Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.05.2011, Az. VII ZB 25/10

VII. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 6975

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BUNDESGERICHTSHOF [X.]/10
vom 5. Mai 2011 in dem Zwangsvollstreckungsverfahren

- 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 5. Mai 2011 durch den Vorsitzenden [X.] Prof. Dr. [X.], den [X.] [X.], die [X.]in [X.], den [X.] [X.] und den [X.] Prof. [X.] beschlossen: Die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss der 23. Zivilkammer des [X.] vom 11. März 2010 wird zurückgewiesen. Die Gläubigerin hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen. Gründe: [X.] Die Gläubigerin, eine Oberjustizkasse, betreibt als [X.] die Beitreibung von Justizkostenforderungen des [X.] N.

in Höhe von 7.211,70 • gegen den Schuldner, einen Strafgefange-nen. Dieser macht wegen behaupteter menschenunwürdiger Haftunterbringung Schadensersatzansprüche gegen das Land geltend. 1 Die Gläubigerin hat als Vollstreckungsbehörde am 29. Mai 2009 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, mit dem die angebliche For-derung des Schuldners an das Land als Drittschuldnerin auf Auszahlung von Beträgen aus 2 - 3 - fi1. allen gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüchen gegen das [X.]

aufgrund seiner tatsächlichen Unter-bringung oder Unterbringungen in [X.] des [X.], 2. allen gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüchen gegen das [X.]

aufgrund der Rechtsverfolgung der in Ziffer 1 genannten Forderungen (insbesondere Rechtsanwalts- und Gerichtskosten)fi gepfändet und zur Einziehung überwiesen worden ist. Auf die Erinnerung des Schuldners hat das Amtsgericht diesen [X.] und Überweisungsbeschluss aufgehoben. Die dagegen eingelegte [X.] Beschwerde der Gläubigerin hatte keinen Erfolg. Mit der Rechtsbe-schwerde will die Gläubigerin weiterhin die Pfändung und Überweisung der in dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 29. Mai 2009 genannten Forderungen des Schuldners erreichen. 3 I[X.] A. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Ihr fehlt insbesondere nicht das Rechtsschutz-bedürfnis. Die vom Amtsgericht erfolgte Aufhebung des [X.] vom 29. Mai 2009 ist zwar sofort wirksam geworden ([X.], Urteil vom 9. Juni 1976 - [X.]I ZR 19/75, [X.]Z 66, 394); der ursprüngli-che Pfändungs- und Überweisungsbeschluss kann daher nicht wiederherge-stellt werden. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch mit dem Ziel zulässig, eine [X.] - 4 - streckung mit neuem Rang zu ermöglichen (vgl. KG, [X.] 1982, 75; [X.], Rpfleger 1986, 229; Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl., Rn. 743). 5 B. In der Sache hat die Rechtsbeschwerde jedoch keinen Erfolg. 6 1. Das Beschwerdegericht sieht mit dem Amtsgericht die beabsichtigte Zwangsvollstreckung als unzulässig an. Der [X.] habe mit Urteil vom 1. Oktober 2009 ([X.], [X.]Z 182, 301) entschieden, dass es der Justizverwaltung unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung grundsätzlich verwehrt sei, gegenüber dem Anspruch eines Strafgefangenen auf Geldentschädigung wegen einer Unterbringung im Strafvollzug unter men-schenunwürdigen Bedingungen mit einer Gegenforderung auf Erstattung [X.] Kosten des Strafverfahrens aufzurechnen. Die zu dieser Entscheidung ge-troffenen Erwägungen ließen sich uneingeschränkt auf die Frage der [X.] wegen bestehender Verfahrenskosten-forderungen des [X.] übertragen. 2. Das hält der rechtlichen Überprüfung stand. 7 a) Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde allerdings darauf hin, dass der Gläubiger grundsätzlich die Möglichkeit hat, eine dem Schuldner gegen ihn zu-stehende Forderung zu pfänden ([X.], ZPO, 22. Aufl., § 829 Rn. 124; [X.]/Walker/[X.], Vollstreckung und vorläufiger Rechts-schutz, 4. Aufl., § 829 ZPO Rn. 11; PG/[X.], ZPO, 3. Aufl., § 829 Rn. 21; Musielak/[X.], ZPO, 8. Aufl., § 829 Rn. 14; [X.]/[X.]/ [X.]/[X.], ZPO, 69. Aufl., § 829 Rn. 38). Er kann aufgrund der Pfän-dung und Überweisung in der Regel selbst die Aufrechnung mit der ihm gegen den Schuldner zustehenden Forderung erklären. Ob dies auch möglich ist, 8 - 5 - wenn der Gläubiger ohne die Pfändung und Überweisung wegen eines mate-riellen [X.] nicht aufrechnen konnte, ist umstritten (vgl. die Nachweise bei [X.]/[X.], BGB [2006], § 393 Rn. 2). 9 b) Der [X.] muss dieser Frage nicht nachgehen. Denn rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht entschieden, dass bei dem hier vorliegenden Sach-verhalt gemäß dem auch für das Prozessrecht Geltung beanspruchenden § 242 BGB ([X.], Beschluss vom 10. Mai 2007 - [X.], [X.]Z 172, 218, 222 m.w.N.) bereits die Pfändung des Anspruchs ausgeschlossen ist. Denn die Pfändung des Geldentschädigungsanspruchs wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen erweist sich unter Berücksichtigung der Funktion und des Zwecks dieses Anspruchs und der Eigenart des zwischen dem Schuldner und dem [X.]

