Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.07.2003, Az. VI ZR 203/02

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2003, 2306

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[X.] DES VOLKESURTEIL[X.] Verkündet am:15. Juli 2003Holmes,[X.] Geschäftsstellein dem [X.]:ja[X.]Z: neinBGB § 249 A; StGB § 218a Abs. 2Für die Prüfung der Voraussetzungen einer medizinischen Indikation im Sinne des§ 218a Abs. 2 StGB für einen rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch macht die"nach ärztlicher Erkenntnis" gebotene Prognose regelmäßig die Einholung einesSachverständigengutachtens erforderlich.[X.], Urteil vom 15. Juli 2003 - [X.] - [X.] 2 -Der VI. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche [X.] 15. Juli 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller und die [X.], Pauge, [X.] und [X.] Recht erkannt:Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 18. März 2002 aufgehoben.Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auchüber die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.Von Rechts [X.]:Die Klägerin ist die Mutter einer am 10. September 1997 mit einerschweren Fehlbildung - einer offenen Wirbelsäule (Spina bifida) im lumbosa-cralen Bereich - geborenen Tochter. Sie nimmt den beklagten Arzt auf Schmer-zensgeld sowie auf Unterhalt für ihre Tochter mit der Begründung in Anspruch,dieser habe bei den von ihm seit dem 6. Mai 1997 ab der19. Schwangerschaftswoche durchgeführten Sonographien pflichtwidrig [X.] des Kindes nicht erkannt, weshalb eine Abtreibung unterbliebensei. Diese wäre gerechtfertigt gewesen, um die Gefahr einer schwerwiegendenBeeinträchtigung insbesondere des seelischen Gesundheitszustandes [X.] wegen behandlungsbedürftiger Depressionen [X.] 3 -Das [X.] hat der Klage unter Klageabweisung im übrigen [X.] stattgegeben und den Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld, Unter-haltsbedarf und Betreuungsaufwand verurteilt sowie festgestellt, daß der [X.] verpflichtet sei, der Klägerin sämtlichen zukünftigen [X.] der Geburt ihrer Tochter zu ersetzen. Auf die Berufung des [X.] das [X.] die Klage unter teilweiser Abänderung des landgericht-lichen Urteils vollständig abgewiesen und die Anschlußberufung der [X.]. Mit ihrer zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Kla-gebegehren weiter.Entscheidungsgründe:[X.] Berufungsgericht hat ausgeführt, ein Anspruch der [X.] sei nicht begründet, da die insoweit darlegungspflichtige Klä-gerin nicht hinreichend vorgetragen habe, daß nach der geltenden Fassung des§ 218a StGB ein Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig gewesen wäre. Da [X.] bei der Neuregelung der Zulässigkeit des [X.] aus dem Gesetz gestrichen habe, hättedie Klägerin einen Schwangerschaftsabbruch lediglich aus [X.] zum Schutz der Mutter gemäß § 218a Abs. 2 StGB rechtmäßig vor-nehmen lassen können. Die Darlegung der Klägerin lasse jedoch eine Beurtei-lung, ob die damals zu befürchtenden Depressionen und die jetzt eingetretenenFolgen, die zumindest indiziell zu berücksichtigen seien, eine hinreichendschwerwiegende Gefahr für ihre Gesundheit bedeutet hätten bzw. bedeuteten,nicht zu. Die Unzumutbarkeit der Schwangerschaft bzw. die Voraussetzungenfür einen die Opfergrenze für die Schwangere überschreitenden Ausnahmetat-- 4 -bestand seien damit nicht hinreichend dargelegt. Das Ausmaß sowie die [X.] der Depressionen seien nicht näher ausgeführt worden. Bei der Ab-wägung der Rechtsgüter, also einerseits der Gesundheit der Mutter und ande-rerseits des Lebens des Kindes, sei sicherlich auch maßgebend, ob und in wel-chem Umfang die Beeinträchtigungen der Gesundheit der Mutter mit Erfolg be-handelbar seien. Hinsichtlich der konkreten sekundären Folgen gebe es [X.] keine Erleichterungen für die Darlegungslast der Patien-tin. Hier fehle es nicht nur an einer nachvollziehbaren medizinischen Einord-nung. Auch die Darlegung zur psychotherapeutischen Behandlung ohne nähe-ren Vortrag zur Art, Umfang und Erfolg der Behandlung genügten nicht und [X.] - selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, daß in diesem Bereich eineOffenlegung durch den Behandelnden gegenüber der Patientin nur im be-grenzten Maß vertretbar sein mögen - zu pauschal erfolgt. Ein Anspruch [X.] des entstandenen und entstehenden [X.]es für ihr behin-dertes Kind stehe der Klägerin schon dem Grunde nach nicht zu. [X.] Behandlungsvertrages bei der medizinischen Indikation sei - auch bei [X.] - ausschließlich die Gesund-heit der Mutter. Der wirtschaftliche Aspekt der Unterhaltsbelastung für