Bundespatentgericht, Beschluss vom 27.09.2022, Az. 35 W (pat) 408/21

35. Senat | REWIS RS 2022, 7290

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Gegenstand

Gebrauchsmusterbeschwerdesache - "Halterahmen für einen Steckverbinder" – Zurückverweisung an das Deutsche Patent- und Markenamt


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Gebrauchsmuster 20 2014 011 218

hat der 35. Senat ([X.]) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 27. September 2022 unter Mitwirkung des Richters [X.] als Vorsitzendem sowie der Richter [X.] und Dipl.-Ing. Tischler

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung des [X.] vom 12. Juli 2021 aufgehoben und die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

Gründe

I.

1

1. Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des Gebrauchsmusters 20 2014 011 218 ([X.]), das aus der [X.] Patentanmeldung 14 83 0506.3 – veröffentlicht als [X.] 2015/085995 [X.] – mit Anmeldetag 11. Dezember 2014 abgezweigt und am 27. August 2018 mit 12 [X.]n unter der Bezeichnung „[X.] für einen Steckverbinder“ in das Register eingetragen wurde. Das Schutzrecht ist in Kraft.

2

Der eingetragene Anspruch 1 des [X.] lautet unter Einfügung einer Gliederung durch die Gebrauchsmusterabteilung folgendermaßen:

3

1 [X.] für einen Steckverbinder zur Aufnahme gleichartiger und/oder unterschiedlicher Module (3, 3'),

4

1.1 mit einem Grundabschnitt (1) zur Fixierung eines aufgenommenen Moduls (3, 3‘) in einer [X.] und

5

1.2 einem [X.], der einen Einführzustand und einen [X.] annehmen kann,

6

2 wobei der Einführzustand ein Einführen wenigstens eines Moduls (3, 3‘) in einer Richtung quer zur [X.] in den [X.] erlaubt und

7

3 ein aufgenommenes Modul (3, 3‘) im [X.] fixiert ist,

8

4 wobei der Grundabschnitt (1) und der [X.] wenigstens teilweise aus unterschiedlichen Werkstoffen gebildet sind,

9

5 wobei der Grundabschnitt (1) als Grundrahmen (1) ausgeführt ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

6 der [X.] als wenigstens zwei einander gegenüberliegende [X.] (2, 2´) am Grundrahmen (1) ausgeführt ist,

7 wobei die [X.] (2, 2´) federelastische [X.] (22, 22‘) aufweisen,

7.1 die sich in der Richtung quer zur [X.] über einen umlaufenden Abschnitt des Grundrahmens (1) hinaus erstrecken und

7.2 in denen jeweils ein Rastfenster (23, 23') als Rastelement zur Aufnahme einer [X.] (31, 31') eines Moduls (3, 3') angeordnet ist,

8 wobei der Grundrahmen (1) im Querschnitt im Wesentlichen rechteckig ausgebildet ist und

8.1 zwei einander parallel gegenüberliegende Stirnflächen (11,11') und

8.2 rechtwinklig dazu zwei einander parallel gegenüberliegende Seitenteile (12, 12') aufweist,

9 wobei die beiden Stirnflächen (11, 11') kürzer sind als die beiden Seitenteile (12, 12'),

10.1 wobei die Seitenteile (12, 12') jeweils an einer ersten Kante mehrere einander symmetrisch gegenüberstehend angeordnete Stege (122, 122') aufweisen,

10.2 zwischen denen jeweils offene Ausnehmungen (123, 123') gebildet sind,

10.3 die jeweils eine [X.] für eine [X.] (31, 31') eines aufgenommenen Moduls (3, 3') darstellen,

11 wobei die [X.] mit dem jeweiligen Rastfenster (23, 23') zusammen die [X.] (31, 31') des Moduls (3, 3') hält.

Die [X.] 2 bis 12 sind auf den vorgenannten Hauptanspruch rückbezogen.

