Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 18.12.2023, Az. 2 BvL 7/16

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2023, 9834

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Unzulässige Richtervorlage zur Verfassungsmäßigkeit des § 32a Abs 1 S 2 KStG iVm § 34 Abs 13a KStG - Unzureichende Prüfung verfassungskonformer Auslegungsalternativen


Tenor

Die Vorlage ist unzulässig.

Gründe

1

Der Vorlagebeschluss betrifft die Frage, ob die Anwendung des § 32a Abs. 1 Satz 2 Körperschaftsteuergesetz ([X.]) in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 ([X.] 2007) auf eine bereits bei Inkrafttreten der Regelung [X.] verfassungskonform ist.

2

1. § 32a [X.] wurde durch Art. 4 Nr. 7 [X.] 2007 vom 13. Dezember 2006 ([X.]) mit Wirkung zum 19. Dezember 2006 eingeführt. Die Vorschrift lautet:

§ 32a Erlass, Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden bei verdeckter Gewinnausschüttung oder verdeckter Einlage

(1)

(2)

3

Zugleich wurde in § 34 [X.] mit Absatz 13b eine Übergangsbestimmung eingeführt. Sie lautete:

§ 34 Schlussvorschriften

(13b)

4

Mit Art. 2 Nr. 13 Buchstabe k) Unternehmensteuerreformgesetz 2008 ([X.] 2007 S. 1912) wurde die Bestimmung ohne inhaltliche Änderung in Abs. 13c übernommen.

5

Zum 1. August 2014 wurde sie mit dem Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt [X.] zur [X.] und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften ([X.] S. 1266) aufgehoben.

6

2. Im Ausgangsverfahren vor dem [X.] (im Folgenden: [X.]) wandten sich die zusammenveranlagten Eheleute (…) (im Folgenden Eheleute), jeweils zu 50 % Gesellschafter der (…) GmbH (im Folgenden: GmbH), gegen die mit Bescheid vom 1. April 2008 geänderte Festsetzung ihrer Einkommensteuer für das [X.] durch das Finanzamt (…) (im Folgenden: Finanzamt).

7

a) Dem lag der Erwerb einer im Wesentlichen mit einer Villa bebauten Immobilie mit parkähnlichem Baumbestand durch die Eheleute und die GmbH im [X.] zugrunde. Dabei erlangten die Eheleute Eigentum an der deutlich größeren Teilfläche, die mit der Villa bebaut war, während die GmbH eine Teilfläche mit dichtem Baumbestand in Hanglage im hinteren [X.] erhielt, die in der Folgezeit entgegen ursprünglichen Erwägungen nicht bebaut wurde. Die Aufteilung des Kaufpreises und von der GmbH getragener Umbaukosten entsprach nicht dem Wert dieser Grundstücksteile.

8

Eine im November 2002 angeordnete steuerliche Betriebsprüfung für die Veranlagungszeiträume 1998 - 2000 kam zu dem Ergebnis, dass im Zusammenhang mit dem Grundstückskauf bei der Einkommensteuerveranlagung der Eheleute für das [X.] verdeckte Gewinnausschüttungen in Höhe von 826.803 DM zu berücksichtigen seien. Am 2. April 2008 erging ein entsprechend geänderter Körperschaftsteuerbescheid. Am 1. April 2008 änderte das Finanzamt die erstmals am 3. November 2000 aufgrund der [X.] im selben Jahr ergangene Einkommensteuerfestsetzung der Eheleute für das [X.] gemäß § 32a Abs. 1 [X.]. Die verdeckten Gewinnausschüttungen wurden dabei als Einkünfte aus Kapitalvermögen erfasst. Ihren Einspruch hiergegen stützten die Eheleute unter anderem auch darauf, dass die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer am 31. Dezember 2004 abgelaufen sei. Das Finanzamt änderte die Festsetzung geringfügig, hielt aber mit Blick auf die Festsetzungsverjährung daran fest, dass gemäß § 32a Abs. 1 Satz 2 [X.] in Verbindung mit § 34 Abs. 13b [X.] die Festsetzungsfrist für die Erfassung einer verdeckten Gewinnausschüttung, die in einem nach dem 18. Dezember 2006 ergangenen Körperschaftsteueränderungsbescheid berücksichtigt wurde, in der Einkommensteuerfestsetzung der Gesellschafter nicht vor Ablauf eines Jahres nach Unanfechtbarkeit des Steuerbescheides der Körperschaft ende. Der Ermessensspielraum des Finanzamtes sei hier gegen Null reduziert, da es verpflichtet sei, die richtige Steuer gegenüber dem Anteilseigner festzusetzen. Auch sehe § 32a [X.] keine Beschränkung der [X.] auf Vorgänge vor, die unter das - zum 1. Januar 2001 eingeführte - Halbeinkünfteverfahren fallen.

