Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 02.06.2015, Az. 2 BvE 5/12, 2 BvE 3/13

2. Senat | REWIS RS 2015, 10359

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Einstellung zweier Organstreitverfahren nach Verzicht des Antragstellers auf sein Bundestagsmandat und Antragsrücknahme


Gründe

1

Der Antragsteller macht mit seiner Organklage Auskunfts-, Informations- und Beratungsrechte gegenüber der Bundesregierung und dem [X.] im Zusammenhang mit der Beteiligung des [X.] an der Bewältigung der Krise der [X.] Währungsunion sowie die Unvollständigkeit von in diesem Zusammenhang stehenden Gesetzentwürfen geltend. Er war bis zum 31. März 2015 Mitglied des 18. [X.]es.

2

1. Im Zuge der seit 2010 andauernden Krise der [X.] Währungsunion gewährten die Mitgliedstaaten des [X.] in einem ersten Schritt [X.] koordinierte bilaterale Finanzhilfen und schufen anschließend einen sogenannten "Rettungsschirm", [X.] zunächst eine privatrechtlich organisierte Zweckgesellschaft war, die [X.] ([X.]; vgl. hierzu [X.] 129, 124). Ab Ende 2010 strebten die Mitgliedstaaten des [X.] sodann einen dauerhaften Mechanismus zur Krisenbewältigung an, der später in der Form des Europäischen Stabilitätsmechanismus verwirklicht wurde. Parallel dazu wurde von den Mitgliedstaaten des [X.] sowie den meisten übrigen Mitgliedstaaten der [X.], Koordinierung und Steuerung in der [X.] (im Folgenden: [X.]) geschlossen. Der [X.] ist am 27. September 2012 in [X.] getreten ([X.]). Der auch als Fiskalvertrag bezeichnete [X.] wurde am 2. März 2012 unterzeichnet ([X.]) und trat am 1. Januar 2013 in [X.] (BGBl II S. 162).

3

a) Die Unterrichtung des [X.]es durch die Bundesregierung während der Vertragsverhandlungen zum [X.] war Gegenstand des Urteils des [X.] vom 19. Juni 2012 ([X.] 131, 152). Zu den einzelnen Verhandlungsschritten und dem Umfang der Unterrichtung wird insoweit auf den Sachbericht dieser Entscheidung Bezug genommen (vgl. [X.] 131, 152 <154 ff.>).

4

b) Unmittelbar nach der Verkündung des Urteils des [X.] vom 19. Juni 2012 forderte der Antragsteller den [X.] auf, entsprechend dem Urteil des [X.] umfassend Auskunft über vorhandene Unterlagen und Informationen im Zusammenhang mit dem [X.] zu erteilen, soweit diese dem [X.] noch nicht vorgelegt worden seien. Der [X.] ließ daraufhin mitteilen, dass es über die bereits erteilten Informationen und vorgelegten Dokumente hinaus keine weiteren Informationen oder Unterlagen gebe, die dem [X.] vorgelegt werden könnten oder vorzulegen wären.

5

2. Zur Regelung der finanziellen Beteiligung der [X.] am Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie zur Sicherstellung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des [X.]es wurde von den Fraktionen der [X.] und [X.] zunächst am 20. März 2012 (BTDrucks 17/9048) und später von der Bundesregierung am 23. April 2012 (BTDrucks 17/9371) ein textidentischer Entwurf für ein Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus ([X.] - ESMFinG) in den [X.] eingebracht. Beide Entwürfe enthielten zu dem mit "Beteiligungsrechte" überschriebenen § 3 des Entwurfs nur eine Leerstelle ("<1> <…>"). In der Begründung hieß es dazu, dass die Ausgestaltung der Beteiligungsrechte im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens erfolgen werde. Die Lücke wurde im Zuge der Beratungen in den Ausschüssen geschlossen und der vervollständigte Entwurf am 27. Juni 2012 an das Plenum des [X.]es verwiesen, um dort am 29. Juni 2012 beraten zu werden. Das Bemühen des Antragstellers, beim Präsidenten des [X.]es eine Vertagung der Beratungen zu erreichen, um eine hinreichende Beteiligung aller nicht den Fachausschüssen angehörenden Mitglieder des [X.]es zu ermöglichen, blieb erfolglos. Der Entwurf wurde vom [X.] am 29. Juni 2012 in zweiter und dritter Lesung beschlossen. Das [X.] ist am 19. September 2012 in [X.] getreten ([X.] 1918).

