Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.12.2012, Az. V ZB 118/12

5. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 627

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Gegenstand

Abschiebungshaft: Anforderungen an den Haftantrag


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des [X.] vom 12. Juni 2012 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 24. April 2012 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste am 24. April 2012 unerlaubt aus [X.] nach [X.] ein und wurde an der Grenze festgenommen. Die beteiligte Behörde entnahm der Datenbank EURODAC, dass der Betroffene in [X.] einen Asylantrag gestellt hatte, und erwirkte bei dem Amtsgericht noch am selben Tag die Anordnung einer Haft von sechs Wochen Dauer zur Sicherung der Zurückschiebung des Betroffenen "primär nach [X.]", aber auch in einen anderen [X.], in den er einreisen dürfe oder der ihn aufnehmen müsse. Das zuständige [X.] ersuchte am 25. April 2012 [X.] um Rücknahme des Betroffenen. Diese lehnte [X.] mit der Begründung ab, der Betroffene sei von [X.] aus illegal nach [X.] eingereist; [X.] habe sich zur Rücknahme bereit erklärt. Dorthin wurde der Betroffene am 22. Mai 2012 zurückgeschoben. Das [X.] hat die Beschwerde, mit welcher der Betroffene die Feststellung anstrebt, durch die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden zu sein, zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter.

II.

2

Das Beschwerdegericht hält die Haftanordnung für rechtmäßig. Ihr liege ein zulässiger Haftantrag zugrunde. Er enthalte insbesondere die notwendigen Angaben zur Durchführbarkeit der Zurückschiebung. Die Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 [X.] hätten vorgelegen. Der Betroffene sei unerlaubt eingereist. Er habe der beteiligen Behörde gegenüber unwahre Angaben gemacht, woraus zu entnehmen sei, dass er sich der Zurückschiebung habe entziehen wollen. Mit deren Vollzug sei innerhalb weniger Wochen zu rechnen gewesen. Die beteiligten Behörden hätten die Zurückschiebung auch beschleunigt betrieben.

III.

3

Diese Erwägungen halten in einem entscheidenden Punkt einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Haftanordnung war rechtswidrig, weil ihr kein zulässiger Haftantrag zugrunde lag. Dieser Fehler ist im weiteren Verfahren nicht geheilt worden.

4

1. Das Vorliegen eines zulässigen [X.] ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - [X.], [X.] 2010, 210, 211, Rn. 12; Beschluss vom 22. Juli 2010 - [X.] 2810, NVwZ 2010, 1511, 1512, Rn. 7). Der Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG begründet werden. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des [X.] (Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - [X.] 21809, aaO, Rn. 14; Beschluss vom 22. Juli 2010 - [X.] 2810, aaO, Rn. 8; Beschluss vom 7. April 2011 - [X.] 13310, juris Rn. 7).

5

2. Zu den Angaben zur Durchführbarkeit der Zurückschiebung gehören nicht nur konkrete, auf den [X.] bezogene Angaben dazu, welchen Zeitraum eine Zurückschiebung dorthin regelmäßig in Anspruch nimmt (Senat, Beschluss vom 31. Mai 2012 - [X.] 16711, NJW 2012, 2448 Rn. 10). Vielmehr muss bei einer Zurückschiebung nach der [X.] (Verordnung [EG] Nr. 3432003 des Rates vom 18. Februar 2003, [X.]. [X.]) auch ausgeführt werden, dass und weshalb der [X.] - hier [X.] - nach der Verordnung zur Rücknahme verpflichtet ist (Senat, Beschluss vom 31. Mai 2012 - [X.] 16711, NJW 2012, 2448 Rn. 10 mit Beschluss vom 29. September 2010 - [X.] 23310, juris Rn. 13, insoweit in NVwZ 2011, 320 nicht abgedruckt). Das wiederum bestimmt sich wesentlich danach, in welchem in der [X.] vorgesehenen Verfahren die Zurückschiebung erfolgen soll, insbesondere ob eine Aufnahme nach Art. 10, 16 Abs. 1 Buchstabe a der [X.] oder eine Wiederaufnahme nach Art. 4 Abs. 5 oder Art. 16 Abs. 1 Buchstabe c bis e jeweils in Verbindung mit Art. 20 [X.] betrieben werden soll. Demgemäß kann der [X.] in die Prüfung, ob eine Zurückweisung in den angegebenen [X.] durchführbar ist, erst eintreten, wenn ihm mitgeteilt wird, welches Verfahren zur Durchführung der Zurückschiebung beabsichtigt ist.

