Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26.11.2020, Az. 1 WRB 2/19

1. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2020, 4277

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Gegenstand

Neufassung einer dienstlichen Beurteilung


Leitsatz

1. Beim Erstellen einer planmäßigen dienstlichen Beurteilung besteht keine Bindung an vorangehende Beurteilungen im Sinne einer "Fortschreibung" der dortigen Werturteile oder Benotungen.

2. Spricht das Gericht mit einem Bescheidungstenor die Verpflichtung zur Neufassung einer dienstlichen Beurteilung aus, so sind die beurteilenden Vorgesetzten auch an die tragenden Gründe der Entscheidung gebunden. Stellt das Gericht dort lediglich einen Widerspruch zwischen der vergebenen Benotung und der Beschreibung im Textteil der Beurteilung fest, so ist der beurteilende Vorgesetzte frei, den Widerspruch durch eine Angleichung des Textes an die Notenwerte, eine Angleichung der Notenwerte an den Text oder einen Mittelweg (wechselseitige Annäherung von Notenwerten und Text) zu beheben.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Truppendienstgerichts Süd vom 28. August 2019 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des [X.].

Tatbestand

1

Der Antragsteller wendet sich gegen die Neufassung seiner dienstlichen Beurteilung zum [X.] 30. September 2014.

2

Der 1971 geborene Antragsteller ist Berufssoldat. Zuletzt wurde er mit Wirkung vom 1. März 2012 zum Stabsfeldwebel befördert. Seit Juli 2012 wird er im ... als Feldwebel für ... verwendet.

3

In seiner planmäßigen Beurteilung zum [X.] 30. September 2012 hatte der Antragsteller einen Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung von "7,90" erzielt.

4

In der darauffolgenden planmäßigen Beurteilung vom 22. Oktober 2014 zum [X.] 30. September 2014 bewertete der Vorgesetzte des Antragstellers dessen Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten mit einem Durchschnittswert von "6,10". Von den insgesamt zehn [X.]n, die diesem Durchschnittswert zugrunde liegen, bewertete er dabei auf der neunstufigen Skala (Höchstwert "9") zwei mit "7" (die Leistungserwartungen wurden ständig, teilweise auch erheblich übertroffen), sieben mit "6" (die Leistungserwartungen wurden ständig übertroffen) und eines mit "5" (die Leistungserwartungen wurden erfüllt, überwiegend übertroffen). In der ergänzenden Beschreibung zu diesen Wertungen (Nr. 3.3 des Vordrucks) führte der [X.] unter anderem aus: "In einer starken Vergleichsgruppe bewegt sich [X.] ... im oberen Mittelfeld". In der zusammenfassenden Beschreibung der Persönlichkeit (Nr. 4.2 des Vordrucks) merkte er an, der Antragsteller erfülle seine Aufträge "stets zur vollsten Zufriedenheit" und sei "das Sinnbild eines Portepeeunteroffiziers". Der nächsthöhere Vorgesetzte bestätigte in seiner Stellungnahme den Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung und vergab die Entwicklungsprognose "Förderung bei Bedarf bis in die höchsten Verwendungen der Laufbahn".

5

Hiergegen erhob der Antragsteller Beschwerde und stellte nach erfolglosem Abschluss des Beschwerdeverfahrens einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

6

Das [X.] Süd hob mit Beschluss vom 9. November 2016 die angegriffene dienstliche Beurteilung und die [X.] auf und verpflichtete den Kommandeur ..., eine Neufassung der Beurteilung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu veranlassen, sofern auf diese nicht gemäß Nr. 1204 [X.] zu verzichten sei. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das [X.] aus, die Beurteilung verstoße gegen das Gebot der Widerspruchsfreiheit (Nr. 401 Abs. 1 [X.]). Die in der ergänzenden Beschreibung zur Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten verwendete Formulierung "In einer starken Vergleichsgruppe bewegt sich [X.] ... im oberen Mittelfeld" und die in den Ausführungen zum Persönlichkeitsprofil enthaltenen Beschreibungen, der Antragsteller erfülle seine Aufgaben "stets zur vollsten Zufriedenheit" und sei das "Sinnbild eines Portepeeunteroffiziers", enthielten Widersprüche zu den Wertungen in bestimmten [X.]n sowie zum Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung, weil die genannten Formulierungen so positiv seien, dass sie der [X.] "9" entsprächen und im Vergleich dazu die vergebenen Bewertungen (zweimal "7", siebenmal "6" und einmal "5") zu niedrig ausfielen.

