Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.07.2003, Az. VI ZR 304/02

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2003, 2448

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[X.] DES [X.] 304/02Verkündet am:8. Juli 2003HolmesJustizangestellteals Urkundsbeamtinder Geschäftsstellein dem [X.]:ja[X.]Z:nein[X.]R: neinBGB § 823 [X.] den Voraussetzungen eines Diagnosefehlers (im Anschluß an Senatsurteile vom30. Mai 1958 [X.] 139/57 [X.], 545, vom 14. Juli 1981 - [X.]/79 [X.] 1981, 1033, 1034 und vom 14. Juni 1994 [X.] 236/93 [X.] [X.] 1815/102).[X.], Urteil vom 8. Juli 2003 - [X.] - [X.] LG [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche [X.] durch die Vorsitzende Richterin [X.], [X.][X.], die Richterin [X.] und [X.] und Zollfür Recht erkannt:Auf die Revision der Beklagten zu 1 wird das Urteil [X.] des [X.] vom 19. Juli 2002im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es zum Nachteil [X.] zu 1 ergangen ist.Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlungund Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,an das Berufungsgericht zurückverwiesen.Von Rechts [X.]:Der Kläger begehrte von der Beklagten zu 1 (künftig: die Beklagte)Schmerzensgeld und die Feststellung ihrer Ersatzpflicht für sämtliche gegen-wärtigen und zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden, die ihm an-läßlich der ärztlichen Behandlung vom 26. November 1995 im Krankenhaus [X.] entstanden sind und entstehen werden.Der Kläger wurde nach einem Sturz am 26. November 1995 in der Un-fallchirurgie des Krankenhauses stationär versorgt. Der frühere Beklagte zu [X.] einen Bruch des achten Brustwirbelkörpers nicht und nahm [X.] an. Nach der Entlassung des [X.] am 28. November 1995- 3 -nahmen die Beschwerden nicht ab. Er begab sich deshalb erneut in [X.]. Dort wurde der Bruch des Brustwirbels erkannt und der [X.] in einem anderen Krankenhaus stationär vom 1. bis 7. Dezember1995 behandelt.Das [X.] hat die Zahlungsklage wegen Verjährung abgewiesen;die Feststellungsklage sei unzulässig. Das [X.] hat dieses Urteilauf die Berufung des [X.] teilweise abgeändert und der Feststellungsklagegegen die Beklagte hinsichtlich der Ersatzpflicht für materielle Schäden stattge-geben. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt [X.] ihr Begehren auf Abweisung der Klage weiter.Entscheidungsgründe:[X.] Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen damit [X.], die Ansprüche aus Behandlungsvertrag seien - anders als [X.] des [X.] - nicht verjährt. Für sie gelte nach § 195 BGB a.F. eineVerjährungsfrist von dreißig Jahren. Die Beklagte habe den zwischen ihr unddem Kläger bestehenden Behandlungsvertrag schuldhaft verletzt. Sie müssesich das Verhalten des früheren Beklagten zu 3, eines angestellten Oberarztes,nach § 278 BGB zurechnen lassen. Dieser habe fälschlich eine Prellung statteines Wirbelkörperbruches diagnostiziert.- 4 -II.Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nichtstand.1. Allerdings hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei das Interesse des[X.] an einer alsbaldigen Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten (§ 256Abs. 1 ZPO) trotz der Möglichkeit einer Leistungsklage bejaht. Ein Kläger istnicht gehalten, seine Klage in eine Leistungs- und eine Feststellungsklage auf-zuspalten, wenn ein Teil des Schadens schon entstanden ist und mit der [X.] eines weiteren Schadens jedenfalls nach seinem Vortrag noch zurechnen ist (vgl. Senatsurteil vom 28. September 1999 - [X.] - [X.], 1555, 1556; [X.], Urteile vom 4. Dezember 1986 - [X.]