Bundessozialgericht, Beschluss vom 15.12.2020, Az. B 12 KR 58/20 B

12. Senat | REWIS RS 2020, 2422

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - rechtliches Gehör - richterliche Hinweispflicht


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 18. Juni 2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die in der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]) und [X.] Pflegeversicherung ([X.]) zu zahlenden Beiträge auf eine Kapitalleistung aus einer Kapitallebensversicherung.

2

Die 1957 geborene Klägerin ist bei den Beklagten in der [X.] und [X.] versichert. Sie wurde rückwirkend zum [X.] in einen [X.] (Direktversicherung) der Steuerberatungssozietät ihres [X.] mit der Rechtsvorgängerin der [X.] (im Folgenden einheitlich [X.]) aufgenommen. Versicherungsnehmerin war die Steuerberatungssozietät, versicherte Person die Klägerin. Im Juli 2017 erhielt die Klägerin aus diesem [X.] 606,60 Euro ausgezahlt. Gegen die auf 1/120 dieses Betrags erhobenen monatlichen Beiträge (Bescheid vom 28.7.2017, Widerspruchsbescheid vom 29.11.2017, Änderungsbescheid vom Januar 2019) wandte sich die Klägerin erfolglos mit Klage und Berufung ([X.] vom [X.], L[X.] vom 18.6.2020). Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Tatsache, dass die Klägerin die Tochter des Arbeitgebers sei, habe keine Bedeutung für die Einordnung der Versicherung als betriebliche Altersversorgung. Es komme auch nicht darauf an, dass sie bei Eintritt in den [X.] noch nicht in der Kanzlei tätig gewesen und auch mit 14 Jahren die Voraussetzungen für die Aufnahme eigentlich nicht erfüllt gehabt habe. Jedenfalls sei sie von August 1975 bis August 1979 dort tätig gewesen. Es komme auch nicht darauf an, dass die Beiträge vom Vater der Klägerin gezahlt worden seien.

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.

4

II. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des [X.] ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Die Klägerin hat die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 [X.] SGG) und eines [X.] (§ 160 Abs 2 [X.] SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

5

1. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 [X.] SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB B[X.] vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - [X.], 81, 82; B[X.] vom 24.10.1961 - 6 [X.] 19/60 - [X.], 169, 172 = [X.] [X.] zu § 52 SGG). Nach § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 SGG kann die Geltendmachung eines [X.] auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des [X.] (vgl BSG Beschluss vom [X.] KR 21/07 B - juris Rd[X.]8 mwN; B[X.] vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - [X.] [X.] 79 zu § 162 SGG; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - [X.] 1500 § 160 [X.]3). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn die Beschwerdeführerin diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des [X.] möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht.

6

a) Die Klägerin macht die Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) geltend. Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine unerwartete [X.] gibt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen [X.] selbst unter Berücksichtigung mehrerer vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (stRspr; [X.] 84, 188, 190; 86, 133, 144 f; 98, 218, 263; BSG [X.] 3-4100 § 103 [X.] 4 S 23; BSG [X.] 4-2500 § 103 [X.] 6 Rd[X.]8 mwN).