7

Unter dem 10. Mai 2017, dem Antragsteller eröffnet am 1. Juni 2017, fasste der beurteilende Vorgesetzte die aufgehobene Beurteilung neu und bewertete die Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten mit einem Durchschnittswert von "6,70". Hierbei bewertete er sieben der zehn [X.]n mit "7" und drei mit "6". Die ergänzenden Beschreibungen zu den Wertungen und zum Persönlichkeitsprofil sind weitgehend identisch mit denen der aufgehobenen Beurteilung. Allerdings sind die Formulierungen "In einer starken Vergleichsgruppe bewegt sich [X.] ... im oberen Mittelfeld" und der Antragsteller erfülle seine Aufträge "stets zur vollsten Zufriedenheit" und sei "das Sinnbild eines Portepeeunteroffiziers" in der neugefassten Beurteilung nicht mehr enthalten.

8

Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 28. Juni 2017 Beschwerde. Zur Begründung machte er geltend, die Neufassung der Beurteilung müsse dahingehend abgeändert werden, dass der Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung dem Durchschnittswert der Beurteilung von 2012 ("7,90") entspreche und bei der Entwicklungsprognose das Kreuz bei "Förderung bis in die höchsten Verwendungen der Laufbahn" gesetzt werde. Außerdem habe der Beurteiler bei den verbalen Erläuterungen die Formulierungen der alten Beurteilung zu übernehmen. Zwar stünden die Wertungen der neugefassten Beurteilung in den [X.]n möglicherweise nicht mehr zu den verbalen Beschreibungen im Widerspruch. [X.] seien jedoch nicht die verbalen Beschreibungen, sondern die Bewertung der [X.] gewesen; diese hätten daher heraufgesetzt werden müssen.

9

Mit [X.] vom 20. Juli 2017 wies der Stellvertretende Kommandeur ... die Beschwerde zurück. Das [X.] habe nicht vorgegeben, in welcher Weise die festgestellten Widersprüche aufzulösen seien. Der beurteilende Vorgesetzte habe die beanstandeten Punkte bei der Neuerstellung der Beurteilung berücksichtigt und sowohl den Durchschnittswert angehoben als auch die verbale Beschreibung angepasst, was nicht zu beanstanden sei.

Der nächsthöhere Vorgesetzte gab unter dem 21. Juli 2017, dem Antragsteller eröffnet am 7. August 2017, seine Stellungnahme zur Neufassung der Beurteilung vom 10. Mai 2017 ab. Beim Einzelmerkmal "Eigenständigkeit" korrigierte er die Wertung auf "8", so dass der Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung auf "6,80" stieg. Bei der Entwicklungsprognose markierte er das Feld "Förderung bei Bedarf bis in die höchste Verwendung der Laufbahn".

Gegen den Beschwerdebescheid vom 20. Juli 2017 legte der Antragsteller mit Telefax vom 18. August 2017 weitere Beschwerde ein, die der Kommandeur ... mit [X.] vom 10. Oktober 2017 zurückwies. Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 10. November 2017 hat der Antragsteller daraufhin erneut die gerichtliche Entscheidung beantragt.

