Bundessozialgericht, Urteil vom 22.03.2010, Az. B 4 AS 62/09 R

4. Senat | REWIS RS 2010, 8233

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Betriebs- und Heizkostennachforderung nach Jahresabrechnung als gegenwärtiger Bedarf - keine Notwendigkeit eines gesonderten Antrags - keine Mietschulden


Leitsatz

Der aufgrund einer Betriebs- und Heizkostennachforderung des Vermieters während eines laufenden Leistungsbezugs nach dem SGB 2 entstandene tatsächliche Bedarf an höheren Leistungen für Unterkunft und Heizung muss nicht gesondert durch Antrag geltend gemacht werden und wird nicht dadurch zu einer Mietschuld, dass die Nachforderung nicht innerhalb einer vom Vermieter gesetzten Frist beglichen wird.

Tatbestand

1

Streitig sind Leistungen für Unterkunft und Heizung, insbesondere die Übernahme einer Betriebs- und Heizkostennachforderung, für das Kalenderjahr 2006.

2

Der 1965 geborene Kläger zu 1 und die 1970 geborene Klägerin zu 2 sind erwerbsfähig und Eltern der 1990, 1991, 1995, 1996, 1999, 2002 sowie am 22.11.2006 geborenen Kläger zu 3 bis 9. Zusammen bewohnen sie eine 114 m² große 5-Zimmer-Wohnung. Für diese Wohnung hatten die Kläger zu 1 und 2, die gemeinsam Vertragspartner des 2003 geschlossenen Wohnungsmietvertrags sind, im Jahre 2006 547,20 [X.] und 228 Euro Vorauszahlung auf die Betriebs- und Heizkosten monatlich an ihren Vermieter zu zahlen (§ 4 des Mietvertrags). In der [X.] waren Kosten für die Warmwasserbereitung enthalten. Ab 1.1.2007 erhöhten sich die [X.]en auf monatlich 285 Euro. Den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem [X.] beziehenden Klägern bewilligte die Beklagte im gesamten [X.] [X.]-Leistungen unter Anerkennung der tatsächlichen Kosten für die Kaltmiete (547,20 Euro) und der monatlichen [X.] in Höhe von 228 Euro (Bescheide vom 15.12.2005, [X.] und 22.12.2006). Mit weiterem Bescheid vom 22.12.2006 bewilligte die Beklagte den Klägern auf ihren Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 19.12.2006 für den Bewilligungszeitraum vom 1.12.2006 bis 31.5.2007 Kosten für Unterkunft und Heizung unter Anerkennung von Mietkosten in Höhe von 547,20 Euro mtl und Betriebs- und Heizkosten in Höhe von 228 Euro mtl. Nach Vorlage einer Bescheinigung zu geänderten Heiz- und [X.] (ab Januar 2007 in Höhe von 285 Euro) wurden für die [X.] vom 1.1.2007 bis 31.5.2007 [X.]-Leistungen unter Berücksichtigung der Kosten für die Miete und die geänderten Nebenkosten in Höhe von insgesamt 835,14 Euro bewilligt (Bescheid vom 10.1.2007).

3

Der Vermieter der Kläger übersandte diesen mit Schreiben vom 21.3.2007 die Heiz- und Betriebskostenabrechnung für das Kalenderjahr 2006, nach der im Jahre 2006 insgesamt 897,77 Euro an Heizkosten und 3251,26 Euro an Hausnebenkosten entstanden waren. Nach Abzug der im Jahre 2006 geleisteten Vorauszahlungen von insgesamt 2736 Euro (12 Monate x 228 Euro) ergab sich eine Nachzahlungsforderung in Höhe von 1413 Euro. Der Vermieter gab den Klägern auf, den Betrag bis zum [X.] auf sein Konto zu überweisen.

4

Die Beklagte lehnte die Übernahme der erst am 4.6.2007 bei ihr eingereichten Heiz- und Betriebskostennachforderung ab (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom 9.10.2007). Zur Begründung führte sie aus, eine Übernahme der Nachforderung als Zuschuss nach § 22 Abs 1 [X.] sei nicht möglich, weil es sich nicht um laufende Unterkunftskosten handele. Dies sei nur dann der Fall, wenn die Übernahme der Nebenkostenabrechnung vor Ablauf der eingeräumten Frist zur Begleichung der Rechnung beantragt werde. Eine darlehensweise Übernahme der Nachforderung als Mietschulden komme gleichfalls nicht in Betracht, weil die rückständige Nachforderung keine Kündigung rechtfertige und somit keine Wohnungslosigkeit einzutreten drohe.

