Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.05.2020, Az. I ZR 214/19

1. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 1935

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Gewährung rechtlichen Gehörs: Versehentliche Nichtberücksichtigung eines Schriftsatzes


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 2. Zivilsenats des [X.] vom 16. Oktober 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 110.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Klägerin nimmt die [X.] wegen Verletzung ihres Unternehmenskennzeichens "[X.]" auf Unterlassung, Auskunft, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Erstattung von Abmahnkosten sowie den [X.] zu 2 darüber hinaus auf Einwilligung in die Teillöschung seiner Wortmarke "[X.]" und Freigabe des Domainnamens "aero.de" in Anspruch.

2

Die Klägerin wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 21. Juni 2010 gegründet und am 28. Juli 2010 unter der Firma "A.  C.        GmbH" ins Handelsregister eingetragen. Ihr Unternehmensgegenstand ist unter anderem der Erwerb, die Verwaltung und die Veräußerung von Beteiligungen an Immobilien und Objektgesellschaften. Die mit Gesellschaftsvertrag vom 12. Dezember 2012 gegründete und am 24. April 2013 unter der Firma "M."                       ins Handelsregister eingetragene [X.] zu 1 firmierte am 21. Juni 2013 in "[X.]" um. Eingetragener Unternehmensgegenstand ist unter anderem die Vorbereitung und Durchführung von Bauvorhaben für eigene und fremde Rechnung. Der [X.] zu 2 ist Geschäftsführer der [X.] zu 1 und Inhaber des am 30. Januar 2008 registrierten Domainnamens "aero.de" sowie der am 6. März 2014 unter anderem für "[X.]" (Klasse 36) eingetragenen Wortmarkt "[X.]".

3

Das [X.] hat der Klage mit Ausnahme der begehrten Freigabe des Domainnamens und eines Teils der geltend gemachten außergerichtlichen Kosten im Wesentlichen stattgegeben. Die Berufung der [X.] hat das Berufungsgericht nach vorangegangenem Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision wenden sich die [X.] mit ihrer Beschwerde.

4

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht das Verfahrensgrundrecht der [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt habe.

5

1. Das Berufungsgericht hat in seinem Hinweisbeschluss vom 21. August 2019 ausgeführt, das [X.] habe richtigerweise einen Anspruch der Klägerin gegen die [X.] auf Unterlassung der Verwendung des Zeichens "[X.]" im Zusammenhang mit Immobiliengeschäften sowie gegen den [X.] zu 2 auf teilweise Löschung von dessen Marke bejaht. Das Schutzrecht der Klägerin reiche bis ins [X.] zurück und wirke bundesweit. Ein prioritätsälteres Recht der [X.] sei nicht durch Verlinkung der am 30. Januar 2008 registrierten Domain "aero.de" auf die Domain "i         .de" entstanden. Ein Unternehmenskennzeichen entstehe durch Ingebrauchnahme und Benutzung zugunsten des Trägers des Unternehmens, zu dessen Bezeichnung es von diesem Unternehmen in Gebrauch genommen worden sei. Das sei hier nicht der [X.] zu 2, sondern die m.      GmbH, die unter der Domain "i         .de" ihre Dienstleistungen angeboten habe. Die Ansprüche der Klägerin seien auch nicht verjährt oder verwirkt.

6

Mit Zurückweisungsbeschluss vom 16. Oktober 2019 hat das Berufungsgericht auf diese Ausführungen vollumfänglich Bezug genommen; eine Stellungnahme der [X.] sei trotz mehrfach verlängerter Frist nicht eingegangen.

7

2. Tatsächlich haben die [X.] allerdings zu dem gerichtlichen Hinweisbeschluss vom 21. August 2019 am letzten Tag der von dem Berufungsgericht hierfür gesetzten Frist, nämlich am 11. Oktober 2019, Stellung genommen. Diese Stellungnahme hat das Berufungsgericht bis zum Erlass des Zurückweisungsbeschlusses und der Veranlassung von dessen Zustellung an die Prozessbevollmächtigten der Parteien mit Verfügung vom 17. Oktober 2019 nicht zur Kenntnis genommen. Dies beruht ausweislich des Aktenvermerks des Vorsitzenden des zuständigen [X.] vom 18. Oktober 2019 darauf, dass der im elektronischen Rechtsverkehr übermittelte Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der [X.] vom 11. Oktober 2019 dem in einem Nebengebäude ansässigen Senat wegen eines Druckerausfalls in der Wachtmeisterei im Hauptgebäude des [X.] erst am 18. Oktober 2019 vorgelegt wurde.

8

a) Zu Recht macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, dass in der Nichtberücksichtigung der Stellungnahme der [X.] vom 11. Oktober 2019 eine Verletzung ihres Grundrechts auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG zu sehen ist. Dies gilt ungeachtet dessen, dass die Stellungnahme aufgrund eines gerichtsinternen organisatorischen Problems erst am 18. Oktober 2019 zu den Akten gelangt ist. Eine Gehörsrechtsverletzung ist auch dann gegeben, wenn ein fristgerecht eingereichter Schriftsatz lediglich versehentlich unberücksichtigt bleibt ([X.] 62, 347, 352 [juris Rn. 19], mwN; [X.], Beschluss vom 19. August 2010 - [X.], NJW-RR 2011, 424 Rn. 14).