Mit Beschluss vom 28. August 2019, zugestellt am 3. September 2019, hat das [X.] den Antrag zurückgewiesen. Gegenstand des Antragsverfahrens sei lediglich die Beurteilung vom 10. Mai 2017, nicht dagegen die Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten vom 21. Juli 2017. Da der Antragsteller gegen die selbständig anfechtbare Stellungnahme nicht gesondert Beschwerde erhoben habe, sei diese in Bestandskraft erwachsen. Der auf Aufhebung der Neufassung der Beurteilung und Erstellung einer weiteren Neufassung gerichtete Antrag sei zulässig, aber unbegründet. Die angefochtene Neufassung sei rechtmäßig. Eine sich abzeichnende Verschlechterung hätte zwar in einem [X.] angesprochen werden können; das Unterlassen eines solchen Hinweises sei allerdings kein Aufhebungsgrund. Der Antragsteller mache ohne Erfolg geltend, dass der in der früheren Beurteilung bestehende Widerspruch zwischen der Bewertung von [X.]n und bestimmten, sehr positiven Formulierungen in der freien Beschreibung nur dadurch hätte aufgelöst werden dürfen, dass die Bewertung der [X.] angehoben werde. Vorrangig bedeutsam seien die [X.] und der daraus gebildete Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung, nicht aber die freie Beschreibung. Bei einer Diskrepanz zwischen vergebenen Wertungen und dem Inhalt einzelner Formulierungen habe der beurteilende Vorgesetzte zu bestimmen, ob die Einzelnoten oder die freie Beschreibung das Leistungsbild des zu [X.]n treffender wiedergebe. Der Antragsteller könne sich auch nicht auf Vertrauensschutz als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips berufen, weil es bei truppendienstlichen Beschwerden kein Verschlechterungsverbot gebe. Die Rechtsbeschwerde werde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen, ob bei der Neufassung einer Beurteilung aufgrund eines vorher festgestellten Verstoßes gegen das Gebot der Widerspruchsfreiheit eine Bindung an bestimmte Formulierungen in der freien Beschreibung zugunsten des [X.] bestehe.

Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 30. September 2019 hat der Antragsteller die zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt und am 1. November 2019 begründet. Der Beschluss des [X.]s sei rechtsfehlerhaft. Er verstoße gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Vertrauensschutz, gegen das Verschlechterungsverbot sowie gegen die Gebote der Widerspruchsfreiheit und der Sachgerechtigkeit. In Fällen, in denen sich die verbale Bewertung und die Punktbewertung widersprächen, könne nur ein Wert zutreffend sein. Es sei zwar zuzugeben, dass in dienstlichen Beurteilungen gelegentlich Formulierungen verwendet würden, die eine andere Bedeutung hätten als diejenige, die auf den ersten Blick anzunehmen sei. Um solche missverständlichen und irrtümlich verwendeten Formulierungen gehe es hier jedoch nicht. Es sei allgemein bekannt, dass der (gestrichene) Terminus "stets zur vollsten Zufriedenheit" der Bestnote entspreche. Auch die Formulierungen "In einer starken Vergleichsgruppe bewegt sich [X.] ... im oberen Mittelfeld" und "Sinnbild eines Portepeeunteroffiziers" seien unmissverständlich und beschrieben einen sehr leistungsstarken Soldaten. Es sei deshalb davon auszugehen, dass der Beurteiler die Bedeutung der von ihm vergebenen Punktwerte verkannt habe. Mithin hätten die Punktwertungen herauf- und nicht die verbalen Beschreibungen herabgesetzt werden müssen. Außerdem verstoße die Neufassung der Beurteilung gegen das Verschlechterungsverbot. Entgegen der Auffassung des [X.]s sei eine Verböserung unzulässig. Dies sei für die Beschwerde ausdrücklich geregelt und folge für das gerichtliche Verfahren aus den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen.

Der Antragsteller beantragt,

unter Aufhebung der [X.] vom 20. Juli 2017 und 10. Oktober 2017 und des Beschlusses des [X.]s Süd vom 28. August 2019 die dienstliche Beurteilung vom 10. Mai 2017 aufzuheben und den Dienstherrn zu verpflichten, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut dienstlich zu beurteilen.

Der Bundeswehrdisziplinaranwalt und das [X.] treten der Rechtsbeschwerde entgegen. Insbesondere finde der Grundsatz des Verbots der reformatio in peius im Beschwerde- und gerichtlichen Antragsverfahren gegen dienstliche Beurteilungen keine Anwendung. Sofern ein Vorgesetzter in einer Beurteilung einen im Vergleich zur freien Beschreibung deutlich schlechteren Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung vergeben und damit eine widersprüchliche Beurteilung erstellt habe, sei er bei der Neuerstellung frei zu entscheiden, ob er entweder den Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung nach oben korrigiere, die freie Beschreibung dem vergebenen Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung anpasse oder eine neue (den Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung und die freie Beschreibung angleichende) Bewertung vornehme.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Verfahrensakten des [X.]s Süd haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die vom [X.] mit bindender Wirkung für den Senat zugelassene Rechtsbeschwerde (§ 22a Abs. 1 und 3 [X.]) wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§ 22a Abs. 4 [X.]) und ist auch im Übrigen zulässig. Wird mit der Rechtsbeschwerde - wie hier - nur eine Sach- und keine Verfahrensrüge geltend gemacht, so genügt für die Begründung der Vortrag, dass die angefochtene Entscheidung auf einer unrichtigen Anwendung von Rechtsnormen beruht ([X.], Beschluss vom 2. Juli 2020 - 2 [X.] 1.20 - juris Rn. 8).

