OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.02.2023, Az. 26 Sch 11/22

26. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 1050

SCHIEDSGERICHTSBARKEIT ZUSTELLUNG VOLLSTRECKBARERKLÄRUNG SCHIEDSRICHTERLICHES VERFAHREN SCHIEDSGERICHTLICHES VERFAHREN

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs


Leitsatz

Das schlichte Nichtabholen bei der Post zur Abholung bereitliegender Sendungen stellt im Anwendungsbereich des Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 noch keine treuwidrige Zugangsvereitelung dar.

Tenor

1. [X.] bei der [X.] und der Agrarkammer der [X.] vom 6. Mai 2021, Aktenzeichen: ..., der folgenden Wortlaut hat:

1. Die Antragsgegnerin wird verurteilt, der Antragstellerin den Betrag von € 116.640,52 mit einem Zins von 8,25 % jährlich aus dem Betrag von € 116.540,52 vom 3. Dezember 2020 bis zur Bezahlung und an Verfahrenskosten den Betrag von 296.306,00 CZK zu zahlen, alles binnen 15 Tagen nach Zugang dieses Schiedsspruchs.

2. Dieser Schiedsspruch ist endgültig. Mit Zugang an die Parteien erlangt er die Wirkungen einer rechtskräftigen Entscheidung und ist gerichtlich vollstreckbar,

wird für vollstreckbar erklärt.

2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Dieser Beschluss ist vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert wird auf € 116.640,52 festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten um die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs.

2

Beide Parteien erbringen gewerbliche Baudienstleistungen. Der Schwerpunkt der Tätigkeit der Antragsgegnerin liegt in dem Erbringen von Elektro- und Netzwerkinstallationen. Die Parteien schlossen am 11. Januar 2016 einen Rahmenvertrag ([[[X.].].] 5 ff. d. A.) über die Zusammenarbeit bei der Erbringung derartiger Dienstleistungen gegenüber Dritten.

3

In diesem Rahmenvertrag wird als Sitz der Antragstellerin „[[[X.].].], [[[X.].].]“ angegeben.

4

Bestandteil dieses Rahmenvertrages war eine Schiedsklausel (Ziffer 15.6). Danach sollten Streitigkeiten im Zusammenhang mit Ansprüchen aus diesem [[[X.].].] der [[[X.].].] verhandelt und entschieden werden.

5

Nach Ziff. 15.5 Satz 1 unterliegen der Rahmenvertrag und sämtliche hiermit im Zusammenhang stehende Ansprüche und Verpflichtungen dem Recht der [[[X.].].], unter Ausschluss des UN-Kaufrechts.

6

Ende 2020 wandte sich die Antragstellerin mit einem Schiedsantrag an das oben genannte Schiedsgericht. Die betreffende [[[X.].].] wurde dort unter dem Aktenzeichen ... geführt.

7

Am 6. Mai 2021 erging in jenem Verfahren ein Schiedsspruch. Im Rubrum des Schiedsspruchs wird als Sitz der Antragstellerin „[[X.].], [[X.].], PLZ ..., [[X.].]“ angegeben.

8

Das Schiedsgericht verurteilte die Antragsgegnerin, der Antragstellerin einen Betrag in Höhe von € 116.640,52 zuzüglich Zinsen in Höhe von 8,25 % jährlich aus diesem Betrag für den Zeitraum vom 3. Dezember 2020 bis zur Bezahlung sowie Verfahrenskosten in Höhe von CZ[[X.].]96.306,00 zu zahlen, jeweils binnen 15 Tagen nach Zugang des Schiedsspruchs. Ziff. 2 des Tenors des Schiedsspruchs lautete: „Dieser Schiedsspruch ist endgültig. Mit Zugang an die Parteien erlangt er die Wirkungen einer rechtskräftigen Entscheidung und ist gerichtlich vollstreckbar“.

