Bundessozialgericht, Urteil vom 19.05.2021, Az. B 14 AS 57/19 R

14. Senat | REWIS RS 2021, 5728

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Gegenstand

Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Heizkostennachforderung - unwirtschaftliches Heizverhalten - Überschreiten des Grenzwertes des bundesweiten Heizkostenspiegels - konkrete Angemessenheitsprüfung - Notwendigkeit einer Kostensenkungsaufforderung


Leitsatz

Die konkrete Angemessenheitsprüfung und die Notwendigkeit einer Kostensenkungsaufforderung gelten auch in Bezug auf eine Heizkostennachforderung, die den Grenzwert aus dem bundesweiten Heizkostenspiegel überschreitet.

Tenor

Auf die Revisionen der [X.] wird das Urteil des [X.] vom 9. Januar 2019 aufgehoben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 22. Oktober 2013 zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten der [X.] auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

1

[X.] sind Leistungen für Unterkunft und Heizung für Mai 2011.

2

Die Klägerinnen sind 2005, 2006 und 2008 geboren und leben bei ihrer Mutter. Für die von September 2009 bis 5.1.2011 bewohnte, 85,78 qm große Mietwohnung berücksichtigte das beklagte Jobcenter als Bedarfe für Unterkunft und Heizung neben der Miete in tatsächlicher Höhe ua Heizkosten in Höhe von monatlich 74,11 Euro für Januar, 78,28 Euro für Februar bis Mai 2010 und von 138,96 Euro für Juni bis Dezember 2010 entsprechend den [X.] und nach Abzug der Pauschalen für Warmwasserbereitung.

3

Am 6.1.2011 zog die Familie mit Zustimmung des Beklagten in eine andere Wohnung um; bis dahin bezogen neben der Mutter auch die Klägerinnen Leistungen nach dem [X.] Auf ihren Antrag bewilligte der Beklagte nur der Mutter der Klägerinnen für die [X.] vom 1.1. bis 30.6.2011 Leistungen; Leistungen für die Klägerinnen wurden wegen ihres den jeweiligen Bedarf übersteigenden Einkommens zunächst nicht, im weiteren Verlauf nur für Juni 2011 bewilligt (Bescheid vom 27.12.2010; [X.] vom 26.3. und 12.5.2011; Widerspruchsbescheid vom 21.6.2011; im Mai 2011 hatten die Klägerinnen Einkommen in Form von Unterhaltsvorschuss, Wohngeld und Kindergeld). Gegen die Bescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids haben allein die Klägerinnen Klage erhoben.

4

Bereits im April 2011 hatte der frühere Vermieter ua eine Heizkostennachforderung in Höhe von 690,35 Euro geltend gemacht, fällig am 1.5.2011. Der Beklagte lehnte (mit einem nur an die Mutter der Klägerinnen gerichteten Bescheid vom [X.]) die Übernahme der Heizkostennachzahlung wegen Unangemessenheit ab, soweit sie 148,58 Euro übersteige (teilweise Abhilfe des Widerspruchs im Widerspruchsbescheid vom 6.10.2011). Das dagegen gerichtete Klageverfahren (Aktenzeichen [X.] AS 2598/11), geführt von den Klägerinnen und ihrer Mutter, wurde im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.], in dem auch das vorliegende Verfahren verhandelt und entschieden worden ist, für erledigt erklärt.