2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nicht begründet und daher zurückzuweisen (§ 23a Abs. 2 Satz 1 [X.] i.V.m. § 144 Abs. 2 VwGO). Denn die Entscheidung des [X.]s beruht nicht auf einer Verkennung revisiblen Rechts.

a) [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass auch die dienstliche Beurteilung den Antragsgegner ... bildet und dass die Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten bestandskräftig geworden ist. Allerdings erstreckt sich, was das [X.] nicht beachtet hat, eine Beschwerde gegen eine dienstliche Beurteilung auch auf Änderungen in der Bewertung der Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten, die der stellungnehmende Vorgesetzte während des Beschwerdeverfahrens vornimmt; insoweit muss die Stellungnahme nicht zusätzlich und gesondert angefochten werden (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 [X.] 62.08 - [X.] 449.2 § 2 SLV 2002 Nr. 16 LS und Rn. 20 ff.). Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist deshalb auch die Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten vom 21. Juli 2017, soweit sie sich auf die Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten bezieht. Dies betrifft die Änderung der Bewertung des [X.] 3.1.2 (Eigenständigkeit) von "7" in "8" und die daraus resultierende Verbesserung des [X.] auf "6,80" (Nr. 8.2 und 8.3 des Vordrucks).

b) [X.] hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu Recht als im Übrigen zulässig angesehen.

Insbesondere ist das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers nicht dadurch entfallen, dass er inzwischen zu den regelmäßigen [X.]en erneut beurteilt wurde. Am Rechtsschutz gegen eine dienstliche Beurteilung besteht erst dann kein Interesse mehr, wenn die Beurteilung ihre rechtliche Zweckbestimmung verloren hat, Auswahlgrundlage für künftige Personalentscheidungen zu sein; so verhält es sich etwa, wenn der [X.] in den Ruhestand getreten ist, bestandskräftig aus dem Dienstverhältnis entlassen wurde oder bis zum Eintritt in den Ruhestand nicht mehr befördert werden darf (vgl. für das Beamtenverhältnis [X.], Urteil vom 19. Dezember 2002 - 2 C 31.01 - juris Rn. 14 f. m.w.N.). In diesem Sinne lässt sich nicht ausschließen, dass die hier gegenständliche Beurteilung noch Bedeutung für die Bewertung des Leistungsbilds des Antragstellers unter dem Blickwinkel der Kontinuität haben kann.

c) [X.] hat in der Sache zu Recht entschieden, dass die Neufassung der Beurteilung vom 10. Mai 2017 nicht zu beanstanden ist und der Antragsteller keinen Anspruch auf Erstellung einer weiteren Neufassung seiner dienstlichen Beurteilung zum [X.] 30. September 2014 hat.

aa) Dienstliche Beurteilungen sind gerichtlich nur beschränkt nachprüfbar, weil den Vorgesetzten bei ihrem Werturteil über die Eignung, Befähigung und Leistung ein Beurteilungsspielraum zusteht (stRspr, vgl. - auch zum Folgenden - [X.], Beschlüsse vom 16. Juli 2013 - 1 [X.] 43.12 - [X.] 450.1 § 17 [X.] Nr. 87 Rn. 38 und vom 21. März 2019 - 1 [X.] 6.18 - juris Rn. 28 m.w.N.). Die [X.] hat sich darauf zu beschränken, ob der Vorgesetzte den anzuwendenden Begriff der Beurteilung oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt hat, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Hat das [X.] dienstlicher Beurteilungen erlassen, an denen sich die Beurteilungspraxis im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) ständig orientiert, kann das Gericht ferner prüfen, ob diese Richtlinien eingehalten worden sind und ob sie mit den normativen Regelungen für Beurteilungen in Einklang stehen ([X.], Beschluss vom 26. Mai 2009 - 1 [X.] 48.07 - [X.]E 134, 59 Rn. 30). Maßgeblich sind hier die "Bestimmungen über die Beurteilungen der Soldatinnen und Soldaten der [X.]" ([X.]), die formal und inhaltlich im Wesentlichen mit der im Januar 2016 in [X.] getretenen Zentralen Dienstvorschrift über die "Beurteilungen der Soldatinnen und Soldaten der [X.]" ([X.]) übereinstimmen.