6

3. Im Zusammenhang mit der Gewährung eines Hilfsprogramms des Europäischen Stabilitätsmechanismus für die [X.] bat der Antragsteller im Februar 2013 den [X.] darum, ihm sämtliche Unterlagen zum [X.] sowie zum [X.], die als travaux préparatoires im Sinne des Art. 32 [X.] ([X.]) angesehen werden könnten, zu übersenden, weil diese bei einer Vertragsauslegung im Zusammenhang mit dem Vollzug des [X.]es relevant werden könnten. Eine erneute Aufforderung im März 2013 wurde auf Veranlassung des [X.] zurückgewiesen, weil dem [X.] bereits zahlreiche, für parlamentarische Entscheidungen notwendige Dokumente vorgelegt worden seien, worunter sich auch die nun begehrten Unterlagen befänden. Daraufhin beantragte der Antragsteller förmlich, ihm alle [X.] zum [X.] und [X.] sowie alle bei der Bundesregierung vorhandenen sonstigen Dokumente bezüglich der Verhandlungen und des Abschlusses dieser Verträge zu übergeben und ihm darüber hinaus in vollem Umfang Akteneinsicht in alle sonst bei der Bundesregierung hierzu vorhandenen Dokumente zu gewähren. Mit Schreiben vom 26. April 2013 wurde dieser Antrag vom [X.] abgelehnt.

7

1. Der Antragsteller hat im Verfahren 2 [X.] mit seinen am 30. Juni 2012 eingegangenen, gegen die Bundesregierung, den [X.] sowie den [X.] gerichteten Anträgen die Feststellung begehrt, dass er in seinen Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG in mehrfacher Weise durch die Antragsgegner verletzt worden sei. So habe die Bundesregierung durch die Einbringung eines bewusst unvollständigen Gesetzentwurfs gegen Art. 76 Abs. 1 und Abs. 2 GG verstoßen und damit zugleich seine Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Ebenso habe der Deutsche [X.] durch die Beratung der unvollständigen Gesetzentwürfe und die anschließende Beschlussfassung gegen Art. 76 Abs. 1 und Abs. 2 GG verstoßen und dadurch seine Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Die Bundesregierung habe seine Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG zudem dadurch verletzt, dass sie ihm Informationen vorenthalten habe, die zur sachgerechten Meinungsbildung über das Zustimmungsgesetz zum [X.] und damit zur sachgerechten parlamentarischen Beratung und Beschlussfassung unerlässlich gewesen wären.

8

2. Im Verfahren 2 [X.] hat der Antragsteller mit seinen am 21. August 2013 eingegangenen, gegen die Bundesregierung sowie den [X.] gerichteten Anträgen die Feststellung begehrt, dass diese ihn in seinen Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG dadurch verletzt hätten, dass sie sich weigerten, ihm Einsicht in sämtliche bei der Bundesregierung vorhandenen Dokumente zur Entstehungsgeschichte des [X.]es und des [X.]es, insbesondere in sämtliche Entwürfe, Änderungsanträge und [X.] zu gewähren, soweit diese nicht bereits dem [X.] übersandt worden seien oder aus dem [X.] oder anderen allgemein zugänglichen Quellen beschafft werden könnten. Gleiches gelte mit Blick auf ihre Weigerung, ihm den [X.] betreffend den [X.] und den [X.] sowie eine vollständige Liste aller [X.] zum [X.] und zum [X.] sowie aller sonst bei der Bundesregierung vorhandenen Dokumente bezüglich der Verhandlungen über diese Verträge zu übermitteln.

9

3. Die Antragsgegner halten die Anträge für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.

4. Der Antragsteller hat am 31. März 2015 gegenüber dem Präsidenten des [X.]es gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 [X.] den Verzicht auf sein Mandat erklärt. Mit der Bestätigung der Verzichtserklärung durch den Präsidenten des [X.]es ist er aus dem [X.] ausgeschieden (§ 47 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 46 Abs. 1 Nr. 4 [X.]).

5. Mit Schriftsatz vom 27. April 2015 hat der Antragsteller die Rücknahme seiner Anträge erklärt.

Die Verfahren sind einzustellen.

Bei dem [X.]verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 63 ff. [X.] handelt es sich um ein kontradiktorisches Verfahren (vgl. [X.] 126, 55 <67 f.>; 129, 356 <375>; 134, 141 <194 Rn. 160>; stRspr). Der Antragsteller hat seine Anträge zurückgenommen, nachdem er aus dem [X.] ausgeschieden ist. Damit ist in den beiden Verfahren auch das für den [X.] erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (vgl. [X.] 62, 1 <33>; 67, 100 <127>; 68, 1 <77>; 119, 302 <307 f.>) weggefallen. Ein öffentliches Interesse an der Fortsetzung der Verfahren besteht nicht, so dass dahinstehen kann, ob der Senat andernfalls die Verfahren trotz des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses des Antragstellers fortsetzen könnte (vgl. hierzu [X.] 24, 299 <300>; 83, 175 <181>; 87, 207 <209>).

Meta

2 BvE 5/12, 2 BvE 3/13

02.06.2015

Bundesverfassungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BvE

§§ 63ff BVerfGG, § 63 BVerfGG, § 46 Abs 1 S 1 Nr 4 BWahlG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 02.06.2015, Az. 2 BvE 5/12, 2 BvE 3/13 (REWIS RS 2015, 10359)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 10359 BVerfGE 139, 239-245 REWIS RS 2015, 10359

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