Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.01.2023, Az. I ZR 106/22

1. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 1581

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Gegenstand

Wettbewerbsprozess: Anforderungen an einen schlüssigen Klägervortrag hinsichtlich der Mitbewerbereigenschaft bei eBay-Händlern


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 4. Zivilsenats des [X.] vom 17. Mai 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Beklagte vertreibt Staubsauger auf der Plattform [X.]. Die Klägerin macht geltend, eine Mitbewerberin der [X.] zu sein. Sie wendet sich dagegen, dass die Beklagte auf ihrer Angebotsseite von [X.] und in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterschiedlich lange [X.] von 30 Tagen beziehungsweise 14 Tagen genannt habe. Ferner beanstandet die Klägerin die Garantiebedingungen der [X.], vor allem wegen fehlender Angabe des Garantiegebers und wegen Intransparenz.

2

Mit Blick auf die Angabe der Widerrufsfrist hat die Klägerin die Beklagte auf Unterlassung (Anträge zu 2 und 4) und Erstattung der Kosten ihrer Abmahnung vom 26. Juni 2019 (Antrag zu 1), mit Blick auf die Garantiebedingungen auf Unterlassung (Anträge zu 3 und 4), sowie auf Erstattung ihrer Kosten für die Abmahnung vom 20. November 2019 (Antrag zu 5) und für ein erfolgloses [X.] vom 6. März 2020 (Antrag zu 6) in Anspruch genommen.

3

Das [X.] hat die Klage nach Vernehmung des Zeugen [X.]    , eines für die Klägerin tätigen Buchhalters, abgewiesen. Zu den Anträgen 1 und 2 hat das [X.] als Begründung ausgeführt, es verblieben beachtliche Zweifel daran, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Abmahnung vom 26. Juni 2019 mit der [X.] noch als Anbieterin von [X.] in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis gestanden habe. Die mit den Anträgen 3 bis 6 geltend gemachten Ansprüche hat das [X.] für verjährt gehalten.

4

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin nach vorherigem Hinweis durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich die Klägerin gegen den Zurückweisungsbeschluss und will ihre Klageanträge mit der beabsichtigten Revision weiterverfolgen. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde.

5

II. Das Berufungsgericht hat den Vortrag der Klägerin zu ihrer Mitbewerbereigenschaft im Verhältnis zur [X.] hinsichtlich sämtlicher [X.] für unschlüssig und eine Beweiserhebung daher für nicht veranlasst gehalten.

6

1. In seinem Hinweisbeschluss hat es ausgeführt, die Klägerin berufe sich ausschließlich darauf, dass sie ebenfalls mit [X.] der Marke [X.]  handle, die entgegen der Darstellung der [X.] beliebig bezogen werden könnten. Ihre Kunden betrieben ein Endkundengeschäft in [X.]; zum Beleg habe sie erstinstanzlich einige Rechnungen vorgelegt.

7

Dieses Vorbringen habe die Beklagte in erheblicher Weise bestritten und vorgetragen, dass die Klägerin, die unstreitig nicht über ein Ladenlokal verfüge, ihre Vertriebstätigkeit zum Zeitpunkt der Abmahnung bereits eingestellt gehabt habe. Jedenfalls seit dem 3. September 2018 habe die Klägerin ihren Onlineshop unter e.     sowie ihren [X.] nicht mehr betrieben und werde auf [X.] als abwesender Verkäufer geführt. Unabhängig davon würden die Staubsauger der Marke [X.]  ausschließlich über ein selektives Vertriebssystem vertrieben, für das in [X.] die Beklagte zuständig sei. Die Klägerin sei keine Vertragshändlerin der [X.]; deren Vertragshändler dürften die Staubsauger auch nicht an die Klägerin veräußern. Die Klägerin könne die von ihr angegebene Menge von 2.497 [X.] nicht oder nur wie ein Endverbraucher zum [X.] eingekauft haben. Es existiere zwar ein sogenannter Graumarkt; dennoch sei ausgeschlossen, dass die Klägerin derart hohe Stückzahlen hätte veräußern können.

