Bundessozialgericht, Beschluss vom 21.09.2023, Az. B 3 P 8/23 B

3. Senat | REWIS RS 2023, 7538

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - fehlende Protokollierung eines Ablehnungsgesuchs gegen den LSG-Senat - Zurückverweisung


Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 6. März 2023 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Im Streit steht die Zuerkennung einer weiteren Verzögerungszahlung nach § 18 Abs 3b [X.]. Das [X.] hat die Beklagte zu einer Verzögerungszahlung verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen. Das L[X.] hat die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Ihr stehe kein Anspruch auf weitere als die ihr berechtigt zugesprochenen Zahlungen zu.

2

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision durch das L[X.] und macht Verfahrensmängel geltend.

3

II. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision ist zulässig, denn sie hat einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf [X.] nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 [X.] [X.]G).

4

Die Beschwerde ist insoweit auch begründet, als sie sich auf die Selbstentscheidung des L[X.]-Senats über das in der mündlichen Verhandlung gestellte Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den Senat bezieht. Jedenfalls dieser gerügte Verfahrensmangel liegt vor. Das L[X.] war bei seinem auf die mündliche Verhandlung vom [X.] ergangenen Urteil nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 547 [X.] iVm § 202 Satz 1 [X.]G). Denn an diesem Urteil haben [X.]innen und [X.] mitgewirkt, die der Bevollmächtigte der Klägerin zuvor in der mündlichen Verhandlung zwar erfolglos abgelehnt hatte, deren Mitwirkung am Urteil aber gleichwohl das Recht auf [X.] verletzt hat. Die Verwerfung des die [X.]innen und [X.] des L[X.]-Senats betreffenden [X.] als unzulässig unter Mitwirkung aller abgelehnten [X.]innen und [X.] hat Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt (vgl zu den Maßstäben letztens [X.] vom 21.11.2018 - 1 BvR 436/17 - juris RdNr 19; [X.] vom [X.] - 1 BvR 526/19 - juris RdNr 24 f), weshalb der Senat an die Verwerfung vorliegend entgegen § 557 Abs 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 [X.]G nicht gebunden ist (vgl nur B[X.] vom 2.11.2007 - B 1 KR 72/07 B - [X.] 4-1100 Art 101 [X.] RdNr 5; B[X.] vom [X.] R 230/17 B - juris RdNr 12).

5

Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung verkündete nach geheimer Beratung und Wiederaufruf der Sache der L[X.]-Senat zunächst ua die Entscheidung, dass der Antrag, die [X.] des Senats wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, verworfen werde. Gründe hierfür sind nach dem Protokoll, dass der Antrag unzulässig sei. Er differenziere nicht nach den Senatsmitgliedern und sei offensichtlich in der Absicht gestellt, das Verfahren zu verzögern. Anschließend verkündete der Senat das angegriffene Urteil.

6

Ob aber vorliegend eine Differenzierung nach den Senatsmitgliedern für die Zulässigkeit des offenkundig in der mündlichen Verhandlung vom Bevollmächtigten der Klägerin gestellten [X.] erforderlich gewesen ist, hängt maßgeblich von der Begründung des [X.] ab. Das Ablehnungsgesuch, über das der L[X.]-Senat ausweislich des Protokolls entschieden hat, und seine Begründung sind indes, anders als die Entscheidung über dieses Gesuch, nicht protokolliert worden. Auch der Verfahrensakte und dem Urteil ist hierzu nichts zu entnehmen. Dem erkennenden Senat ist hierdurch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde die Möglichkeit der Prüfung verwehrt, ob durch die als Verfahrensmangel gerügte Selbstentscheidung der abgelehnten [X.]innen und [X.] über das Ablehnungsgesuch die verfassungsrechtlichen Grenzen einer zulässigen Selbstentscheidung gewahrt worden sind.

7

Ausgehend von der Beschwerdebegründung und ausweislich des Protokolls könnte eine Ablehnung der [X.]bank insgesamt ("alle in der mündlichen Verhandlung anwesenden [X.]") hier deshalb zulässig gewesen sein, weil Ablehnungsgrund die zuvor in der mündlichen Verhandlung ergangenen Entscheidungen des gesamten L[X.]-Senats über ein vor der Verhandlung gestelltes Ablehnungsgesuch gegen namentlich benannte berufsrichterliche Mitglieder des L[X.]-Senats und über ein in der mündlichen Verhandlung gestelltes Ablehnungsgesuch gegen dessen Vorsitzenden gewesen sein dürften, mit denen diese als unzulässig verworfen worden sind; beide Ablehnungsgesuche wie deren Verwerfung sind der Verfahrensakte und dem Protokoll zu entnehmen. Über ein zulässiges Ablehnungsgesuch hätte aber grundsätzlich nicht durch eine Selbstentscheidung der abgelehnten [X.]innen und [X.] entschieden werden dürfen.

8

Letztlich kann und muss dies vorliegend offen bleiben, weil die Protokollierung des [X.] gegen den L[X.]-Senat und seiner Begründung unterblieben ist. Die Einhaltung oder Überschreitung der verfassungsrechtlichen Grenzen der zulässigen Selbstentscheidung über ein Ablehnungsgesuch lassen sich deshalb vorliegend durch das B[X.] nicht prüfen, was nicht zulasten der [X.] und einen Verfahrensmangel [X.] Klägerin gehen darf. Durch seine den Rechtsschutz erschwerende Verfahrensweise hat das L[X.] vorliegend entgegen den Anforderungen des Art 19 Abs 4 GG die Überprüfung seiner Entscheidung über das Ablehnungsgesuch auf Beachtung der für diese geltenden rechtlichen Grenzen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem B[X.] verhindert. Damit hat es zugleich die Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Rechts auf [X.] nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt (vgl B[X.] vom [X.] [X.]/19 B - juris RdNr 5 mwN).

9

Danach war das L[X.] bei seiner Entscheidung durch Urteil über die Berufung der Klägerin nicht vorschriftsmäßig besetzt. Denn eine grundlegende Verkennung von Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG führt ebenso wie Willkür bei der Behandlung von Ablehnungsgesuchen zur nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts mit den abgelehnten [X.]n und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrunds (§ 547 [X.] iVm § 202 Satz 1 [X.]G), bei dem eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen ist. Dieser die angefochtene Entscheidung des L[X.] insgesamt betreffende absolute Revisionsgrund führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 [X.]G). Die Verweisung an einen anderen Senat des L[X.] (§ 563 Abs 1 Satz 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 [X.]G) ist nicht geboten.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des L[X.] vorbehalten.

        

Behrend

Knorr 

Flint 

Meta

B 3 P 8/23 B

21.09.2023

Bundessozialgericht 3. Senat

Beschluss

Sachgebiet: P

vorgehend SG Schleswig, 8. November 2022, Az: S 32 P 94/20

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 202 S 1 SGG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 547 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 21.09.2023, Az. B 3 P 8/23 B (REWIS RS 2023, 7538)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7538

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1 BvR 526/19

1 BvR 436/17

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