bestehenden Rechtsverhältnisses als unzuläs-sige Rechtsausübung. [X.]) Steht einem Strafgefangenen ein Anspruch auf Geldentschädigung für immaterielle Schäden infolge menschenunwürdiger Haftbedingungen gegen den St[X.]t zu, ist nach der Rechtsprechung des [X.] (Urteil vom 1. Oktober 2009 - [X.], [X.]Z 182, 301, 304) eine Aufrechnung des St[X.]tes mit Gegenforderungen gemäß § 242 BGB unzulässig. Der Anspruch des Strafgefangenen auf Geldentschädigung leitet sich aus dem Schutzauftrag der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG ab. Er hat neben der Genugtuung für den Verletzten auch den Zweck einer wirksamen Sanktion und Prävention in dem Sinne, dass der verpflichtete St[X.]t dazu angehalten wird, menschenunwürdige Haftbedingungen von vornherein zu vermeiden oder aber zumindest alsbald zu beseitigen und nicht länger fortdauern zu lassen ([X.], Urteil vom 1. Oktober 2009 - [X.], [X.]O, S. 304 f.; Urteil vom 4. November 2004 - [X.], [X.]Z 161, 33, 35 ff.). Diesen Zweck kann der Geldentschädigungsanspruch wirksam nur erfüllen, wenn er für den ersatz-10 - 6 - pflichtigen St[X.]t spürbare Auswirkungen hat. Dies ist nicht der Fall, wenn die Forderungen, mit denen der St[X.]t aufrechnen möchte, bei wirtschaftlicher Be-trachtung wertlos sind, weil - wie in vielen Fällen - der Strafgefangene vermö-genslos ist ([X.], Urteil vom 1. Oktober 2009 - [X.], [X.]O, [X.]). 11 [X.]) Aus den gleichen Erwägungen ist dem St[X.]t auch die Pfändung ei-nes gegen ihn gerichteten Anspruchs eines Strafgefangenen auf Geldentschä-digung wegen immaterieller Schäden infolge menschenunwürdiger [X.] zu versagen. Eine Zulassung der Pfändung eines aus einer mensch-unwürdigen Haftunterbringung herrührenden [X.] zur Befriedigung offener Verfahrenskosten würde - worauf die Rechtsbeschwerde-erwiderung zu Recht hinweist - die Funktion der Genugtuung, der Sanktion und der Prävention ebenso ins Leere laufen lassen wie die Zulassung einer [X.]. Denn mit dem Zugriff auf die Forderung des Strafgefangenen würden deren nachteilige Wirkungen verblassen. Der St[X.]t würde sich auf diese Weise eine Befriedigung der wirtschaftlich wertlosen Forderung verschaffen und gleichzeitig den mit der Zuerkennung des [X.] verfolgten Zweck umgehen. Letztlich träten nach der aufgrund einer Pfändung und [X.] zur Einziehung regelmäßig erfolgenden Aufrechnung des Gläubigers mit dem Entschädigungsanspruch lediglich mit zeitlicher Verzögerung die wirt-schaftlichen Folgen der unzulässigen Aufrechnung mit den [X.] ein. cc) [X.] erstreckt sich - wie das Beschwerdegericht zu Recht angenommen hat - auch auf die aus der Rechtsverfolgung der [X.] erwachsenen Ansprüche, insbesondere die Rechtsanwalts- und Gerichtskosten. Werden mit dem [X.] - wie hier - Zwecke der Sanktion und der Prävention verfolgt, muss sich