9

b) Im Klageverfahren vor dem [X.] ist nach entsprechender Verständigung allein die Frage der Anwendbarkeit des § 32a [X.] ungeachtet der am 18. Dezember 2006 bereits eingetretenen Festsetzungsverjährung der Einkommensteuer 1998 streitig.

Das [X.] hat nach der Entscheidung des [X.] vom 16. Dezember 2014 - [X.]/12 - ([X.] 2015, S. 858) am 20. April 2016 gemäß Art. 100 Abs. 1 GG das Verfahren ausgesetzt und dem [X.] die Frage vorgelegt, ob § 32a Abs. 1 Satz 2 [X.] in der Fassung des [X.] 2007 in Verbindung mit § 34 Abs. 13c [X.] in der Fassung vom 10. Oktober 2007 insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als die rückwirkend eintretende Ablaufhemmung auch die Änderung einer bei dem Inkrafttreten des § 32a [X.] am 19. Dezember 2006 bereits festsetzungsverjährten Einkommensteuerfestsetzung gegenüber dem Gesellschafter, dem die verdeckte Gewinnausschüttung zuzurechnen ist, in offener Festsetzungsfrist ermöglicht.

1. a) §32a Abs. 1 Satz 1 [X.] diene als Korrekturvorschrift dem Zweck, eine korrespondierende Besteuerung einer verdeckten Gewinnausschüttung bei einer Gesellschaft und ihren Gesellschaftern zu erreichen. Hierfür ende die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer der Gesellschafter nicht vor Ablauf eines Jahres nach Unanfechtbarkeit des Steuerbescheides der Körperschaft. Nach § 34 Abs. 13b Satz 1 [X.] in der Fassung des [X.] 2007 vom 13. Dezember 2006 beziehungsweise § 34 Abs. 13c Satz 1 [X.] in der gleichlautenden Fassung vom 10. Oktober 2007 gelte § 32a [X.] erstmals für nach dem 18. Dezember 2006 erlassene, aufgehobene oder geänderte [X.] und zwar auch dann, wenn der aufzuhebende oder zu ändernde Steuerbescheid vor dem 18. Dezember 2006 erlassen worden sei.

b) [X.] man dies zugrunde, scheide eine verfassungskonforme Auslegung des § 32a [X.] in der Weise, dass die hierdurch eröffnete [X.] zulasten des Steuerpflichtigen nur für [X.] gelte, bei denen die Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Abgabenordnung ([X.]) für die zu ändernde Steuerfestsetzung bei Inkrafttreten der Vorschrift noch nicht abgelaufen sei, aus.

Maßgebend für die Interpretation des Gesetzes sei der objektivierte Wille des Gesetzgebers, der durch grammatikalische, systematische und teleologische Auslegung sowie aus der historischen Auslegung festzustellen sei. Hinzu komme die verfassungskonforme Auslegung, wenn offensichtlich mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kämen.