8

Aufgrund des detaillierten Bestreitens der [X.] habe sich die Klägerin nicht darauf beschränken dürfen, unter Verweis auf Rechnungen eine eigene Verkaufstätigkeit zu behaupten. Es erschließe sich bereits nicht, wie die Klägerin zu den maßgeblichen Zeitpunkten der Abmahnungen überhaupt einen Onlinehandel entwickelt haben wolle. Auch habe sich die Klägerin nicht darauf beschränken dürfen, das Vorhandensein eines selektiven Vertriebssystems zu bestreiten. Vielmehr hätte sie zum Bezug der angeblich vertriebenen Produkte vortragen müssen. Die Vorlage von Rechnungen oder Schriftstücken, mit denen behauptete Umsätze mit [X.] im [X.] bestätigt würden, ersetze nicht den erforderlichen Sachvortrag. Dies gelte unabhängig davon, ob die Unterlagen mit Blick auf die von der [X.] und vom [X.] aufgezeigten Unstimmigkeiten überhaupt geeignet wären, etwaigen Sachvortrag zu belegen.

9

Es könne offenbleiben, ob der unter Vorlage von Lichtbildern erfolgte Vortrag zum Warenbestand der Klägerin am 27. August 2021 in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen sei. Auch dieses Vorbringen verhelfe der Klage nicht zur Schlüssigkeit. Es belege keine für die Mitbewerbereigenschaft maßgebliche Verkaufstätigkeit und lasse keine Rückschlüsse auf den Zeitpunkt der Abmahnung zu.

2. Im Zurückweisungsbeschluss hat das Berufungsgericht auf seine Ausführungen im Hinweisbeschluss Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, die mit Schriftsatz der Klägerin vom 24. April 2022 erhobenen Einwendungen rechtfertigten keine abweichende rechtliche Bewertung. Im Wesentlichen beschränke die Klägerin sich darauf, mit umfangreichen Ausführungen darzulegen, dass es keine Anhaltspunkte für einen Falschvortrag gebe. Dabei verkenne sie allerdings die Grundsätze der Darlegungs- und Beibringungslast. Sie hätte nachvollziehbar Umstände darlegen müssen, die die Annahme einer Mitbewerbereigenschaft rechtfertigen könnten. Die Frage, ob ein Vortrag sich als wahrheitsgemäß erweise, sei für die Beurteilung der Schlüssigkeit nicht relevant. Auch könne sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass ihre Mitbewerbereigenschaft in anderen Rechtsstreitigkeiten festgestellt worden sei, da insoweit keine Bindungswirkung bestehe.

Es könne dahinstehen, ob der erstmals mit Schriftsatz vom 24. März [gemeint: April] 2022 erfolgte Verweis auf die [X.]agen [X.] bis 44 den Anforderungen an die Darlegungslast genüge. Das von der [X.] bestrittene Vorbringen könne nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen werden.

III. [X.] ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er ist allerdings erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Vorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung der Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen, wenn ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt werden soll, im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht auf [X.] des [X.] eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. [X.], Beschluss vom 21. April 2022 - [X.], NJW-RR 2022, 1425 [juris Rn. 19] mwN). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt auch dann vor, wenn das Gericht die Substantiierungsanforderungen offenkundig überspannt und es dadurch versäumt, den Sachvortrag der [X.]en zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Februar 2022 - [X.], NJW-RR 2022, 775 [juris Rn. 8] mwN). Nichts anderes gilt, wenn die Nichtberücksichtigung von Vorbringen und die unterbliebene Beweiserhebung auf einer offensichtlich fehlerhaften Anwendung von Präklusionsvorschriften beruht (vgl. [X.], NJW-RR 2022, 1425 [juris Rn. 24] mwN).

2. [X.] ist schlüssig und erheblich, wenn die [X.] Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der [X.] entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der [X.] zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatgerichts, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende [X.] nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (vgl. [X.], NJW-RR 2022, 775 [juris Rn. 13] mwN).

