Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.01.2023, Az. IX ZB 5/22

9. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 489

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Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 15. Zivilkammer des [X.] vom 21. Dezember 2021 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 1.985,29 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die von der Klägerin erhobene Klage auf Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren hat das Amtsgericht unter Aufhebung des zuvor ergangenen Versäumnisurteils abgewiesen. Gegen das ihr am 24. April 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin [X.]erufung eingelegt. Nachdem die Klägerin ihre [X.]erufung nicht innerhalb der bis zum 24. Juli 2019 verlängerten Frist begründet hatte, hat das [X.] die [X.]erufung mit [X.]eschluss vom 6. August 2019 verworfen. Der [X.]eschluss wurde dem früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin laut [X.] am 17. Oktober 2019 durch Einlegung in den zum Geschäftsraum gehörenden [X.]riefkasten zugestellt.

2

Mit Schriftsatz vom 20. Juli 2020 hat die Klägerin die [X.]erufungsbegründung vorgelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der [X.]erufungsbegründungsfrist beantragt. Das [X.]erufungsgericht hat den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der [X.] mit [X.]eschluss vom 21. Dezember 2021 abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

3

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Eine Entscheidung des [X.] ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich; insbesondere verletzt der angefochtene [X.]eschluss nicht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. [X.], NJW 2003, 281 mwN).

4

1. Das [X.]erufungsgericht hat ausgeführt, die zur Akte gelangte [X.] erbringe gemäß § 418 Abs. 1 ZPO den vollen [X.]eweis dafür, dass der die [X.]erufung verwerfende [X.]eschluss dem früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 17. Oktober 2019 zugestellt worden sei. Die [X.]ehauptungen der Klägerin und die Glaubhaftmachung durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung ihres früheren Prozessbevollmächtigten reichten nicht aus, um die [X.]eweiswirkung der [X.] zu entkräften. Der Vortrag der Klägerin beschränke sich auf die [X.]ehauptung, ihr früherer Prozessbevollmächtigter habe den [X.]eschluss nicht erhalten, und auf eine Sammlung alternativer Mutmaßungen zu den Gründen hierfür. Eines vorherigen richterlichen Hinweises auf den insoweit unzureichenden Vortrag der Klägerin habe es nicht bedurft, nachdem der [X.] in seinem Schriftsatz vom 6. April 2021 alle erforderlichen Gesichtspunkte thematisiert habe und der Klägerin ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu eingeräumt worden sei.

5

2. Das [X.]erufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin abgelehnt, ohne dass ihm dabei zulassungsbedürftige Rechtsfehler unterlaufen sind.

6

a) Die [X.] begründet als öffentliche Urkunde nach den §§ 418, 415 ZPO den vollen [X.]eweis für die darin beurkundeten Tatsachen, hier also die ordnungsgemäße Zustellung an den früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Nach § 418 Abs. 2 ZPO ist der [X.]eweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen zulässig. Zur Führung des [X.] ist grundsätzlich der volle [X.]eweis der Urkundenunrichtigkeit erforderlich. Im [X.] reicht allerdings für die Entkräftung der [X.]eweiskraft der [X.] gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Glaubhaftmachung aus ([X.], [X.]eschluss vom 3. März 1983 - [X.], [X.] 1983, 749; vom 5. Oktober 2000 - [X.], NJW-RR 2001, 571; vom 28. Januar 2020 - [X.] 39/19, [X.] 2020, 431 Rn. 24).

7

Nach der Rechtsprechung des [X.] kann die [X.]eweiskraft einer [X.] nur durch die substantiierte Darlegung und Glaubhaftmachung des Gegenteils entkräftet werden. Dabei dürfen die Anforderungen an die darlegungsbelastete [X.] nicht überspannt werden. Die nur pauschale [X.]ehauptung, das zugestellte Schriftstück nicht bekommen zu haben, entkräftet die Richtigkeit der [X.] allerdings nicht ([X.], Urteil vom 10. November 2005 - [X.], [X.], 150 Rn. 12; vgl. auch [X.], NJW-RR 2002, 1008). Vielmehr bedarf es konkreten Vortrags, ob und durch welche Personen der [X.]riefkasten regelmäßig geleert wird und welche Vorkehrungen getroffen werden, dass eingegangene [X.]rief- und sonstige [X.]sendungen sorgfältig gesichtet werden ([X.], [X.]eschluss vom 1. Juli 2002 - [X.] ([X.]) 48/01, juris Rn. 12).

8

b) Unter Anwendung dieser Maßstäbe hat das [X.]erufungsgericht den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der [X.] im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Denn die Klägerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie nicht bereits aufgrund Zustellung am 17. Oktober 2019, sondern erst nach Akteneinsicht in die Verfahrensakten am 18. Juni 2020 von dem Verwerfungsbeschluss vom 6. August 2019 Kenntnis erlangt hat.

9

aa) Auf die [X.], das [X.]erufungsgericht habe die Anforderungen an das [X.]eweismaß überspannt, weil es offensichtlich davon ausgegangen sei, dass der Gegenbeweis auch im [X.] nur im Wege des [X.] erbracht werden könne, kommt es nicht an. Das [X.]erufungsgericht hat es ausdrücklich dahinstehen lassen, ob eine eidesstattliche Versicherung des früheren Prozessbevollmächtigten ausreicht oder dieser als Zeuge zu vernehmen wäre; denn es hat zu Gunsten der Klägerin unterstellt, dass seine Zeugenaussage dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung entspricht. Soweit das [X.]erufungsgericht annimmt, dass der von ihm als richtig unterstellte Vortrag der Klägerin nicht geeignet ist, die [X.]eweiskraft zu erschüttern, ist diese Würdigung rechtsfehlerfrei.