Der Senat vermöge keine tragfähige Grundlage für eine Auslegung des in § 32a [X.] zum Ausdruck kommenden objektivierten Willens des Gesetzgebers dahin zu erkennen, dass die Ablaufhemmung bei "Folgebescheiden", die bei isolierter Betrachtung der Festsetzungsverjährung unterlägen, nicht eingreifen solle. Der Wortsinn erbringe hierfür keinen Anhaltspunkt. Gleiches gelte für den Gesetzeszweck der korrespondierenden Besteuerung einer verdeckten Gewinnausschüttung. Der Gesetzentwurf des Jahressteuergesetzes 2007 stütze hingegen klar und eindeutig die gegenteilige Annahme. Ebenso spreche der systematische Zusammenhang zur Ablaufhemmung in § 171 Abs. 10 [X.] für den unbeschränkten Eintritt der Ablaufhemmung. Mangels tragfähiger Anhaltspunkte für eine andere Gesetzesinterpretation könne dem hiermit verbundenen Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung Rechnung getragen werden. Es ergäben sich auch keine Anhaltspunkte für eine Beschränkung der Geltung des § 32a [X.] auf Vorgänge, die unter das Halbeinkünfteverfahren fielen.

2. Die Vorlagefrage sei entscheidungserheblich. Die Klage wäre unbegründet, wenn die Rückwirkung des § 32 Abs. 1 Satz 2 [X.] in Verbindung mit § 34 Abs. 13c [X.] n.F. verfassungsgemäß wäre. Sie hätte jedoch Erfolg, wenn die Regelung, soweit sie bereits am 19. Dezember 2006 [X.]en erfasse, verfassungswidrig wäre.

a) Im Streitfall habe die Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] mit Ablauf des Jahres 2000, in dem die Einkommensteuererklärung eingereicht worden sei, begonnen und aufgrund der regulären vierjährigen Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.] am 31. Dezember 2004 geendet. Der Senat vermöge den Tatbestand einer vorsätzlichen Steuerverkürzung im Sinne des § 370 Abs. 1 [X.] nicht festzustellen, so dass eine Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre nicht eingetreten sei.

b) Für die Berücksichtigung der verfassungswidrigen Rückwirkung im Rahmen des Ermessens der Finanzbehörde sehe der Senat keine Rechtsgrundlage. § 32a Abs. 1 [X.] räume zwar der Finanzbehörde für die Entscheidung, ob der Steuerbescheid auf [X.] des [X.] geändert werde, Ermessen ein. Es bestehe keine Bindung an die Entscheidung des für die Körperschaft zuständigen Finanzamtes. Das Ermessen der für den Gesellschafter zuständigen Finanzbehörde sei aber regelmäßig auf Null reduziert, wenn eine Anpassung der betreffenden Steuerfestsetzung erforderlich sei, um eine rechtmäßige Besteuerung des Gesellschafters zu erreichen. Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung könne der Senat keinen Auslegungsspielraum für eine Auslegung des § 32a [X.] erkennen, der eine Ermessensreduzierung aus verfassungsrechtlichen Gründen ermögliche. Es habe keine [X.] bestanden. Die Änderung bei dem Anteilseigner sei nicht wegen Ermessensüberschreitung fehlerhaft und damit rechtswidrig. Einer inneren Grenze des Ermessens aus der Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes stehe der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers entgegen. Ein solcher Ermessensspielraum würde voraussetzen, dass die Finanzbehörde die Anwendung des Gesetzes unter den Vorbehalt des Ergebnisses der eigenen verfassungsrechtlichen Prüfung stellen könnte und müsste. Gegenstand des Vertrauensschutzprinzips als innere Ermessensschranke sei indes nicht die Überprüfung der die Verwaltung bindenden Gesetze auf eine etwaige verfassungswidrige Rückwirkung, sondern die Prüfung, ob das Vertrauen eines Beteiligten in ein bestimmtes Verhalten der Finanzbehörde nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem solchen Maße schutzwürdig sei, dass demgegenüber der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit zurückzutreten habe. Dies setze voraus, dass der Steuerpflichtige im Vertrauen auf das Behördenverhalten [X.] getroffen habe, was im Streitfall weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sei.

Zu keinem anderen Ergebnis führe der Umstand, dass der [X.] vom 1. April 2008 einen Tag vor der erstmaligen Berücksichtigung der verdeckten Gewinnausschüttung im geänderten Körperschaftsteuerbescheid vom 2. April 2008 erfolgt sei, weil beim Erlass der Einspruchsentscheidung die gesetzlichen Voraussetzungen des § 32a [X.] vorgelegen hätten.

