Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.05.2016, Az. 7 B 47/15

7. Senat | REWIS RS 2016, 11068

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Informationszugangsverweigerung wegen Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Funktionsfähigkeit


Gründe

I

1

Der Kläger - ein Rechtsanwalt - begehrt Informationen über den Abschnitt der [X.] des Präsidenten des [X.], der die "Rückgabe eines einbehaltenen Gegenstands infolge allgemeiner Zutrittskontrolle" betrifft. Ihm war als Nebenklagevertreter in einem Strafverfahren bei einer Einlasskontrolle ein Schlüsselanhänger abgenommen worden, an dem ein sog. "Leatherman micra tool" mit einem kleinen Taschenmesser befestigt war.

2

Das Verwaltungsgericht gab der Klage auf Informationszugang zu Abschnitt [X.] 4 bis 6 der [X.] mit der Maßgabe statt, dass der [X.]eklagte die Wörter, aus denen auf den Aufbewahrungsort der einbehaltenen Gegenstände geschlossen werden könne, schwärzen dürfe. Hinsichtlich der Absätze 5 und 6 hat der [X.]eklagte die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene [X.]erufung zurückgenommen; im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht seiner [X.]erufung stattgegeben und die Klage abgewiesen. Der Anspruch auf Zugang zu Abschnitt [X.] 4 der [X.] sei nach § 6 Satz 1 [X.]uchst. a IFG [X.] ausgeschlossen. Das [X.]ekanntwerden der begehrten Informationen beeinträchtige die öffentliche Sicherheit, zu der auch die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen gehöre.

3

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die [X.]eschwerde des [X.].

II

4

Die [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

5

1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher [X.]edeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kommt nicht in [X.]etracht.

6

Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer [X.]edeutung über den der [X.]eschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.

7

Die vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,

"Verstößt ein (Ober-)Verwaltungsgericht gegen die Amtsaufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO und verletzt es den Anspruch des [X.] auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, wenn es bei einem Informationszugangsstreit die Geheimhaltungsbedürftigkeit streitiger Dokumentenstellen wegen [X.]elangen der öffentlichen Sicherheit und/oder Ordnung im Sinne von § 6 Satz 1a) IFG [X.] (insoweit identisch mit § 3 Nr. 2 IFG) bejaht, gestützt auf [X.] der beklagten [X.]ehörde, ohne zuvor gem. § 99 Abs. 2 VwGO das von der [X.]eite beantragte "in-camera"-Verfahren durchzuführen, um im Zwischenverfahren zunächst auch nur den Versuch einer weiteren Sachverhaltsaufklärung zu unternehmen, ob die Informationserteilung überhaupt geeignet ist, zumindest eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit und/oder Ordnung herbeizuführen?",

ist - soweit sie sich in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten lässt - in der Rechtsprechung des [X.], die auch das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat ([X.]), bereits geklärt.

8

Danach besteht in Streitigkeiten um Informationszugangsrechte keine generelle Pflicht zur Durchführung eines "[X.]; das Hauptsacheverfahren wird nicht gleichsam automatisch in das "in-camera"-Verfahren verlagert. Das gilt nicht nur für prozedurale Geheimhaltungsgründe, die sich aus dem jeweiligen den Informationszugang regelnden [X.] ergeben und die - unabhängig vom Inhalt der Akten - darauf zielen, die Art und Weise des Zustandekommens behördlicher Akten und Unterlagen zu schützen, mithin dem Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses dienen. Der konkrete Akteninhalt muss auch für die Feststellung materieller Geheimhaltungsgründe nicht zwingend rechtserheblich sein. Das Gericht der Hauptsache ist deshalb gehalten, vor Erlass eines [X.] zunächst die ihm nach dem Amtsermittlungsgrundsatz zur Verfügung stehenden Mittel auszuschöpfen, um den Sachverhalt aufzuklären und festzustellen, ob über das Vorliegen der geltend gemachten Geheimhaltungsgründe gegebenenfalls auch ohne Einsicht in die betreffenden Unterlagen entschieden werden kann ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 25. Juni 2010 - 20 F 1.10 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 59 Rn. 7, vom 2. November 2010 - 20 F 2.10 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 61 Rn. 12 f., vom 6. April 2011 - 20 F 20.10 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 63 Rn. 8 f. und vom 21. Januar 2016 - 20 F 2.15 - NVwZ 2016, 467 Rn. 5 f.).

