Bundessozialgericht, Beschluss vom 29.08.2019, Az. B 14 AS 68/19 B

14. Senat | REWIS RS 2019, 4047

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - absoluter Revisionsgrund - nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts - Mitwirkung abgelehnter Richter - Verwerfung bzw Zurückweisung der Ablehnungsgesuche - ausschließlich mündliche Begründung in Abwesenheit der Beteiligten - Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 17. April 2018 - L 9 [X.]/18 - aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Die Beschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 17.4.2018 ist zulässig, soweit er mit ihr eine Verletzung von § 60 SGG und zugleich einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf [X.] nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG hinreichend bezeichnet hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 [X.] SGG).

2

Die Beschwerde ist insoweit auch begründet. Der gerügte Verfahrensmangel der unzulässigen Mitwirkung [X.] liegt vor. Das [X.] war bei seinem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17.4.2018 ergangenen Urteil nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 547 [X.] iVm § 202 Satz 1 SGG). Denn an diesem Urteil haben Berufsrichter mitgewirkt, die der Kläger zuvor eingangs der vorangegangenen mündlichen Verhandlung im Verfahren [X.] 9 AS 3758/15 ([X.] [X.]/19 B) zwar erfolglos abgelehnt hatte, deren Mitwirkung am Urteil aber gleichwohl das Recht auf [X.] verletzt hat. Die Verwerfung [X.] und die Mitberichterstatterin betreffenden [X.] als unzulässig unter Mitwirkung [X.] und die Zurückweisung des den Berichterstatter betreffenden [X.] als unbegründet ohne dessen Mitwirkung haben jeweils Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt (vgl zu den Maßstäben zuletzt [X.] vom 21.11.2018 - 1 BvR 436/17 - juris Rd[X.]9 mwN; vgl auch [X.] - [X.] [X.]/13 B - juris; [X.] vom 16.12.2015 - [X.] [X.]/15 B - juris), weshalb der Senat an die Verwerfung und Zurückweisung der [X.] vorliegend entgegen § 557 Abs 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG nicht gebunden ist (vgl letztens nur [X.] vom [X.] R 230/17 B - juris Rd[X.]2 unter Hinweis auf [X.] vom 5.8.2003 - B 3 P 8/03 B - [X.] 4-1500 § 160a [X.] und [X.] vom 2.11.2007 - B 1 KR 72/07 B - [X.] 4-1100 Art 101 [X.]).

3

Ausweislich der Verfahrensakten und insbesondere der Protokolle der mündlichen Verhandlungen in den Verfahren [X.] 9 AS 3758/15 ([X.] [X.]/19 B) und [X.] 9 AS 214/18 ([X.] [X.]/19 B) war zur Verhandlung im Verfahren [X.] 9 AS 3758/15 von den Beteiligten nur der Kläger erschienen, der nach deren Eröffnung beide Verfahren betreffende schriftliche, mehrseitig begründete [X.] gegen die jeweils namentlich benannten drei Berufsrichter des Senats übergab und anschließend den Saal verließ mit der Erklärung, er habe nun eine Prozesshandlung vorgenommen und das Ganze werde seinen Gang gehen nach dem Prozessrecht. Einen Hinweis auf das vom [X.] beabsichtigte weitere Verfahren erhielt der rechtskundig nicht vertretene Kläger zuvor nicht. Nach Unterbrechung der mündlichen Verhandlung und Wiedereintritt in diese verkündete der Senat in der Besetzung mit dem abgelehnten Vorsitzenden, der abgelehnten Mitberichterstatterin, einer Vertreterin für den abgelehnten Berichterstatter und den beiden ehrenamtlichen Richtern die Beschlüsse, dass in beiden Verfahren die [X.] gegen den Vorsitzenden und die Mitberichterstatterin als offensichtlich unzulässig verworfen und gegen den Berichterstatter als unbegründet zurückgewiesen werden. Anschließend wurden die Beschlüsse vom Vorsitzenden mündlich begründet, wobei von den Beteiligten niemand anwesend war. Der Inhalt der Begründungen ist im Protokoll nicht wiedergegeben. Nach erneuter Unterbrechung der mündlichen Verhandlung wurde diese unter Mitwirkung des Berichterstatters fortgeführt. Das aufgrund der mündlichen Verhandlung ergangene, die Berufung des [X.] zurückweisende Urteil im Verfahren [X.] 9 AS 3758/15 enthält keine Begründungen für die Verwerfung und Zurückweisung der [X.]. Die Einholung einer dienstlichen Stellungnahme vom abgelehnten Berichterstatter lässt sich dieser Verfahrensakte nicht entnehmen.