3. Die Änderung einer bei dem Inkrafttreten des § 32 [X.] am 19. Dezember 2006 bereits festsetzungsverjährten Einkommensteuerfestsetzung stelle eine echte Rückwirkung dar, die verfassungswidrig sei. Sie greife in einen abgeschlossenen Sachverhalt ein, da mit der Festsetzungsverjährung die [X.] erloschen sei. Der Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen habe mangels besonderer Rechtfertigungsgründe Vorrang vor dem [X.] des Gesetzgebers. Weder sei die zuvor bestehende Rechtslage unklar und verworren oder in einem Maße systemwidrig und unbillig gewesen, dass ernsthafte Zweifel an ihrer Verfassungsmäßigkeit bestanden hätten, noch geböten überragende Gründe des gemeinen Wohls die echte Rückwirkung. Zwar beruhe die Regelung ausweislich der Gesetzesbegründung darauf, dass die Steuerfreistellung des [X.] zu mit den Grundsätzen des Halbeinkünfteverfahrens nicht zu rechtfertigenden Ergebnissen führe. Dieses Ziel einer besseren Verwirklichung der Steuergerechtigkeit sei jedoch kein die echte Rückwirkung legitimierender überragender Grund des Gemeinwohls. Dies müsse umso mehr gelten, als die Rückwirkung Fälle erfasse, auf die noch das Anrechnungsverfahren nach dem Körperschaftsteuergesetz 1977 Anwendung finde, also ungerechtfertigte Steuervorteile überhaupt nicht in Frage stünden. Der Gesetzgeber hätte deshalb eine Beschränkung der rückwirkenden Anwendung des § 32a [X.] auf die Fälle vorsehen müssen, die am 19. Dezember 2006 noch nicht festsetzungsverjährt gewesen seien.

Mit Schreiben vom 7. September 2023 hat die Berichterstatterin das vorlegende Gericht auf Bedenken die Zulässigkeit des [X.] betreffend hingewiesen. Es hat von einer ergänzenden Stellungnahme abgesehen.

Die Vorlage ist unzulässig.

Gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 1 [X.] hat ein Gericht die Entscheidung des [X.]s einzuholen, wenn es ein nachkonstitutionelles Gesetz für verfassungswidrig hält, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt (vgl. [X.] 97, 117 <122 f.>; 127, 335 <355>, 131, 88 <117>; 153, 310 <330 Rn. 47> - Knorpelfleisch).

Das Gericht muss darlegen, aus welchen Gründen es von der Verfassungswidrigkeit einer Norm überzeugt ist und dass und weshalb es im Falle der Gültigkeit der Vorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Fall ihrer Ungültigkeit (vgl. [X.] 141, 143 <160 Rn. 34>). Zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit sind alle naheliegenden rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen (vgl. [X.] 80, 68 <71>; 86, 71 <78>). Das vorlegende Gericht muss auch die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung erörtern, wenn sie naheliegt (vgl. [X.] 85, 329 <333>; 121, 108 <117>), und insoweit vertretbar begründen, dass es eine verfassungskonforme Auslegung der zur Prüfung gestellten Norm nicht für möglich hält (vgl. [X.] 96, 315 <324 f.>; 121, 108 <117>; 131, 88 <118>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 29. April 2022 - 1 BvL 2/17 u.a. - ).

Eine Norm ist nur dann für verfassungswidrig zu erklären, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen nur eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist diese geboten (vgl. [X.] 83, 201 <214 f.>; 88, 145 <166>). Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenze jedoch dort, wo sie zum Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde. Der Respekt vor dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber verbietet es, im Wege der Auslegung einem nach Sinn und Wortlaut eindeutigen Gesetz einen entgegengesetzten Sinn beizulegen oder den normativen Gehalt einer Vorschrift grundlegend neu zu bestimmen (vgl. [X.] 90, 263 <274 f.>; 119, 247 <274>; 128, 193 <209 ff.>; 132, 99 <127 ff.>; 138, 296 <350 Rn. 132>).