2. Mit Schreiben vom 27. Februar 2019 hat die Antragstellerin Löschungsantrag beim [X.] ([X.]) mit der Begründung gestellt, das Gebrauchsmuster sei gegenüber den maßgeblichen, ursprünglich eingereichten Unterlagen gemäß [X.] 2015/085995 [X.] in unzulässiger Weise erweitert (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 [X.]), außerdem sei der Gegenstand des Gebrauchsmusters nicht schutzfähig (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 [X.]). Die Antragsgegnerin hat dem Löschungsantrag wirksam, insbesondere fristgemäß widersprochen, sodass das Löschungsverfahren mit inhaltlicher Prüfung der von der Antragstellerin geltend gemachten Löschungsgründe durchzuführen war (§ 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 [X.]).

Vor der Gebrauchsmusterabteilung des [X.] hat am 12. Juli 2021 eine mündliche Verhandlung stattgefunden, nach deren Ende die Löschung des [X.] wegen des [X.] einer unzulässigen Erweiterung verkündet wurde. Als Antragsgegnerin war im Beschluss die „[X.]“ bezeichnet worden, die im Register als Inhaberin des [X.] eingetragen ist und auch stets als solche eingetragen war. In der Sache hat die Gebrauchsmusterabteilung die Löschung des [X.] deshalb als notwendig erachtet, weil mit den Merkmalen 10.3 und 11, wonach

die offenen Ausnehmungen (123, 123‘) an den Seitenteilen (12, 12ʻ) des Grundrahmens jeweils auch [X.]n für eine [X.] (31, 31ʻ) eines aufgenommenen Moduls (3, 3ʻ) bilden,

wobei (gemäß Merkmalen 10.3 und 11) die [X.] mit dem jeweiligen Rastfenster (23, 23ʻ) der [X.] (2, 2ʻ) zusammen die [X.] (31, 31ʻ) des Moduls (3, 3ʻ) hält,

eine in der [X.] nicht offenbarte Funktion der Ausnehmungen (123, 123‘) als „[X.]“ umschrieben sei. Die Gebrauchsmusterabteilung war der Auffassung, dass hierin nicht nur eine unzulässige Erweiterung, sondern auch ein „[X.]“ zu sehen sei, weil mit dem „Anschlagen“ der [X.]n an den Kanten der Seitenteile ein völlig neuer, technischer Aspekt in das [X.] gelangt sei. Das Vorliegen eines „[X.]s“ zeige sich u. a. auch daran, dass diese Merkmale Auswirkungen auf den Fertigungsprozess der [X.] hätte, der Fachmann insbesondere deutlich höher Anforderungen an die Fertigungsqualität beachten müsse.

3. Gegen diesen Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung ist mit anwaltlichem Schreiben vom 2. September 2021 beim [X.] Beschwerde eingelegt worden, wobei die Person der Beschwerdeführerin nicht ausdrücklich genannt wurde. Im Schriftsatz war lediglich die Angabe „Anmelder/Inhaber: [X.]“ enthalten. Noch am selben Tag folgte per Telefax eine weitere anwaltliche Eingabe, in der mitgeteilt wurde, dass „in unserer Beschwerde“ der „Anmelder/Inhaber“ richtigerweise „[X.]“ heißen müsse. Mit dieser zweiten Eingabe wurde um eine entsprechende Korrektur der Angabe gebeten.

Die Antragsgegnerin hat beantragt:

den Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung des [X.]s vom 12. Juli 2021 aufzuheben und die Sache an das [X.] zurückzuverweisen.

Die Antragstellerin hat beantragt:

die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen sowie für den Fall, dass der Senat die Beschwerde als zulässig erachten sollte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass die Person der Beschwerdeführerin innerhalb der Beschwerdefrist unklar geblieben sei. Da sich innerhalb der Beschwerdefrist kein Hinweis ergeben habe, dass die [X.] Beschwerdeführerin hätte sein sollen, müsse von der Unzulässigkeit der vorliegenden Beschwerde ausgegangen werden. In der Sache hält die Antragstellerin die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung, die Schriftsätze der Beteiligten und den weiteren Akteninhalt verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und auch wirksam eingelegt.

