Bundespatentgericht, Beschluss vom 01.04.2022, Az. 6 Ni 46/20 (EP)

6. Senat | REWIS RS 2022, 7750

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Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent ...

([X.] ...)

(hier: Gegenvorstellung und Anhörungsrüge)

hat der 6. Senat ([X.]) des [X.] am 1. April 2022 durch die Vorsitzende Richterin [X.] sowie [X.] und Dipl.-Ing. Altvater

beschlossen:

Die Gegenvorstellung sowie die Anhörungsrüge der Klägerin vom 4. Januar 2022 gegen den Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2021 werden zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Mit ihrem zuletzt als Gegenvorstellung, hilfsweise als Anhörungsrüge gem. § 321a ZPO bezeichneten Rechtsbehelf vom 4. Januar 2022 wendet sich die Klägerin gegen die das Patentnichtigkeitsverfahren in erster Instanz abschließende Kostenentscheidung in Ziffer I des Tenors des [X.]sbeschlusses vom 16. Dezember 2021.

2

Ziffer I des Tenors dieses Beschlusses lautet: „Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.“

3

Mit ihrem am 4. Januar 2022 beim [X.] eingegangenen Rechtsbehelf hatte die Klägerin zunächst beantragt, den ihr am 22. Dezember 2021 zugestellten Beschluss aufzuheben und der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Nach einem Hinweis des [X.]s auf die Regelung des § 110 Abs. 7 [X.] hatte die Klägerin an der Einlegung einer im Schriftsatz vom 4. Januar 2022 ursprünglich so bezeichneten „sofortigen Beschwerde“ jedoch nicht festgehalten und mit Schriftsatz vom 27. Januar 2022 klarstellend ausgeführt, dass sich ihr Rechtsbehelf vom 4. Januar 2022 allein gegen die Kostenentscheidung des angefochtenen Beschlusses richte und als Gegenvorstellung, hilfsweise als Anhörungsrüge gem. § 321a ZPO auszulegen sei.

4

Die Klägerin erstrebt im Wege der Gegenvorstellung eine Kostenentscheidung zulasten der Beklagten und vertritt unter Bezugnahme auf § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO die Auffassung, die anderslautende Kostenentscheidung des [X.]s enthalte im Einzelnen näher bezeichnete Ermessensfehler. Der [X.] habe im angefochtenen Beschluss zudem eine Überraschungsentscheidung getroffen und das klägerische Vorbringen insbesondere in ihren Schriftsätzen vom 29. September und 17. November 2021 bereits „im Kern“ nicht erfasst (von der Klägerin so bezeichneter „Übergehensfall“). Die Klägerin argumentiert, beides begründe eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG.

5

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

6

1. auf die Gegenvorstellung vom 4. Januar 2022 den [X.]sbeschluss vom 16. Dezember 2021 in dessen Ziffer I aufzuheben und der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen;

7

2. hilfsweise auf die [X.] vom 4. Januar 2022 den Beschluss vom 16. Dezember 2021 aufzuheben.

8

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

9

1. die Gegenvorstellung der Klägerin gegen den Beschluss vom 16. Dezember 2021 als unzulässig zu verwerfen,

2. hilfsweise die [X.] der Klägerin gegen den Beschluss vom 16. Dezember 2021 zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Anträge der Klägerin für unzulässig. Gegen die angefochtene Kostengrundentscheidung seien weder ein Rechtsmittel, noch der Rechtsbehelf der Gegenvorstellung statthaft. Die hilfsweise geltend gemachte Anhörungsrüge habe die Klägerin erst am 27. Januar 2022 und somit nicht binnen der 2-Wochen-Frist des § 321a Abs. 2 ZPO erhoben. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs habe die Klägerin zudem nicht substantiiert dargelegt.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

1. Der Rechtsbehelf der Klägerin vom 4. Januar 2022 ist als Gegenvorstellung gegen die isolierte Kostenentscheidung in Ziffer 1 des Tenors des [X.]sbeschlusses vom 16. Dezember 2021 unstatthaft.

Eine isolierte Anfechtung von Beschlüssen der Nichtigkeitssenate ist grundsätzlich ausgeschlossen. Wie auch von der Klägerin zuletzt nicht in Abrede gestellt, können diese gemäß § 110 Abs. 7 1. Halbsatz [X.] nur zusammen mit den Urteilen angegriffen werden (vgl. [X.]/Hall/[X.], [X.], 11. Auflage 2015, § 110, Rdnr. 14). Nachdem eine selbständige Anfechtung der Kostenentscheidung ausgeschlossen ist, gilt dies grundsätzlich auch für eine Gegenvorstellung (vgl. Busse/Keukenschrijver, [X.], 9. Auflage 2020; § 110, Rdnr. 3; B[X.], Beschluss vom 17. September 1985, 3 [X.] (pat) 11/85, B[X.]E 27, 201).