5

Während das [X.] den Beklagten verurteilt hat (Urteil vom 22.10.2013), den Klägerinnen Leistungen für Mai 2011 unter Berücksichtigung der dort fälligen Heizkostennachzahlung in Höhe von 690,35 Euro zu bewilligen, hat das L[X.] das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klagen abgewiesen (Urteil vom [X.]). Zur Begründung hat das L[X.] ua ausgeführt, ein Leistungsanspruch der Klägerinnen für Mai 2011 bestehe nicht; insbesondere sei die Heizkostennachforderung nicht (anteilig) bedarfserhöhend zu berücksichtigen. Die Heizkosten seien unangemessen hoch und beruhten auf einem offensichtlich grob unwirtschaftlichen Heizverhalten. Sie überstiegen die Grenzwerte des "Bundesweiten Heizspiegels". Einer Kostensenkungsaufforderung durch den Beklagten habe es nicht bedurft. § 22 Abs 1 Satz 3 [X.]B II ziele vornehmlich auf diejenigen Fälle ab, in denen die unangemessenen Heizkosten auf einer unangemessenen Wohnungsgröße beruhten. Einschränkungen der Übernahmefähigkeit aufgrund unwirtschaftlichen [X.] habe auch das B[X.] angenommen (Verweis auf B[X.] vom 19.9.2008 - B 14 [X.]/07 R).

6

Mit ihren vom Senat zugelassenen Revisionen rügen die Klägerinnen eine Verletzung des § 22 Abs 1 [X.]B II. Das L[X.] sei zu Unrecht davon ausgegangen, Heizkosten, die auf einem grob unwirtschaftlichen Verhalten beruhten, seien auch ohne vorherige Kostensenkungsaufforderung nicht als Bedarf zu berücksichtigen. Dies stehe in Widerspruch zu § 22 Abs 1 Satz 3 [X.]B II, der nur zwischen angemessenen und unangemessenen Kosten differenziere. Unangemessene Kosten seien danach so lange als Bedarf zu berücksichtigen, wie es dem Hilfebedürftigen nicht möglich oder zumutbar sei, sie zu senken. Deshalb habe das B[X.] bereits entschieden, dass unangemessene Heizkosten so lange zu übernehmen seien, bis eine Kostensenkungsaufforderung erfolgt sei. Das Gegenteil ergebe sich auch nicht aus der vom L[X.] genannten Entscheidung.

7

Die Klägerinnen beantragen,
das Urteil des [X.] vom 9. Januar 2019 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 22. Oktober 2013 zurückzuweisen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.

9

Er hält die Entscheidung des L[X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revisionen der [X.] sind im Sinne der Aufhebung des [X.] begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 [X.]G). Ihnen stehen für Mai 2011 unter Berücksichtigung der Heizkostennachforderung höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung zu.

1. Gegenstand des Verfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen und dem Bescheid vom 12.5.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] vom [X.] und der Widerspruchsbescheid vom 6.10.2011, soweit dem Widerspruch darin teilweise abgeholfen worden ist. Letztere sind nach §§ 86, 96 [X.]G Gegenstand des Widerspruchs- bzw [X.]lageverfahrens geworden und haben den zuletzt nach § 86 [X.]G in das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 27.12.2010 einbezogenen Bescheid vom 12.5.2011 in Bezug auf Mai 2011 geändert.

Bei Auslegung des Bescheids vom 12.5.2011 nach objektivem Sinngehalt, also danach, wie der Empfänger diesen bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls objektiv verstehen musste ([X.]; statt vieler B[X.] vom 6.4.2011 - [X.] [X.]/10 R - [X.], 86 = [X.]-1500 § 54 [X.], Rd[X.] 18; B[X.] vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R - [X.]-2600 § 96a [X.] Rd[X.] 25) hat der Beklagte darin nicht nur eine Nachzahlung wegen des Wegfalls des Abzugs für die Warmwasseraufbereitung ab 1.1.2011 verfügt, sondern auch konkludent weitere Leistungen für Mai 2011 abgelehnt. Denn dem Beklagten war bei [X.] bekannt, dass Heizkosten nachgefordert wurden, weil deren Übernahme durch die Mutter der [X.] zuvor (am [X.]) beantragt worden war (zur fehlenden Notwendigkeit eines entsprechenden Antrags B[X.] vom [X.] - [X.] [X.]/09 R - [X.]-4200 § 22 [X.] 38).

