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Senat die zweitinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen, weil dem Antrag auf ergänzende Befragung des Sachverständigen [X.] nicht nachgekommen worden sei. Nach Anhörung von [X.] hat das [X.] erneut die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom [X.]).

2

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger ua die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die Richterin des [X.] habe am 10. und [X.] mit der Beklagten telefoniert. Auf dieses einseitige Verhalten, das ein Befangenheitsgesuch gerechtfertigt hätte, sei in der mündlichen Verhandlung am [X.] nicht hingewiesen worden.

3

II. [X.] ist zulässig und begründet.

4

[X.]begründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]. Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.]) ergibt. [X.]begründung enthält auch hinreichende Ausführungen dazu, dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruhen kann.

5

Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (vgl [X.]-1500 § 153 [X.] 1 mwN; [X.] 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht in seine Erwägungen miteinbezogen wird ([X.] 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Prozessgericht auch, die Beteiligten über einen möglichen Ablehnungsgrund zu unterrichten. Die von der Garantie des gesetzlichen Richters (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) umfasste Unparteilichkeit des Gerichts wird ua durch das Recht eines Beteiligten gesichert, [X.] wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen ( § 60 Abs 1 [X.] iVm §§ 42 ff Z PO). Damit ein Beteiligter von diesem prozessualen Recht Gebrauch machen kann, muss das Gericht ihn auf einen ihm verborgenen Sachverhalt hinweisen, der aus der Sicht einer objektiv und vernünftig urteilenden Partei Anlass für einen Befangenheitsantrag sein kann ([X.]-1500 § 60 [X.] 2 Rd[X.] 7). Ein solcher Sachverhalt lag im Berufungsverfahren vor.

6

Die Richterin J. hat die Beklagte wegen der vom Kläger beanstandeten Beweiserhebung am [X.] in einem Telefonat um Stellungnahme zu § 200 [X.] sowie zu der Frage gebeten, ob und ggf seit wann mit [X.] vertragliche Beziehungen beständen (Aktenvermerk der Beklagten vom [X.]). In einem weiteren Anruf am [X.] hat die Richterin in Kenntnis des Umstandes, dass ein [X.] nicht bestehe, auf eine schriftliche Stellungnahme verzichtet und vorgeschlagen, dass sich der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nicht von sich aus zu dieser Problematik äußern, sondern er nur auf etwaige Fragen des Gerichts reagieren sollte (Aktenvermerk der Beklagten vom 16.6.2010). Solche Besprechungen über den Prozessstoff mit nur einem Beteiligten können die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen (vgl Meyer-Ladewig/[X.]/[X.], [X.], 9. Aufl 2008, § 60 Rd[X.] 8n). Sie sind geeignet, an der Unvoreingenommenheit sowie objektiven Einstellung des Gerichts zu zweifeln und sind daher den anderen Beteiligten mitzuteilen.

7

Das angefochtene Urteil kann auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass es ohne den Gehörsverstoß zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gekommen wäre.

8

Angesichts dieses [X.] kann die vom Kläger außerdem erhobene Rüge der Verletzung des § 200 [X.] dahingestellt bleiben. Allerdings erscheint es tunlich, auf das Urteil des Senats vom [X.] (B 2 U 17/09 R - juris, zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen) hinzuweisen.

9

Im Übrigen wird der Verbleib der [X.] zu klären sein, die in dem Umschlag Blatt 291 der Gerichtsakte abgelegt war, um die gutachterlichen Ausführungen nachvollziehbar und transparent und damit überprüfbar zu gestalten.

Liegen - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] 3 [X.] vor, kann das [X.] auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverweisen (§ 160a Abs 5 [X.]). Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.

Im Hinblick darauf, dass das Berufungsverfahren bereits seit Januar 2000 anhängig ist und um dem Kläger bei einer neuerlichen Befassung des [X.] mit dem vorliegenden Rechtsstreit effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten (Art 19 Abs 4 GG), hält der erkennende Senat die Zurückverweisung des [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat dieses [X.] für angezeigt und unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens auch für geboten (§ 202 [X.] iVm § 563 Abs 1 Satz 2 ZPO). Angesichts einer Verfahrensdauer von mehr als zehn Jahren und das durch Art 6 Abs 1 [X.] sowie Art 19 Abs 4 GG garantierte Recht auf ein zügiges Verfahren erscheint es zudem erforderlich, den vorliegenden Rechtstreit vorrangig vor jüngeren Verfahren zur Entscheidungsreife zu führen und zu entscheiden.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 2 U 256/10 B

18.01.2011

Bundessozialgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: U

vorgehend SG Hannover, 25. Oktober 1999, Az: S 22 U 340/97, Urteil

§ 60 Abs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 42 ZPO, §§ 42ff ZPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 18.01.2011, Az. B 2 U 256/10 B (REWIS RS 2011, 10379)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10379

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