7

Die Klägerin rügt ([X.] ff der Beschwerdebegründung vom 22.9.2020), das Gericht habe auch über die [X.] ab 1.1.2020 entschieden, obwohl ihr Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen habe, dass noch nicht über die Freibetragsregelung entschieden sei, und die Beklagten insofern noch eine Entscheidung angekündigt hatten. Damit hat die Klägerin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) und auch die zugleich gerügte Verletzung der richterlichen Hinweispflichten, die sich für das sozialgerichtliche Verfahren aus § 106 Abs 1 bzw § 112 Abs 2 Satz 2 SGG ergeben, nicht substantiiert dargetan. Denn zum einen ist schon nach ihrem eigenen Vortrag die von ihr aufgeworfene Problematik Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen (vgl [X.] Beschluss vom 12.7.2006 - [X.]K 8, 376; vgl auch BSG Beschluss vom [X.] - [X.] R 217/08 B - juris Rd[X.] 9). Zum anderen ist nicht hinreichend dargetan, welches Vorbringen gegebenenfalls verhindert worden ist (vgl BSG Beschluss vom 1.8.2017 - [X.] R 323/16 B - juris Rd[X.]5). Ungeachtet dessen gebietet Art 103 Abs 1 GG die von der Klägerin gewünschten Hinweise über die Rechtsauffassung des Gerichts noch vor der Entscheidung grundsätzlich nicht (stRspr; vgl [X.] vom 20.2.2008 - 1 BvR 2722/06 - juris Rd[X.] 26; [X.] Beschluss vom 5.11.1986 - 1 BvR 706/85 - [X.] 74, 1, 5 f; BSG Beschluss vom [X.] R 15/09 B - juris Rd[X.] 7; [X.], [X.], 2. Aufl 2010, Rd[X.] 590). Das Prozessgericht ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern (BSG Beschluss vom [X.] - B 5 [X.] B - [X.] 3-1500 § 112 [X.] 2 S 3 mwN). Im Übrigen haben die Beklagten nach dem Vortrag sowohl der Klägerin als auch der Beklagten zwischenzeitlich die angekündigte Entscheidung ab 1.1.2020 getroffen und die Klägerin insoweit klaglos gestellt.

8

b) Wenn ein Verstoß gegen das [X.] gerügt werden soll, ist darzulegen, dass ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag, mit dem sowohl das Beweismittel als auch das Beweisthema angegeben und aufgezeigt wurde, über welche Tatsachen im Einzelnen Beweis erhoben werden sollte, in der abschließenden mündlichen Verhandlung bis zuletzt aufrechterhalten oder gestellt worden ist (vgl BSG Beschluss vom 19.11.2007 - [X.]/5 R 382/06 B - [X.] 4-1500 § 160a [X.] 21 Rd[X.] 6; BSG Beschluss vom 18.12.2000 - [X.] U 336/00 B - [X.] 3-1500 § 160 [X.]1 S 51 f; BSG Beschluss vom 28.5.1997 - 9 BV 194/96 - [X.] 3-1500 § 160 [X.] 20 S 32 f; BSG Beschluss vom 18.12.2018 - [X.] R 37/18 B - juris Rd[X.]). Es ist weiterhin auf der Grundlage der materiellen Rechtsauffassung des [X.] darzulegen, dass das angefochtene Urteil auf diesem Mangel beruhen kann. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Die Klägerin meint, das [X.] habe aufklären müssen, ob die Beiträge zur Kapitallebensversicherung aus dem privaten Einkommen des [X.] der Klägerin gezahlt worden seien. Sie referiert dann aber selbst die Auffassung des [X.], dass es nicht darauf ankomme, ob die Klägerin oder ihr Vater privat oder als Arbeitgeber die Beiträge zur Versicherung gezahlt habe. Entscheidend sei lediglich, dass die Steuerberatungssozietät durchgehend Versicherungsnehmer gewesen sei. Die Klägerin macht nicht hinreichend deutlich, inwiefern das Urteil dennoch auf dem von ihr behaupteten Verfahrensfehler beruhen soll.

9

2. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - [X.] R 347/11 B - [X.] 4-2600 § 72 [X.] 5 Rd[X.]7; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - [X.] KR 94/18 B - juris Rd[X.] 6 mwN).