9

Zu diesem Zweck muss die [X.]ehörde, die den grundsätzlich gegebenen Informationszugang versagen will, soweit dies unter Wahrung der von ihr behaupteten Geheimhaltungsbedürftigkeit der Informationen möglich ist, in nachvollziehbarer Weise Umstände darlegen, die auch für den Antragsteller, der die Informationen gerade nicht kennt, den Schluss zulassen, dass die Voraussetzungen des in Anspruch genommenen [X.] vorliegen ([X.]VerwG, Urteil vom 27. November 2014 - 7 C 18.12 - [X.] 404 IFG Nr. 13 Rn. 19). Eine Einsicht in die zurückgehaltenen Unterlagen wird nur dann entscheidungserheblich, wenn die Angaben der [X.]ehörde - unter [X.]erücksichtigung des Ergebnisses der Erörterung der Sach- und Rechtslage - für eine Prüfung der fachgesetzlichen Ausnahmegründe nicht ausreichen (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 25. Juni 2010 - 20 F 1.10 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 59 Rn. 7).

Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf oder die Notwendigkeit, die ständige Rechtsprechung des [X.] in einem Revisionsverfahren zu überprüfen, zeigt die [X.]eschwerde nicht auf. Aus dem Hinweis auf die [X.]eschlüsse des [X.] vom 27. Oktober 1999 - 1 [X.]vR 385/90 - [X.] 101, 106 und vom 14. März 2006 - 1 [X.]vR 2087/03, 1 [X.]vR 2111/03 - [X.] 115, 205) folgt nichts anderes. In der Rechtsprechung des [X.] ist geklärt, dass zu den sachlichen Gründen, die eine Einschränkung von Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG rechtfertigen können, auch berechtigte Geheimhaltungsinteressen gehören (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 [X.]vR 385/90 - [X.] 101, 106 <124 f., 127 ff.>). Soweit die [X.]eschwerde einen weitergehenden Klärungsbedarf daraus ableiten will, dass die ergänzenden behördlichen Angaben in der mündlichen Verhandlung zur abstrakten Umschreibung des Regelungsgegenstandes von Abschnitt [X.] der [X.] ("flankierende Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit") vom Kläger bestritten worden seien, kann dem schon deshalb nicht gefolgt werden, weil der Kläger diese Angaben ausweislich des [X.] - anders als etwa die Angaben zu der für das [X.]erufungsgericht nicht entscheidungserheblichen Lage des [X.] - nicht in Abrede gestellt hat (vgl. S. 2 und 3 des [X.]).

2. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt (§ 86 Abs. 1 VwGO), sondern sein Urteil unter Vernachlässigung des klägerischen Vorbringens, insbesondere der [X.] auf Inaugenscheinnahme der Örtlichkeiten im [X.] sowie auf Einleitung eines "[X.], auf unzureichende und bestrittene Darlegungen des [X.]eklagten gestützt und dadurch den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verletzt, greift nicht durch.

Der Prüfung, ob das angefochtene Urteil auf einer Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) beruht, ist die materiell-rechtliche [X.]eurteilung der Vorinstanz zugrunde zu legen ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 17. Mai 2011 - 8 [X.] - juris Rn. 3). Davon ausgehend musste sich dem Oberverwaltungsgericht weder die Notwendigkeit eines "[X.] noch einer Inaugenscheinnahme der Örtlichkeiten im [X.] aufdrängen. Nach der - auf die o.a. Rechtsprechung des [X.] gestützten - Rechtsauffassung des [X.] war vor der Einleitung eines "[X.] zunächst zu prüfen, ob bereits anhand des konkreten Inhalts der zur Verfügung stehenden Akten bzw. mittels der dazu gemachten behördlichen Angaben verifiziert werden kann, dass ein Ablehnungsgrund hinsichtlich der nicht zur Verfügung stehenden (Teile der) Information vorliegt ([X.] unten). Dies hat das Oberverwaltungsgericht bejaht ([X.] unten). Auf die Einsicht in den noch streitgegenständlichen Teil der [X.] kam es daher für das Oberverwaltungsgericht nicht an. Das Vorbringen der [X.]eschwerde, das Oberverwaltungsgericht habe die Angaben des [X.]eklagten zu Absatz 4 nicht für plausibel halten dürfen, weil der [X.]eklagte hinsichtlich der ursprünglich ebenfalls als geheimhaltungsbedürftig deklarierten Absätze 5 und 6 des Abschnitts [X.]. II. der [X.] freiwillig auf den Geheimhaltungsschutz verzichtet habe, liegt neben der Sache. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht (S. 2 f.) hat der [X.]eklagte die [X.]erufung hinsichtlich der Absätze 5 und 6 zurückgenommen, nachdem das Oberverwaltungsgericht ihn darauf hingewiesen hatte, dass es den Versagungsgrund des § 6 Satz 1 [X.]uchst. a IFG [X.] insoweit nicht als gegeben erachte.

