Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.02.2021, Az. 4 StR 517/20

4. Strafsenat | REWIS RS 2021, 8700

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Gegenstand

Strafverfahren: Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeit durch Anordnung der Änderung der Sitzordnung im Sitzungssaal


Tenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 3. August 2020 wird verworfen.

2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine hiergegen eingelegte Revision bleibt erfolglos.

2

1. Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

3

a) Soweit der Angeklagte beanstandet, die [X.] habe gegen Verfahrensrecht verstoßen, weil sie angeordnet habe, dass er für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerinnen in den Zuschauerraum zu verbringen sei, zeigt er keinen Rechtsverstoß zu seinem Nachteil auf.

4

aa) Eine Verletzung von § 247 Satz 1 i.V.m. § 338 Nr. 5 [X.] liegt nicht vor, weil der Angeklagte nicht aus dem Sitzungszimmer entfernt wurde und an seiner Sitzposition auch weiterhin in Sicht- und Hörweite des Verfahrensgeschehens und damit nicht abwesend im Sinne von § 338 Nr. 5 [X.] war (vgl. [X.] in: [X.], [X.], 26. Aufl., § 338 Rn. 83 mwN). Die Unterbrechung des ständigen Kontaktes zu seinem Verteidiger ändert daran nichts.

5

bb) Eine durch diese Maßnahme bewirkte unzulässige Beschränkung der Verteidigung im Sinne des § 338 Nr. 8 [X.] ist bereits nicht hinreichend dargetan (§ 344 Abs. 2 Satz 2 [X.]). Zwar kann auch eine - wie hier - im [X.] angeordnete Umgestaltung der Sitzordnung gemäß § 176 [X.] zu einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung in einem für das Urteil wesentlichen Punkt führen. Dies setzt aber voraus, dass bei dieser nur auf grobe Ermessensfehler hin überprüfbaren Anordnung die Rechtsposition des Angeklagten oder seines Verteidigers grundlegend verkannt und ihre Mitwirkungsmöglichkeiten tatsächlich entscheidungserheblich eingeschränkt wurden (vgl. [X.], Beschluss vom 1. August 2018 - 5 [X.], [X.], 297 Rn. 4 mwN; [X.] in: [X.]/[X.], [X.], 63. Aufl., § 338 Rn. 59). Für die Vortragspflicht des Revisionsführers bedeutet dies, dass er auch die Tatsachen vorzubringen hat, aus denen sich ein konkreter Zusammenhang zwischen dem geltend gemachten Verfahrensfehler und einem für die Entscheidung bedeutsamen Punkt ergibt (vgl. [X.], Beschluss vom 11. November 2004 - 5 [X.], [X.], 300, 303; Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 StR 48/81, [X.]St 30, 131, 135 f. mwN; siehe auch Beschluss vom 11. Februar 2014 - 1 StR 355/13, [X.], 347 Rn. 18). Diesen Erfordernissen wird das [X.] nicht gerecht. Zwar wird geltend gemacht, dass es dem intellektuell eingeschränkten Angeklagten von der ihm zugewiesenen Sitzposition im [X.] aus nicht möglich gewesen sei, direkt mit seinem Verteidiger Kontakt aufzunehmen und Nachfragen vorzubringen. Auch habe er dieses Defizit aufgrund seiner mangelnden Erinnerungsfähigkeit nicht nach seiner Rückkehr auf die Anklagebank ausgleichen können. Aus diesem Vorbringen - seine Richtigkeit unterstellt - ergibt sich aber nur, dass die durch die Änderung der Sitzordnung bewirkte Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten generell geeignet war, seine Verteidigung zu beeinträchtigen. Dass tatsächlich bestimmte und möglicherweise entscheidungserhebliche Umstände infolge der von der [X.] bestimmten Sitzordnung nicht zur Sprache gekommen sind, zeigt die Revision nicht auf (vgl. [X.], Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 StR 48/81, [X.]St 30, 131, 135 [zur selektiven Beiziehung von Spurenakten]). Dies wäre aber erforderlich gewesen, um wenigstens die Möglichkeit eines konkret-kausalen Zusammenhangs zwischen den durch die Sitzordnung bewirkten Beschränkungen der Verteidigung und einem bedeutsamen Punkt im Urteil gemäß § 338 Nr. 8 [X.] darzutun.