5

Das [X.] hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.10.2007 verurteilt, den Klägern auf die Nebenkostenabrechnung vom 21.3.2007 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 1336 Euro zu gewähren, diesen Betrag an den Vermieter der Kläger auszuzahlen und hat die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 11.4.2008). Das [X.] hat das Urteil des [X.] geändert und die Beklagte verurteilt, den Klägern "auf die Heiz- und Nebenkostenabrechnung vom 21.3.2007 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 976 Euro zu gewähren und diesen Betrag an den Vermieter der Kläger auszuzahlen"; die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen (Urteil vom [X.]). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das L[X.] ausgeführt, Betriebs- und Heizkostennachforderungen führten zu einem gegenwärtigen Bedarf, der durch einmalige Leistung nach § 22 Abs 1 [X.] unter der Voraussetzung zu befriedigen sei, dass zur [X.] der Entstehung, Fälligkeit und Geltendmachung der Nachforderung ein Hilfebedarf nach dem [X.] bestehe. Sie verwandelten sich nicht gemäß § 22 Abs 5 [X.] in Mietschulden, wenn der Hilfebedürftige mit der Erfüllung der Nachforderung in Verzug sei, weil sich das [X.] erkennbar von der Konzeption eines einmonatigen "[X.]" verabschiedet habe. Die Aufwendungen der Kläger seien in dem tenorierten Umfang hinsichtlich der für das Kalenderjahr 2006 nachgeforderten Betriebs- und Heizkosten auch angemessen iS des § 22 Abs 1 Satz 1 [X.]. Hinsichtlich der Betriebskosten folge dies daraus, dass diese Kosten, die hier für das Kalenderjahr 2006 im Streit stünden und mit der Nachforderung vom Vermieter der Kläger geltend gemacht worden seien, mietvertraglich wirksam vereinbart seien und sämtlich der Betriebskostenverordnung vom 25.11.2003 ([X.]) unterfielen. Unabhängig hiervon bestünden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Nebenkosten der Kläger die "marktüblichen Nebenkosten" vergleichbarer Wohnungen überschritten. Auch hinsichtlich der Angemessenheit der Heizkosten bestehe keine Pflicht zu einer weitergehenden Sachaufklärung, zumal die Beklagte diese ebenso wenig wie die Angemessenheit der Betriebskosten in Frage stelle. Allerdings könnten die geforderten Heizkosten nicht in voller Höhe übernommen werden, weil hierin enthaltene Kosten der Warmwasserbereitung als Kosten der Haushaltsenergie iS von § 20 Abs 1 [X.] aus der pauschal gewährten Regelleistung zu decken seien. Entgegen der Ansicht des [X.] sei bei der Ermittlung des [X.] nicht die Heizkostenabrechnung des Vermieters und sein Abrechnungsmodus zu Grunde zu legen. Vielmehr sei - entsprechend der Rechtsprechung des B[X.] (Hinweis auf Urteil vom 27.2.2008 - [X.]/11b [X.] - B[X.]E 100, 94 = [X.]-4200 § 22 [X.]) und der unterschiedlichen Höhe der Regelleistung der Kläger für das [X.] ein Gesamtbetrag in Höhe von 436,69 Euro abzusetzen. Für die Kläger zu 1 bis 8 errechne sich für das Kalenderjahr 2006 der Betrag von 432,96 Euro (42 Monate x 36,08 Euro); zusätzlich sei für den am 22.11.2006 geborenen Kläger zu 9 der Monat Dezember 2006 mit einem "Warmwasserabzug" von 3,73 Euro zu berücksichtigen. Dieser Betrag sei von der Gesamtnachzahlung in Höhe von 1413,03 Euro abzusetzen, sodass sich ein abgerundeter Nachforderungsbetrag in Höhe von 976 Euro ergebe.

6

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 22 Abs 1 und 5 [X.]. Die von den Vorinstanzen vertretene Auffassung, dass Mietschulden nur dasjenige sei, was aus der [X.] vor Leistungsbeginn schon Schulden seien oder was der Leistungsempfänger trotz ordnungsgemäßer Zahlung des Leistungsträgers nicht an den Vermieter weitergeleitet habe, finde keine Begründung im Gesetz. Vielmehr umfasse der Begriff der Mietschulden alles, was zur Zahlung fällig, seitens des Mieters aber dennoch nicht geleistet worden sei. Die Anknüpfung an die Fälligkeit der Forderung sei der geeignete Maßstab für eine Unterscheidung zwischen aktuellem Bedarf und Schulden.