6

3. Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag nicht.

7

a) Die beteiligte Behörde hat zwar angegeben, dass eine Zurückschiebung nach [X.] nach ihren Erfahrungen im Durchschnitt 31 Tage, längstens 43 Tage, in Anspruch nehme. Sie hat auch mitgeteilt, sie habe dem [X.] entnommen, dass der Betroffene in [X.] am 19. November 2011 einen Asylantrag gestellt habe. Daraus ergebe sich, dass [X.] für die Antragsbearbeitung zuständig sei. Das genügt aber nicht.

8

b) Dem Haftantrag lässt sich nicht entnehmen, in welchem Verfahren die Zurückschiebung betrieben werden soll. Der Hinweis auf die Bearbeitungszuständigkeit deutet eher auf ein Aufnahmeverfahren hin, während die Angabe in dem [X.] auch das Wiederaufnahmeverfahren zuließe, das später tatsächlich gewählt worden ist. Die Entscheidung darüber, ob eine Aufnahme oder eine Wiederaufnahme beantragt wird, obliegt allerdings dem zuständigen [X.]. Ohne Information darüber kann der [X.] indessen nicht prüfen, ob der [X.] den Betroffenen zurücknehmen muss und eine Zurückschiebung gelingen kann. Diese Angabe muss deshalb bei dem [X.] abgefragt und in dem Haftantrag mitgeteilt werden. Wenn die Umstände eine vorherige Rückfrage bei dem [X.] nicht zuließen und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden bestand, musste sich die beteiligte Behörde zunächst darauf beschränken, eine vorläufige Freiheitsentziehung gemäß § 427 FamFG zu beantragen (Senat, Beschluss vom 31. Mai 2012 - [X.] 16711, NJW 2012, 2448 Rn. 10 [X.]). Das ist nicht geschehen.

9

c) Der Mangel des [X.] wäre zwar - mit Wirkung für die Zukunft - geheilt worden, wenn die beteiligte Behörde die fehlenden Angaben rechtzeitig nachgeholt und der Betroffene Gelegenheit erhalten hätte, dazu in einer persönlichen Anhörung Stellung zu nehmen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. September 2011 - [X.] 6111, juris Rn. 8; Beschluss vom 6. Oktober 2011 - [X.] 18811, juris Rn. 12 f.). Dazu ist es aber nicht gekommen. Die beteiligte Behörde hat ihren Schriftsatz mit den erforderlichen Angaben erst am 21. Mai 2012 bei dem Amtsgericht eingereicht. Zu diesem ist der Betroffene nicht mehr persönlich gehört worden, weil er tags darauf nach [X.] zurückgeschoben worden ist, das für die Bearbeitung seines Asylantrags zuständig ist, weil er dort erstmals unerlaubt in die [X.] eingereist ist.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 83 Abs. 2, § 81 Abs. 1, § 430 FamFG und Art. 5 [X.] analog. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.

Stresemann                               [X.]                               Schmidt-Räntsch

                           Czub                                Kazele

Meta

V ZB 118/12

06.12.2012

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Passau, 12. Juni 2012, Az: 2 T 75/12, Beschluss

§ 62 Abs 3 S 1 Nr 1 AufenthG, § 62 Abs 3 S 1 Nr 5 AufenthG, Art 4 Abs 5 EGV 343/2003, Art 10 EGV 343/2003, Art 16 Abs 1 EGV 343/2003, Art 20 EGV 343/2003

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.12.2012, Az. V ZB 118/12 (REWIS RS 2012, 627)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 627

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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