Bundessozialgericht, Beschluss vom 29.06.2016, Az. B 1 KR 16/16 B

1. Senat | REWIS RS 2016, 18121

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Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - Verletzung des § 153 Abs 4 SGG bei sachfremden Erwägungen oder grober Fehleinschätzung)


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 8. Februar 2016 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Der bei der beklagen Krankenkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren, ihm die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung durch ein für die Dauer des Versicherungsverhältnisses geltendes anderes Nachweisdokument als eine elektronische Gesundheitskarte (eGK) ohne Chip und ohne Lichtbild zu ermöglichen, bei der [X.] und den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das [X.] hat zur Begründung ua ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf einen anderen geeigneten Nachweis seiner [X.] als Versicherter. Es obliege ihm, die eGK in ihrer gesetzlichen Ausgestaltung zum Nachweis der [X.] vorzulegen. Diese Mitwirkungsobliegenheiten stünden entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung ([X.] 117, 224 = [X.]-2500 § 291a [X.]) mit höherrangigem Recht in Einklang. Die erst im Berufungsverfahren gestellten weiteren [X.] seien unzulässig (Beschluss vom 8.2.2016).

2

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im [X.]-Beschluss.

3

II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 [X.] [X.] zu verwerfen. Die Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 [X.] [X.] abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten [X.]es des Verfahrensfehlers ([X.] gemäß § 160 Abs 2 [X.] [X.]).

4

1. Nach § 160 Abs 2 [X.] [X.] ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 und § 128 Abs 1 S 1 [X.] (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 [X.] (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB [X.] § 160a [X.]4, 24, 36). Der Kläger legt weder eine Verfahrensrechtsverletzung durch die Ermessensausübung des [X.], über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden (dazu a), noch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (dazu b) noch der Aufklärungspflicht (dazu c) noch der Beiladungspflicht (dazu d) als Verfahrensmangel in diesem Sinne hinreichend dar.

5

a) Der Kläger meint, das [X.] habe § 153 Abs 4 [X.] verletzt, weil es entgegen seinem Wunsch ohne weitere Anhörung durch Beschluss und ebenfalls ohne mündliche Verhandlung auch über sein weiteres Begehren entschieden habe, die Beklagte zur Beachtung erteilter [X.] und [X.] hinsichtlich der persönlichen Daten des [X.] anzuhalten und sie zu verurteilen, vorab deren beabsichtigte Übermittlung dem Kläger jeweils anzuzeigen. Der Kläger bezeichnet damit nicht Umstände, die eine Verletzung des § 153 Abs 4 [X.] schlüssig ergeben.

6

Nach § 153 Abs 4 S 1 [X.] kann das [X.], außer in den Fällen, in denen das [X.] durch Gerichtsbescheid entschieden hat, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, bei Vorliegen der im Gesetz genannten Voraussetzungen ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen ("kann"). Das Gebot fairen und effektiven Rechtsschutzes sowie das Recht auf eine mündliche Verhandlung schränken die Entscheidung eines [X.] nach § 153 Abs 4 [X.] ein, über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Diese Entscheidung kann vom Revisionsgericht deshalb darauf geprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen erkennbar fehlerhaften Gebrauch gemacht hat, etwa wenn der Beurteilung sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde liegen (B[X.] [X.]-1500 § 153 [X.]; B[X.] SozR 3-1500 § 153 [X.] S 4; B[X.] SozR 3-1500 § 153 [X.]3 [X.]8). Das Ermessen ist weder vom Einverständnis der Beteiligten abhängig noch übt es das [X.] erkennbar fehlerhaft aus, wenn es sich durch eine unzulässige Erweiterung des Begehrens in der Berufungsinstanz nicht an einer Entscheidung durch Beschluss gehindert sieht (vgl zu den Maßstäben B[X.] Beschluss vom 8.9.2015 - B 1 KR 134/14 B - RdNr 8 ff mwN). Ausgehend von diesem Prüfungsmaßstab legt der Kläger nicht dar, dass bei Abwägung aller zu berücksichtigenden Umstände die Wahl des vereinfachten Verfahrens ohne mündliche Verhandlung unter keinen Umständen zu rechtfertigen gewesen sei. Er trägt lediglich vor, dass sich das [X.] zu einer genauen Prüfung des [X.] des [X.] hätte "durchringen" müssen, "gegebenenfalls auch" im Rahmen einer mündlichen Verhandlung.

7

b) Der Kläger meint, das [X.] habe das rechtliche Gehör verletzt, indem es nicht auf die Bedenken des [X.] gegen die geplante Telematik-Infrastruktur eingegangen sei. Wer die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 [X.], Art 103 Abs 1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der [X.], Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten) rügt, muss hierzu ausführen, welchen erheblichen Vortrag das Gericht bei seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen hat, welches Vorbringen des Rechtsuchenden dadurch verhindert worden ist und inwiefern das Urteil auf diesem Sachverhalt beruht (vgl zB [X.] § 160a [X.]6; B[X.] Beschluss vom 10.3.2011 - B 1 KR 134/10 B - Juris RdNr 6 mwN). Der Kläger zieht selbst nicht in Zweifel, dass das [X.] sein Vorbringen zur Kenntnis genommen und in seinem Beschluss zitiert hat.

8

c) Wer - wie der Kläger - einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 [X.]) rügt, muss ua die Rechtsauffassung des [X.] wiedergeben, aufgrund deren bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, und schildern, dass und warum die Entscheidung des [X.] auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das [X.] mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl [X.] § 160 [X.], 35, 45; [X.] § 160a [X.], 34). Der Kläger gibt nicht eine Rechtsauffassung des [X.] wieder, aufgrund deren bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen. Er legt lediglich dar, das [X.] habe begründet, warum es zur bloß geplanten Infrastruktur nicht ermitteln müsse, und warum das [X.] nach - der insoweit unmaßgeblichen - Auffassung des [X.] dennoch hätte ermitteln müssen.

9

d) Der Kläger bezeichnet mit seiner Rüge unterlassener Beiladung der Pflegekasse auch einen Verstoß gegen das Gebot notwendiger Beiladung (§ 75 Abs 2 [X.]) nicht hinreichend. Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann oder ergibt sich im Verfahren, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein anderer Versicherungsträger, ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ein Träger der Sozialhilfe, ein Träger der Leistungen nach dem [X.] oder in Angelegenheiten des [X.] Entschädigungsrechts ein Land als leistungspflichtig in Betracht kommt, so sind sie beizuladen (vgl § 75 Abs 2 [X.]). Der Kläger legt mit seinem schlichten Hinweis auf § 96 [X.]B XI (vgl zu dessen Bedeutung Prange in [X.], jurisPK-[X.]B XI, Stand 2014, § 96) nicht schlüssig dar, wieso der Kläger überhaupt unter Berücksichtigung des vom [X.]B V abweichenden Leistungsrechts des [X.]B XI dort für den Nachweis seiner Anspruchsberechtigung eine Krankenversicherungskarte mit der Folge haben müsste, dass ein Fall der notwendigen Beiladung gegeben sein könnte.

2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]).

3. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.].

Meta

B 1 KR 16/16 B

29.06.2016

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Ulm, 18. September 2015, Az: S 5 KR 3151/14

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 29.06.2016, Az. B 1 KR 16/16 B (REWIS RS 2016, 18121)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 18121

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