9

Zur Begründung führte das Schiedsgericht u. a. aus, dass die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin Leistungen erbracht habe. Hinsichtlich der diesbezüglichen Rechnungen der Antragstellerin sei noch ein Gesamtbetrag in Höhe von € 116.640,52 offen ([[X.].]. 6 des Schiedsspruchs). Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Schiedsgerichts wird auf den als Anlage [[X.].] im Original zu den Akten gereichten Schiedsspruch Bezug genommen ([[[X.].].] 28 ff. d. A.).

10

Die Antragsgegnerin erbrachte keine Zahlungen auf diese Forderung. Stattdessen erhob sie vor dem [[X.].] gegen die Antragstellerin Klage, die dort unter dem Aktenzeichen ... geführt wurde.

11

Mit Versäumnisurteil vom 24. Januar 2022 ([[[X.].].] 55 f. d. A.) stellte das [[X.].] in jenem Verfahren antragsgemäß fest, dass die Entscheidung des Schiedsgerichts bei der Wirtschaftskammer der [[[X.].].] und der Agrarkammer der [[[X.].].] vom 6. Mai 2021 „für die Parteien keine Rechtskraft entfaltet“ (Ziff. 1 des Tenors). Zugleich stellte das [[X.].] fest, dass der durch die Antragstellerin „geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von € 116.640,52 verjährt ist“ (Ziff. 2 des Tenors). Die Einspruchsfrist wurde auf einen Monat festgesetzt (Ziff. 4 des Tenors).

12

Im Rubrum dieses Versäumnisurteils wird als Sitz der Antragstellerin „[[[X.].].], [[[X.].].]“ angegeben.

13

Auf der dem Senat vorliegenden Ausfertigung des Versäumnisurteils der 6. Zivilkammer des [[X.].]s Kassel findet sich ein Stempelaufdruck, ausweislich dessen das Versäumnisurteil an die Beklagte - also die hiesige Antragstellerin - am 31. März 2022 zugestellt worden sein soll. Das Versäumnisurteil enthielt im [[X.].] an den Tenor weder einen Tatbestand noch Entscheidungsgründe, sondern lediglich eine Rechtsmittelbelehrung, nach der der Einspruch innerhalb von „zwei Wochen“ bei dem [[X.].] einzulegen sei.

14

Die Antragstellerin legte Ende November 2022 beim [[X.].] gegen das Versäumnisurteil Einspruch ein und beantragte mit dem Hinweis, dass bereits die Klageschrift nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei, hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das [[X.].] hat Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch auf den 22. Februar 2023, 9:00 Uhr, bestimmt.

15

Die Antragstellerin ist der Ansicht, die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Schiedsspruchs lägen vor. Das Versäumnisurteil des [[X.].]s Kassel sei nicht rechtskräftig geworden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Antragstellerin wird auf die Anwaltsschriftsätze vom 17. August 2022 ([[[X.].].] 2 ff. d. A.), vom 3. November 2022 ([[[X.].].] [[X.].]) sowie vom 6. Februar 2023 ([[[X.].].] 89 ff. d. A.) Bezug genommen.

16

Die Antragstellerin beantragt,

den Schiedsspruch des Schiedsgerichts bei der Wirtschaftskammer der [[[X.].].] und der Agrarkammer der [[[X.].].] vom 6. Mai 2021, Aktenzeichen: ..., der folgenden Wortlaut hat:

1. Die Antragsgegnerin wird verurteilt, der Antragstellerin den Betrag von € 116.640,52 mit einem Zins von 8,25% jährlich aus dem Betrag von € 116.540,52 vom 3. Dezember 2020 bis zur Bezahlung und an Verfahrenskosten den Betrag von 296.306,-- CZK zu zahlen, alles binnen 15 Tagen nach Zugang dieses Schiedsspruchs.

2. Dieser Schiedsspruch ist endgültig. Mit Zugang an die Parteien erlangt er die Wirkungen einer rechtskräftigen Entscheidung und ist gerichtlich vollstreckbar,

für vollstreckbar zu erklären.

