Bundessozialgericht, Beschluss vom 24.05.2017, Az. B 1 KR 79/16 B

1. Senat | REWIS RS 2017, 10417

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Gegenstand

Krankenversicherungsrecht - Inhalte der elektronischen Gesundheitskarte - Verfassungsmäßigkeit - sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 21. Juni 2016 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren, ihm die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung durch ein für die Dauer des Versicherungsverhältnisses geltendes anderes Nachweisdokument als eine elektronische Gesundheitskarte ([X.]) zu ermöglichen, bei der [X.] und den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das [X.] hat zur Begründung unter Bezugnahme auf die Entscheidung des erkennenden Senats ([X.], 224 = [X.]-2500 § 291a [X.] 1) und Rspr des [X.] einen Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verneint. Allerdings dürfe die [X.] - entgegen der zwischen dem [X.] und der [X.] ([X.]) geschlossen "Vereinbarung zum Inhalt und zur Anwendung der elektronischen Gesundheitskarte" iVm der [X.] zu Anlage 4a ([X.]) der [X.] - keine [X.]([X.] als statusergänzende Merkmale enthalten. Hiervon sei der Kläger aber derzeit nicht konkret betroffen (Urteil vom 21.6.2016).

2

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im [X.]-Urteil.

3

II. [X.] ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 [X.] S[X.] zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 [X.] S[X.] abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 [X.] 1 S[X.]), der Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] 2 S[X.]) und des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 [X.] 3 S[X.]).

4

1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] 1 S[X.]) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB [X.]-1500 § 160a [X.] 21 [X.]8; [X.]-4100 § 111 [X.] 1 [X.] f; [X.]-2500 § 240 [X.] 33 S 151 f mwN). Der Kläger richtet sein Vorbringen hieran nicht aus.

5

Der Kläger formuliert folgenden "Rechtssatz":

        

"Die Rechte eines Patienten auf Schutz seines Arztgeheimnisses und informationelle Selbstbestimmung werden bereits dann verletzt, wenn sicher ist, dass eine gesundheitliche Information, die der Patient seinem Arzt geben kann, rechtswidrig weitergegeben würde. Seine Rechte werden nicht erst dann verletzt, wenn der Patient solche gesundheitlichen Informationen dem Arzt tatsächlich gibt, und er eine zwingend folgende rechtswidrige Datenübertragung tatsächlich auslöst."

6

Der Kläger formuliert bereits keine Rechtsfrage. Aber selbst wenn man den ersten Aussagesatz in einen Fragesatz umwandelt, zeigt der Kläger den Klärungsbedarf der von ihm aufgeworfenen Frage nicht auf. Er macht nicht deutlich, warum die Antwort auf die Frage, ob eine - vom Kläger vorausgesetzte - sicher zu erwartende rechtswidrige Weitergabe gerade von medizinischen Daten "Rechte eines Patienten auf Schutz seines Arztgeheimnisses und informationelle Selbstbestimmung" verletzt, einer revisionsgerichtlichen Klärung bedarf. Im Übrigen legt er nicht hinreichend dar, wieso mit Blick auf die Rspr des erkennenden Senats zur [X.] ([X.], 224 = [X.]-2500 § 291a [X.] 1) noch Klärungsbedarf bestehen soll. Ist eine Frage bereits von der höchstrichterlichen Rspr entschieden, ist sie grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig (vgl zB [X.] vom 21.10.2010 - [X.] [X.]/10 B - Rd[X.] 7 mwN). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rspr in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB [X.] § 160a [X.] 13 S 19 mwN), was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch [X.] vom 22.12.2010 - [X.] KR 100/10 B - Juris Rd[X.] 7). Daran fehlt es. Der Kläger behauptet nicht, dass der Entscheidung des erkennenden Senats zur [X.] in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird, sondern kritisiert diese lediglich, indem er die Ausführungen des sich dem Urteil des erkennenden Senats anschließenden [X.] angreift.

7

Wer sich - wie der Kläger - auf die Verfassungswidrigkeit der Regelungen zur [X.] beruft, darf sich im Übrigen nicht auf die Benennung der angeblich verletzten Rechte - hier die informationelle Selbstbestimmung (Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 [X.]) - beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rspr des [X.] und des [X.] darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Hierzu muss er den Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufzeigen, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtern und die Verletzung der konkreten Regelung des [X.] darlegen (vgl zB [X.] vom 20.7.2010 - [X.] KR 10/10 B - Juris Rd[X.] 6 mwN). Der Kläger trägt nur vor, die Regelungen der §§ 291, 291a, 291b [X.] stünden mit Blick auf Datensicherheit und unabhängige Kontrolle im Widerspruch zu konkreten Anforderungen des [X.] an die Ausgestaltung einer vorsorglichen Telekommunikationsverkehrsdatenspeicherung ([X.]E 125, 260, 325 ff = Juris Rd[X.] 220 bis 226). Soweit der Kläger geltend macht, die von den an der praktischen Umsetzung der [X.] beteiligten Stellen vorgesehene obligatorische [X.]-Kennzeichnung auf der [X.] verstoße gegen sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung, setzt er sich nicht damit auseinander, dass das [X.] in einer solchen Vorgehensweise bereits einen einfachrechtlichen Verstoß gegen § 291 Abs 2 S 1 [X.] 7 [X.] erblickt hat. Vielmehr verweist er selbst darauf, dass nach der Rspr des [X.] und des [X.] die Speicherung des [X.]-Kennzeichens auf der [X.] rechtswidrig sei.

