Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.08.2018, Az. 5 StR 228/18

5. Strafsenat | REWIS RS 2018, 5223

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Eingriff in Verteidigungsrechte eines Angeklagten bei lediglich seitlichem Blick auf Zeugen


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 6. Oktober 2017 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Ergänzend zur Antragsschrift des [X.] bemerkt der Senat:

1. Soweit die fehlende Aufklärung der Erkennbarkeit von Turnschuhen beanstandet wird, ist die Rüge bereits unzulässig, weil der Revisionsführer den Auswertungsbericht Bl. 8 f. des Sonderheftes „[X.]“ nicht mitteilt, dessen Kenntnis für die Beurteilung der Frage erforderlich gewesen wäre, ob sich das [X.] zur vermissten Beweiserhebung gedrängt sehen musste.

2. Der Umstand, dass nach dem Inhalt eines eingeführten Telefonats auch      [X.] der Marke [X.]        besessen hat, bedurfte nach dem Gesamtzusammenhang keiner weiteren Erörterung (vgl. auch [X.] in [X.]/[X.], 61. Aufl., § 267 Rn. 12).

3. Gleiches gilt für die Verwendung des Begriffs „Vergewaltigung“ in anderen abgehörten Telefonaten des Angeklagten mit der Nebenklägerin, auf die das [X.] nicht näher eingegangen ist.

4. [X.] einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8 StPO) ist unbegründet.

a) Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:

Am zweiten Verhandlungstag der 45-tägigen Hauptverhandlung wurde mit der Vernehmung der Nebenklägerin als zentraler Belastungszeugin begonnen; sie wurde zudem an zwölf weiteren Hauptverhandlungstagen gehört. Der Angeklagte beantragte über seinen Verteidiger, „die Sitzordnung dergestalt zu ändern, dass er das Gesicht der Zeugin ununterbrochen sehen kann, bzw. dass die Zeugin den Platz mit der Nebenklägerin tauscht“. Der Vorsitzende lehnte dieses Begehren mit der Begründung ab, das Gesicht der Zeugin sei für die Verfahrensbeteiligten erkennbar. Auf Beanstandung des Verteidigers bestätigte das Gericht die Anordnung des Vorsitzenden mit der Begründung, jedenfalls diejenigen Verteidiger, die es wünschten, hätten die Möglichkeit, die Mimik der Zeugin zu beobachten. Ein weitergehendes Recht, die Zeugin mit eigenen Augen frontal zu sehen, habe der Angeklagte nicht. Bei aus den konkreten Gegebenheiten des [X.] folgenden Sichteinschränkungen für den Angeklagten genüge es, wenn ihm der Verteidiger die Kenntnis der relevanten Mimik vermittle.

Nach den von der Verteidigung eingereichten Skizzen der Sitzungssäle konnte der inhaftierte und hinter einer besonderen Schranke sitzende Angeklagte die während der Vernehmung direkt vor dem Richtertisch positionierte Zeugin von leicht schräg hinten sehen. Die Revision rügt als unzulässige Beschränkung der Verteidigung, dass es dem Angeklagten bei keiner der Vernehmungen möglich gewesen sei, das Gesicht der Zeugin frontal zu sehen und dabei deren Mimik zu verfolgen.

b) Die zulässige Rüge hat keinen Erfolg (vgl. zu den Rügeanforderungen [X.], Beschluss vom 16. April 2015 - 1 StR 490/14, [X.], 754 m. Anm. [X.]). Der Vortrag der Revision deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

aa) Die Bestimmung der Sitzordnung im [X.] ist eine Maßnahme, die zwar einerseits die rein äußerliche Gestaltung des [X.] betrifft, andererseits aber auch in die Rechte von Verfahrensbeteiligten eingreifen und deshalb nach § 238 Abs. 2 StPO beanstandet werden kann (vgl. [X.] in Löwe/[X.], 26. Aufl., § 238 Rn. 21 [X.]). Von dieser Beanstandungsobliegenheit bei Fragen der Sitzordnung (vgl. bereits [X.] NJW 1961, 1127) hat der Angeklagte Gebrauch gemacht.