9

b) Der angefochtene Zurückweisungsbeschluss beruht auf der Gehörsrechtsverletzung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei einer Berücksichtigung der Stellungnahme zu seinem Hinweisbeschluss zu einer anderen Beurteilung des Falls gekommen wäre.

aa) Nimmt ein Berufungsgericht die Stellungnahme einer Partei zu seinem Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO überhaupt nicht zur Kenntnis, ist eine entscheidungserhebliche Gehörsrechtsverletzung jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Stellungnahme nicht allein auf den bisherigen Vortrag verweist, sondern sich argumentativ mit dem Hinweisbeschluss auseinandersetzt und darauf angelegt ist, das Berufungsgericht davon zu überzeugen, dass der dort vertretene Rechtsstandpunkt fehlerhaft ist (vgl. [X.], Beschluss vom 19. November 2019 - [X.], NJW-RR 2020, 248 Rn. 6; zur Rechtsbeschwerde vgl. [X.], Beschluss vom 30. April 2020 - [X.]/19, juris Rn. 18; [X.], NJW-RR 2011, 424 Rn. 17).

bb) So liegt der Fall hier.

(1) Um ihren von der in dem Hinweisbeschluss geäußerten Rechtsauffassung des Berufungsgerichts abweichenden Standpunkt darzutun, haben die [X.] ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen unter anderem geltend gemacht, der [X.] zu 2 sei ausweislich des nunmehr vorgelegten Handelsregisterauszugs Geschäftsführer der ihm gehörenden m.      GmbH, welche die Domain "aero.de" genutzt habe und zeitlich vor der Klägerin gegründet und ins Handelsregister eingetragen worden sei. Damit habe der [X.] zu 2 ein prioritätsälteres Recht erworben. Diesen Vortrag, welcher sich nicht lediglich in einer Inbezugnahme oder Wiederholung bisherigen Vorbringens erschöpft, konnte das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigen.

(2) Darüber hinaus haben die [X.] darauf hingewiesen, dass gegen mehrere Markenanmeldungen mit dem Bestandteil "[X.]" durch die [X.], deren Gesellschafterin Frau [X.]auch Gesellschafterin der Klägerin sei, Widerspruchsverfahren anhängig seien, welche Auswirkungen auf den Unternehmensgegenstand der hiesigen Klägerin haben könnten. Vor diesem Hintergrund haben die [X.] einen Antrag auf Aussetzung des Berufungsverfahrens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Widersprüche gestellt. Auch dieser zuvor nicht gehaltene Vortrag blieb unberücksichtigt. Der Aussetzungsantrag ging wegen des bei Kenntnisnahme des Schriftsatzes bereits erfolgten Erlasses des Zurückweisungsbeschlusses ins Leere.

Koch     

        

Schaffert     

        

Feddersen

        

Pohl     

        

Schmaltz     

        

Berichtigungsbeschluss vom 22. September 2020

Der Beschluss vom 28. Mai 2020 wird wegen offenbarer Unrichtigkeit gemäß § 319 Abs. 1 ZPO dahingehend berichtigt, dass es unter Randnummern 1, 2, 5, 12 und 13 wie folgt heißen muss:

- "[X.]" anstelle von "[X.]" (Rn. 1 Zeilen 2 und 4;   ...     ... ; Rn. 5 Zeile 4; Rn. 13 Zeile 2);

- "Wortmarke [X.]" anstelle von "Wortmarkt [X.]" (Rn. 2 letzte Zeile) und

- "areo.de" anstelle von "aero.de" (Rn. 1 Zeile 5; Rn. 2 vorletzte Zeile; Rn. 5 Zeile 8 und Rn. 12 Zeile 6).

Koch     

   

Schaffert     

   

Feddersen

   

Pohl     

   

Schmaltz     

   

Meta

I ZR 214/19

28.05.2020

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Braunschweig, 16. Oktober 2019, Az: 2 U 31/19

Art 103 Abs 1 GG, § 522 Abs 2 S 1 ZPO, § 522 Abs 2 S 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.05.2020, Az. I ZR 214/19 (REWIS RS 2020, 1935)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1935


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. XII ZR 104/19

Bundesgerichtshof, XII ZR 104/19, 04.11.2020.


Az. 2 U 31/19

Oberlandesgericht Düsseldorf, 2 U 31/19, 30.07.2020.

Oberlandesgericht Köln, 2 U 31/19, 04.12.2019.


Az. I ZR 214/19

Bundesgerichtshof, I ZR 214/19, 28.05.2020.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

I ZR 154/21 (Bundesgerichtshof)

Markenrechtsverletzung: Kennzeichenmäßige Verwendung eines Domainnamens; Verwechslungsgefahr zwischen Domainnamen einer öffentlichen Stiftung und Domainnamen mit Geschäftsbezeichnungen …


I ZR 164/12 (Bundesgerichtshof)

Wettbewerbsverstoß: Gezielte Behinderung bei Verwendung einer Tippfehler-Domain - wetteronline.de


I ZR 107/22 (Bundesgerichtshof)

Unberechtigte Namensanmaßung durch die Aufrechterhaltung einer vor Entstehung des Namensrechts registrierten Internetdomain: Berücksichtigung der Interessen …


VI ZR 946/20 (Bundesgerichtshof)

Verletzung des rechtlichen Gehörs: Übergangenes Vorbringen


I ZR 106/22 (Bundesgerichtshof)

Wettbewerbsprozess: Anforderungen an einen schlüssigen Klägervortrag hinsichtlich der Mitbewerbereigenschaft bei eBay-Händlern


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.