Die Klägerin wirft auf Seite 18 f der Beschwerdebegründung vom 22.9.2020 folgende Frage auf:
"ob Leistungen aus einem vor Inkrafttreten des [X.] (das [X.] ist am 01.01.1975 in [X.] getreten) abgeschlossenen [X.] (hier: Kapitallebensversicherung) als eine Rente der betrieblichen Altersversorgung i.S.d. § 226 Abs. 1 Satz 1 [X.]. 3, § 229 Abs. 1 Satz 1 [X.]. 5 SGB 5 der Beitragspflicht zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung unterliegen, wenn
die Leistungen aus dem [X.] an [X.] Familienmitglieder des Versicherungsnehmers (freiberuflich tätige Steuerberater) gezahlt werden, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Versicherungsnehmer standen, jedoch gemäß den Vertragsbedingungen des [X.] zulässig als (betriebsfremde) familiäre Bezugsberechtigte in den [X.] aufgenommen wurden und
wenn die Prämien zur Gruppenversicherung für das (betriebsfremde) [X.] Familienmitglied vom Versicherungsnehmer als familienhafte Zuwendung aus seinen versteuerten privaten Einkünften finanziert wurden".

Es fehlt bereits an einer hinreichenden Darlegung des allgemeinen Interesses an der Beantwortung der aufgeworfenen Frage. Die Klägerin hat nicht hinreichend dargetan, dass es in einer Vielzahl von Fällen auf die Beantwortung der Frage nach der Einbeziehung betriebsfremder Familienmitglieder in eine Gruppenversicherung des Arbeitgebers ankommen soll.

Es fehlt auch an hinreichenden Ausführungen zur Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Frage im angestrebten Revisionsverfahren. Dazu wäre auszuführen gewesen, inwiefern der Senat überhaupt über die aufgeworfene Frage entscheiden müsste, die Frage also entscheidungserheblich ist. Dies ist auf der Tatsachengrundlage der Vorinstanz zu beurteilen, weshalb sich auch die Darlegungen zu dieser Zulässigkeitsvoraussetzung auf die im angegriffenen Urteil mit Bindungswirkung für das BSG (§ 163 SGG) festgestellten Tatsachen beziehen müssen.

Obwohl das [X.] die Betriebszugehörigkeit der Klägerin in der [X.] von August 1975 bis August 1979 festgestellt hat und die Klägerin selbst vorträgt, in dieser [X.] in einem Ausbildungsverhältnis mit der Steuerberatungssozietät gestanden zu haben und damit nicht betriebsfremd gewesen zu sein, erklärt die Klägerin nicht, warum es auf die Frage nach der beitragsrechtlichen Behandlung betriebsfremder Familienmitglieder im Revisionsverfahren ankommen soll. Unabhängig davon ergibt sich aus dem von der Klägerin geltend gemachten fehlenden Ausschluss der Einbeziehung von Familienmitgliedern in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der [X.] nicht hinreichend deutlich, inwiefern sich aus den bindenden Feststellungen des [X.] nicht nur die Zulässigkeit der Aufnahme betriebsfremder familiärer [X.] in den [X.], sondern auch ihre tatsächliche Aufnahme als solche ergeben soll. Dazu wären aber Ausführungen angezeigt gewesen, nachdem das [X.] in seiner Begründung von einer Aufnahme der Klägerin in den [X.] als Arbeitnehmerin bzw Auszubildende ausgegangen ist.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. [X.] beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Meta

B 12 KR 58/20 B

15.12.2020

Bundessozialgericht 12. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Wiesbaden, 26. September 2018, Az: S 1 KR 551/17, Urteil

§ 62 SGG, § 106 Abs 1 SGG, § 112 Abs 2 S 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 15.12.2020, Az. B 12 KR 58/20 B (REWIS RS 2020, 2422)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2422

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 12 KR 45/22 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verstoß des Berufungsgerichts gegen das Gebot des gesetzlichen …


B 12 KR 15/20 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Sachaufklärungsrüge - Beweiserhebung


B 12 KR 92/16 B (Bundessozialgericht)

(Nichtzulassungsbeschwerde - Begründungserfordernis - Prozessbevollmächtigter - Unterzeichnung eines von einem Beteiligten selbst verfassten Schreibens ohne …


B 12 KR 44/10 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - keine Klärungsbedürftigkeit bei klaren oder ausreichenden Anhaltspunkten zur …


B 12 BA 21/22 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.