8

2. Wer sich auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] 2 S[X.]) beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil des [X.], des [X.] oder des [X.] andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB [X.] vom 19.9.2007 - [X.] KR 52/07 B - Juris Rd[X.] 6) und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (vgl [X.] vom [X.] - [X.] KR 21/07 B - Juris Rd[X.] 9). Erforderlich ist, dass das [X.] bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB [X.] vom 15.1.2007 - [X.] KR 149/06 B - Rd[X.] 4; [X.]-1500 § 160 [X.] 26 S 44 f mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung des [X.] nicht. Er bezeichnet schon keinen entscheidungstragenden abstrakten Rechtssatz im Urteil des Berufungsgerichts.

9

3. Nach § 160 Abs 2 [X.] 3 S[X.] ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 S[X.] und § 128 Abs 1 S 1 S[X.] (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 S[X.] (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB [X.] § 160a [X.] 14, 24, 36). Daran fehlt es. Der Kläger legt den von ihm geltend gemachten Gehörsverstoß nach § 128 Abs 2 S[X.] nicht hinreichend dar.

Nach § 128 Abs 2 S[X.] darf ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten haben äußern können. Die Regelung erfasst einen Teilbereich des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 [X.], Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention, § 62 S[X.]; vgl auch [X.] Beschluss vom 15.3.2017 - B 5 R 366/16 B - Juris Rd[X.] 15). Die Vorschrift soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Tatsachen oder [X.] beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten. Das Gericht muss danach die Beteiligten über die für seine Entscheidung maßgebenden Tatsachen und Beweisergebnisse vorher unterrichten, ihnen insbesondere auch Gelegenheit geben, sich zu äußern (vgl [X.]-1500 § 62 [X.] 12 S 19). Wer die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör unter dem Blickwinkel des § 128 Abs 2 S[X.] rügt, muss hierzu ausführen, zu welchen vom Gericht zugrunde gelegten Tatsachen und [X.] sich der Rechtsuchende nicht hat äußern können, welches Vorbringen des Rechtsuchenden dadurch verhindert worden ist und inwiefern das Urteil auf diesem Sachverhalt beruht (vgl allgemein zu den Anforderungen an die Darlegung eines Gehörsverstoßes zB [X.] § 160a [X.] 36; [X.] vom 10.3.2011 - [X.] KR 134/10 B - Juris Rd[X.] 6 mwN; [X.] vom 3.11.2014 - [X.]2 KR 48/14 B - Juris Rd[X.] 13).

Der Kläger trägt vor, das [X.] habe sich darauf gestützt, dass er - wie von ihm dem [X.] mitgeteilt - in kein [X.] eingeschrieben sei, um bei ihm eine Beschwer durch die [X.]-Kennzeichnung auf der [X.] als Bestandteil des Versichertenstatus auszuschließen. Dabei habe das [X.] nicht beachtet, dass er schon in der Berufungsbegründung weiteren Sachvortrag dafür angeboten habe, dass die Beschwer sich für ihn auch aus der Information über die Nichtzugehörigkeit zu einer [X.] ergeben könne.Der Kläger behauptet damit nicht, dass das [X.] von einer Tatsache ausgegangen ist, zu der er sich nicht habe äußern können. Im Übrigen legt der Kläger auch nicht hinreichend dar, was er im Falle eines erteilten Hinweises ergänzend konkret vorgetragen hätte.

Soweit der Kläger den Gehörsverstoß auf eine Verletzung der Hinweispflicht gemäß § 106 Abs 1, [X.] 3 [X.] 3 S[X.] oder gemäß § 112 Abs 2 [X.] S[X.] iVm § 153 Abs 1 S[X.] stützen will, bezieht sich der aus den genannten Vorschriften ergebende Anspruch auf rechtliches Gehör und die dementsprechenden Hinweispflichten des Gerichts nur auf entscheidungserhebliche Tatsachen, die dem Betroffenen bislang unbekannt waren, und auf neue rechtliche Gesichtspunkte ([X.] vom 27.7.1989 - 2 BU 191/88 - Juris Rd[X.] 6). Es gibt aber keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl nur [X.]-1500 § 112 [X.] 2 [X.] mwN; [X.] [X.]-2500 § 5 [X.] 21 Rd[X.] 15). Der Kläger legt nicht dar, dass das [X.] im vorliegenden Fall ihm unbekannte Tatsachen oder neue rechtliche Gesichtspunkte in das Verfahren eingebracht hat.

4. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 S[X.].

Meta

B 1 KR 79/16 B

24.05.2017

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Karlsruhe, 7. Mai 2015, Az: S 3 KR 3628/12, Gerichtsbescheid

§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 291 SGB 5, § 291a SGB 5, Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 24.05.2017, Az. B 1 KR 79/16 B (REWIS RS 2017, 10417)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10417

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