/85 -[X.]R-ZPO § 256 Abs. 1 Feststellungsinteresse 2 und vom 7. Juni 1988- IX ZR 278/87 - [X.]R-ZPO § 256 Abs. 1 Feststellungsinteresse 10).2. Das Berufungsgericht geht auch im Ansatzpunkt zutreffend davon aus,daß dem Kläger aus dem mit der Beklagten als Trägerin des Krankenhausesabgeschlossenen Behandlungsvertrag vertragliche Ansprüche zustehen [X.], wenn die Beklagte oder deren Ärzte als ihre Erfüllungsgehilfen (§ 278BGB) die geschuldete ärztliche Behandlung in einer dem fachärztlichen [X.] zuwiderlaufenden Weise, also fehlerhaft, erbracht haben. Es hat zutreffenderkannt, daß die Ansprüche auf Ersatz materiellen Schadens hieraus erst in30 Jahren verjährten (§ 195 BGB a.F.; Art. 229 § 6 Abs. 4 EGBGB i.V.m.§§ 195, 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB).3. Das Berufungsgericht hat jedoch verkannt, daß ein Behandlungsfehlernicht immer schon dann anzunehmen ist, wenn ein Arzt zu einer objektiv un-richtigen Diagnose gelangt (unten a)). Es hat infolgedessen verfahrensfehler-haft den unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagten außer acht gelassen- 5 -(unten b)), daß der Bruch des achten Brustwirbelkörpers nicht erkennbar gewe-sen sei. Dadurch hat es gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen, wie die Revisionmit Erfolg beanstandet.a) Grundsätzlich ist zwar das Nichterkennen einer erkennbaren Erkran-kung und der für sie kennzeichnenden Symptome als Behandlungsfehler zuwerten (vgl. Senatsurteile vom 30. Mai 1958 - [X.]/57 - VersR 1958, 545,546, vom 14. Juli 1981 - [X.]/79 - VersR 1981, 1033, 1034 und vom14. Juni 1994 - [X.] - [X.] 1815/102).Irrtümer bei der Diagnosestellung, die in der Praxis nicht selten vorkom-men, sind jedoch oft nicht die Folge eines vorwerfbaren Versehens des Arztes.Die Symptome einer Erkrankung sind nämlich nicht immer eindeutig, sondernkönnen auf die verschiedensten Ursachen hinweisen. Dies gilt auch unter Be-rücksichtigung der vielfachen technischen Hilfsmittel, die zur Gewinnung vonzutreffenden Untersuchungsergebnissen einzusetzen sind (vgl. [X.] 14. Juli 1981 - [X.]/79 - aaO). Auch kann jeder Patient wegen derUnterschiedlichkeiten des menschlichen Organismus die Anzeichen ein undderselben Krankheit in anderer Ausprägung aufweisen. [X.], dieobjektiv auf eine Fehlinterpretation der Befunde zurückzuführen sind, könnendeshalb nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet werden (vgl.Senatsurteile vom 14. Juli 1981 - [X.]/79 - aaO; vom 14. Juni 1994 - [X.]/93 [X.] aaO).Dieser Gesichtspunkt greift allerdings nicht, wenn Symptome vorliegen,die für eine bestimmte Erkrankung kennzeichnend sind, vom Arzt aber nichtausreichend berücksichtigt werden (vgl. Senatsurteil vom 30. Mai 1958 - [X.]/57 - aaO; OLG Saarbrücken MedR 1999, 181, 182; [X.], Festschrift fürGeiß, 2000, [X.] ff.). Darum geht es hier [X.] -Die Frage nach einem ärztlichen Fehlverhalten kann sich jedoch auchstellen, wenn der behandelnde Arzt ohne vorwerfbare Fehlinterpretation [X.] eine objektiv unrichtige Diagnose stellt und diese darauf beruht, daßder Arzt eine notwendige Befunderhebung entweder vor der Diagnosestellungoder zur erforderlichen Überprüfung der Diagnose unterlassen hat. Ein solcherFehler in der Befunderhebung kann zur Folge haben, daß der behandelnde Arztoder der Klinikträger für eine daraus folgende objektiv falsche Diagnose und füreine der tatsächlich vorhandenen Krankheit nicht gerecht werdende [X.] und deren Folgen einzustehen hat (vgl. zum Beispiel Senatsurteile [X.]Z138, 1, 5 ff. und vom 3. November 1998 [X.] 253/97 [X.], 231,232 [X.] jeweils m.w.[X.]) Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht einen [X.]fehler des Beklagten zu 3 nicht schon deshalb bejahen, weil seine [X.] Prellung [X.] wie zwischen den Parteien unstreitig ist [X.] objektiv unrichtigwar. Feststellungen dazu, daß der tatsächlich vorliegende Bruch des Wirbelkör-pers nach den erhobenen Befunden (etwa den Röntgenaufnahmen) für die [X.] Ärzte erkennbar war, fehlen ebenso wie Feststellungen dazu, daßdie Befunderhebung in der Klinik der Beklagten unzulänglich war.Die Revision weist mit Recht darauf hin, daß die Beklagte den [X.] gestellten Vortrag des [X.] über einen [X.]sfehler bestritten und ihrerseits unter Beweis gestellt hatte, die [X.] Prellung sei eine in der gegebenen Situation vertretbare Deutung der [X.] erhobenen Befunde gewesen; auch die Röntgenaufnahmen hätten [X.] auf eine frische knöcherne Verletzung der Wirbelsäule ergeben. [X.] war nach den oben zu a) dargelegten Grundsätzen erheblich. Die [X.] hatte damit ausreichend bestritten, daß die unstreitig objektiv unrichtigeDiagnose behandlungsfehlerhaft war.- 7 -Diesem Vortrag hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen. [X.] hat das Berufungsgericht trotz des entscheidungserheblichen [X.] Beklagten keinen sachverständigen Rat dazu eingeholt, warum die [X.] nicht nur objektiv falsch, sondern behandlungsfehlerhaft gewesen sein soll.4. Die Revision beanstandet ferner mit Erfolg, daß das [X.] Vortrag der Beklagten außer acht gelassen hat, mit dem dieseeine Kausalität des objektiven Diagnoseirrtums bestritten und auf den sie in [X.] in zulässiger Weise Bezug genommen hat.Grundsätzlich muß der Patient die Voraussetzungen eines [X.]sfehlers und dessen Ursächlichkeit für den geklagten Gesundheitsschadendarlegen und beweisen. Dies gilt sowohl für den Vorwurf eines [X.] auch für den eines Fehlers in der Befunderhebung. Gelingt dem [X.] der Beweis eines Behandlungsfehlers in der Form eines Diagnosefehlersoder eines Fehlers in der Befunderhebung, nicht aber der Nachweis der Ur-sächlichkeit dieses Fehlers für den geltend gemachten Gesundheitsschaden,kommen ihm Beweiserleichterungen nur dann zu Hilfe, wenn der [X.] entweder als grob zu werten ist (fundamentalerDiagnosefehler - vgl. Senatsurteile [X.]Z 132, 47 ff. und vom 14. Juli 1981- [X.]/79 [X.] aaO), ein grober Fehler in der Befunderhebung vorliegt (vgl.Senatsurteile [X.]Z 138, 1, 5 ff. und vom 6. Juli 1999 - [X.] - [X.], 1282, 1284) oder wenn die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehrwegen eines (lediglich einfachen) Fehlers bei der Befunderhebung oder [X.] gegeben sind (vgl. dazu Senatsurteile [X.]Z 132, 47, 52 ff.;vom 3. November 1998 - [X.] - [X.], 231, 232 und vom 6. Juli1999 - [X.] [X.] aaO 1283).- 8 -Das Berufungsurteil enthält keine Feststellungen dazu, daß sich die [X.] der richtigen Diagnosestellung und die dadurch verzögerte [X.] nachteilig auf die Gesundheit des [X.] ausgewirkt haben oder daß [X.] für eine Umkehr der Beweislast zugunsten des [X.] vor-gelegen haben. Das war jedoch nicht selbstverständlich und hätte [X.] bedurft, die im übrigen dem Berufungsgericht ohne sachverstän-dige Beratung nur bei Darlegung eigener Sachkunde möglich gewesen wären.[X.] allem war das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es [X.] der Beklagten ergangen ist, und die Sache zu neuer Verhandlung [X.] an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 2,563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zuentscheiden haben wird.Müller[X.][X.]PaugeZoll

Meta

VI ZR 304/02

08.07.2003

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.07.2003, Az. VI ZR 304/02 (REWIS RS 2003, 2448)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 2448

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