Soweit die Antragstellerin vorträgt, die Beschwerde sei unzulässig, da der [X.] vom 2. September 2021 nicht habe erkennen lassen, dass die Beschwerde im Namen der [X.] eingelegt sein sollte, kann ihr nicht gefolgt werden.

Nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) kann aus Gründen der Rechtssicherheit ein befristetes Rechtsmittel nur dann als zulässig angesehen werden, wenn bei verständiger Würdigung der Rechtsmittelschrift und der übrigen innerhalb der Rechtsmittelfrist vorgelegten Unterlagen jeder Zweifel an der Person des Rechtsmittelführers ausgeschossen ist; ein Rechtsmittel muss somit die Person des Rechtsmittelführers eindeutig erkennen lassen (vgl. [X.] [X.] 1977, 168, 169 – „Abfangeinrichtung“). Dies bedeutet allerdings nicht, dass die erforderliche Klarheit über die Person des Rechtsmittelführers nur durch dessen ausdrückliche Bezeichnung zu erzielen wäre. Sie kann auch im Wege der Auslegung der Rechtsmittelschrift und der übrigen im Verfahren befindlichen Unterlagen gewonnen werden. Darüber hinaus sind, wie auch sonst bei der Ausdeutung von [X.], alle Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu berücksichtigen ([X.] MDR 2017, 1318, 1319 – „Bezeichnung des Berufungsklägers“); auch auf die vorinstanzlichen Akten kann somit bei der Ermittlung des Rechtsmittelführers zurückgegriffen werden (vgl. [X.] [X.] 1977, 168, 169 – „Abfangeinrichtung“). Gemessen an den vorstehend genannten Kriterien war nach verständiger Würdigung der Gesamtumstände bei Ablauf der Beschwerdefrist jeder Zweifel an der Person der Rechtsmittelführerin ausgeschlossen.

Es trifft zwar zu, dass im [X.] vom 2. September 2021 weder die [X.] noch eine andere Person ausdrücklich als Beschwerdeführerin benannt waren. Nachdem allerdings mit anwaltlichem Schriftsatz vom selben Tag und damit rechtzeitig innerhalb der Beschwerdefrist die Bezeichnung des „Anmelders/Inhabers“ in „[X.]“ korrigiert worden war, konnte der [X.] nunmehr ohne weiteres der richtigen Person zugeordnet werden. Anhand der patentamtlichen Akten ergab sich eindeutig, dass die Beschwerde nicht im Namen der [X.] Patentanwälte Rechtsanwälte eingelegt wurde. Dass der Unterzeichner bei der vorliegenden Beschwerdeeinlegung lediglich als anwaltlicher Vertreter fungierte, zeigte sich zum einen anhand der in elektronischer Form geführten, patentamtlichen Akten, in denen der Unterzeichner als der erstinstanzlich bestellte Vertreter ausgewiesen ist. Zum anderen ergab sich dies auch aus der amtlichen „Niederschrift“ über die mündliche Verhandlung vor der Gebrauchsmusterabteilung des [X.], die am 12. Juli 2021 stattfand. Dort wird die [X.] als „Antragsgegnerin“ bezeichnet und jener Patentanwalt, der später die Beschwerdeschrift unterzeichnet hat, ist wiederum mit dem dort aufgetretenen Vertreter identisch. Die Beschwerdeschrift enthält zudem Anträge, die bei verständiger Würdigung nur der erstinstanzlich unterlegenen [X.] zugerechnet werden konnten.

III.

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet und sie führt im Ergebnis zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses.