Sodann hat der Beklagte mit dem Bescheid vom [X.] erneut über den Leistungsanspruch der [X.] (und ihrer Mutter) für Mai 2011 entschieden und mit der im Widerspruchsbescheid erfolgten Bewilligung von 148,58 [X.] dem Widerspruch teilweise abgeholfen. Dass in den Bescheiden nicht der Leistungsanspruch insgesamt für Mai 2011 ausgewiesen ist und die Bescheide nur an die Mutter der [X.] adressiert sind, steht ihrem ändernden Charakter in Bezug auf den Bescheid vom 12.5.2011 nicht entgegen. Denn der Bescheid vom [X.] ist nach Maßgabe eines verständigen Empfängers, der die Zusammenhänge berücksichtigt, die die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat und unter Berücksichtigung des § 38 [X.] nicht als (unzulässige, vgl [X.] seit B[X.] vom 7.11.2006 - B 7b [X.] - [X.], 217 = [X.]-4200 § 22 [X.] 1, Rd[X.] 22) isolierte Entscheidung nur über die Übernahme der Heizkosten allein gegenüber der Mutter der [X.] zu verstehen, sondern auch an die [X.] gerichtet. Da die gegen diese Bescheide gerichtete und später als die vorliegend erhobene [X.]lage [X.] AS 2598/11 deshalb wegen anderweitiger Rechtshängigkeit von Anfang an unzulässig war (§ 202 Satz 1 [X.]G iVm § 17 Abs 1 Satz 2 GVG) steht ihre Rücknahme/Erledigung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.] einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen.

2. Ihre Ansprüche machen die [X.] mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage 54 Abs 1, 4 [X.]G) geltend, zulässigerweise gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz 1 [X.]G) im Höhenstreit (dazu B[X.] vom [X.] - [X.] [X.] - B[X.]E 127, 214 = [X.]-4200 § 22 [X.] 101, Rd[X.] 12), in der Sache begrenzt auf die Gewährung höherer [X.]osten für Unterkunft und Heizung für Mai 2011. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Grundurteils im Höhenstreit ist eine so umfassende Aufklärung zu Grund und Höhe des Anspruchs, dass mit Wahrscheinlichkeit von einer höheren Leistung ausgegangen werden kann, wenn der Begründung der [X.]lage gefolgt wird (vgl nur B[X.] vom 16.4.2013 - [X.] [X.]/12 R - [X.]-4225 § 1 [X.] 2 Rd[X.] 10 mwN). Diese Voraussetzungen liegen vor. Die [X.] haben im Mai 2011 Anspruch auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung, weil bei ihnen über die bereits bewilligten 148,58 [X.] hinaus ein höherer anteiliger Bedarf aufgrund der Heizkostennachforderung anzuerkennen ist.

3. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung sind die §§ 19, 22 ff und §§ 7 ff [X.] (in der ab 1.4.2011 geltenden Gesetzesfassung der Bekanntmachung vom 13.5.2011, [X.]; [X.], vgl B[X.] vom 19.10.2016 - [X.] [X.]/15 R - [X.]-4200 § 11 [X.] 78 Rd[X.] 15 mwN).

4. Die [X.] gehören zum leistungsberechtigten Personenkreis des § 7 Abs 2 Satz 1 [X.], denn sie sind unter Berücksichtigung ihres kopfteiligen Bedarfs im Mai 2011 leistungsberechtigt und leben mit ihrer erwerbsfähigen Mutter in einer Bedarfsgemeinschaft. Ausgehend von dem Gesamtbetrag der Nachforderung in Höhe von 690,35 [X.] errechnet sich unter Berücksichtigung der bereits bewilligten 148,58 [X.] ein Gesamtbedarf von noch 541,77 [X.], kopfteilig (unter Berücksichtigung der Mutter der [X.]) von 135,44 [X.] pro [X.]lägerin, dem ein Einkommensüberhang der [X.] zu 1. und 2. im Mai 2011 von 70,58 [X.], der [X.]lägerin zu 3. von 76,59 [X.] gegenüber steht.

5. Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs 1 Satz 1 [X.]). Die Prüfung der Angemessenheit der Bedarfe für die Unterkunft und für die Heizung hat grundsätzlich getrennt voneinander zu erfolgen (vgl nur B[X.] vom 2.7.2009 - [X.] AS 36/08 R - B[X.]E 104, 41 = [X.]-4200 § 22 [X.] 23, Rd[X.] 18 mwN), unbeschadet der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei [X.]ostensenkungsaufforderungen (§ 22 Abs 1 Satz 4 [X.]) und der zwischenzeitlich eingeführten, im vorliegenden Verfahren aber nicht anzuwendenden Gesamtangemessenheitsgrenze nach § 22 Abs 10 [X.] in der Fassung des [X.] ([X.] 1824). Von der Regelung erfasst werden nicht nur laufende, sondern auch einmalige [X.]osten für Unterkunft und Heizung (B[X.] vom 16.12.2008 - [X.] AS 49/07 R - B[X.]E 102, 194 = [X.]-4200 § 22 [X.] 16, Rd[X.] 26), wie die hier im Streit stehende Heizkostennachforderung. Bei dem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal "Angemessenheit" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff ([X.]; vgl B[X.] vom 19.2.2009 - [X.] AS 30/08 R - B[X.]E 102, 263 = [X.]-4200 § 22 [X.] 19, Rd[X.] 12; B[X.] vom 12.12.2017 - [X.] AS 33/16 R - B[X.]E 125, 29 = [X.]-4200 § 22 [X.] 93, Rd[X.]), gegen dessen Verwendung auch zur Sicherstellung des existenzsichernden Bedarfs für Heizkosten keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (zu § 22 Abs 1 Satz 1 [X.] allgemein [X.] vom 6.10.2017 - 1 BvL 2/15 ua - juris und vom 10.10.2017 - 1 BvR 617/14 - juris).

6. Der Anerkennung als Bedarfe steht nicht bereits entgegen, dass die [X.] nicht mehr in der Wohnung leben, für die Heizkosten nachgefordert werden. Zwar umfasst der Anspruch nach § 22 Abs 1 Satz 1 [X.] nach Sinn und Zweck (Schutz des persönlichen Lebensraums "Wohnung") grundsätzlich nur die Übernahme der Aufwendungen für die tatsächlich genutzte konkrete Wohnung, die den aktuell bestehenden Unterkunftsbedarf deckt ([X.]; vgl B[X.] vom 25.6.2015 - [X.] [X.]/14 R - [X.]-4200 § 22 [X.] 83 Rd[X.] 15 mwN). Besteht das Mietverhältnis noch, gehören danach selbst [X.], die vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit tatsächlich entstanden sind, aber erst nach deren Eintritt fällig werden, zu den übernahmefähigen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung (so B[X.] vom 24.11.2011 - [X.] [X.]/10 R - [X.]-4200 § 22 [X.] 58 Rd[X.] 15; B[X.] vom 25.6.2015 - [X.] [X.]/14 R - [X.]-4200 § 22 [X.] 83 Rd[X.] 16) im Monat ihrer Fälligkeit (vgl B[X.] vom 20.12.2011 - [X.] [X.]/11 R - [X.]-4200 § 22 [X.] 50 Rd[X.]).