6

b) Es kann dahinstehen, ob - wie der [X.] meint - die [X.], das [X.] habe bei der Ablehnung eines Antrages auf Einholung eines Gutachtens zur Aussagetüchtigkeit der Zeugin        [X.]und zur Glaubhaftigkeit ihrer Angaben gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 2 [X.] verstoßen, schon deshalb unzulässig ist, weil zu einer Einwilligung der Zeugin in eine Exploration nichts vorgetragen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Januar 2013 - 1 [X.], [X.], 672; Beschluss vom 5. Oktober 2004 - 1 [X.]). Diese Auffassung ist rechtlich bedenklich, weil die aussagepsychologische Begutachtung eines Zeugen nicht notwendig dessen Exploration unter seiner Mitwirkung bedarf. Vielmehr ist es je nach Fallgestaltung regelmäßig möglich, dem Sachverständigen auf anderem Wege die erforderlichen Anknüpfungstatsachen für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen zu verschaffen (vgl. [X.], Urteil vom 21. August 2014 − 3 [X.], [X.], 17 f. mwN; siehe dazu auch [X.], Beschluss vom 31. Januar 2017 ‒ 4 StR 531/16). Die [X.] ist aber jedenfalls deshalb nicht zulässig erhoben, weil das in der Antragsbegründung in Bezug genommene und für den [X.] wesentliche Protokoll der polizeilichen Vernehmung der Zeugin         [X.]nicht vorgelegt worden ist, obwohl dies nach § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] erforderlich war (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 13. Mai 2020 - 4 StR 533/19 Rn. 7 mwN).

7

Die [X.] wäre aber auch unbegründet. Denn bei dem abgelehnten Antrag handelte es sich nicht um einen Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 [X.], weil es an der insoweit erforderlichen bestimmten Behauptung einer konkreten [X.] fehlt (vgl. dazu [X.] in: [X.], [X.], 27. Aufl., § 244 Rn. 103 mwN). Das Ersuchen, der Sachverständige möge einer bestimmten Frage nachgehen, reicht dafür ebenso wenig aus, wie die Anregung, dass sich das Gutachten dabei mit einer näher bezeichneten Problematik auseinander zu setzen haben werde. Eine zulässige Aufklärungsrüge ist nicht erhoben.

8

c) Der [X.], das [X.] habe bei der Ablehnung des Antrages auf Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens zu der Beweisfrage, „ob der Angeklagte ... in der Lage ist, ...“ gegen § 244 Abs. 4 [X.] verstoßen, bleibt der Erfolg ebenfalls versagt. Auch dieser Antrag enthält keine bestimmte Behauptung einer konkreten [X.] (vgl. dazu [X.], Urteil vom 14. April 1999 ‒ 3 StR 22/99, NJW 1999, 2683, 2684; Trüg/[X.] in: MünchKomm[X.], § 244 Rn. 111 mwN) und ist daher kein nach § 244 Abs. 3, Abs. 4 [X.] zu beurteilender Beweisantrag. Eine zulässige Aufklärungsrüge ist auch hier nicht erhoben.

9

d) Schließlich weist auch die Ablehnung des Antrags auf Einholung eines ärztlichen Gutachtens zum notwendigen Eintritt einer Verletzung am Genital der Zeugin        [X.]bei einer Penetration durch den Angeklagten keinen Rechtsfehler auf. Die [X.] hat in ihrem Ablehnungsbeschluss rechtsfehlerfrei dargelegt, dass dieser Erkenntnis für ihre Entscheidung keine tatsächliche Bedeutung zukommt (§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 [X.]), weil es zu einer schnellen Abheilung einer solchen Verletzung gekommen sein kann und deshalb dem unauffälligen Befund bei der [X.] Untersuchung des Genitals der Zeugin mehrere Wochen nach dem verfahrensgegenständlichen Übergriff, auf den die Revision im weiteren abhebt, auch dann keine gegen eine Penetration durch den Angeklagten sprechende Indizwirkung zukommt, wenn diese notwendig mit einer Verletzung verbunden gewesen wäre.

2. Die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs aufgrund der [X.] hat keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 [X.]).

Sost-Scheible     

        

Bender     

        

Quentin

        

Rommel      

        

Lutz      

        

Meta

4 StR 517/20

16.02.2021

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Detmold, 3. August 2020, Az: 23 KLs 15/20

§ 338 Nr 8 StPO, § 176 GVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.02.2021, Az. 4 StR 517/20 (REWIS RS 2021, 8700)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 8700

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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