Das [X.] betrifft einen [X.] für einen Steckverbinder. Laut Absatz 0003 der Gebrauchsmusterschrift würden derartige [X.] benötigt, um mehrere zueinander gleichartige und/oder auch unterschiedliche Module aufzunehmen. Bei diesen Modulen könne es sich beispielsweise um [X.] handeln, die als Kontaktträger für elektronische und elektrische und möglicherweise auch für optische und/oder pneumatische Kontakte vorgesehen seien. Von besonderer Wichtigkeit sei es, dass der [X.] eine vorschriftsmäßige Schutzerdung gemäß der Steckverbindernorm EN61984, beispielsweise zum Einfügen des mit Modulen bestückten [X.]s in metallische Steckverbindergehäuse, ermögliche.

Es sei Aufgabe der Erfindung, eine Bauform für einen [X.] anzugeben, die einerseits eine gute Hitzebeständigkeit und eine hohe mechanische Robustheit aufweise und die insbesondere auch beim Einbau in ein metallisches Steckverbindergehäuse eine entsprechende Schutzerdung, insbesondere eine PE („[X.]“), ermögliche und die andererseits auch eine komfortable Bedienbarkeit, insbesondere beim Auswechseln einzelner Module, gewährleiste (Absatz 0009).

Erfindungsgemäß werde die Aufgabe mit den im Anspruch 1 genannten Merkmalen gelöst.

2. Als zuständigen Fachmann sieht der Senat einen Diplomingenieur bzw. Bachelor (FH) oder Techniker der Fachrichtung Feinwerktechnik an, der mechanische Komponenten elektrischer Steckverbinder entwickelt.

3. Der Fachmann versteht die Angaben, die im Anspruch 1 genannt sind, wie folgt:

3.1 Der [X.] besteht aus einem Grundabschnitt (Merkmal 1.1), sowie aus einem [X.] (Merkmal 1.2), wobei der [X.] seinerseits aus wenigsten zwei [X.]n besteht (Merkmal 6).

In Merkmal 1.1 ist als Wirkung des Grundabschnitts „zur Fixierung eines aufgenommenen Moduls in einer [X.]“ genannt. Mangels konkreter Angaben misst der Fachmann dem Merkmal 1.1 lediglich die Bedeutung bei, dass sich die Module (3, 3ʻ) in montiertem Zustand in einer [X.] quer zur Steckrichtung des Steckverbinders nicht aus dem Grundrahmen (1) hinausbewegen können.

Im Übrigen erkennt der Fachmann, dass die tatsächliche Fixierung der Module (3, 3ʻ) hauptsächlich durch die [X.] (2, 2ʻ) mit ihren [X.] (23, 23ʻ) im Zusammenwirken mit den [X.]n (31, 31ʻ) der Module zustande kommt.

3.2 Weiter erkennt der Fachmann, dass die Module (3, 3ʻ) zwar nicht Teil des unter Schutz gestellten Gegenstandes sind, jedoch vorausgesetzt ist, dass die Module korrespondierend mit dem [X.] ausgestaltet sind (Merkmale 7.2 sowie 11).

3.3 Dabei ist in Merkmal 7.2 nur angegeben, die Rastfenster (23, 23‘) der [X.] (2, 2‘) seien zur Aufnahme einer [X.] (31, 31') eines Moduls (3, 3') vorgesehen. Aus der Zusammenschau mit der Angabe in Merkmal 11, wonach auch die [X.] die [X.] (31, 31') des Moduls (3, 3') hält, erkennt der Fachmann, dass das Merkmal 7.2 nicht dahingehend zu verstehen ist, dass die Rastfenster alleine die [X.]n halten könnten. Auch die Angabe in Absatz 0029, wonach die Rastfenster dafür vorgesehen sind, [X.]n eingefügter Module aufzunehmen, um die Module im [X.] zu verrasten, steht diesem Verständnis nicht entgegen, vielmehr schließt auch diese Angabe nicht aus, dass weitere Mittel vorhanden sind, die mit den [X.]n in Eingriff kommen, insbesondere mit diesen verrasten.