7

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des [X.] vom 11.4.2008 und des [X.] vom [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Kläger beantragen,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

9

Sie halten die Entscheidung des L[X.] für zutreffend und vertreten die Ansicht, dass es sich bereits nach einer umgangssprachlichen Auslegung bei der Nachforderung aus der Heiz- und Betriebskostenabrechnung nicht um Schulden handele.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der [X.] ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das [X.] ist zu Recht davon ausgegangen, dass den Klägern wegen der Heiz- und Nebenkostenabrechnung des Vermieters vom 21.3.2007 höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung zustehen. In der Nachforderung der Heiz- und Betriebskosten durch den Vermieter für das Kalenderjahr 2006 liegt eine wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen, die bei Erlass der laufenden [X.] II-Leistungen für den Zeitraum vom 1.12.2006 bis 31.5.2007 bewilligenden Bescheids vom 10.1.2007 hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung vorlagen. Eines gesonderten Antrags der Kläger auf Übernahme dieser Kosten bedurfte es nicht. Die wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist auch iS von § 48 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.] X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse zugunsten der Kläger zu berücksichtigen, weil das [X.] II keine gesonderten, § 48 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.] X vorgehenden Regelungen zum Zeitpunkt der Berücksichtigung geänderter Verhältnisse enthält. Der aktuelle tatsächliche Bedarf der Kläger an Kosten der Unterkunft und Heizung hat sich auch nicht durch Zeitablauf in Schulden iS des § 22 Abs 5 [X.] II verwandelt.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zunächst der Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9.10.2007, mit dem die Beklagte die Übernahme der im März/April 2007 zu leistenden Heiz- und Betriebskostennachzahlung abgelehnt hat. Gegen diese Bescheide wenden sich die Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage 54 Abs 1 und 4 SGG iVm § 56 SGG). Die Rechtmäßigkeit dieser Ablehnungsbescheide misst sich an § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.] II iVm § 330 Abs 3 Satz 1 [X.] III und § 48 Abs 1 Satz 1 [X.] X, weil die Beklagte den Klägern mit dem vorangegangenen Bewilligungsbescheid vom 10.1.2007 Kosten für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 1.1.2007 bis 31.5.2007 bewilligt hatte und das Nachforderungsverlangen des Vermieters zeitlich in diesen Bewilligungsabschnitt fällt. Mit ihrem Antrag vor dem [X.] auf Übernahme der Nachzahlungsforderungen des Vermieters aus der Nebenkostenabrechnung vom 21.3.2007 haben die Kläger den Streitstoff dabei inhaltlich ausdrücklich auf höhere Kosten für Unterkunft und Heizung beschränkt (zur Zulässigkeit einer derartigen Beschränkung: [X.], Urteil vom 7.11.2006 - B 7b [X.], [X.], 217 ff = [X.] 4-4200 § 22 [X.], jeweils Rd[X.]8; zur rechtlich nicht möglichen weiteren Aufspaltung des Streitgegenstands, etwa in Unterkunfts- und Heizkosten: [X.], aaO, Rd[X.]8, 22). Der Höhe nach ist die Überprüfung im Revisionsverfahren auf weitere Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 976 Euro begrenzt, weil nur die Beklagte Revision eingelegt hat. Auch die Auszahlung des [X.] an den Vermieter ist daher nicht im Streit.

2. a) Ob den Klägern ein Anspruch auf die Heizkostennachforderung zusteht, beurteilt sich nach § 48 Abs 1 Satz 1 [X.] X. Danach ist ein Verwaltungsakt, hier also der Bescheid vom 10.1.2007, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.] X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt. Dabei sind bei der Frage, ob bzw inwieweit eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse - bezogen auf die hier streitigen Kosten der Unterkunft und Heizung - dazu führt, dass der Bewilligungsbescheid vom 10.1.2007 abzuändern ist, grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen (vgl [X.], Urteil vom [X.] - B 7a [X.] 50/05 R, [X.], 191 = [X.] 4-4300 § 37b [X.] jeweils Rd[X.]3; [X.], Urteil vom 18.8.2005 - B 7a [X.] 4/05 R, [X.] 4-1500 § 95 [X.] Rd[X.] 6; [X.], Urteil vom 7.11.2006 - B 7b [X.] - [X.], 217 ff = [X.] 4-4200 § 22 [X.], jeweils Rd[X.]3). Es ergeben sich hier allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass die mit Bescheid vom 10.1.2007 für den Zeitraum vom 1.1.2007 bis 31.5.2007 bewilligten Kosten für Unterkunft und Heizung unzutreffend festgesetzt sein könnten. Die Kläger erfüllten in dem vom diesem Bescheid umfassten Zeitraum vom 1.1.2007 bis 31.5.2007 die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 iVm §§ 19 Satz 1, 22 [X.] II.