17

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag „gemäß Schriftsatz vom 17. August 2022 auf Vollstreckbarerklärung der Entscheidung des Schiedsspruchs des Schiedsgerichts bei der Wirtschaftskammer der [[[X.].].] und der Agrarkammer der [[[X.].].] vom 6. Mai 2021, Aktenzeichen: ...“ zurückzuweisen.

18

Sie ist der Ansicht, das Versäumnisurteil in dem Rechtsstreit vor dem [[X.].] mit dem Aktenzeichen ... sei rechtskräftig; daraus folge, dass der Antrag auf Vollstreckbarerklärung zurückzuweisen sei.

19

Wegen der näheren Einzelheiten der Argumentation der Antragsgegnerin wird auf den [[X.].] vom 28. Oktober 2022 ([[[X.].].] 53 f. d. A.) verwiesen.

II.

20

Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung des ausländischen Schiedsspruchs ist zulässig (1) und begründet (2).

21

1. Der Senat ist für die Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung gemäß den §§ 1061, 1025 Abs. 4, 1062 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 ZPO zuständig, da die Antragsgegnerin ihren Sitz in [[X.].] und damit im Bezirk des hiesigen [[X.].] hat.

22

Die formellen Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung sind erfüllt.

23

Der tschechischsprachige Schiedsspruch wurde im Original vorgelegt.

24

Im Übrigen sind die Existenz der [[X.].] und des Schiedsspruchs selbst zwischen den Parteien unstreitig (vgl. zur Bedeutung dieser Umstände etwa [[X.].], in: [[X.].], ZPO, 34. Aufl. 2022, [[[X.].].] § 1061, Art. IV [[X.].], Rdnr. 2 m. w. N.).

25

Auch steht der Zulässigkeit des Antrags auf Vollstreckbarerklärung nicht der Einwand der entgegenstehenden Rechtskraft entgegen.

26

Allerdings verbietet die materielle Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung - als negative Prozessvoraussetzung - eine neue Verhandlung über denselben Streitgegenstand (ne bis in idem; vgl. etwa [[X.].], Urteil vom 19.11.2003 - [[X.].]/03 -, [[X.].]Z 157, 47, 50 f.; Urteil vom 24.01.2008 - [[X.].]/07 -, NJW-RR 2008, 762). Unzulässig ist deshalb eine erneute Klage, deren Streitgegenstand mit dem eines rechtskräftig entschiedenen Rechtsstreits identisch ist (vgl. etwa [[X.].], Urteil vom 24.01.2008 - [[X.].]/07 -, NJW-RR 2008, 762).

27

Indes ist der Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens mit dem Streitgegenstand des vor dem [[X.].] unter dem Aktenzeichen ... geführten Verfahrens nicht identisch.

28

Der Streitgegenstand besteht aus dem Klageantrag, der die Rechtsfolge konkretisiert, und aus dem Lebenssachverhalt, dem [[X.].], aus dem die Rechtsfolge hergeleitet wird. Zum Anspruchs- oder Klagegrund gehören alle Tatsachen, die „bei natürlicher Betrachtungsweise“ aus der Sicht der Parteien den Sachverhalt ausmachen, den der Kläger dem Gericht zur Begründung seines Begehrens vorträgt (vgl. etwa [[X.].], Urteil vom 20.03.2000 - [[X.].] -, NJW 2000, 1958). Im vorliegenden Verfahren ist der Antrag der Antragstellerin darauf gerichtet, den im Antrag näher bezeichneten ausländischen Schiedsspruch für vollstreckbar zu erklären, um ihm so inländische Beachtlichkeit zu verschaffen (vgl. [[X.].], in: [[X.].]ener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1061, Rdnr. 1).

29

Der von der Antragsgegnerin in dem vor dem [[X.].] geführten Verfahren ... gestellte Antrag zu 1 will hingegen erreichen, dass der Schiedsspruch zwischen den Parteien „keine Rechtskraft [mehr] entfaltet“. Der Antrag zu 1 in dem Verfahren ... greift also nach seinem Wortlaut über die [[X.].] Rechtsordnung hinaus und zielt auf eine Feststellung ab, die in jeder Rechtsordnung Beachtung finden soll.