bb) Durch den Gerichtsbeschluss ist der Angeklagte aber nicht in seiner Verteidigung in entscheidungserheblicher Weise unzulässig beschränkt worden (§ 338 Nr. 8 StPO). Dies gilt unabhängig von der Frage, ob die Rüge nach § 338 Nr. 8 StPO die Verletzung einer besonderen Verfahrensnorm voraussetzt (vgl. [X.], Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 StR 48/81, [X.]St 30, 131, 137 [X.]) oder gerade in Fällen wie dem vorliegenden eine Art „Auffangtatbestand“ darstellt, auf den unmittelbar zurückgegriffen werden kann (vgl. nur [X.], [X.], 302; [X.], [X.], 9. Aufl. 2017, Rn. 216; umfassend [X.] in Löwe/[X.], 26. Aufl., § 338 Rn. 125 ff. [X.]). Denn die Sitzanordnung hat weder das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren, noch sein Konfrontationsrecht (Art. 6 Abs. 3 Buchst. [X.]) oder sein Recht auf effektive Verteidigung verletzt noch im Übrigen seine Verteidigung unzulässig beschränkt.

Die Entscheidung, wie bei einer Zeugenvernehmung die Sitzanordnung konkret gestaltet wird, hängt von einer Vielzahl von Umständen des Einzelfalls ab, die in der konkreten Situation vor Ort bewertet und gegeneinander abgewogen werden müssen. Derartige Entscheidungen, die zudem gefahrenspezifisch prognostische Elemente beinhalten, kann das Revisionsgericht nur auf grobe Ermessensfehler überprüfen (vgl. [X.], [X.], [X.], 229 f. [X.]). Nur wenn die Entscheidung des Gerichts zur Sitzordnung erkennen lässt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht oder grundlegend die Rechtspositionen der Verfahrensbeteiligten verkennt und hierdurch tatsächlich die Mitwirkungsmöglichkeiten des Angeklagten oder seines Verteidigers entscheidungserheblich eingeschränkt wurden, kann eine Rüge nach § 338 Nr. 8 StPO bei Beanstandung der Sitzanordnung Erfolg haben.

(1) Die Sitzanordnung im Gericht muss sich zunächst an den baulichen Gegebenheiten des [X.]s orientieren, die dem Gericht vorgegeben sind. Der Angeklagte kann dabei auf eine umfriedete oder besonders gesicherte Anklagebank verwiesen werden, wenn ansonsten seine Flucht oder eine Störung des Verhandlungsablaufs drohen (vgl. § 176 [X.], Nr. 125 Abs. 2 [X.]). Von seinem Platz aus muss der Angeklagte der Hauptverhandlung folgen und seine Verteidigung führen können (vgl. [X.] aaO). Ihm ist grundsätzlich zu ermöglichen, sich während der Hauptverhandlung mit seinem Verteidiger zu besprechen (vgl. hierzu BayObLG [X.] 1996, 47; [X.] aaO; [X.], NJW 1961, 1127; Molketin, [X.], 469; [X.]/Kämpfer, [X.], § 137 Rn. 21; vgl. auch [X.], Beschluss vom 10. Juli 1996 - 1 BvR 873/94, NJW 1996, 3268, 3269); anderenfalls kann es notwendig sein, zu diesem Zweck die Hauptverhandlung auf Antrag zu unterbrechen (vgl. Münchhalffen, [X.] 1996, 18, 19).

(2) Bei der Vernehmung von Zeugen (und Sachverständigen) ist zunächst entscheidend, dass das den Urteilsspruch verantwortende erkennende Gericht den Zeugen so gut sieht, wie es dies selbst unter [X.] für notwendig erachtet (vgl. zur Amtsaufklärungspflicht als beherrschender Prozessmaxime unter der Geltung des Schuldprinzips [X.], Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., [X.]E 133, 168). Zudem kann erforderlich sein, berechtigten Sorgen von Zeugen im Hinblick auf den Angeklagten oder andere Verfahrensbeteiligte durch eine besondere Sitzanordnung Sorge zu tragen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 21. April 1999 - 5 StR 715/98, [X.], 419, und vom 24. Juni 2014 - 3 [X.], [X.], 103). Soweit danach - sowie im Rahmen der baulichen Gegebenheiten - möglich und mit der Sicherheit und Ordnung im [X.] vereinbar, ist den übrigen Verfahrensbeteiligten die optische Teilhabe an der Zeugenvernehmung zu gewähren. Kann dies nicht für alle gleichermaßen geschehen, reicht zur Wahrung der Teilhaberechte des Angeklagten auch aus, einem Verteidiger - wie hier von der Revision vorgetragen - eine weitergehende Sicht auf den Zeugen zu ermöglichen.