b) Eine Änderung gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 10.1.2007 vorlagen, ist hier mit der Nachforderung der Heiz- und Betriebskosten eingetreten. Der Anspruch der Kläger auf höhere Kosten der Unterkunft und Heizung folgt aus § 22 Abs 1 [X.] II. Zwar handelt es sich bei der Übernahme einer Heiz- und Betriebskostennachzahlung anders als im Regelfall des § 22 Abs 1 [X.] II nicht um eine laufende, sondern um eine einmalige Leistung. § 22 Abs 1 [X.] II erfasst jedoch nicht nur laufende, sondern auch einmalige Kosten für Unterkunft und Heizung ([X.], Beschluss vom [X.] - B 7b [X.]/06 R, [X.] 4-4200 § 22 [X.] Rd[X.] 9; [X.], Urteil vom 19.9.2008 - [X.] [X.]/07 R - Rd[X.]9, FEVS 60, 490, 494; [X.], Urteil vom 16.12.2008 - [X.] AS 49/07 R - [X.], 194 ff = [X.] 4-4200 § 22 [X.]6, jeweils Rd[X.]6). Soweit einzelne Nebenkosten - wie hier bei der Nachforderung - in einer Summe fällig werden, sind sie als tatsächlicher, aktueller Bedarf im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu berücksichtigen, nicht aber auf längere Zeiträume zu verteilen ([X.], Urteil vom 15.4.2008 - [X.]/7b [X.]/06 R - [X.] 4-4200 § 9 [X.] Rd[X.] 36). Nachforderungen, die nach regelmäßiger Übernahme der Heizkostenvorauszahlungen bzw -abschläge der jeweiligen Monate entstehen, gehören als einmalig geschuldete Zahlungen zum aktuellen Bedarf im [X.] ([X.], Urteil vom [X.] - [X.] AS 36/08 R - [X.], 41 Rd[X.]6, auch zur [X.] in [X.] vorgesehen; [X.], Urteil vom [X.] - B 7b [X.]/06 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] Rd[X.]6; vgl bereits [X.], Urteil vom [X.] - [X.]E 79, 46, 51).

c) Dem Anspruch der Kläger auf höhere Kosten für Unterkunft und Heizung und damit der Annahme einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse steht auch nicht entgegen, dass die Kläger vor Entstehung der Heiz- und Betriebskostennachforderung für das Kalenderjahr 2006 bzw deren Begleichung nach Zugang des Schreibens vom 21.3.2007 keinen gesonderten Antrag auf Deckung dieses Bedarfs gestellt haben. Zwar werden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nur auf Antrag und nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht 37 Abs 1 und 2 Satz 1 [X.] II; BT-Drucks 15/1516 [X.]; [X.], Urteil vom 30.7.2008 - [X.] AS 26/07 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.]7 Rd[X.]3; [X.], Urteil vom [X.] - [X.] AS 13/08 R, Rd[X.]3, zur [X.] in [X.] vorgesehen). Im Sinne des Meistbegünstigungsgrundsatzes ist aber davon auszugehen, dass ein bereits gestellter Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts diejenigen Leistungen beinhaltet, die nach Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommen (Link in Eicher/Spellbrink, [X.] II, 2. Aufl 2008, § 37 Rd[X.]1; [X.], Urteil vom [X.] - [X.] [X.]/08 R - Rd[X.]1 zur [X.] in [X.] vorgesehen; zum Klageantrag: [X.], Urteil vom 7.11.2006 - B 7b [X.] - [X.], 217 = [X.] 4-4200 § 22 [X.], jeweils Rd[X.]1) und dem Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts eine "[X.]" für diese Leistungen zukommt (vgl zur Funktion des Antrags bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auch [X.], Urteil vom [X.] - B 8 [X.] 13/08 R - Rd[X.]5, zur [X.] in [X.]E und [X.] vorgesehen; zur "[X.]" der Arbeitslosmeldung im [X.] III: [X.], Urteil vom 7.10.2004 - B 11 [X.] 23/04 R - [X.]E 93, 209 = [X.] 4-4300 § 122 [X.] jeweils Rd[X.]3). Der Antrag der Kläger auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 19.12.2006 umfasste auch die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Eine sachliche und zeitliche Konkretisierung der von der Antragstellung umfassten Bedarfe kann auch zu einem späteren Zeitpunkt, insbesondere dann vorgenommen werden, wenn sich weitere Bedarfe erst während des laufenden Leistungsbezugs ergeben, also die Forderung - wie hier - erst nach Antragstellung fällig wird. Mit der Vorlage der Heiz- und Betriebskostennachforderung bei der [X.] haben die Kläger die Höhe ihres Bedarfs insofern lediglich weiter konkretisiert, jedoch keine weitere, vom Antrag nicht erfasste Leistung beantragt.