Eine [X.], die ein Recht beansprucht, ist nicht schon deshalb, weil der Gegner ihr Vorbringen bestreitet, gezwungen, den behaupteten Sachverhalt in allen Einzelheiten wiederzugeben (vgl. [X.], Urteil vom 12. Juli 1984 - [X.], NJW 1984, 2888 [juris Rn. 13]; Beschluss vom 25. Oktober 2011 - [X.], [X.], 382 [juris Rn. 20] mwN). Dem Grundsatz, dass der Umfang der Darlegungslast sich nach der Einlassung des Gegners richtet, liegt nicht etwa der Gedanke zugrunde, ein Kläger sei zur Förderung der Wahrheitsermittlung und zur Prozessbeschleunigung verpflichtet, den bestreitenden Gegner in die Lage zu versetzen, sich möglichst eingehend auf die Klagebehauptungen einzulassen. Der Grundsatz besagt vielmehr nur, dass dann, wenn infolge der Einlassung des Gegners der Tatsachenvortrag unklar wird und nicht mehr den Schluss auf die Entstehung des geltend gemachten Rechtes zulässt, er der Ergänzung bedarf (vgl. [X.], NJW 1984, 2888 [juris Rn. 13]; [X.], Urteil vom 28. April 1992 - [X.], NJW 1992, 2427 [juris Rn. 17]; ähnlich [X.], Beschluss vom 25. September 2018 - [X.], NJW 2019, 607 [juris Rn. 10]). Der Grad der Wahrscheinlichkeit der Sachverhaltsschilderung der [X.] ist für den Umfang der Darlegungslast ohne Bedeutung (vgl. [X.], Urteil vom 28. September 2011 - [X.], [X.], 534 [juris Rn. 38] = WRP 2012, 1271 - [X.]; Beschluss vom 7. Juni 2018 - [X.]/17, [X.], 1252 [juris Rn. 4]). Eine auf Plausibilitätsgesichtspunkten und damit einer unvollständigen Tatsachengrundlage getroffene Feststellung stellt eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung dar (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Mai 2017 - [X.], juris Rn. 10).

3. Hieran gemessen hat das Berufungsgericht mit seiner Beurteilung, die Klägerin habe ihre Mitbewerbereigenschaft im Verhältnis zur [X.] nicht schlüssig vorgetragen, das Gehörsrecht der Klägerin verletzt.

a) Die Klägerin hat vorgetragen, sie vertreibe unter anderem Staubsauger an Wiederverkäufer und habe damit einen (Netto-)Umsatz von ca. 1,7 Millionen € im [X.] erzielt. Zum Beweis hat sie unter anderem [X.] für [X.]  -Staubsauger aus diesem Jahr und eine eidesstaatliche Versicherung vorgelegt ([X.]agen F 2a bis 2c und 3). Später hat sie auch [X.] für andere Staubsaugermarken vorgelegt ([X.]agen F 35a bis 38g). Zum Beweis ihrer Wettbewerbstätigkeit und des [X.] hat sie den für sie tätigen Buchhalter [X.]     als Zeugen benannt sowie dessen Bestätigung über das Umsatzvolumen vorgelegt ([X.]age [X.]). Sie hat zudem ihre Mitarbeiter [X.]und [X.]    als über sie zu ladende Zeugen für ihre Tätigkeit in den Jahren 2018 bis 2020 benannt und diese als in der mündlichen Verhandlung präsente Zeugen angekündigt. Für den Eingang von Zahlungen auf Rechnungen hat sie Beweis durch Vernehmung ihres Prozessbevollmächtigten angeboten.

In ihrer Berufungsbegründung hat die Klägerin vorgebracht, die Angaben des vom [X.] vernommenen Zeugen [X.]     bewiesen ihre Mitbewerbereigenschaft. Sie hat gerügt, das [X.] habe unter anderem die als Zeugen benannten [X.]und [X.]    nicht vernommen. Die Verkäufe seien kontinuierlich über das [X.] erfolgt und nicht nur im ersten Quartal. Zudem hat die Klägerin Beweis für ihre Ware und ihr Lager durch Vernehmung ihres Prozessbevollmächtigten angeboten und ihre erstinstanzlichen Beweisantritte erneuert.