3.4 Der in Merkmal 7.1 genannte „umlaufenden Abschnitt“ hat für den Fachmann keine über den Begriff (Grund-)Rahmen hinausgehende Bedeutung. Der zeichnerischen Darstellung entnimmt der Fachmann, dass die Ränder des Grundrahmens bzw. dessen umlaufenden Abschnitts nicht durchgehend in derselben [X.] liegen müssen.

3.5 Mit der Angabe „elastisch“ in Merkmal 7 verbindet der Fachmann, dass ein Körper oder ein Werkstoff die Eigenschaft hat, unter Krafteinwirkung seine Form zu verändern und bei Wegfall [X.] in seine Ursprungsform zurückzukehren. Die Voranstellung der Vorsilbe „feder“ erkennt der Fachmann als Pleonasmus, die zwar überflüssig, jedoch auch nicht schädlich ist.

3.6 Unter einer Lasche (Merkmal 7) versteht der Fachmann einen im Vergleich zu seiner Länge schmalen oder zumindest sich verjüngenden Gegenstand, der in der Regel an einem Ende eines größeren Gegenstands angeordnet bzw. angelenkt ist.

4. Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 geht in der eingetragenen Fassung über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinaus, in der sie ursprünglich eingereicht worden ist, weshalb an sich der Löschungsgrund nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 [X.] gegeben wäre.

4.1 Für die Beurteilung, ob der Gegenstand eines abgezweigten Gebrauchsmusters auf einer unzulässigen Erweiterung beruht, ist der [X.] der [X.], aus der das [X.] abgezweigt wurde, maßgebend (vgl. [X.] GRUR 2012, 1243, 1245 – „Feuchtigkeitsabsorptionsbehälter“). Vorliegend ergibt sich daher der Maßstab aus den Unterlagen der internationalen Voranmeldung, wie sie in der Druckschrift [X.] 2015/085995 [X.] veröffentlicht wurden.

Nach der Rechtsprechung des [X.] (vgl. GRUR 2003, 867, 868 – „Momentanpol I“) steht eine Erweiterung bei einer abgezweigten Gebrauchsmusteranmeldung gegenüber der ursprünglichen Patentanmeldung der Wirksamkeit der Abzweigung nicht entgegen. Der [X.] hat hierzu ausgeführt, dass er sich der Auffassung, dass eine solche Erweiterung die Abzweigung insgesamt unwirksam mache, nicht anschließen könne. Zu beachten sei allerdings, dass sich § 4 Abs. 5 Satz 2 [X.] nicht nur auf die Fälle einer Erweiterung eines Gebrauchsmusters gegenüber der ursprünglichen Gebrauchsmusteranmeldung beziehe, sondern auch für den Fall von Änderungen der abgezweigten Gebrauchsmusteranmeldung gegenüber der ursprünglichen Patentanmeldung gelte. Auch hier sei zu beachten, dass der Gebrauchsmusterinhaber aus derartigen Erweiterungen keine Rechte herleiten könne. Aus der „Momentanpol I“-Entscheidung des [X.] in Verbindung mit der ebenfalls genannten Entscheidung „Feuchtigkeitsabsorptionsbehälter“ (vgl. jeweils oben a.a.[X.]) folgt letztlich, dass § 15 Abs. 1 Nr. 3 [X.] grundsätzlich auch als einschlägiger Tatbestand für das Löschungsverfahren im Falle von Erweiterungen eines abgezweigten Gebrauchsmusters gegenüber der [X.] („erweiternde Abzweigung“) heranzuziehen ist (vgl. auch die Kommentierung bei Busse/Keukenschrijver, 9. Aufl., § 5 [X.], Rn. 12, und § 15 [X.], Rn. 16).