7. Besteht das Mietverhältnis im Zeitpunkt der Fälligkeit der Nebenkostennachforderung nicht mehr - wie hier - sind von dem vorgenannten Grundsatz jedoch Ausnahmen anerkannt worden, wenn die leistungsberechtigte Person durchgehend von der tatsächlichen Entstehung der [X.]osten bis zu deren Fälligkeit im Leistungsbezug nach dem [X.] steht (B[X.] vom 30.3.2017 - [X.] [X.]/16 R - [X.]-4200 § 22 [X.] 92), die Aufgabe der bisherigen Wohnung in Erfüllung einer [X.]ostensenkungsobliegenheit gegenüber dem Leistungsträger erfolgt und keine andere Bedarfsdeckung eingetreten ist (B[X.] vom 20.12.2011 - [X.] [X.]/11 R - [X.]-4200 § 22 [X.] 50 Rd[X.] 17; vgl auch B[X.] vom 25.6.2015 - [X.] [X.]/14 R - [X.]-4200 § 22 [X.] 83 Rd[X.] 22) oder eine Zusicherung hinsichtlich des Umzugs vorlag (B[X.] vom 30.3.2017 - [X.] [X.]/16 R - [X.]-4200 § 22 [X.] 92), weil in diesen Fällen eine existenzsicherungsrechtlich relevante Verknüpfung der Nebenkostennachforderung für die in der Vergangenheit bewohnte Wohnung mit dem aktuellen unterkunftsbezogenen Bedarf besteht. Nichts anderes gilt, wenn - wie hier - die Wohnkosten für die klagenden [X.]inder durch vorrangig zu [X.] gedeckt werden. Zwar beendet die Inanspruchnahme vorrangiger (Sozial-)Leistungen (§ 12a Abs 1 [X.]) ggf die Hilfebedürftigkeit nach dem [X.], sodass es sich bei einem späteren [X.]-Leistungsbezug nicht mehr um einen einheitlichen Leistungsfall handelt (vgl B[X.] vom [X.] - [X.] [X.]/18 R - [X.]-4200 § 11 [X.] 86 Rd[X.] 22). Die mit der verpflichtenden Beantragung vorrangigen Wohngelds beabsichtigte Besserstellung der [X.]inder kehrte sich aber wegen der grundsicherungsrechtlichen Zuordnung des [X.] als Einkommen des [X.]indes (trotz der [X.] Elternteils; zum Ganzen B[X.] vom [X.] - [X.] [X.]/17 R - B[X.]E 126, 70 = [X.]-4200 § 11 [X.] 84, Rd[X.] 18 f) in ihr Gegenteil um, würde die Übernahmefähigkeit einer kopfteilig auch ihren Bedarf erhöhenden Heizkostennachforderung mit der Begründung fehlender durchgängiger Hilfebedürftigkeit nach dem [X.] verneint.

8. Der Beklagte kann dem Anspruch auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Heizkosten seien unangemessen. Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sind (§ 22 Abs 1 Satz 3 [X.]), soweit sie den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es dem oder der alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zumutbar ist, durch Wohnungswechsel, durch Vermietung oder auf andere Art und Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel längstens für sechs Monate. Zur auch verfassungsrechtlich gebotenen [X.]onkretisierung des Angemessenheitsbegriffs (vgl zur [X.]onkretisierungspflicht im Hinblick auf die [X.]osten der Unterkunft [X.] vom 10.10.2017 - 1 BvR 617/14 - juris) sind, solange der jeweils örtlich zuständige Grundsicherungsträger keine differenzierte Datenermittlung für den konkreten Vergleichsraum durchgeführt hat, zur Bestimmung abstrakt angemessener Heizkosten aus Gründen der Praktikabilität die Werte des "Bundesweiten Heizspiegels" heranzuziehen (zum Ganzen B[X.] vom 2.7.2009 - [X.] AS 36/08 R - B[X.]E 104, 41 = [X.]-4200 § 22 [X.] 23; B[X.] vom [X.] - [X.] [X.]/12 R - B[X.]E 114, 1 = [X.]-4200 § 22 [X.] 69, Rd[X.] 22; zur Zulässigkeit eines bundesweit einheitlichen Maßstabs vgl [X.] vom 4.5.2020 - 2 BvL 4/18 - juris Rd[X.] 63). Dabei kommt dem daraus ermittelten Wert jedoch nicht die Funktion einer [X.] zu mit der Folge, dass Heizkosten in jedem Fall nur bis zu dieser Höhe übernahmefähig wären. Erforderlich ist eine Prüfung, orientiert an den Verhältnissen des Einzelfalls (konkrete Angemessenheit). Die Überschreitung des jeweiligen rechnerischen Grenzwerts nach dem Heizkostenspiegel ist jedoch ein Indiz dafür, dass die entstandenen [X.]osten nicht mehr angemessen sind, führt also zu einem Anscheinsbeweis zulasten des Leistungsberechtigten.

9. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des L[X.] liegen die Verbrauchskosten für den Haushalt der [X.] im Jahr 2010 deutlich über dem rechnerischen, abstrakten Grenzwert des "Bundesweiten Heizspiegels", ohne dass die Mutter der [X.] Gründe vorgebracht hätte, die die damit verbundene Indizwirkung hinsichtlich ihrer Unangemessenheit erschüttert hätten (dazu B[X.] vom [X.] - [X.] [X.]/12 R - B[X.]E 114, 1 = [X.]-4200 § 22 [X.] 69, Rd[X.] 26). Neben der Obliegenheit zur [X.]ostensenkung durch den Leistungsberechtigten (dazu B[X.] vom 19.2.2009 - [X.] AS 30/08 R - B[X.]E 102, 263 = [X.]-4200 § 22 [X.] 19, Rd[X.] 28 ff; B[X.] vom 27.2.2008 - [X.]/7b [X.]/06 R - [X.]-4200 § 22 [X.] 8 Rd[X.] 13) folgt in [X.] aus § 22 Abs 1 Satz 3 [X.] bei unangemessenen [X.]osten aber zugleich die Durchführung eines [X.] durch das Jobcenter, das die leistungsberechtigte Person in die Lage versetzt, ihrer [X.]ostensenkungsobliegenheit nachzukommen (vgl B[X.] vom [X.] - [X.] [X.]/12 R - B[X.]E 114, 1 = [X.]-4200 § 22 [X.] 69, Rd[X.] 35).

10. Die Notwendigkeit eines [X.] erfasst nicht nur die [X.]osten der Unterkunft, sondern nach dem Wortlaut der Norm und nach ihrem Sinn und Zweck auch die Heizkosten (für die Notwendigkeit einer [X.]ostensenkungsaufforderung bei unangemessenen Heizkosten auch [X.] in [X.]/[X.] [X.], 7. Aufl 2021, § 22 Rd[X.] 156; [X.] in [X.]/Noftz [X.], [X.] § 22 Rd[X.] 242 f, Stand der Einzelkommentierung Januar 2021; [X.] in Gagel [X.]/III, § 22 Rd[X.] 68, Stand der Einzelkommentierung Dezember 2020; [X.] in Eicher/[X.], [X.], 4. Aufl 2017, § 22 Rd[X.] 115; Piepenstock in jurisP[X.]-[X.], 5. Aufl 2020, § 22 Rd[X.] 177). Die mit einer [X.]ostensenkungsaufforderung verbundene Aufklärungs- und Warnfunktion soll der leistungsberechtigten Person [X.]larheit über die aus Sicht des Jobcenters angemessenen Aufwendungen und die maßgebliche Rechtslage verschaffen, sie damit in die Lage versetzen, ihr Verhalten in Bezug auf die für angemessen erachteten Bedarfe einzustellen und sie gewährleistet, dass sich die Normadressaten auf - künftige - Entscheidungen der Verwaltung einstellen können (vgl [X.] vom 13.6.2007 - 1 BvR 1550/03 ua - [X.]E 118, 168, 186 mwN). Diesem Erfordernis ist - fehlende [X.]enntnis der Unangemessenheit aus anderen Gründen vorausgesetzt (vgl dazu B[X.] vom 7.11.2006 - B 7b [X.]/06 R - [X.], 231 = [X.]-4200 § 22 [X.] 2, Rd[X.] 29) - durch einen Hinweis Rechnung zu tragen, aus dem hinreichend konkret ersichtlich ist, welche Heizkosten der Leistungsträger als angemessen erachtet. Diese Erkenntnismöglichkeit verschafft regelmäßig die [X.]enntnis vom Inhalt der ersten Nebenkostenabrechnung für die konkret bewohnte Wohnung am Ende der ersten Abrechnungsperiode (vgl B[X.] vom [X.] - [X.] [X.]/12 R - B[X.]E 114, 1 = [X.]-4200 § 22 [X.] 69).