Das [X.] legt an die Begründung eines konkreten Normenkontrollantrags in ständiger Rechtsprechung einen strengen Maßstab an, um den Grundsatz der Subsidiarität des verfassungsgerichtlichen gegenüber dem fachgerichtlichen Verfahren zu wahren (vgl. [X.] 65, 265 <277>; 97, 49 <66 f.>). Fehlen für die Beurteilung notwendige Erläuterungen, kann das [X.] diese nicht durch eigene Erwägungen ersetzen (vgl. [X.] 97, 49 <62>; 105, 61 <67>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 31. März 2022 - 1 BvL 8/21 -, Rn. 8).

Das vorlegende Gericht hat nicht diesen Maßgaben entsprechend dargelegt, warum es eine verfassungskonforme Auslegung nicht für möglich hält.

1. Ausgehend von der Auffassung des vorlegenden Gerichts, dass § 32a Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 34 Abs. 13b [X.] eine auch nicht ausnahmsweise gerechtfertigte echte Rückwirkung begründet, liegt jedoch eine verfassungskonforme Auslegung nahe.

Der Wortlaut des § 32a [X.] ebenso wie derjenige des § 34 Abs. 13b beziehungsweise 13c [X.] verhält sich nicht ausdrücklich dazu, ob auch bei Inkrafttreten der Normen am 19. Dezember 2006 bereits festsetzungsverjährte Steuerbescheide von der in § 32a Abs. 1 Satz 2 [X.] geregelten Ablaufhemmung erfasst sind (vgl. Luft, [X.], 409 <410 f.>). Die Übergangsbestimmung stellt vielmehr nur darauf ab, dass der aufzuhebende oder zu ändernde Steuerbescheid vor dem 18. Dezember 2006 erlassen worden ist. Dies kann am 18. Dezember 2006 festsetzungsverjährte Steuerbescheide einschließen, ebenso aber zur Vermeidung einer unzulässigen echten Rückwirkung verfassungskonform einschränkend interpretiert werden.

Als Zweck der Regelung gibt die Gesetzesbegründung an, es werde sichergestellt, dass Bezüge des [X.], die auf [X.] der Kapitalgesellschaft als verdeckte Gewinnausschüttung dem Einkommen hinzugerechnet wurden, bei diesem nach den Grundsätzen des Halbeinkünfteverfahrens besteuert werden (vgl. BTDrucks 16/2712, [X.]). Ohne die Korrekturvorschrift käme es zu mit den Grundsätzen des Halbeinkünfteverfahrens nicht zu rechtfertigenden Ergebnissen (vgl. BTDrucks 16/2712, [X.]). Hieraus ergibt sich weder, dass eine Rückwirkung auf Sachverhalte beabsichtigt war, die nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterfallen, noch dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens festsetzungsverjährte [X.] erfasst sein sollen.

Die Annahme, der Gesetzgeber habe mit diesen Bestimmungen auch bereits festsetzungsverjährte [X.] erfassen wollen, stützt sich auf die Gesetzesbegründung für § 34 Abs. 13b [X.] (vgl. BTDrucks 16/2712, [X.]). Sie lautet:

"Nach dem neuen Absatz 13b findet der neue § 32a [X.] auch dann Anwendung, wenn im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes die Festsetzungsfrist beim Anteilseigner bereits abgelaufen ist."

Dieser Satz findet sich wortgleich bereits am Ende der allgemeinen Erläuterungen zu § 32a [X.] (vgl. BTDrucks 16/2712, [X.]). Weitere Ausführungen, namentlich zur Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Rückwirkung enthält die Gesetzesbegründung nicht.

In der Gesamtschau dieser Anhaltspunkte ist nicht erkennbar, dass eine verfassungskonforme Auslegung ausgeschlossen ist. Es erscheint weder zwingend, § 32a Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 34 Abs. 13b [X.] a.F. beziehungsweise § 34 Abs. 13c [X.] n.F. auch auf [X.] anzuwenden, die noch unter das Anrechnungsverfahren fallen. Noch scheint es ausgeschlossen, festsetzungsverjährte [X.] auszunehmen, wenn und soweit dies wegen eines verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots geboten ist. Es wäre möglich, dass die Gesetzesbegründung, die Änderungen festsetzungsverjährter [X.] von der Neuregelung erfasst wissen will, nur für den Steuerpflichtigen günstige Änderungen im Blick hatte (vgl. Luft, [X.], 409 <409>; [X.], [X.] 2012, 2611 f.). Eine Auslegung, nach der nachteilige Änderungen festsetzungsverjährter Steuerbescheide ausgenommen werden, stünde hierzu nicht im Widerspruch und könnte dem vom vorlegenden Gericht geltend gemachten Rückwirkungsverbot Rechnung tragen.