4.2 Gemäß Merkmal 10.3 soll durch die Seitenteile (12, 12ʻ) des Grundrahmens jeweils eine [X.] für eine [X.] (31, 31ʻ) eines aufgenommenen Moduls (3, 3ʻ) gebildet sein, derart (Merkmal 11), dass diese [X.] mit dem jeweiligen Rastfenster (23, 23ʻ) der [X.] (2, 2ʻ) zusammen die [X.] (31, 31ʻ) des Moduls (3, 3ʻ) hält.

Eine solche Ausgestaltung ist weder dem Beschreibungsteil der ursprünglichen Unterlagen noch der zeichnerischen Darstellung unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend zu entnehmen.

Soweit die Antragsgegnerin meint, aus unterschiedlichen Strichstärken der in den Figuren 4a sowie 4b dargestellten Rastfenster (23, 23ʻ) folgere der Fachmann, die Rastfenster würden mit ihren unteren Kanten auf der gleichen Höhe liegen wie der Grund der Ausnehmungen (123, 123ʻ) zwischen den [X.] (22, 22ʻ), fehlt es zur Überzeugung des Senats an einer eindeutigen Offenbarung als zur Erfindung gehörend.

Im Übrigen erkennt der Fachmann, dass der Wortlaut des Merkmals 10.3 auch den Fall umschließt, dass die Rastfenster mit ihren unteren Kanten niedriger liegen als der Grund der Ausnehmungen. In diesem Fall wäre die untere Kante des [X.] nicht daran beteiligt, dass die [X.] des Moduls gehalten wird, vielmehr würde deren Funktion von der [X.] übernommen. Eine solche Variante war den ursprünglichen Unterlagen zweifelsfrei nicht zu entnehmen.

Somit hat die Gebrauchsmusterabteilung insoweit zutreffend festgestellt, dass die Merkmale 10.3 sowie 11 über den Inhalt der ursprünglich zur [X.] eingereichten Unterlagen hinausgehen.

5. Allerdings ist die weitergehende Feststellung der Gebrauchsmusterabteilung nicht zutreffend, wonach es sich dabei um einen neuen, weiteren technischen Aspekt handele, sodass etwas anderes geschützt würde, als es der Fachmann der [X.] entnehmen konnte. Vielmehr gilt, dass die genannten Merkmale, obwohl unzulässige Erweiterungen, im Anspruch 1 verbleiben dürfen.

Vorliegend ist die Rechtsprechung des [X.] einschlägig, dass die Löschung eines Gebrauchsmusters zu unterblieben hat, wenn ein Schutzanspruch zwar ein Merkmal enthält, das in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als nicht zur Erfindung gehörend offenbart ist, das aber nur zu eine Beschränkung des Gegenstandes und nicht zu einer Erteilung von Schutz für ein „[X.]“ führt (vgl. [X.] GRUR 2013, 1135, 1136 – „Tintenstrahldrucker“; GRUR 2021, 571, 574 – „Zigarettenpackung“).