Die Gegenvorstellungist ein gesetzlich nicht geregelter, außerordentlicher Rechtsbehelf, mit dessen Hilfe eine Korrektur unanfechtbarer Entscheidungen in derselben Instanz erreicht werden soll. Sie ist unstatthaft gegenüber Urteilen und Beschlüssen, die in materielle Rechtskraft erwachsen sind oder diese herbeigeführt haben (vgl. hierzu Musielak/[X.], ZPO, 18. Auflage, 2021, § 567, Rdnr. 26 f). Eine entsprechende Rechtsgrundlage fehlt insoweit und es ist ausgeschlossen, die gesetzlich geregelte Bindung des Gerichts an seine eigenen Entscheidungen ohne gesetzliche Grundlage zu übergehen (vgl. [X.], Beschluss vom 25. November 2008 – 1 BvR 848/07, [X.], 829; vgl. auch B[X.], Beschluss vom 11. Januar 2016 – 35 W (pat) 437/12; [X.], 6. Auflage 2020, § 321a, Rdnr. 19; [X.]/[X.], [X.], 11. Auflage 2022, § 84, Rdnr. 22). Entscheidungen des Patentgerichts können nur angefochten werden, soweit das Gesetz dies zulässt (§ 99 Abs. 2 [X.], vgl. [X.], Beschluss vom 3. Dezember 2002 – [X.], veröffentlicht in juris).

Soweit die Klägerin nunmehr geltend macht, dass die angegriffene Kostenentscheidung unter Verletzung rechtlichen Gehörs ergangen und deshalb aufzuheben sei, ist grundsätzlich die hilfsweise geltend gemachte Anhörungsrüge gemäß § 99 Abs. 1 i. V. m. § 321a Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft.

Neben der Anhörungsrüge ist für eine Gegenvorstellung in diesem Fall kein Raum. Insbesondere scheidet eine nachträgliche Zulassung der Rechtsbeschwerde im Wege der Gegenvorstellung (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Mai 2004 – [X.], NJW 2004, 2529: in analoger Anwendung des § 321a ZPO) ebenfalls aus. Die genannte Rechtsprechung setzt eine willkürliche Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde voraus, die Verfahrensgrundrechte des Antragstellers verletzt. Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben, denn eine Rechtsbeschwerde [X.] § 574 ZPO ist gegen die angegriffene isolierte Kostenentscheidung grundsätzlich nicht statthaft. Auf die Verletzung weiterer Verfahrensgrundrechte hat sich die Klägerin zudem nicht berufen.

2. Ihre Zulässigkeit einmal vorausgesetzt, ist der Rechtsbehelf der Klägerin vom 4. Januar 2022 als Anhörungsrüge unbegründet. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG, liegt nicht vor.

a. Bereits an der Zulässigkeit dieses Rechtsbehelfs als Anhörungsrüge bestehen Zweifel. Zwar richtet sich dieser gegen eine grundsätzlich unanfechtbare, instanzbeendende Entscheidung (vgl. hierzu [X.], [X.] zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage 2018, § 321a ZPO, [X.]; [X.]/[X.], a. a. [X.], § 84, Rdnr. 22). Auch wurde der Rechtsbehelf vom 4. Januar 2022 innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der angegriffenen Entscheidung erhoben. Um als Anhörungsrüge zulässig zu sein, hätte er jedoch innerhalb einer 2-wöchigen Notfrist des § 321a Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz ZPO erhoben werden müssen, die mit Erlangung der Kenntnis von der behaupteten Gehörsverletzung beginnt; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist dabei glaubhaft zu machen, § 321a Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz ZPO, § 294 ZPO. Auf eine Gehörsverletzung hat sich die Klägerin allerdings erstmals in ihrem Schriftsatz vom 27. Januar 2022 bezogen, wobei sie zur Kenntniserlangung von der behaupteten Gehörsverletzung und zur erforderlichen Glaubhaftmachung nichts vorgetragen hat. Dies kann im Ergebnis dahinstehen, denn der Rechtsbehelf der Klägerin ist als Anhörungsrüge unbegründet.

b. Eine Anhörungsrüge ist begründet, wenn das Gericht durch seine Entscheidung den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch der [X.] auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Der Begriff des rechtlichen Gehörs darf dabei nicht eng ausgelegt werden.