bb) Die Neufassung verstößt nicht gegen den allgemeingültigen Wertmaßstab der Widerspruchsfreiheit (vgl. Nr. 401 Abs. 1 Satz 2 [X.]).

Bei der Neufassung der dienstlichen Beurteilung wurde durch den beurteilenden Vorgesetzten die Bewertung von sechs Einzelmerkmalen und durch den stellungnehmenden nächsthöheren Vorgesetzten die Bewertung eines weiteren Einzelmerkmals um jeweils einen Punkt angehoben. Insgesamt sind danach ein Merkmal mit "8" (die Leistungserwartungen wurden ständig erheblich übertroffen), sechs Merkmale mit "7" (die Leistungserwartungen wurden ständig, teilweise auch erheblich übertroffen) und drei Merkmale mit "6" (die Leistungserwartungen wurden ständig übertroffen) bewertet. Der Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung stieg von "6,10" in der aufgehobenen auf "6,80" in der neugefassten Beurteilung.

Gleichzeitig wurden bei der Neufassung der Beurteilung in dem - ansonsten im Wesentlichen unveränderten - Textteil diejenigen den Antragsteller besonders [X.] Formulierungen oder Passagen gestrichen, die das [X.] in dem Beschluss vom 9. November 2016 als im Widerspruch zu den vergleichsweise niedrigen Punktwerten stehend gekennzeichnet hat. So sind insbesondere die Wendungen "In einer starken Vergleichsgruppe bewegt sich [X.] ... im oberen Mittelfeld" (Nr. 3.3 des Vordrucks) und der Antragsteller erfülle seine Aufträge "stets zur vollsten Zufriedenheit" und sei "das Sinnbild eines Portepeeunteroffiziers" (jeweils Nr. 4.2 des Vordrucks) in der neugefassten Beurteilung nicht mehr enthalten.

Soweit das [X.] im Tatbestand des angefochtenen Beschlusses bei der inhaltlichen Wiedergabe der neuen Beurteilung fälschlicherweise auch aufgehobene Passagen der alten Beurteilung zitiert hat, ist dieses Versehen unerheblich. Die Bindung des Senats an die in dem angefochtenen Beschluss getroffenen tatsächlichen Feststellungen (§ 23a Abs. 2 Satz 1 [X.] i.V.m. § 137 Abs. 2 VwGO) erstreckt sich nicht auf diese offensichtlichen Fehlzitate. Nach ständiger Rechtsprechung darf ein offensichtlicher Widerspruch zwischen einer tatsächlichen Feststellung im Urteil des Tatsachengerichts und der Aktenlage vom Revisionsgericht auch ohne Verfahrensrüge berücksichtigt werden, wenn die Verwaltungsvorgänge, aus denen sich ein solcher offensichtlicher Widerspruch ergibt, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht und im Urteil verwendet worden sind (vgl. [X.], Urteil vom 29. April 1988 - 9 C 54.87 - [X.]E 79, 291 <297 f.>). Auf die Rechtsbeschwerde nach der [X.] ist dies mit der Maßgabe zu übertragen, dass das [X.], wenn es - wie in der Regel und so auch hier - ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 18 Abs. 2 Satz 3 [X.]), den betreffenden Verwaltungsvorgang zum Gegenstand der Beratung in der Kammer gemacht und im Beschluss verwendet haben muss. Diese Voraussetzungen sind bei der verfahrensgegenständlichen Neufassung der Beurteilung gegeben.