Durch die Nennung eines zusätzlichen, zwingend vorhandenen Mittels, durch das die [X.]n gehalten werden, wird der Gegenstand des [X.] gegenüber dem ursprünglichen offenbarten Gegenstand enger. Insbesondere wird dadurch die in der Beschlussbegründung der Gebrauchsmusterabteilung erwähnte Variante 1, bei der die Rastfenster (23, 23´), insbesondere die Unterkante der Rastfenster (23, 23´), komplett über der Kante der Seitenteile (12, 12´) liegen, als nicht erfindungsgemäß ausgeschlossen. Somit wirken die in den ursprünglichen Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmale 10.3 und 11 beschränkend. Die Gebrauchsmusterabteilung hat zwar angenommen, dass hier das Vorliegen eines „[X.]s“ deshalb bejaht werden müsse, weil die Merkmale 10.3 und 11 u. a. Auswirkungen auf die Art und Weise des Fertigungsprozesses der [X.] hätten. Ein derartiger Aspekt ist aber für die Prüfung, ob ein „[X.]“ gegeben ist, ohne Bedeutung. Das Vorliegen eines „[X.]s“ könnte sich ansonsten z. B. auch danach bemessen, ob eine vorgenommene Beschränkung dem Fachmann eher vorteilhaft oder eher mit Nachteilen behaftet erschiene, worauf es natürlich nicht ankommen kann. Der Fachmann hat vorliegend unter Beachtung der unter Gliederungspunkt III. 3.3 dargelegten Auslegung den ursprünglichen Unterlagen nicht entnommen, dass die [X.]n ausschließlich von den [X.] gehalten werden müssen. Dass nunmehr auch die offenen Ausnehmungen (123, 123‘) eine Haltefunktion übernehmen sollen, ist daher eine Hinzufügung, die die bereits vorhandene Anweisung zum technischen Handeln, nämlich Rastfenster (23, 23‘) vorzusehen, die in erster Linie die [X.]n (31, 31‘) aufnehmen, lediglich weiter konkretisiert. [X.] jedoch ein hinzugefügtes Merkmal lediglich eine Anweisung, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen bereits als zur Erfindung gehörend offenbart war, so führt ein solches Merkmal nur zu einer Beschränkung, nicht aber zu einem „[X.]“ (vgl. [X.], 40, 43 – „Winkelmesseinrichtung“).

6. Da die Gebrauchsmusterabteilung irrtümlicherweise zu dem Ergebnis gekommen ist, es läge ein „[X.]“ vor, dass also der Gegenstand des eingetragenen Anspruchs 1 ein erkennbar anderer sei als der ursprünglich angemeldete, hat sie konsequenterweise von der Überprüfung des zusätzlich geltend gemachten Löschungsgrunds einer fehlenden Schutzfähigkeit nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 [X.] abgesehen. Bei dieser Sachlage ist es angemessen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur weiteren Prüfung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen (§§ 18 Abs. 2 Satz 1 [X.], 79 Abs. 3 Nr. 3 [X.]).

Die Gebrauchsmusterabteilung wird nunmehr die Prüfung der Schutzfähigkeit des eingetragenen Gegenstandes nachzuholen haben, wobei sie allerdings die Rechtsprechung des [X.] nach der Entscheidung „Wundbehandlungsvorrichtung“ (vgl. [X.] GRUR 2015, 573, 577) zu beachten haben wird. Sie wird also den Gegenstand des eingetragenen Anspruchs 1 und auch die jeweiligen Gegenstände gemäß der von der Antragsgegnerin ggf. gestellten Hilfsanträge ohne Beachtung der Merkmale 10.3 sowie 11 mit dem von der Antragstellerin in Bezug genommenen Stand der Technik daraufhin prüfen, ob Neuheit und erfinderischer Schritt gegeben sind.

7. Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf §§ 18 Abs. 2 Satz 2 [X.], 84 Abs. 2 [X.] i. V. m. § 91 Abs. 1 ZP[X.] Die Antragstellerin hat die Verwerfung der Beschwerde entweder als unzulässig oder die Zurückweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt, womit sie jeweils nicht durchgedrungen ist. Demgegenüber hat die Antragsgegnerin von Anfang an keine Entscheidung in der Sache, sondern lediglich die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragt. Hieran gemessen ist die Antragsgegnerin mit ihrem Begehren in vollem Umfang durchgedrungen, während die Antragstellerin in zweierlei Hinsicht erfolglos geblieben ist. Dies rechtfertigt, der Antragstellerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen. Billigkeitsgründe, die eine andere Kostenentscheidung erfordern würden, sind nicht gegeben.

Meta

35 W (pat) 408/21

27.09.2022

Bundespatentgericht 35. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

§ 15 Abs 1 Nr 3 GebrMG

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 27.09.2022, Az. 35 W (pat) 408/21 (REWIS RS 2022, 7290)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7290

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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