In ihrer Stellungnahme zum Hinweisbeschluss hat sich die Klägerin auf die Zeugenvernehmung vor dem [X.] berufen und mitgeteilt, es werde "als [X.]. [X.] Vertrieb im Wettbewerbsverhältnis nach Berufungseinlegung vorgelegt". Eine so bezeichnete [X.]age befindet sich nicht bei den Gerichtsakten; allerdings enthält das mit dem Schriftsatz eingereichte [X.] an seinem Ende von der Klägerin erstellte Rechnungen aus dem vierten Quartal 2021 unter anderem über verkaufte [X.]  -Staubsauger. Zudem hat die Klägerin "für den gesamten Sachverhalt weiterhin" ihren Mitarbeiter [X.]als Zeugen benannt, der auch die Echtheit der [X.]age bestätigen könne.

b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat die Klägerin ihre Mitbewerbereigenschaft im Verhältnis zur [X.] mit Blick auf den Vertrieb von [X.] für die Jahre 2018 bis 2021 damit schlüssig dargelegt. Dass die Klägerin und die Beklagte dabei auf unterschiedlichen Vertriebsstufen agiert haben, hat das Berufungsgericht als rechtlich irrelevant angesehen (vgl. hierzu [X.] in [X.]/[X.], [X.], 5. Aufl., § 2 Rn. 144 mwN). Soweit die Beschwerde meint, die Klägerin habe auch den Vertrieb von [X.] substantiiert vorgetragen, geht dies allerdings fehl. Auch aus den von der Klägerin vorgelegten Gerichtsentscheidungen lässt sich ohne schriftsätzlichen Vortrag dazu kein substantiiertes Vorbringen zu ihrer Mitbewerbereigenschaft herleiten.

c) Das Berufungsgericht hat die Substantiierungsanforderungen an den Vortrag der Klägerin offenkundig überspannt, indem es diese wegen des Vortrags der [X.] als erhöht angesehen hat. Die Beklagte hat vorgetragen, die Klägerin habe ihren eigenen Online-Shop und ihre Shops bei [X.] und [X.] geschlossen; zudem sei ein Vertrieb der Klägerin in der behaupteten Größenordnung aufgrund des ihr nicht zugänglichen selektiven Vertriebssystems der [X.] ohnehin nicht möglich. Dieser Vortrag hat den Vortrag der Klägerin nicht unklar gemacht, sondern dessen Plausibilität in Frage gestellt. Durch die Annahme erhöhter Substantiierungsanforderungen hat das Berufungsgericht letztlich eine Plausibilitätsprüfung und damit eine vorweggenommene Beweiswürdigung vorgenommen. Es kommt für die Schlüssigkeit des Vortrags der Klägerin auch nicht darauf an, ob es ihr möglich gewesen wäre, näher dazu vorzutragen, wie sie [X.]  -Staubsauger außerhalb des selektiven Vertriebssystems der [X.] bezogen habe.

d) Der Zurückweisung des im Schriftsatz vom 24. April 2022 enthaltenen Vorbringens nach § 531 Abs. 2 ZPO liegt zudem, soweit sie den Vortrag der Klägerin zu ihrer Vertriebstätigkeit nach Berufungseinlegung betrifft, eine offensichtlich fehlerhafte Anwendung dieser Präklusionsvorschrift zugrunde. Nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zuzulassen, wenn sie im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der [X.] beruht. Dies ist bei nach Schluss der mündlichen Verhandlung in der Vorinstanz entstandenen Angriffs- und Verteidigungsmitteln der Fall (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Mai 2011 - [X.], [X.], 853 [juris Rn. 12] - Treppenlift).

4. Die Gehörsrechtsverletzungen sind entscheidungserheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (zu diesem Maßstab vgl. [X.], Beschluss vom 17. Dezember 2020 - [X.], juris Rn. 17; Beschluss vom 11. Januar 2022 - [X.], NJW-RR 2022, 703 [juris Rn. 25]).

a) Als Mitbewerberin der [X.] beim Vertrieb von [X.] wäre die Klägerin hinsichtlich des [X.] zu 2 und teilweise - allerdings nicht für Haarpflegegeräte und Klimageräte - hinsichtlich des [X.] zu 3 anspruchsberechtigt. Gleiches gilt hinsichtlich der geltend gemachten Zahlungsansprüche für ihre Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung.