2. Das vorlegende Gericht legt § 32a [X.] - im [X.] an das Urteil des [X.] vom 16. Dezember 2014 ([X.]/12 - [X.], 325, [X.], S. 858) - gleichwohl dahin aus, dass die Norm einen "unbeschränkten Eintritt" der Ablaufhemmung auch für bereits festsetzungsverjährte Einkommensteuerbescheide anordne. Für diese Auslegung führt es neben der Gesetzesbegründung den systematischen Zusammenhang zur Regelung der Ablaufhemmung in § 171 Abs. 10 [X.] an. Letzterer erläutert die Wirkung des § 32a [X.]; warum die Reichweite der Übergangsbestimmung des § 34 Abs. 13b [X.] unbeschränkt sein muss, erschließt sich jedoch daraus noch nicht. Darüber hinaus weist das vorlegende Gericht lediglich darauf hin, dass der Wortsinn und der Gesetzeszweck keine Anhaltspunkte für eine einschränkende Auslegung böten. Weil damit tragfähige Anhaltspunkte für eine andere als die zugrunde gelegte Gesetzesinterpretation fehlten, scheide eine verfassungskonforme Auslegung aus, mit der den grundrechtlich geschützten Positionen Rechnung getragen werden könnte.

Diese Ausführungen verfehlen die Anforderungen an eine vertretbare Begründung, weshalb eine verfassungskonforme Auslegung ausgeschlossen ist. Eine verfassungskonforme Auslegung scheidet danach nicht bereits dann aus, wenn Wortsinn und Gesetzeszweck keine Anhaltspunkte für sie bieten. Eine mit Hilfe verfassungsrechtlicher Maßgaben gefundene Auslegung kommt vielmehr gerade dann in Betracht, wenn sich das entsprechende Auslegungsergebnis nicht bereits mit anderen Auslegungsmethoden ergibt. Eine verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenze erst dort, wo sie zum Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde.

Einen Widerspruch zum Wortlaut oder zum Gesetzeszweck macht das vorlegende Gericht jedoch nicht geltend. Allein der Umstand, dass der [X.] fachrechtlich einer Auslegung aufgrund der Gesetzesbegründung den Vorrang gibt, macht die Darlegung nicht entbehrlich, aus welchen Gründen eine verfassungskonform einschränkende Auslegung ausscheidet.

3. Nähere Erläuterungen zur Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung sind auch nicht entbehrlich. So bedürfte es weiterer Erläuterungen, warum eine beschränkende Auslegung des § 32a [X.] beispielsweise auf Sachverhalte, die dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen, ausscheidet oder warum eine Berücksichtigung belastender Wirkungen einer Rückwirkung auf bereits am 19. Dezember 2006 [X.]en im Rahmen des Ermessens nicht in Betracht kommt.

a) Der [X.] weist darauf hin, dass die nach seiner Auslegung des § 32a [X.] angenommene echte Rückwirkung auf [X.]en grundsätzlich verfassungswidrig wäre (vgl. [X.], a.a.[X.], juris, Rn. 35, 36). Ob sie - ausnahmsweise - gerechtfertigt sein könnte, erörtert der [X.] nicht weiter (vgl. [X.], a.a.[X.], juris, Rn. 38, 46). Mangels [X.] hatte er nicht zu entscheiden, ob ohne eine solche Rechtfertigung das systematisch und gesetzgebungshistorisch gewonnene Auslegungsergebnis des § 32a [X.] hinter einer beschränkenden Auslegung zurückstünde.

Das vorlegende Gericht führt zwar aus, dass die Anwendung des § 32a [X.] auf bereits bei Inkrafttreten der Regelung [X.]en eine echte Rückwirkung darstellt. Ebenso erläutert es, dass keine in der Rechtsprechung des [X.]s entwickelten besonderen Gründe bestehen, diese ausnahmsweise zu rechtfertigen.