4

Zur anschließenden Verhandlung im Verfahren [X.] 9 AS 214/18 war von den Beteiligten niemand erschienen. Die auch dieses Verfahren betreffenden [X.] des [X.] finden im Protokoll dieser mündlichen Verhandlung keine Erwähnung. Das aufgrund der mündlichen Verhandlung ergangene Urteil im Verfahren [X.] 9 AS 214/18, durch das die Erledigung des Berufungsverfahrens [X.] 9 AS 3757/15 durch eine zuvor vom Kläger erklärte [X.] festgestellt wurde, enthält keine Begründungen für die Verwerfung und Zurückweisung der [X.]. Die Einholung einer dienstlichen Stellungnahme vom abgelehnten Berichterstatter lässt sich auch dieser Verfahrensakte nicht entnehmen.

5

Zu Recht rügt die Beschwerde, dass mangels Kenntnis der Gründe für die Entscheidungen des [X.] über die [X.] eine Auseinandersetzung mit diesen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil verwehrt sei und dies nicht zu [X.]asten des [X.] gehen könne. Weder die Einhaltung oder Überschreitung der Grenzen der zulässigen Selbstentscheidung noch die Einhaltung oder Überschreitung der verfassungsrechtlichen Grenzen für die Zurückweisung von [X.]n lassen sich durch den rechtsschutzsuchenden Kläger wie das daraufhin zur Entscheidung aufgerufene [X.] prüfen. Die Beachtung dieser rechtlichen Grenzen kann grundsätzlich nur durch die Begründung für die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch dokumentiert und anhand dieser überprüft werden (vgl [X.] in [X.], § 60 Rd[X.]44, Stand [X.]; zur Angabe von Gründen zur Ermöglichung von Kontrolle vgl auch [X.] vom 30.8.2010 - 1 BvR 1631/08 - juris RdNr 49; [X.] vom 7.9.2015 - 1 BvR 1863/12 - juris Rd[X.]4; [X.] vom 8.10.2015 - 1 BvR 1320/14 - juris Rd[X.]6 ff).

6

Durch seine den Rechtsschutz erschwerende Verfahrensweise hat das [X.] vorliegend entgegen den Anforderungen des Art 19 Abs 4 GG die Überprüfung seiner Entscheidungen über die [X.] auf Beachtung der für diese geltenden rechtlichen Grenzen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem [X.] verhindert (zu den Gewährleistungsinhalten der Garantie eines wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutzes vgl letztens nur [X.] vom 24.7.2018 - 2 BvR 1961/09 - Juris Rd[X.]3 ff mwN). Damit hat es zugleich die Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Rechts auf [X.] nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt.

7

Bei seiner Entscheidung durch Urteil darüber, ob das Berufungsverfahren [X.] 9 AS 3757/15 erledigt ist, war das [X.] nicht vorschriftsmäßig besetzt. Denn eine grundlegende Verkennung von Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG führt ebenso wie Willkür bei der Behandlung von [X.]n zur nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts mit den abgelehnten Berufsrichtern und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes (§ 547 [X.] iVm § 202 Satz 1 SGG), bei dem eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen ist. Dieser die angefochtene Entscheidung des [X.] insgesamt betreffende absolute Revisionsgrund führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 SGG). Die Verweisung an einen anderen Senat des [X.] (§ 563 Abs 1 Satz 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG) ist nicht geboten.

8

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des [X.] vorbehalten.

Meta

B 14 AS 68/19 B

29.08.2019

Bundessozialgericht 14. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Konstanz, 30. Juli 2015, Az: S 5 AS 393/15

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 60 SGG, § 202 S 1 SGG, § 547 Nr 1 ZPO, Art 19 Abs 4 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 29.08.2019, Az. B 14 AS 68/19 B (REWIS RS 2019, 4047)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 4047

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Zitiert

1 BvR 436/17

1 BvR 1631/08

1 BvR 1863/12

1 BvR 1320/14

2 BvR 1961/09

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