30

Auch in Bezug auf den Antrag zu 2 in dem Verfahren ... ist der Streitgegenstand nicht mit dem Streitgegenstand des hiesigen Verfahrens identisch, da sich der Antrag zu 2 gar nicht zu den Wirkungen des Schiedsspruchs, sondern allein zu der materiell-rechtlichen Frage der Verjährung eines Anspruchs in Höhe von € 116.640,52 verhält.

31

Der Zulässigkeit des Antrags auf Vollstreckbarerklärung steht auch nicht etwa der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) entgegen. Der Einwand der Rechtshängigkeit setzt voraus, dass das neue Verfahren nach Rechtsschutzziel und Klagegrund denselben Streitgegenstand betrifft (vgl. etwa [[X.].], in: [[X.].]/[[X.].] (Hrsg.), ZPO, 19. Aufl. 2022, § 261, Rdnr. 10). Wie gezeigt, fehlt es daran hier jedoch.

32

2. Auch die materiellen Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs liegen vor. [[X.].] nach Art. [[X.].] 1 des Übereinkommens vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche - [[X.].] - sind nicht gegeben.

33

Der Anerkennung steht auch nicht etwa entgegen, dass der Senat in Bezug auf die Wirkungen des Schiedsspruchs für die Parteien an einer abweichenden Beurteilung einer rechtskräftig entschiedenen (Vor-)Frage gehindert wäre.

34

Hat ein Gericht in einem Rechtsstreit den Streitgegenstand eines rechtskräftig entschiedenen [[X.].] erneut zu prüfen, dann hat es allerdings den Inhalt der rechtskräftigen Entscheidung seinem Urteil zugrunde zu legen (vgl. etwa [[X.].], Urteil vom 24.06.1993 - [[X.].] -, NJW 1993, 3204, 3205; Vollkommer, in: [[X.].], ZPO, 34. Aufl. 2022, vor § 322, Rdnr. 24). Die Rechtskraft beschränkt sich dabei auf die Rechtsfolge, die den Entscheidungssatz bildet, den das Gericht aus dem Sachverhalt durch dessen Subsumtion unter das objektive Recht erschlossen hat (vgl. [[X.].], Urteil vom 24.06.1993 - [[X.].] -, NJW 1993, 3204, 3205).

35

Im Streitfall fehlt es indes bereits an einer entsprechenden rechtskräftigen Entscheidung. Das Versäumnisurteil des [[X.].]s Kassel in dem Verfahren ... ist nicht in Rechtskraft erwachsen. Der Einspruch der hiesigen Antragstellerin gegen dieses Versäumnisurteil ist nicht verfristet.

36

Zwischen den Parteien steht nicht im Streit, dass der die Übersendung des Versäumnisurteils betreffende Rückschein einen Aufkleber mit dem Vermerk enthält, dass die Sendung nicht abgeholt worden ist.

37

Die Frage, wann das Versäumnisurteil des [[X.].] der Antragstellerin zugestellt worden ist, beurteilt sich nach § 1068 Abs. 1 ZPO a. F. in Verbindung mit Art. 14 der Verordnung ([[X.].]) Nr. 1393/2007. Das am 1. Juli 2022 in [[[X.].].] getretene „Gesetz zur Durchführung der [[X.].] über grenzüberschreitende Zustellungen und grenzüberschreitende Beweisaufnahmen in Zivil- oder Handelssachen, zur Änderung der Zivilrechtshilfe, des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, zur Anpassung von Rechtsvorschriften zum Verbraucherschutz und zur Verbraucherrechtsdurchsetzung sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften“ findet auf den Streitfall noch keine Anwendung, weil der Zustellungsversuch durch das [[X.].] bereits im Januar 2022 erfolgte. Aus diesem Grunde findet auch die Verordnung ([[X.].]) 2020/1784 des [[X.].] und des Rates vom 25. November 2020 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten hier keine Anwendung, da diese erst ab dem 1. Juli 2022 gilt (Art. 37 Abs. 2 der Verordnung ([[X.].]) 2020/1784).