Nur ein solches Verständnis des § 22 Abs 1 Satz 3 [X.] trägt dem verfassungsrechtlichen Gebot der tatsächlichen Sicherung einer menschenwürdigen Existenz vor dem Hintergrund Rechnung, dass es sich bei den [X.]osten für Unterkunft und Heizung um eine der grundrechtsintensivsten Bedarfspositionen handelt, weil sie die grundlegende Wohn- und Lebenssituation eines Menschen betreffen (vgl [X.] vom [X.] - 1 BvL 1/09 ua - [X.]E 125, 175; [X.] vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua - [X.]E 132, 134 Rd[X.] 64). Zu dem Grundbedürfnis Wohnen gehört nicht nur eine bestimmte Räumlichkeit, sondern auch eine angemessene Raumtemperatur (so bereits B[X.] vom 19.9.2008 - [X.] [X.]/07 R - Rd[X.] 22 mwN). Für eine Übergangszeit wird also der räumliche Lebensmittelpunkt auch bei unangemessenen [X.]osten erhalten.

11. Von der Erforderlichkeit eines solchen Hinweises ist auch dann keine Ausnahme zu machen, wenn Grenzwerte des "Bundesweiten Heizspiegels" deutlich ("extrem") überschritten werden. Auch in diesem Fall ist der leistungsberechtigten Person mangels gegenteiliger Anhaltspunkte und von Fällen anderweitiger [X.]enntnis oder des nachweislichen Missbrauchs abgesehen eine entsprechende Erkenntnismöglichkeit erst im Wissen um den tatsächlichen und den abstrakt angemessenen Verbrauch gegeben.

12. Anders als das L[X.] meint, ist der Anwendungsbereich des § 22 Abs 1 Satz 3 [X.] nicht (oder "vornehmlich") auf Fälle zu reduzieren, in denen unangemessene Heizkosten auf einer unangemessen großen Wohnfläche beruhen. Einem solchen Verständnis, das sich auch nicht aus der Senatsentscheidung vom 19.9.2008 ([X.] [X.]/07 R) ableiten lässt, steht - neben dem bereits ausgeführten Sinn und Zweck der Regelung - schon deren Wortlaut entgegen, der eine solche Verknüpfung nicht erkennen lässt und insbesondere nicht nach der Ursache der Unangemessenheit (weder der Unterkunfts- noch der Heizkosten) differenziert. Es stünde zudem in Widerspruch zur sog Produkttheorie, wonach es keinen normativen Einschränkungen unterliegt, eine unangemessen große Wohnung zu bewohnen und durch sparsames Heizverhalten oder wegen einer überdurchschnittlichen Energieeffizienz der Wohnung diese gleichwohl zu angemessenen [X.]osten zu beheizen. Aus der Größe der Wohnung allein lässt sich also nicht der Schluss ziehen, für die Wohnung aufgewandte Heizkosten seien unangemessen hoch (B[X.] vom 2.7.2009 - [X.] AS 36/08 R - B[X.]E 104, 41 = [X.]-4200 § 22 [X.] 23, Rd[X.] 20).

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 14 AS 57/19 R

19.05.2021

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Neubrandenburg, 22. Oktober 2013, Az: S 14 AS 1633/11, Urteil

§ 22 Abs 1 S 1 SGB 2, § 22 Abs 1 S 3 SGB 2

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 19.05.2021, Az. B 14 AS 57/19 R (REWIS RS 2021, 5728)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5728

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Referenzen
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1 BvR 617/14

2 BvL 4/18

1 BvL 1/09

1 BvL 10/10

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