Nach dem deshalb maßgeblichen tatsächlichen Inhalt der Neufassung vom 10. Mai 2017 haben der beurteilende und der stellungnehmende Vorgesetzte im Rahmen ihres [X.] eine widerspruchsfreie Bewertung der Leistungen des Antragstellers abgegeben. Mit dem Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung von "6,80" liegt der Antragsteller nicht im ersten Wertungsbereich ("7,31" bis "9,00") der besten fünfzehn Prozent, sondern etwa in der Mitte des zweiten Wertungsbereichs ("6,21" bis "7,30"), der nicht mehr als zwanzig Prozent der Soldaten der Vergleichsgruppe umfassen soll ([X.] Buchst. b [X.]). Hiermit im Einklang steht die knapp gefasste textliche Erläuterung, dass der Antragsteller sich in seine neue Verwendung schnell eingearbeitet habe und in der Lage sei, seine Aufgaben selbständig zu erfüllen. Er leiste grundsolide, nicht zu beanstandende Arbeit von hoher Qualität mit großem Enthusiasmus, fülle aber die an den Dienstposten gestellten Anforderungen nur eingeschränkt aus.

Auch aus der zusammenfassenden Beschreibung der Persönlichkeit (Nr. 4.2 des Vordrucks), die sich unmittelbar auf die Bewertung der Einzelmerkmale im Persönlichkeitsprofil bezieht, ergeben sich keine mittelbaren Diskrepanzen zur Leistungsbewertung. Mit der Systematik der [X.] stimmt im Übrigen die Einordnung des stellungnehmenden Vorgesetzten ("[X.] ... hat sich vorderen Drittel der vergleichbaren Dienstgrade ... etabliert") überein. Insgesamt zeichnen zahlenmäßige und verbale Bewertung damit das in sich stimmige Bild eines zwar nicht der Spitzengruppe zugehörigen, aber sehr guten Portepeeunteroffiziers.

cc) Ohne Erfolg macht der Antragsteller eine unzulässige Verschlechterung seiner Leistungsbewertung geltend.

(1) Soweit der Antragsteller den in seiner planmäßigen Beurteilung zum [X.] 30. September 2012 erzielten Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung von "7,90" zum Ausgangspunkt und Maßstab nimmt, steht dem entgegen, dass eine Bindung an vorangehende planmäßige Beurteilungen, etwa in Form einer "Fortschreibung" ihrer Werturteile, nicht besteht (stRspr, vgl. [X.], Beschlüsse vom 27. Mai 2009 - 1 [X.] 47.08 - [X.] 449.2 § 2 SLV 2002 Nr. 15 Rn. 40 und vom 4. Februar 2016 - 1 [X.] 30.15 - juris Rn. 31). Denn die inhaltliche Bewertung des Persönlichkeits- und Leistungsbilds eines Soldaten fällt in den Kernbereich des gerichtlich nicht nachprüfbaren subjektiven Werturteils des jeweiligen Beurteilenden. Frühere Beurteilungen beziehen sich auf Erkenntnisse in einem anderen als dem aktuellen Beurteilungszeitraum, in dem sich zudem etwa - wie im Falle des Antragstellers - die Verwendung und die damit verbundenen Aufgaben oder die Zusammensetzung der Vergleichsgruppe geändert haben können (siehe auch [X.] Buchst. h [X.]).

(2) Der Antragsteller kann auch aus dem (ersten) Beschluss des [X.]s vom 9. November 2016 kein Verschlechterungsverbot für sich herleiten.

Da das [X.] dem Begehren des Antragstellers mit einem Bescheidungstenor stattgegeben hat, darf die Neufassung durch die zuständigen Beurteiler nur im Einklang mit der nach § 23a Abs. 2 Satz 1 [X.] i.V.m. § 121 VwGO rechtskräftigen und die Beteiligten bindenden Erstentscheidung erfolgen. Dabei erstreckt sich die Bindungswirkung bei einem Bescheidungsurteil (bzw. hier: einem Bescheidungsbeschluss) nicht allein auf den Tenor, sondern auch auf die tragenden Gründe für die Aufhebung und die Neufassung der Verwaltungsentscheidung (vgl. [X.], Urteil vom 3. Juni 2010 - 9 C 4.09 - [X.]E 137, 105 Rn. 16; [X.], Urteil vom 25. Februar 2013 - 22 B 11.2587 - BayVBl 2014, 50 Rn. 69 ff.; [X.]/ [X.], VwGO, 25. Aufl. 2019, § 113 Rn. 215). Soweit sich das Gericht allerdings zu einem Gesichtspunkt nicht geäußert hat, fehlt es an einer verbindlich zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung (vgl. [X.], Urteil vom 3. Juni 2010 - 9 C 4.09 - [X.]E 137, 105 Rn. 19).