38

Nach § 1068 Abs. 1 ZPO a. F. genügte zum Nachweis der Zustellung nach Art. 14 der Verordnung ([[X.].]) Nr. 1393/2007 der Rückschein oder der gleichwertige Beleg.

39

Im Streitfall vermag der Rückschein die Zustellung im Sinne der § 1068 Abs. 1 ZPO, Art. 14 der Verordnung ([[X.].]) Nr. 1393/2007 gerade nicht nachzuweisen, weil der Rückschein lediglich einen Aufkleber mit dem Vermerk enthält, dass die Sendung nicht abgeholt worden ist.

40

Die Antragstellerin muss nicht sich auch nicht so behandeln lassen, als hätte sie das Schriftstück erhalten. Anknüpfungspunkt, die Adressatin einer nicht zugegangenen Sendung zu behandeln, als sei ihm diese zugegangen, kann allein die Erwägung sein, dass die Adressatin den Zugang treuwidrig verhindert hat. Dementsprechend sanktioniert im nationalen Recht § 179 ZPO die unberechtigte Annahmeverweigerung als einen Fall der dolosen Zugangsvereitelung.

41

Das schlichte Nichtabholen bei der Post zur Abholung bereitliegender Sendungen stellt jedoch im Anwendungsbereich des Art. 14 der Verordnung ([[X.].]) Nr. 1393/2007 noch keine treuwidrige Zugangsvereitelung dar (vgl. etwa [[X.].], Beschluss vom 31.03.2010 - 5 W 62/09 -, [[X.].] 2010, 2518, 2520; Halfmeier, in: [[X.].] (Hrsg.), ZPO, 8. Aufl. 2016, [[[X.].].]ang nach § 1071: Art. 14 VO 1393/2007, Rdnr. 4; [[X.].], [[X.].] 2011, 287, 289). Die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1393/2007 sollen nämlich u. a. einen angemessenen Schutz der Verteidigungsrechte des Empfängers der darin geregelten Schriftstücke gewährleisten, indem „ein tatsächlicher und wirksamer Empfang der Schriftstücke“ vorausgesetzt wird (vgl. etwa [[X.].], Urteil vom 02.03.2017 - [[X.].]/15 ([[X.].]/[[X.].]) -, [[X.].] 2017, 344, 347, [[X.].]. 72).

42

Die in einem schlichten Nichtabholen möglicherweise liegende Nachlässigkeit ist daher vielmehr erst bei Hinzutreten weiterer Umstände treuwidrig. Für derartige Umstände ist hier jedoch nichts vorgetragen oder sonst erkennbar. Im Gegenteil: Es steht zwischen den Parteien nicht im Streit, dass sich der Sitz der Antragsgegnerin im Zeitpunkt des Zustellungsversuchs schon seit geraumer Zeit nicht mehr in [[[X.].].] befand. Davon hatte die Antragsgegnerin auch Kenntnis, da der Schiedsspruch vom 6. Mai 2021 im Rubrum deutlich hervorgehoben den aktuellen Sitz der Antragstellerin in [[X.].] auswies. Vor diesem Hintergrund begründet es unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine treuwidrige Zugangsvereitelung, dass die Antragstellerin die Sendung mit dem Versäumnisurteil nicht abgeholt hat.

43

Auf die Frage, ob eine treuwidrige [X.] im Streitfall auch deshalb ausscheidet, weil die Benachrichtigung der Antragstellerin möglichweise keinen Hinweis auf den Inhalt der bei der Post lagernden Sendung enthalten hat, kommt es daher nicht mehr an.

44

Das Versäumnisurteil des [[X.].] ist daher der Antragstellerin frühestens am 2. November 2022 zugegangen, als im hiesigen Verfahren die [X.] der Antragsgegnerin vom 28. Oktober 2022 dem Bevollmächtigten der Antragstellerin zugestellt worden ist. Der Einspruch der Antragstellerin vom 28. November 2022 erfolgte damit fristgerecht, da nach § 339 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Einspruchsfrist mindestens einen Monat beträgt, wenn - wie hier - die Zustellung im Ausland erfolgen muss (s. auch Ziff. 4 des Tenors des Versäumnisurteils).