Zur Wahrung des Konfrontationsrechts aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. [X.] genügt es grundsätzlich, dass vor Verurteilung eines Angeklagten alle ihn belastenden Beweismittel in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und in seiner Gegenwart erörtert werden, um eine kontradiktorische Prüfung zu ermöglichen. Dem Angeklagten muss angemessen und hinreichend Gelegenheit gegeben werden, einem Belastungszeugen bei seiner Aussage oder zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens entgegenzutreten, ihn zu befragen bzw. befragen zu lassen (vgl. [X.], [X.], 3225, 3226). Dies wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass dem Angeklagten keine frontale Sicht auf einen Zeugen gewährt wird.

Gerade bei [X.] wird es häufig schon aufgrund der baulichen Verhältnisse unmöglich sein, allen Angeklagten und allen sonstigen Verfahrensbeteiligten einen Blick auf das Gesicht eines Zeugen während dessen Vernehmung zu ermöglichen (vgl. [X.], [X.], 982, 983). Führt dies zu einer deutlich eingeschränkten Teilhabe an der Zeugenvernehmung, etwa weil auch die Sicht des Verteidigers auf den Zeugen gravierend behindert ist, kann das Gericht bei vorheriger Beanstandung der Sitzanordnung oder Offensichtlichkeit der Behinderung sein Urteil auf besondere Beobachtungen der Mimik und Gestik eines Zeugen nur stützen, wenn es zuvor den übrigen Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung davon Mitteilung und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Geschieht dies, liegt die Verletzung der Grundsätze des fairen Verfahrens oder des Rechts auf eine effektive Verteidigung durch eine Sitzanordnung des Gerichts regelmäßig fern.

(3) Nach diesen Maßstäben liegt hier keine Rechtsverletzung vor. Der inhaftierte Angeklagte hatte von seinem Platz einen seitlichen Blick auf die Zeugin. Entgegen der Auffassung der Revision gibt es keinen Anspruch des Angeklagten, das Gesicht eines Zeugen frontal zu sehen. Die Entscheidung des [X.]s, dem Angeklagten unter all diesen Umständen keinen anderen Platz zuzuweisen, weist keinen Rechtsfehler, schon gar nicht einen groben Ermessensfehler, auf.

Mutzbauer     

        

Schneider     

        

Ri[X.] Prof. Dr. König
ist infolge Urlaubs an der
Unterschriftsleistung
gehindert.

                                   

Mutzbauer

        

[X.]     

        

Köhler     

        

Meta

5 StR 228/18

01.08.2018

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 6. Oktober 2017, Az: 516 KLs 8/16

Art 6 Abs 3 Buchst b MRK, Art 6 Abs 3 Buchst d MRK, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 238 Abs 2 StPO, § 338 Nr 8 StPO, § 176 GVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.08.2018, Az. 5 StR 228/18 (REWIS RS 2018, 5223)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 5223

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 517/20 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeit durch Anordnung der Änderung der Sitzordnung im Sitzungssaal


1 StR 32/17 (Bundesgerichtshof)

Hauptverhandlung in Strafsachen: Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens in der Ausprägung des Konfrontationsrechts …


1 StR 711/13 (Bundesgerichtshof)

Revisionsrüge der Abwesenheit des Angeklagten bei der Verhandlung über die Entlassung der in seiner Abwesenheit …


4 StR 108/12 (Bundesgerichtshof)


4 StR 108/12 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Hauptverhandlungsunterbrechung nach Verteidigerwechsel wegen Verhinderung des Wahlverteidigers


Referenzen
Wird zitiert von

4 StR 517/20

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.