aa) Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - die nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erforderliche Prüfung nicht vorgenommen, ob konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellung des [X.]s begründen, die Klägerin habe den ihr obliegenden Beweis der Mitbewerbereigenschaft nicht geführt, und deshalb eine erneute Feststellung geboten ist. Diese Prüfung kann bereits im Ausgangspunkt nicht vom Revisionsgericht vorgenommen werden, weil die Ermittlung oder Verneinung konkreter Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen ihrerseits eine neue Tatsachenfeststellung darstellen kann und damit in die Zuständigkeit des Tatgerichts fällt (vgl. [X.], Urteil vom 30. Oktober 2007 - [X.], [X.], 576 [juris Rn. 27]).

bb) Das Berufungsgericht hätte jedenfalls prüfen müssen, ob die weiteren von der Klägerin für ihre Mitbewerbereigenschaft angebotenen Beweise zu erheben sind. Das [X.] hat die von der Klägerin angebotenen Beweise nicht ausgeschöpft. Es hat lediglich den Zeugen [X.]     vernommen. Die Nichtvernehmung der Zeugen [X.]und [X.]    hat das [X.] damit begründet, dass die Klägerin trotz Aufforderung keine ladungsfähigen Anschriften benannt und sie auch nicht in der mündlichen Verhandlung gestellt habe. Dieser Würdigung steht entgegen, dass die Klägerin schriftsätzlich angegeben hat, die Zeugen könnten über sie geladen werden, und zudem die ersten Seiten ihrer Arbeitsverträge mit den Zeugen vorgelegt hat, aus denen Privatadressen ersichtlich sind ([X.]agen F 14a und 14b).

cc) Auf die in der Neufassung des § 8 Abs. 3 Nr. 1 [X.] ab 1. Dezember 2021 hinzu gekommene Voraussetzung, nach der ein Mitbewerber Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreiben oder nachfragen muss, um für den Unterlassungsanspruch anspruchsberechtigt zu sein, hat das Berufungsgericht nicht abgestellt. Das Vorbringen der Klägerin erscheint grundsätzlich geeignet, diese nicht zu hoch anzusetzende Hürde (vgl. [X.], Urteil vom 24. Februar 2022 - I ZR 128/21, [X.], 729 [juris Rn. 14] = WRP 2022, 727 - Zweitmarkt für Lebensversicherungen II) zu überwinden. Die hinzu gekommene Voraussetzung gilt für die beiden auf Wiederholungsgefahr gestützten Unterlassungsansprüche, die nur dann bestehen, wenn das jeweils beanstandete Verhalten sowohl zum Zeitpunkt seiner Vornahme unlauter war als auch zum Entscheidungszeitpunkt unlauter ist (vgl. [X.], [X.], 729 [juris Rn. 10] - Zweitmarkt für Lebensversicherungen II). Für die Zahlungsansprüche kommt es auf die Mitbewerbereigenschaft allein zum Zeitpunkt des Zugangs der die Rechtsverfolgungskosten auslösenden Schreiben an (für die Abmahnung vgl. [X.], [X.], 729 [juris Rn. 11] - Zweitmarkt für Lebensversicherungen II). Die im Streitfall maßgeblichen Schreiben datieren auf die Jahre 2019 und 2020.

b) Weder das [X.] noch das Berufungsgericht haben hinreichende Feststellungen zu den geltend gemachten Wettbewerbsverstößen in der Sache getroffen. Es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sie vorliegen. Die vom [X.] angenommene teilweise Verjährung der Ansprüche hat das Berufungsgericht weder in rechtlicher Hinsicht noch hinsichtlich der tatsächlichen Grundlagen geprüft.

IV. Danach ist der Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts insgesamt aufzuheben und die Sache zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverweisen.

Koch     

  

Löffler     

  

Schwonke

  

Feddersen     

  

Odörfer     

  

Meta

I ZR 106/22

26.01.2023

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Hamm, 17. Mai 2022, Az: 4 U 61/21

§ 8 Abs 3 Nr 1 UWG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.01.2023, Az. I ZR 106/22 (REWIS RS 2023, 1581)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1581


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. I ZR 106/22

Bundesgerichtshof, I ZR 106/22, 26.01.2023.


Az. 4 U 61/21

Oberlandesgericht Hamm, 4 U 61/21, 17.05.2022.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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