45

3. Eine Aussetzung des hiesigen Verfahrens gemäß § 148 Abs. 1 ZPO kommt nicht in Betracht. Selbst wenn man davon ausgeht, dass in der vorliegenden Fallkonstellation die Tatbestandsvoraussetzungen des § 148 Abs. 1 ZPO grundsätzlich vorliegen, besteht für den Senat auf der Rechtsfolgenseite kein Anlass, das ihm durch diese Bestimmung eröffnete Ermessen im Sinne einer Aussetzung auszuüben.

46

Gegen eine Aussetzung spricht insbesondere, dass in Bezug auf ausländische Schiedssprüche der Gesetzgeber § 1061 ZPO in Verbindung mit dem [[X.].] als einen grundsätzlich abschließenden [X.] konzipiert hat (vgl. etwa [X.], Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. 2021, Rdnr. 1530 f.). Die darin enthaltenen Regeln und die dort normierte erstinstanzliche Zuständigkeit des [[X.].] drohten überspielt zu werden, wenn der Senat einem Verfahren Vorrang einräumen würde, in dem eine Partei im Inland die Feststellung begehrt, dass ein ausländischer Schiedsspruch zwischen den Parteien keine Rechtskraft entfalte. Art. VI Halbsatz 1 [[X.].] sieht eine Aussetzungsmöglichkeit nur für Fälle vor, in denen im [X.] ein Antrag gestellt worden ist, den Schiedsspruch aufzuheben oder ihn in seinen Wirkungen einstweilen zu hemmen.

47

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

48

5. [X.] beruht auf § 1064 Abs. 2 ZPO. Das Gesetz sieht in diesem Zusammenhang keine Abwendungsbefugnis vor (vgl. etwa Senat, Beschluss vom [X.] -, juris; OLG [[X.].]en, Beschluss vom 14.11.2011 - 34 Sch 10/11 -, [X.] 2012, 43, 47; [[X.].], in: [[X.].]/[[X.].] (Hrsg.), ZPO, 19. Aufl. 2022, § 1064, Rdnr. 3).

49

6. In Verfahren auf Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen bemisst sich der Streitwert nach dem Interesse der Antragstellerin an der Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs und entspricht daher grundsätzlich dem [X.] des Schiedsspruchs ohne Zinsen und Kosten (vgl. etwa [[X.].], Beschluss vom 29.03.2018 - [X.] -, juris; Senat, Beschluss vom 04.06.2018 - 26 Sch 9/18 -, juris; Beschluss vom 18.06.2020 - 26 Sch 11/19 -, juris; Senat, Beschluss vom [X.] -, juris; [X.], in: [[X.].], ZPO, 34. Aufl. 2022, § 3, Rdnr. 16.147). Daher ist der Streitwert hier auf € 116.640,52 festzusetzen.

Zur besseren Lesbarkeit wurden ggf. Tippfehler entfernt oder Formatierungen angepasst.

Meta

26 Sch 11/22

21.02.2023

OLG Frankfurt 26. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: Sch

Zitier­vorschlag: OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.02.2023, Az. 26 Sch 11/22 (REWIS RS 2023, 1050)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1050

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

102 Sch 173/23 e (BayObLG)

Antrag auf Vollstreckbarerklärung, Vollstreckbarerklärungsverfahren, Schiedsspruch, Rechtsbeschwerde, Antragsgegner, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Ausländische Schiedssprüche, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Internationales …


34 Sch 14/18 (OLG München)

Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs


19 Sch 19/09 (Oberlandesgericht Köln)


34 Sch 32/19 (OLG München)

Erkrankung, Kaufvertrag, Fachmann, Verletzung, Berufung, Aufrechnung, Ablehnung, Beteiligung, Schiedsrichter, Verfahren, Rechtsbeschwerde, Schiedsspruch, Anspruch, Einspruch, ordre …


III ZB 50/05 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

I ZB 12/17

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.