wegen der engen materiel-len Verbindung mit der Hauptforderung das Pfändungsverbot auch auf die [X.] - 7 - ten der Rechtsverfolgung erstrecken (vgl. auch [X.], Urteil vom 24. März 2011 - [X.], [X.], 756 Rn. 47 f.). Mit entsprechenden Erwägungen hat der [X.] bereits entschieden, dass sich das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO auch auf Ansprüche auf Erstattung von Prozesskosten erstreckt, wenn diese Folge der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung sind ([X.], Beschluss vom 10. März 2011 - [X.] ZB 70/08, in juris Rn. 16). c) Die gegen dieses Ergebnis von der Rechtsbeschwerde erhobenen Einwände greifen nicht. 13 [X.]) Aus Entscheidungen, in denen der [X.] die Pfändung einer Forderung für möglich gehalten hat, gegen die der Gläubiger materiell-rechtlich nicht aufrechnen durfte (vgl. [X.], Urteil vom 24. Juni 1985 - [X.], [X.]Z 95, 109, 115), lässt sich nicht ableiten, dass die beab-sichtige Pfändung und Überweisung der Forderung auch bei dem hier gegebe-nen Sachverhalt zulässig sein müsste. Denn der vorliegende Sachverhalt un-terscheidet sich von diesen Fällen dadurch, dass der zu pfändende Anspruch insbesondere auch der Sanktion und Prävention dient und aus einer Verletzung eines besonderen Rechtsverhältnisses zwischen dem Strafgefangenen und dem St[X.]t hergeleitet wird, das dem St[X.]t besondere Fürsorgepflichten aufer-legt (vgl. [X.], Urteil vom 1. Oktober 2009 - [X.], [X.]Z 182, 301 Rn. 14). Eine solche Grundlage hat auch der von der Rechtsbeschwerde ver-gleichsweise herangezogene Schmerzensgeldanspruch nicht. Aus dem glei-chen Grund kommt es auch nicht darauf an, dass die Pfändung einer Forderung aus unerlaubter Handlung möglich ist. 14 [X.]) Ohne Belang ist, ob und inwieweit eine Pfändung stattfinden kann, wenn die Entschädigungsforderung des Schuldners befriedigt worden ist. Selbst wenn dann ein uneingeschränkter Zugriff von Gläubigern stattfinden könnte, 15 - 8 - führte dies entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zu wider-sprüchlichen Ergebnissen. Solche hätten ihren Grund in den Pfändungsvor-schriften. Diese untersagen es der Gläubigerin wegen der unzulässigen Rechtsausübung, auf die Forderung des Schuldners im Wege der [X.] zuzugreifen. 16 3. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. [X.] Kuffer [X.] [X.] [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 30.12.2009 - 15 M 2263/09 - [X.], Entscheidung vom 11.03.2010 - 23 T 58/10 -

Meta

VII ZB 25/10

05.05.2011

Bundesgerichtshof VII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.05.2011, Az. VII ZB 25/10 (REWIS RS 2011, 6975)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6975

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IX ZR 180/10

VII ZB 70/08

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