Das Gebot rechtlichen Gehörs garantiert den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern, und dass das Gericht das Vorbringen zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht (z. B. [X.], Beschluss vom 24. Juli 2007 – [X.], [X.], 996[X.], Beschluss vom 24. Juli 2007 – [X.], [X.], 996, Rdnr. 10 - Angussvorrichtung für [X.], Beschluss vom 24. Juli 2007 – [X.], [X.], 996, Rdnr. 10 - Angussvorrichtung für Spritzgießwerkzeuge; [X.], Beschluss vom 7. Juli 2011 – [X.], [X.], 314[X.], Beschluss vom 7. Juli 2011 – [X.], [X.], 314, Rdnr. 10 - [X.]; [X.], a. a. [X.], Einleitung Rdnr. 284 ff., [X.], Beschluss vom 7. Juli 2011 – [X.], [X.], 314, Rdnr. 10 - [X.]; [X.], a. a. [X.], Einleitung Rdnr. 284 ff., jeweils [X.]). Dies schließt jede Überraschungsentscheidung aus (vgl. [X.], a. a. [X.], Einleitung Rdnr. 284 [X.], [X.], [X.] vom 25. Mai 2021 – 2 BvR 1719/16, NJW 2021, 2581). Eine Gehörsverletzung kann vorliegen, wenn die Prozessbeteiligten bei Anwendung der von Ihnen zu erwartenden Sorgfalt nicht erkennen konnten, auf welches Vorbringen es für die Entscheidung des Gerichts ankommen kann (vgl. [X.], Beschluss vom 7. September 2021 – [X.], veröffentlicht in juris).

aa. Dass es sich bei der hier angegriffenen Kostenentscheidung vom 16. Dezember 2021 um eine Überraschungsentscheidung im vorgenannten Sinne gehandelt haben könnte, lässt sich dem klägerischen Vortrag jedoch nicht entnehmen und ist auch sonst nicht ersichtlich.

Mit ihrer Begründung, der [X.] habe die Regelung des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO fehlerhaft angewendet, sich über ihre Voraussetzungen hinweggesetzt und seine Ermessensentscheidung auf Erwägungen gestützt, die für die Entscheidung nach dieser Vorschrift nicht hätten herangezogen werden dürfen, greift die Klägerin die sachliche Richtigkeit der Kostenentscheidung vom 16. Dezember 2021 an. Der Anwendungsbereich der Anhörungsrüge gemäß § 321a Abs. 1 ZPO beschränkt sich jedoch auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs im jeweils zu Grunde liegenden Verfahren (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Dezember 2007 – [X.]/06[X.], Beschluss vom 13. Dezember 2007 – [X.]/06, [X.], [X.]. 6; vom [X.], Beschluss vom 13. Dezember 2007 – [X.]/06, [X.], [X.]. 6; vom 17. Juli 2008 - [X.], NJW-RR 2009, 144, [X.], Beschluss vom 29. Juli 2011 – [X.], Rdnr. 1, veröffentlicht in juris).

Die wesentlichen Gesichtspunkte, mit denen der [X.] seine Ermessensentscheidung vom 16. Dezember 2021 begründet hat, hat die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 21. Oktober 2021 bereits ausgeführt. Der Klägerin ist dieser Schriftsatz vor Erlass der angegriffenen Entscheidung mit Gelegenheit zur Stellungnahme übersandt worden, so dass sie von ihrem Inhalt nicht überrascht worden ist.

bb. Der [X.] hat das rechtliche Gehör der Klägerin schließlich nicht dadurch verletzt, dass er in der angegriffenen Entscheidung, wie die Klägerin zudem behauptet, ihr eigenes Vorbringen bereits „im Kern“ nicht erfasst und in Erwägung gezogen hätte (vgl. zur Fallgruppe der sogenannten „Übergehensfälle“ näher [X.]/Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 321a, Rdnr. 11, [X.]; [X.], Beschluss vom 9. Juli 2018 – 8 W 31/18 sowie [X.], Beschluss vom 27. März 2019 – 45 O 12/17, jeweils veröffentlicht in juris).

Der Umstand, dass der [X.] die auch der Klägerin bekannten Aspekte im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung schließlich anders rechtlich bewertet hat, als dies die Klägerin für zutreffend erachtet, bedeutet nicht, dass der [X.] die klägerische Auffassung übergangen hätte. In seinen Ausführungen zur Frage der Kostentragung hat der [X.] insbesondere auf Seite 6 des angegriffenen Beschlusses auch die für die Klägerin sprechenden Aspekte des Falls dargelegt. Ein Fall des Übergehens, [X.], [X.] oder sonstiger Verkürzung des Vorbringens der Klägerin in ihren Schriftsätzen vom 29. September und 22. Oktober 2021 durch den [X.] ist nicht ersichtlich.

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 321a Abs. 4 ZPO.

Meta

6 Ni 46/20 (EP)

01.04.2022

Bundespatentgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: Ni

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 01.04.2022, Az. 6 Ni 46/20 (EP) (REWIS RS 2022, 7750)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7750

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X ZR 28/09

X ZR 83/10

X ZR 110/13

1 BvR 848/07

I ZB 68/10

2 BvR 1719/16

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