Bundessozialgericht, Beschluss vom 09.04.2014, Az. B 14 AS 363/13 B

14. Senat | REWIS RS 2014, 6451

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Verletzung des Gebots des gesetzlichen Richters - nicht vorschriftsmäßige Besetzung der Richterbank - Selbstentscheidung des Richters über einen Befangenheitsantrag


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 27. März 2013 - L 11 AS 400/11 - aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Die Beschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] ([X.]) vom [X.] ist zulässig, denn er hat einen Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen [X.]s gemäß Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 [X.] Sozialgerichtsgesetz ).

2

Die Beschwerde ist insoweit auch begründet. Der gerügte Verfahrensfehler liegt vor. Das [X.] war bei seinem auf die mündliche Verhandlung vom [X.] ergangenen Urteil nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 547 [X.] Zivilprozessordnung iVm § 202 Satz 1 SGG). Denn an diesem Urteil hat ein [X.] mitgewirkt, den der Kläger zuvor in der mündlichen Verhandlung zwar erfolglos abgelehnt hatte, dessen Mitwirkung aber gleichwohl das Recht auf den gesetzlichen [X.] verletzt hat. Die Zurückweisung des diesen [X.] betreffenden [X.] hat Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt (vgl zu den Maßstäben [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] KR 68/09 B - juris RdNr 5, unter Hinweis auf [X.] 82, 286, 298; [X.] Beschluss vom 5.7.2005 - 2 BvR 497/03 - NVwZ 2005, 1304, 1307 f), weshalb der Senat an die Zurückweisung vorliegend entgegen § 557 Abs 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG nicht gebunden ist (vgl [X.]-1100 Art 101 [X.] RdNr 5 mwN).

3

Der vom Kläger abgelehnte Vorsitzende [X.] hat vor Verkündung des Urteils vom [X.] als Vorsitzender an dem in das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom [X.] aufgenommenen Beschluss - L 11 SF 81/13 AB - mitgewirkt, durch den der gegen ihn gerichtete Ablehnungsantrag wegen Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung abgewiesen worden ist, allein die Weigerung der Führung eines Wortprotokolls stelle keinen Grund für die Besorgnis der Befangenheit dar. Das Ablehnungsgesuch sei daher wegen verfahrensfremder Zwecke rechtsmissbräuchlich und die Ablehnung könne durch den Senat in dieser Besetzung erfolgen.

4

Diese Ausführungen des [X.] lassen die Einhaltung der engen Grenzen für eine Selbstentscheidung des abgelehnten [X.]s über den ihn betreffenden Befangenheitsantrag nicht erkennen. Art 101 Abs 1 Satz 2 GG lässt lediglich in dem Fall eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten [X.] eine Selbstentscheidung des abgelehnten [X.]s über das Gesuch zu. Entsprechend ist bei dem kollegial besetzten [X.] über ein Ablehnungsgesuch grundsätzlich ohne den abgelehnten [X.] von dem zuständigen Senat mit dem nach der Geschäftsverteilung berufenen Vertreter zu entscheiden. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass es nach der Natur der Sache an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines [X.]s fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine eigene angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste. Wie im Zivil- und Strafprozess ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren anerkannt, dass abweichend von dem aufgezeigten Grundsatz der Spruchkörper ausnahmsweise in alter Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten [X.]s nur über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheidet (vgl dazu im Einzelnen BSG Beschluss vom [X.] - [X.] KR 68/09 B - juris RdNr 8 ff mwN).

5

Vorliegend hat der abgelehnte Vorsitzende [X.] das gegen ihn gerichtete Befangenheitsgesuch mit anderen [X.]n zwar abgewiesen, weil er es wegen verfahrensfremder Zwecke für rechtsmissbräuchlich hielt. Aus der Begründung des Beschlusses vom [X.] ergibt sich indes zugleich, dass dieser Entscheidung eine Bewertung des Verhaltens des Vorsitzenden dahin zugrunde liegt, allein die Weigerung der Führung eines Wortprotokolls stelle keinen Grund für die Besorgnis der Befangenheit dar, zumal ein solches Wortprotokoll gesetzlich nicht vorgeschrieben sei und bis zur Ablehnung auch keine Weigerung erfolgt sei, Anträge und sonstige wesentliche Erklärungen des [X.] zu Protokoll zu nehmen. Damit wird das Selbstentscheidungsrecht der Sache nach auf einen Fall der mangelnden Begründetheit eines [X.] ausgedehnt. Denn dieses ist tragend mit dem Argument abgewiesen worden, der vom Kläger geltend gemachte Grund für die Besorgnis der Befangenheit liege nicht vor. Hierüber konnte der abgelehnte [X.] nicht entscheiden, ohne zugleich seine eigene Verhandlungsführung zu bewerten. Der den Ablehnungsantrag abweisende Beschluss geht damit in seiner Begründung zwar nicht auf den Gegenstand des Verfahrens ein, befasst sich aber mit der konkreten Verhandlungssituation und enthält insoweit eine Würdigung des eigenen Verhaltens des abgelehnten [X.]s. Es liegt deshalb eine unzulässige Entscheidung in eigener Sache vor und der hierin liegende Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen [X.]s wirkte in der Besetzung des [X.] bei seiner Endentscheidung fort.

6

Der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 547 [X.] ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG) führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 SGG). Die Verweisung an einen anderen Senat des [X.] (§ 563 Abs 1 Satz 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG) ist nicht geboten.

7

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des [X.] vorbehalten.

Meta

B 14 AS 363/13 B

09.04.2014

Bundessozialgericht 14. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Bayreuth, 12. April 2011, Az: S 15 AS 596/06

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 547 Nr 1 ZPO, § 557 Abs 2 ZPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 09.04.2014, Az. B 14 AS 363/13 B (REWIS RS 2014, 6451)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6451

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