d) Die durch die Heiz- und Betriebskostennachforderung für das [X.] eingetretene Änderung der tatsächlichen Verhältnisse "zugunsten des Betroffenen" iS von § 48 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.] X war auch wesentlich iS des § 48 Abs 1 Satz 1 [X.] X, dh rechtserheblich, weil die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in neuer Höhe zu bemessen waren, der Bewilligungsbescheid vom 10.1.2007 also unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen so nicht mehr hätte erlassen werden dürfen (vgl [X.], Urteil vom 9.6.1988 - 4/1 RA 57/87 - [X.] 2200 § 1255a [X.]9 S 56). Die Nachforderung des Vermieters der Kläger führt dazu, dass diesen in dem vom Bewilligungsbescheid vom 10.1.2007 umfassten Zeitraum höhere Kosten für Unterkunft und Heizung mit dem vom [X.] angenommenen Gesamtbetrag in Höhe von 976 Euro zustehen. Leistungen für die Heizung werden gemäß § 22 Abs 1 Satz 1 [X.] II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen übernommen, soweit sie nicht einen Grenzwert überschreiten, der unangemessenes Heizen indiziert (vgl hierzu [X.], Urteil vom [X.] - [X.] AS 36/08 R - [X.], 41 Rd[X.]3, auch zur [X.] in [X.] vorgesehen). Wie das [X.] zutreffend ausgeführt hat, gehen die Beteiligten übereinstimmend von der Angemessenheit der für das [X.] nachgeforderten Betriebs- und Heizkosten aus. Es ergeben sich auf der Grundlage der Feststellungen des [X.] für den Senat auch keine Anhaltspunkte für zu hohe Betriebs- oder Heizkosten. Das [X.] ist schließlich auch zutreffend davon ausgegangen, dass die tatsächlich angefallenen Heizkosten um die Kosten der Warmwasserbereitung zu bereinigen sind, wobei die in Ansehung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998 rechnerisch für die Warmwasserbereitung aus den Regelleistungen ermittelbaren Anteile zu berücksichtigen waren (vgl dazu [X.], Urteil vom 27.2.2008 - [X.]/11b [X.] - [X.]E 100, 94 = [X.] 4-4200 § 22 [X.]; [X.], Urteil vom [X.] - [X.] AS 8/09 R - Rd[X.]8 ff, zur [X.] in [X.]E und [X.] vorgesehen).

3. Der Bewilligungsbescheid vom 10.1.2007 war auch vom Zeitpunkt dieser Änderung der Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.] X aufzuheben, weil das [X.] II - anders als [X.] das [X.] XII für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (vgl § 44 Abs 1 [X.] XII) und das [X.] VI für Änderungen bei der Höhe der Rente (§ 100 Abs 1 [X.] VI; vgl [X.] [X.], Urteil vom 22.4.2008 - B 5a [X.]/07 R - Rd[X.]7) - keine gesonderten, § 48 Abs 1 Satz 2 [X.] X vorgehenden Regelungen zum Zeitpunkt der Berücksichtigung geänderter Verhältnisse enthält. Insofern steht die verspätete Information der [X.] über die Nachforderung der Heiz- und Betriebskosten durch die Kläger dem Ausgleich der Nachforderung an Betriebs- und Heizkosten nicht entgegen.

