Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.07.2013, Az. I ZR 64/13

1. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 4045

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Gegenstand

Wiedereinsetzungsantrag nach Versäumung der Frist für eine Nichtzulassungsbeschwerde: Anwaltliche Sorgfaltspflichten bei Erteilung eines Rechtsmittelauftrages per E-Mail


Leitsatz

Ein Rechtsanwalt, der einem anderen Rechtsanwalt einen Rechtsmittelauftrag per E-Mail zuleitet, darf nicht allein wegen der Absendung der E-Mail auf deren ordnungsgemäßen Zugang beim Adressaten vertrauen. Er muss vielmehr organisatorische Maßnahmen ergreifen, die ihm eine Kontrolle des ordnungsgemäßen Zugangs ermöglichen.

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des [X.] vom 22. Februar 2013 wird zurückgewiesen.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorgenannten Urteil wird auf ihre Kosten verworfen.

[X.]: 800.000 €

Gründe

1

I. Die Parteien streiten um Unterlassungsansprüche im Zusammenhang mit dem Parallelimport von [X.]. Das Berufungsgericht hat die in erster Instanz überwiegend erfolgreiche Klage abgewiesen. Die Revision gegen sein Urteil hat das Berufungsgericht nicht zugelassen.

2

Das Berufungsurteil ist den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin in vollständig abgefasster Form am 28. Februar 2013 zugestellt worden. Mit ihrer beim [X.] am 12. April 2013 eingegangenen Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich die Klägerin gegen die unterlassene Zulassung der Revision im Berufungsurteil. Zugleich hat sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil beantragt.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig und deshalb zu verwerfen.

4

1. Die Klägerin hat die Nichtzulassungsbeschwerde nicht fristgerecht beim [X.] eingereicht.

5

Gemäß § 544 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist die Beschwerde innerhalb einer [X.] von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Für den Fristbeginn kommt es danach grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Zustellung an. Das Berufungsurteil ist der Klägerin in vollständig abgefasster Form am 28. Februar 2013 zugestellt worden, mithin war die [X.] von einem Monat bei Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde am 12. April 2013 überschritten.

6

2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 233 ZPO kommt nicht in Betracht, weil die Klägerin nicht ohne ihr Verschulden verhindert war, das Rechtsmittel rechtzeitig einzulegen. Dabei ist der Klägerin das Verschulden ihrer zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.

7

a) Die Klägerin hat zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags vorgetragen, die Fristversäumung habe ihre Ursache in einem technischen Fehler im [X.]-System des mit der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beauftragten Rechtsanwalts beim [X.] gehabt. Das technische Versagen des Systems sei weder vorhersehbar noch vermeidbar gewesen. [X.] könnten diese Kanzlei über drei unterschiedliche [X.]-Adressen erreichen. Die eingehenden Nachrichten würden an die eingerichteten Endgeräte (Computer, [X.], [X.], [X.] und häuslichen Laptop) synchron weitergeleitet. Am Abend des 27. März 2013 habe Rechtsanwalt [X.] festgestellt, dass über eine der drei [X.]-Adressen keine Nachrichten eingegangen seien. Dieser Fehler sei der zuständigen [X.] am Morgen des 28. März 2013 mitgeteilt worden, die den Fehler vermeintlich behoben habe. Nachdem am Abend des 28. März 2013 weiterhin keine Nachrichten über die gestörte [X.]-Adresse eingegangen seien, sei eine erneute Überprüfung veranlasst worden. Um 0.20 Uhr des Folgetages seien die am Vortag eingegangenen Nachrichten zu empfangen gewesen.

8

Wegen der technischen Schwierigkeiten sei die per [X.] vorgenommene Beauftragung zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde vom 28. März 2013 in der Kanzlei des beim [X.] zugelassenen Rechtsanwalts zunächst nicht bemerkt worden. Dem Auftrag zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde sei zwar ein Telefonat zwischen dem beim [X.] zugelassenen Rechtsanwalt [X.] und dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt Dr. O. am 27. März 2013 vorausgegangen. Der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte habe in diesem Gespräch jedoch darauf hingewiesen, dass die Klägerin sich noch nicht endgültig entschieden habe, ob sie gegen das Berufungsurteil mit einer Nichtzulassungsbeschwerde vorgehen wolle.

9

b) Mit diesem Vorbringen kann die Klägerin ein ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihrer zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten, die es versäumt haben, den Eingang des [X.] bei dem beim [X.] zugelassenen Rechtsanwalt zu kontrollieren, nicht ausräumen.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.]s genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax nur dann, wenn er bei Schriftsätzen, die auf diese Weise übermittelt wurden, anhand des [X.] überprüft (oder durch eine zuverlässige Kanzleikraft überprüfen lässt), ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist, weil mögliche Fehlerquellen nur so mit einem hohen Maß an Zuverlässigkeit ausgeschlossen werden können (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Juli 2004 - [X.], NJW 2004, 3490, 3491; Beschluss vom 14. Mai 2008 - [X.] 34/07, [X.], 2508 Rn. 11; Beschluss vom 29. Juni 2010 - [X.] 3/09, NJW 2010, 3101 Rn. 8).

Gleiches hat für die Übersendung einer [X.] zu gelten, mit der ein beim [X.] zugelassener Rechtsanwalt beauftragt wird, ein Rechtsmittel einzulegen. Auch insoweit besteht die Gefahr, dass eine [X.]-Nachricht den Empfänger wegen einer technischen Störung bei der Übermittlung nicht erreicht. Um sicherzustellen, dass eine [X.] den Adressaten erreicht hat, hat der Versender über die Optionsverwaltung eines [X.]-Programms die Möglichkeit, eine Lesebestätigung anzufordern (vgl. [X.], NJW 2003, 833, 834).

bb) Eine diesen Anforderungen genügende Kontrolle in der Kanzlei ihrer zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten hat die Klägerin nicht dargetan. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass eine Weisung zur Kontrolle bestanden hat, ob ein per [X.] erteilter [X.] den Adressaten auch tatsächlich erreicht hat. Wäre eine Kontrolle anhand einer Lesebestätigung der [X.] erfolgt oder hätte der sachbearbeitende zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte eine solche Kontrolle selbst vorgenommen, hätte noch rechtzeitig vor Ablauf der [X.] festgestellt werden können, dass der Auftrag zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde den beim [X.] zugelassenen Rechtsanwalt zunächst nicht erreicht hatte. Die [X.], die den [X.] enthielt, wurde am 28. März 2013 um 10.08 Uhr versandt.

Anlass für eine Nachfrage, ob der [X.] ordnungsgemäß beim Adressaten eingegangen war, hat vor allem auch deshalb bestanden, weil der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der [X.] vom 28. März 2013 ausdrücklich um eine Bestätigung der Übernahme des Mandats gebeten hatte. Die ausbleibende Bestätigung hätte den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin erst recht veranlassen müssen, sich bei Rechtsanwalt [X.] nach dem erteilten Auftrag zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde zu erkundigen.

III. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Bornkamm                     Pokrant                     Büscher

                    Koch                       [X.]

Meta

I ZR 64/13

17.07.2013

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Karlsruhe, 22. Februar 2013, Az: 4 U 63/11

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 544 Abs 1 S 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.07.2013, Az. I ZR 64/13 (REWIS RS 2013, 4045)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4045

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