das be-hinderte Kind sei bei der medizinischen Indikation nicht ansatzweise als Reflexdes Behandlungsvertrages ableitbar.I[X.] Urteil des Berufungsgerichts hält den Angriffen der Revision nichtstand.1. Die Erwägungen des Berufungsgerichts zum Schutzzweck des [X.]svertrages bei der medizinischen Indikation im Sinne des § 218a- 5 -Abs. 2 StGB stehen nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennen-den Senats. Der Senat hat in seinem Urteil vom 18. Juni 2002 - [X.], 1148, demnächst [X.]Z 151, 133 ff.), welches das Berufungsge-richt zum [X.]punkt seiner Entscheidung freilich noch nicht kennen konnte, ent-schieden, daß das auf einem ärztlichen Behandlungsfehler beruhende Unter-bleiben eines nach den Grundsätzen der medizinischen Indikation gemäߧ 218a Abs. 2 StGB rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruchs die Pflicht desArztes auslösen kann, den Eltern den [X.] für ein Kind zu [X.], das mit schweren Behinderungen zur Welt kommt. Nach den Feststellun-gen des Berufungsgerichts diente im vorliegenden Fall die vom [X.] der Suche nach Fehlbildungen; die Klägerinhatte ihn zu diesem Zweck aufgesucht. Die vom Beklagten nach dem [X.] durchzuführende Diagnostik sollte demnach die Klägerin in die [X.], das ihr vom Gesetzgeber zugebilligte Recht auszuüben, sich für ei-nen rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden, wenn nach [X.] einer schweren Fehlbildung des Kindes der Abbruch der Schwanger-schaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensver-hältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt gewesen wä-re, um eine Gefahr für ihr Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Be-einträchtigung ihres körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes abzu-wenden, und die Gefahr nicht auf eine andere, für sie zumutbare Weise hätteabgewendet werden können. Drohen die schwerwiegenden Gefahren für [X.], die zur Erfüllung der Voraussetzungen der Indikation des § 218a Abs. 2StGB führen, gerade auch für die [X.] nach der Geburt und ist demgemäß dervertragliche Schutzzweck auch auf die Vermeidung dieser Gefahren durch das"Haben" des Kindes gerichtet, so erstreckt sich die aus der Vertragsverletzungresultierende Ersatzpflicht auch auf den Ausgleich der durch die [X.] verursachten vermögensrechtlichen Schadenspositionen. Eine dahin-- 6 -gehende Bestimmung des vertraglichen Schutzumfanges, die bei [X.] unter Geltung der früheren "embryopathischen Indikation" in [X.] anerkannt war (vgl. z.B. Senatsurteil [X.]Z 86, 240, 247; Se-natsurteile vom 4. März 1997 - [X.] - VersR 1997, 698, 699 und vom4. Dezember 2001 - [X.]/00 - [X.], 233, 234), nunmehr auch fürentsprechende Fallgestaltungen im Rahmen der nach der geltenden Rechtsla-ge maßgeblichen medizinischen Indikation entspricht der [X.], die bisher von § 218a Abs. 3 StGB a.F. erfaßten Fallkonstellationenjetzt in die Indikation nach § 218a Abs. 2 StGB einzubeziehen (vgl. [X.] 18. Juni 2002 - [X.]/01 - aaO; zustimmend [X.], NJW 2003, 26,28).2. Eine auf der - hier revisionsrechtlich zu unterstellenden - Verletzungdes Behandlungsvertrages beruhende Vereitelung eines möglichen Schwan-gerschaftsabbruchs kann allerdings - wovon das Berufungsgericht mit [X.] ist - nur dann Ansatz dafür sein, die Eltern im Rahmen eines ver-traglichen Schadensersatzanspruchs gegen den Arzt auf [X.] von der Unterhaltsbelastung für das Kind freizustellen und der Klä-gerin ein Schmerzensgeld zuzuerkennen, wenn der Abbruch rechtmäßig gewe-sen wäre, also der Rechtsordnung entsprochen hätte und von ihr nicht mißbilligtworden wäre (st. Rspr.: vgl. insbesondere [X.]Z 129, 178, 185 = VersR 1995,964, 966; Senatsurteile vom 4. Dezember 2001 - [X.]/00 - aaO; vom19. Februar 2002 - [X.]/01 - [X.], 767, 768 und vom 18. Juni2002 - [X.]/01 - aaO, S. 1149). Aufgrund der gesetzlichen [X.] § 218a Abs. 2 StGB in der Fassung des Schwangeren- und Familienhilfe-änderungsgesetzes vom 21. August 1995 ([X.]) ist der mit Einwilligungder Schwangeren von einem Arzt vorgenommene [X.] nicht rechtswidrig, wenn er unter Berücksichtigung der gegenwärtigen undzukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis- 7 -angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder das Risiko einer [X.] Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustan-des der Schwangeren abzuwenden und die Gefahr nicht auf andere, für siezumutbare Weise abgewendet werden kann. Bei Fallgestaltungen, die nach derfrüheren rechtlichen Regelung der "embryopathischen Indikation" unterfielen, istnunmehr im Rahmen des § 218a Abs. 2 StGB zu prüfen, ob sich für die [X.] der Geburt des schwerbehinderten Kindes und der hieraus resultierendenbesonderen Lebenssituation Belastungen ergeben, die sie in ihrer Konstitutionüberfordern und die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres ins-besondere auch seelischen Gesundheitszustandes als so bedrohend erschei-nen lassen, daß bei der gebotenen Güterabwägung das Lebensrecht des Un-geborenen dahinter zurückzutreten hat (vgl. Senatsurteil vom 18. Juni 2002- [X.]/01 - aaO, S. 1150). Das Berufungsgericht ist zwar hiervon im recht-lichen Ansatzpunkt zutreffend ausgegangen, hat jedoch bei seiner Beurteilungdie Anforderungen an die Darlegungslast der Klägerin überspannt und in [X.] Zusammenhang - wie die Revision mit Recht geltend macht - erheblichenSachvortrag und Beweisangebote der Klägerin übergangen.3. Zwar muß die Mutter im Schadensersatzprozeß grundsätzlich nachallgemeinen Grundsätzen darlegen und gegebenenfalls beweisen, daß die [X.] für einen rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch wegen medi-zinischer Indikation bei fehlerfreier Diagnose des untersuchenden Arztes [X.] hätten. Bei den Anforderungen an die Darlegungslast sind jedoch auchdie gerade durch den - hier revisionsrechtlich zu unterstellenden - [X.] verursachten Schwierigkeiten zu berücksichtigen, welche die [X.] der Voraussetzungen einer nachträglichen, auf den [X.]punkt des denkba-ren Abbruchs der Schwangerschaft bezogenen Prognose bereitet. Durch [X.] der richtigen Diagnose über die voraussichtliche schwere Behin-derung ihres Kindes ist die Klägerin nämlich gar nicht in die Lage versetzt [X.], diese Mitteilung im maßgeblichen [X.]punkt, in dem sie sich noch für [X.] hätte entscheiden können, auf sich wirken zu [X.]. Deshalb können aus der tatsächlichen späteren Entwicklung nur [X.] darauf gezogen werden, wie diese Diagnose sich auf ihren Ge-sundheitszustand ausgewirkt hätte. Hinzu kommt, daß auch allgemein an [X.] der Parteien im Arzthaftungsprozeß maßvolle undverständige Anforderungen zu stellen sind, weil vom Patienten regelmäßig [X.] genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert wer-den kann (vgl. Senatsurteil vom 19. Mai 1981 - [X.]/79 - VersR 1981,752). Entsprechende Fragen sind, wie dies im Arzthaftungsprozeß ganz [X.] zu fordern ist, grundsätzlich nicht ohne sachverständige Beratung zu [X.] (vgl. Senatsurteil, [X.]Z 98, 368, 373). Dies gilt umso mehr für diePrüfung der Voraussetzungen einer medizinischen Indikation im Sinne des§ 218a Abs. 2 StGB, bei der die "nach ärztlicher Erkenntnis" gebotene [X.] schon im Hinblick auf den Gesetzeswortlaut regelmäßig die Einholung einesSachverständigengutachtens erforderlich macht (vgl. Müller, NJW 2003, 697,703).Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht im vorliegenden Fall nichtbeachtet. Die Klägerin hat nicht nur vorgetragen, daß sie unter schweren De-pressionen leide, sondern hat dies auch in das Zeugnis der behandelnden [X.] gestellt. Eine medizinische Einordnung ihrer psychischen Störungenkonnte von ihr entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts aus den darge-legten Gründen ebensowenig verlangt werden wie Vortrag zu Art, Umfang undErfolgsaussicht der Behandlung. Daneben hat die Klägerin auch körperlicheBeeinträchtigungen geltend gemacht, insbesondere einen Bruch von zwei [X.] im [X.], aufgrund dessen sie keine schweren Lasten tragen dürfe.Daß durch das ständige Tragen des schwerbehinderten Kindes bereits eine- 9 -Verschlechterung eingetreten sei und eine [X.] erforderlich werde, hat sieunter Beweis durch ein orthopädisches Sachverständigengutachten gestellt.4. Das Berufungsgericht wird dem entsprechenden Vortrag der [X.] haben, um sich nach Einholung sachkundigen Rates die erforder-liche tatrichterliche Überzeugung davon zu verschaffen, ob die gesundheitlichenBeeinträchtigungen der Klägerin bei rückwirkender Betrachtung für eine medizi-nische Indikation ausgereicht hätten.MüllerWellnerPauge[X.]Zoll

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VI ZR 203/02

15.07.2003

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.07.2003, Az. VI ZR 203/02 (REWIS RS 2003, 2306)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 2306

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Arzthaftung wegen unzureichender Beratung einer Schwangeren: Straflosigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs und schwerwiegende Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes …


3 U 229/00 (Oberlandesgericht Hamm)


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