4. Allein der Umstand, dass die Kläger die Nachforderung offenbar nicht innerhalb der vom Vermieter gesetzten Frist, also mit Ablauf des [X.]s (April 2007), beglichen haben, führt nicht dazu, dass es sich - allein durch Zeitablauf - bei den nachgeforderten Heiz- und Betriebskosten nicht mehr um einen aktuellen Bedarf, sondern (nur noch) um nach § 22 Abs 5 Satz 1 [X.] II durch Darlehen auszugleichende Schulden handelt (so auch [X.] in [X.], [X.] II, 3. Aufl 2009, § 22 Rd[X.]9; [X.] in [X.]/[X.], [X.] II, § 22 Rd[X.] 36, Stand 9/2009 mit Beschränkung auf den laufenden Bewilligungsabschnitt). Die Nachforderung der Heiz- und Betriebskosten für das Kalenderjahr 2006 erfolgte zu einem Zeitpunkt, in dem die Kläger während des Bewilligungsabschnitts vom 1.12.2006 bis 31.5.2007 im durchgehenden [X.] II-Bezug waren, ihre Hilfebedürftigkeit also bereits eingetreten war. Ob Schulden iS des § 22 Abs 5 Satz 1 [X.] II oder tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung iS des § 22 Abs 1 [X.] II vorliegen, ist - unabhängig von deren zivilrechtlicher Einordnung - ausgehend von dem Zweck der Leistungen nach dem [X.] II zu beurteilen, einen tatsächlich eingetretenen und bisher noch nicht von dem [X.] II-Träger gedeckten Bedarf aufzufangen. Bezieht sich die Nachforderung an Heiz- und Betriebskosten auf einen während der Hilfebedürftigkeit des [X.] II-Leistungsberechtigten eingetretenen und bisher noch nicht gedeckten Bedarf, handelt es sich jedenfalls um vom [X.] II-Träger zu übernehmende tatsächliche Aufwendungen nach § 22 Abs 1 [X.] II. Dabei besteht bei den Kosten für Heizung der Bedarf darin, dass der Grundsicherungsträger dem Leistungsberechtigten die Geldmittel zur Verfügung stellt, die dieser benötigt, um die Lieferung der Wärme durch den Vermieter bzw das Energieversorgungsunternehmen zahlen zu können ([X.], Urteil vom [X.] - B 7b [X.]/06 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] Rd[X.] 9; vgl auch bereits [X.], Urteil vom [X.] - [X.]E 79, 46, 50). Hat der Grundsicherungsträger dem Leistungsberechtigten bereits die monatlich an den Vermieter oder das Energieversorgungsunternehmen zu zahlenden Abschlagsbeträge zur Verfügung gestellt, den aktuellen Bedarf in der Vergangenheit also bereits gedeckt, und beruht die Nachforderung auf der Nichtzahlung der als Vorauszahlung vom Vermieter geforderten Abschläge für Heiz- und Betriebskosten, handelt es sich dagegen um Schulden ([X.] in Oestreicher, [X.] II/[X.] XII, § 22 [X.] II Rd[X.]9, Stand Februar 2008).

Nach diesen Grundsätzen liegen hier tatsächliche Aufwendungen nach § 22 Abs 1 [X.] II vor, weil die Kläger im hier maßgeblichen Zeitraum des gesamten Kalenderjahres 2006 ihre mietvertraglichen Verbindlichkeiten in Gestalt der vereinbarten Vorauszahlung von monatlich 228 Euro vollständig erfüllt haben und zum Zeitpunkt der Nachforderung von Heiz- und Betriebskosten hilfebedürftig waren.

5. Demnach war die Entscheidung des [X.] auch zu bestätigen, soweit es wegen der wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen hinsichtlich der als Dauerleistung mit Bescheid vom 10.1.2007 bewilligten Kosten der Unterkunft und Heizung bei zeitgleich fortbestehender Hilfebedürftigkeit den Nachzahlungsbetrag in Höhe von 976 Euro zugesprochen hat (§ 48 Abs 4 iVm § 44 Abs 4 [X.] X).

6. Lediglich im Sinne einer Klarstellung hat der Senat den Tenor des [X.]-Urteils unter Einbeziehung des Bescheides vom 10.1.2007 teilweise neu gefasst. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Meta

B 4 AS 62/09 R

22.03.2010

Bundessozialgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Köln, 11. April 2008, Az: S 6 AS 246/07, Urteil

§ 22 Abs 1 S 1 SGB 2, § 22 Abs 5 S 1 SGB 2, § 37 SGB 2, § 48 Abs 1 S 1 SGB 10, § 48 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 10

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 22.03.2010, Az. B 4 AS 62/09 R (REWIS RS 2010, 8233)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8233

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