Von einer Inaugenscheinnahme der Örtlichkeiten im [X.] konnte das Oberverwaltungsgericht schon deshalb absehen, weil es von seinem Rechtsstandpunkt aus nicht relevant war, ob der Rückgabeort für einbehaltene Gegenstände vor oder hinter einer Sicherheitsschleuse liegt (UA S. 15).

Der gerügte Gehörsverstoß liegt ebenfalls nicht vor. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gebietet nur, dass das Vorbringen der [X.]eteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen wird, nicht aber, dass das Gericht der Ansicht eines [X.]eteiligten folgt ([X.], [X.]eschluss vom 12. April 1983 - 2 [X.]vR 678/81 u.a. - [X.] 64, 1 <12>). Einen Verstoß gegen diese Grundsätze zeigt die [X.]eschwerde nicht auf. Das Oberverwaltungsgericht hat sich mit den [X.]n des [X.] befasst und näher begründet, warum es die begehrte [X.]eweiserhebung nicht für erforderlich hält ([X.] ff.).

Schließlich ist auch für die von der [X.]eschwerde geltend gemachte Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes nichts ersichtlich. § 108 Abs. 1 VwGO enthält als prozessrechtliche Vorschrift Vorgaben, die den Vorgang der Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung steuern. Das Gericht hat seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen. Die Einhaltung der daraus folgenden verfahrensmäßigen Verpflichtungen ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein [X.]eteiligter ein aus seiner Sicht fehlerhaftes Ergebnis der gerichtlichen Verwertung des [X.] rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als das angefochtene Urteil. Die [X.]eweiswürdigung des Tatsachengerichts darf vom Revisionsgericht nicht darauf überprüft werden, ob sie überzeugend ist, ob festgestellte Einzelumstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die abschließende Würdigung des Sachverhalts eingegangen sind und ob die Einzelumstände ausreichen, die Würdigung zu tragen. Solche Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO daher grundsätzlich nicht begründen. Ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz stellt jedoch dann einen Verfahrensfehler dar, wenn das Tatsachengericht allgemeine Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigungsgrundsätze verletzt, etwa entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht, aktenwidrige Tatsachen annimmt oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür geprägt sind ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 17. Mai 2011 - 8 [X.] - juris Rn. 8 und vom 13. Januar 2016 - 7 [X.] 3.15 - juris Rn. 22 m.w.N.). Eine solche Ausnahmesituation legt die [X.]eschwerde aber nicht dar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Meta

7 B 47/15

23.05.2016

Bundesverwaltungsgericht 7. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 18. August 2015, Az: 15 A 2856/12, Urteil

§ 99 VwGO, § 86 Abs 1 VwGO, § 108 Abs 1 VwGO, Art 19 Abs 4 GG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.05.2016, Az. 7 B 47/15 (REWIS RS 2016, 11068)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 11068

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

7 C 20/17 (Bundesverwaltungsgericht)

Zugang u.a. zu Informationen über Uwe Mundlos aus Personalakten Dritter


10 C 3/21 (Bundesverwaltungsgericht)

Über den Zugang zu Unterlagen des Bundessicherheitsrates muss teilweise neu verhandelt werden


20 F 13/10 (Bundesverwaltungsgericht)

in-camera-Verfahren


20 F 8/12 (Bundesverwaltungsgericht)

Sachentscheidungsvoraussetzung eines Antrags nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO; keine Notwendigkeit einer Einsicht …


10 B 17/22 (Bundesverwaltungsgericht)

Fortbestand eines anzuerkennenden Vertraulichkeitsinteresses


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

1 BvR 385/90

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.