Hätte das [X.] in seinem Beschluss vom 9. November 2016 also etwa zum Ausdruck gebracht, dass der Textteil der Beurteilung als gewollt und rechtmäßig anzusehen und der numerische Teil der Beurteilung deshalb zu korrigieren sei, würde die Rechtskraft dieser Entscheidung - im Sinne des Antragstellers - wie ein Verschlechterungsverbot hinsichtlich des Textteils wirken. Im vorliegenden Fall hat sich das [X.] in den tragenden Gründen jedoch auf die Feststellung beschränkt, dass die Beurteilung in sich widersprüchlich sei, wenn der Durchschnittswert der dienstlichen Leistungen des Antragstellers mit "6,10" bewertet werde, der Text aber auf eine Bestnote zugeschnitten sei. Es hat damit nur den Widerspruch als solchen festgestellt und es dem zuständigen Beurteiler überlassen, diesen Widerspruch auf der Grundlage seiner Einschätzung des Eignungs- und Leistungsbildes des Antragstellers im maßgeblichen Zeitraum zu beheben. Damit kam grundsätzlich eine Angleichung des Textes an die (unveränderten) Notenwerte ebenso in Betracht wie umgekehrt die Angleichung der Notenwerte an den (unveränderten) Text. [X.] möglich war auch - wie hier geschehen - ein Mittelweg dergestalt, dass Notenwerte (durch Anhebung) und Text (durch Abschwächung positiver Aussagen) aufeinander zubewegt und in ein stimmiges Verhältnis gesetzt werden (vgl. bereits [X.], Beschluss vom 21. März 2019 - 1 [X.] 6.18 - juris Rn. 30).

(3) Der Antragsteller kann sich schließlich nicht mit Erfolg auf das Verschlechterungsverbot des § 42 Nr. 6 [X.] berufen. Dieses Verbot der "reformatio in peius" bei Beschwerden gegen Disziplinarmaßnahmen gilt primär für das vorgerichtliche Beschwerdeverfahren. Als Regelung eines Spezialfalls ist diese Vorschrift auf andere dem Wehrbeschwerderecht unterliegende Materien nicht ohne Weiteres übertragbar (vgl. Dau/Scheuren, [X.], 7. Aufl. 2020, § 13 Rn. 35 und [X.] in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 68 Rn. 17 ff. für das Widerspruchsverfahren); auch eine entsprechende Anwendung gemäß § 23a Abs. 1 [X.] für das gerichtliche Antragsverfahren kommt deshalb nicht in Betracht. Im Übrigen liegt - die Anwendbarkeit unterstellt - auch tatbestandlich kein dem § 42 Nr. 6 [X.] vergleichbarer Fall vor. Denn bezogen auf das Ergebnis ist für den Antragsteller keine Verschlechterung eingetreten, weil der Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung von "6,10" in der ursprünglichen auf "6,80" in der neugefassten Beurteilung angehoben wurde.

(4) Soweit der Antragsteller einen Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes und gegen das Gebot der Sachgerechtigkeit geltend macht, bringt er keine Gesichtspunkte vor, die über das schon vorstehend Erörterte hinausgingen.

3. [X.] beruht auf § 23a Abs. 2 Satz 1 [X.] i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

1 WRB 2/19

26.11.2020

Bundesverwaltungsgericht 1. Wehrdienstsenat

Beschluss

Sachgebiet: WRB

vorgehend Truppendienstgericht Süd, 28. August 2019, Az: S 5 BLa 03/17 und S 5 RL 02/19, Beschluss

Art 3 Abs 1 GG, § 121 VwGO, § 2 SLV 2002, § 42 Nr 6 WDO 2002, ZDV 20/6

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26.11.2020, Az. 1 WRB 2/19 (REWIS RS 2020, 4277)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 4277

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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