Der durch eine eidesstattliche Versicherung ihres früheren Prozessbevollmächtigten glaubhaft gemachte Vortrag der Klägerin beschränkte sich darauf, dass ihr früherer Prozessbevollmächtigter den [X.]eschluss nicht erhalten habe, sein [X.]riefkasten stets ordnungsgemäß beschriftet gewesen sei und er in der Vergangenheit schon des Öfteren beobachtet habe, dass [X.] durch die Zustellungsunternehmen oben auf der [X.]riefkastenanlage abgelegt worden seien. Weitere Ausführungen zur üblichen Vorgehensweise des früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin bei der Entgegennahme von [X.] oder [X.] hat die Klägerin ebenso wenig gemacht wie zu den im vorliegenden Fall maßgeblichen Umständen der von dem früheren Zustellungsbevollmächtigten beobachteten Ablage von [X.] auf der [X.]riefkastenanlage und den von ihm im Hinblick darauf getroffenen Vorkehrungen. Es fehlte damit bereits an der für eine Glaubhaftmachung notwendigen, aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der den Wiedereinsetzungsantrag begründenden Umstände.

Das [X.]erufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs auch nicht dadurch verletzt, dass es ihren Vortrag übergangen hat, wonach ihr früherer Prozessbevollmächtigter den [X.]eschluss nicht nur nicht bekommen habe, sondern dieser niemals in seinen Geschäftsbriefkasten eingelegt worden sei. Durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung ihres früheren Prozessbevollmächtigen vom 20. August 2020 hat die Klägerin nämlich nur die Darlegung glaubhaft gemacht, dieser habe das Schriftstück trotz ordnungsgemäßer [X.]eschriftung seines [X.]riefkastens nicht zugestellt erhalten und ihm sei nicht näher bekannt, warum es ihm nicht zugegangen sei.

bb) Soweit im Rechtsbeschwerdeverfahren erstmals dargelegt und glaubhaft gemacht wird, dass der frühere Prozessbevollmächtigte der Klägerin seinen [X.]riefkasten stets selbst leert und welche Vorkehrungen er hierbei trifft oder getroffen hat, damit ihn Zustellungsbriefe erreichen, wird diese Schilderung den vorgenannten Anforderungen gerecht. Sie kann aber im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr berücksichtigt werden.

Gemäß § 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO müssen alle Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung von [X.]edeutung sein können, innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden. Erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, können noch nach Fristablauf erläutert und vervollständigt werden (st. Rspr.; [X.], [X.]eschluss vom 16. August 2016 - VI Z[X.] 19/16, NJW 2016, 3312 Rn. 7). Eine solche Vervollständigung der Angaben kann auch noch mit der Rechtsbeschwerde erfolgen.

Darum handelt es sich bei dem neuen Vortrag der Klägerin im Rechtsbeschwerdeverfahren aber nicht. Die [X.]egründung des [X.] war nicht unklar oder ergänzungsbedürftig; es mangelte vielmehr insgesamt an der notwendigen geschlossenen Schilderung aller Abläufe bei der Entgegennahme von [X.]. Wenn die insoweit darlegungspflichtige [X.] nichts zur [X.]eingangskontrolle vorgetragen hat, ist das Gericht nicht nach § 139 Abs. 1 ZPO verpflichtet, auf den insoweit notwendigen Vortrag hinzuweisen (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 16. August 2016 - VI Z[X.] 19/16, NJW 2016, 3312 Rn. 9 zur Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes).

cc) Eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs folgt auch nicht daraus, dass das [X.]erufungsgericht ihr keine Frist zur Stellungnahme zum Schriftsatz des [X.]n vom 6. April 2021 gesetzt hat. Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt der an einem Rechtsstreit beteiligten [X.] ein Recht darauf, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern, also grundsätzlich auch zu jeder dem Gericht unterbreiteten Stellungnahme der Gegenseite und deren Rechtsauffassung (st. Rspr. des [X.]undesverfassungsgerichts, vgl. [X.]E 60, 175, 210). Eine förmliche Fristsetzung durch das Gericht ist hierfür allerdings nicht erforderlich (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 5. Oktober 2011 - 2 [X.]vR 1555/11, juris Rn. 4). Die Klägerin hatte vorliegend - auch ohne Fristsetzung - ausreichend Gelegenheit, auf den ihr mit Verfügung vom 3. September 2021 übermittelten Schriftsatz der Gegenseite zu erwidern,

dd) Von einer weiteren [X.]egründung wird gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher [X.]edeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Schoppmeyer     

  

Lohmann     

  

Schultz

  

Selbmann     

  

Harms     

  

Meta

IX ZB 5/22

12.01.2023

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Berlin, 21. Dezember 2021, Az: 15 S 14/19

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.01.2023, Az. IX ZB 5/22 (REWIS RS 2023, 489)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 489

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VIII ZB 39/19

VI ZB 19/16

2 BvR 1555/11

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