Dies legt allerdings nur die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit einer rückwirkenden Anwendung des § 32a [X.] dar. Hingegen ergibt sich hieraus noch nicht, warum eine verfassungskonforme Auslegung ausscheidet, die die nach Überzeugung des Gerichts hier zu berücksichtigenden verfassungsrechtlichen Vorgaben wahrt.

b) Ebenso hat der [X.] nicht entscheiden müssen und nicht dazu ausgeführt, ob es ausgeschlossen wäre, § 32a [X.] zwar rückwirkend auf bereits am 18. Dezember 2006 festsetzungsverjährte oder noch unter Geltung des [X.] ergangene [X.] anzuwenden, aber einen berechtigten Vertrauensschutz bei der Entscheidung zu berücksichtigen.

An anderer Stelle hat der I. Senat des [X.] unter Berufung auf die genannte Entscheidung des [X.]. Senats klargestellt, dass sich die Rechtswirkung des § 32a [X.] nach dessen ausdrücklichem Wortlaut auf die Schaffung einer verfahrensrechtlichen Änderungsmöglichkeit beschränkt und nur die Möglichkeit eröffnet, die materielle Rechtslage verfahrensrechtlich umzusetzen (vgl. [X.], Beschluss vom 31. August 2016 - [X.]/15 -, juris, Rn. 15). Das [X.] Rheinland-Pfalz hat für den Fall einer verdeckten Einlage, die zu einer günstigen Änderung der Körperschaftsteuerfestsetzung führen würde, betont, dass eine Anwendung des § 32a [X.] verfassungsrechtlich nur bedenklich wäre, wenn sie belastende Wirkung hätte (vgl. [X.] Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. Juli 2016 - 1 K 1303/16 -, juris, Rn. 52).

Das vorlegende Gericht führt zum Ermessen, das § 32a [X.] einräumt, aus, eine Berücksichtigung des Vertrauensschutzes in die bereits bei Inkrafttreten der Regelung abgelaufene Festsetzungsverjährung komme hierbei nicht in Betracht. Das Ermessen erlaube den Finanzbehörden nicht die Überprüfung der für sie bindenden Gesetze auf eine etwaige verfassungswidrige Rückwirkung. Es sei hingegen regelmäßig auf Null reduziert, wenn eine Anpassung der betreffenden Steuerfestsetzung erforderlich sei, um eine rechtmäßige Besteuerung des Gesellschafters zu erreichen.

Hiermit begründet das [X.] jedoch noch nicht hinreichend, warum es selbst die Ermessensnorm des § 32a [X.] nicht dahin auslegen kann, dass eine bereits bei Inkrafttreten der Norm [X.] nicht in belastender Weise geändert wird. Die Auslegung des eingeräumten Ermessens beruht vielmehr auf der Überzeugung, dass eine verfassungskonforme Auslegung des § 32a [X.] ausgeschlossen ist. Das vorlegende Gericht verweist darauf, dass "einer inneren Grenze des Ermessens aus der Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes" der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers entgegenstehe. Dass eine verfassungskonforme Auslegung des § 32a [X.] ausscheidet, hat das vorlegende Gericht aber - wie ausgeführt - nicht hinreichend dargelegt.

Auch durch diese Erläuterungen ergibt sich damit noch nicht, warum eine verfassungskonforme Auslegung des § 32a [X.] ausscheidet, mit der dem Vertrauensschutz in den Bestand der festsetzungsverjährten Einkommensteuerfeststellung Rechnung getragen werden kann.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvL 7/16

18.12.2023

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvL

vorgehend FG Köln, 20. April 2016, Az: 4 K 2717/09, Vorlagebeschluss

Art 20 Abs 3 GG, Art 100 Abs 1 GG, § 80 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 171 Abs 10 AO 1977, § 32a Abs 1 S 2 KStG vom 13.12.2006, § 34 Abs 13c KStG vom 13.12.2006

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 18.12.2023, Az. 2 BvL 7/16 (REWIS RS 2023, 9834)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9834

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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I B 146/15

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VIII R 30/12

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