Bundessozialgericht, Beschluss vom 16.12.2015, Az. B 14 AS 191/15 B

14. Senat | REWIS RS 2015, 556

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Verletzung des Gebots des gesetzlichen Richters - nicht vorschriftsmäßige Besetzung der Richterbank - Selbstentscheidung des Richters über ein Ablehnungsgesuch bzw einen Befangenheitsantrag


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 21. Mai 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] ([X.]) vom [X.] ist zulässig, denn er hat einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen [X.] gemäß Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 [X.] Sozialgerichtsgesetz ).

2

Die Beschwerde ist insoweit auch begründet. Der gerügte Verfahrensfehler liegt vor. Das [X.] war bei seinem auf die mündliche Verhandlung vom [X.] ergangenen Urteil nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 547 [X.] Zivilprozessordnung iVm § 202 Satz 1 SGG). Denn an diesem Urteil hat ein [X.] mitgewirkt, den der Kläger zuvor am [X.] zwar erfolglos abgelehnt hatte, dessen Mitwirkung am Urteil aber gleichwohl das Recht auf den gesetzlichen [X.] verletzt hat. Die Verwerfung des diesen [X.] betreffenden [X.] als unzulässig unter Mitwirkung des abgelehnten [X.]s hat Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt (vgl zu den Maßstäben zuletzt [X.] <[X.]> Beschluss vom 15.6.2015 - 1 BvR 1288/14; [X.] Beschluss vom 9.4.2014 - [X.]4 [X.]/13 B - juris), weshalb der Senat an die Verwerfung vorliegend entgegen § 557 Abs 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG nicht gebunden ist (vgl [X.]-1100 Art 101 [X.] RdNr 5 mwN).

3

Der vom Kläger abgelehnte [X.] [X.] hat vor Beginn der mündlichen Verhandlung und Verkündung des Urteils vom [X.] an dem Beschluss vom [X.] mitgewirkt, durch den das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung als unzulässig verworfen worden ist, es sei rechtsmissbräuchlich zur Verzögerung und Verhinderung der mündlichen Verhandlung gestellt. Der Kläger, der selbst Rechtsanwalt sei, habe die Ladung zum Termin am 14.4.2015 erhalten und stütze sich in seinem Ablehnungsgesuch, das am [X.] um 00:14 Uhr bei Gericht eingegangen sei, auf eine vermeintlich unsachliche Begründung eines Kostenbeschlusses vom 23.3.2015 in einem Parallelverfahren sowie ebenfalls als unsachlich gerügte prozessleitende Verfügungen in einem weiteren Parallelverfahren. Bei dieser Sachlage - Anbringung des Antrags wenige Stunden vor dem Termin trotz langer Kenntnis der vermeintlichen Ablehnungsgründe - liege es auf der Hand, dass der Ablehnungsantrag vom Kläger allein aus verfahrensfremden Gründen angebracht worden sei, um eine Verlegung des Termins zu erzwingen.

4

Diese Ausführungen des [X.] lassen die Einhaltung der engen Grenzen für eine Selbstentscheidung des abgelehnten [X.]s über das ihn betreffende Ablehnungsgesuch nicht erkennen. Art 101 Abs 1 Satz 2 GG lässt lediglich in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten [X.] eine Selbstentscheidung des abgelehnten [X.]s über das Gesuch zu. Entsprechend ist bei dem kollegial besetzten [X.] über ein Ablehnungsgesuch grundsätzlich ohne den abgelehnten [X.] von dem zuständigen Senat mit dem nach der Geschäftsverteilung berufenen Vertreter zu entscheiden. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass es nach der Natur der Sache an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines [X.]s fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine eigene angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste. Wie im Zivil- und Strafprozess ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren anerkannt, dass abweichend von dem aufgezeigten Grundsatz der Spruchkörper ausnahmsweise in alter Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten [X.]s nur über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheidet (vgl [X.] Beschluss vom 15.6.2015 - 1 BvR 1288/14; im Einzelnen BSG Beschluss vom [X.] - [X.] KR 68/09 B - juris RdNr 8 ff mwN).

5

Vorliegend hat der abgelehnte [X.] das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch mit anderen [X.]n zwar als unzulässig verworfen, weil er es für rechtsmissbräuchlich hielt. Aus der Begründung des Beschlusses vom [X.] ergibt sich indes zugleich, dass dieser Entscheidung eine Bewertung der vom Kläger vorgetragenen konkreten Ablehnungsgründe zugrunde liegt. Denn ob diese Ablehnungsgründe allein aus verfahrensfremden Gründen angebracht und rechtsmissbräuchlich sind, lässt sich nicht entscheiden, ohne die vom Kläger gegen [X.] [X.] vorgetragenen Gründe zu bewerten: Ergibt sich aus diesen Ablehnungsgründen eine rechtzeitig geltend gemachte Besorgnis der Befangenheit, ist dem Ablehnungsgesuch zu entsprechen, auch wenn es erst am [X.] angebracht wird. Dem Beschluss des [X.] liegt damit die nicht ausdrücklich formulierte, aber in ihm doch anklingende Bewertung zugrunde, die vom Kläger vorgetragenen Gründe liegen entweder nicht vor ("vermeintlich unsachliche Begründung eines Kostenbeschlusses", "als unsachlich gerügte prozessleitende Verfügungen") oder sind, lägen sie vor, nicht rechtzeitig geltend gemacht ("trotz langer Kenntnis der vermeintlichen Ablehnungsgründe"); eine andere überprüfbare Begründung für die Verwerfung des [X.] als unzulässig lässt sich den Gründen des Beschlusses nicht entnehmen (zur Überprüfung der Begründung für die Verwerfung des [X.] vgl [X.] Beschluss vom 15.6.2015 - 1 BvR 1288/14 RdNr 20).

6

In dieser Weise konnte der abgelehnte [X.] [X.] nicht selbst entscheiden, ohne zugleich die gegen ihn vorgetragenen Ablehnungsgründe zu bewerten. Damit wird das ausnahmsweise unter strengen Voraussetzungen zulässige Selbstentscheidungsrecht im vereinfachten [X.], das nur echte Formalentscheidungen ermöglichen oder offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern soll, der Sache nach auf einen Fall der mangelnden Begründetheit eines [X.] ausgedehnt. Es liegt deshalb eine unzulässige Selbstentscheidung des abgelehnten [X.]s über das ihn betreffende Ablehnungsgesuch vor und der hierin liegende Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen [X.]s wirkte in der Besetzung des [X.] bei seiner Endentscheidung im mit der Beschwerde angefochtenen Urteil vom [X.] fort.

7

Der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 547 [X.] ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG) führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 SGG).

8

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des [X.] vorbehalten.

Meta

B 14 AS 191/15 B

16.12.2015

Bundessozialgericht 14. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Leipzig, 3. Januar 2013, Az: S 23 AS 4596/10

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 547 Nr 1 ZPO, § 557 Abs 2 ZPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 16.12.2015, Az. B 14 AS 191/15 B (REWIS RS 2015, 556)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 556

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1 BvR 1288/14

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