Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.05.2019, Az. X ZR 93/17

10. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 7332

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Gegenstand

Patentnichtigkeitssache: Unteransprüche in der Patentauslegung; öffentliche Zugänglichkeit bei gewerblicher Entwicklungs- und Erprobungstätigkeit


Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des 7. Senats ([X.]) des [X.] vom 13. Juli 2017 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte war Inhaberin des mit Wirkung für die [X.] erteilten, mittlerweile durch Zeitablauf erloschenen [X.] Patents 798 168 ([X.]), das am 13. März 1997 unter Inanspruchnahme der Priorität einer [X.] Gebrauchsmusteranmeldung vom 29. März 1996 angemeldet wurde. Das Streitpatent hat in einem vorangegangenen [X.] durch rechtskräftiges Urteil des [X.] eine beschränkte Fassung erhalten. Es umfasst nunmehr 24 Ansprüche, von denen Anspruch 1 lautet:

"Seitenaufprall-Schutzeinrichtung für Fahrzeuginsassen, mit einem [X.] (10), dadurch gekennzeichnet, dass sich der langgestreckte, für einen Front- und einen Heckinsassen vorgesehene, [X.] (10) in [X.] Zustand von einem Bereich seitlich eines Frontinsassen bis in einen Bereich seitlich eines Heckinsassen erstreckt und in gefaltetem Zustand in einem Montageschlauch (22) angeordnet ist."

2

Die von der [X.] in einem Verletzungsstreit in Anspruch genommene Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des [X.] sei mangels Neuheit und erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig.

3

Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die weiterhin eine Nichtigerklärung des [X.] im vollen Umfang begehrt. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen und verteidigt das Streitpatent hilfsweise in der Fassung von neun Hilfsanträgen.

Entscheidungsgründe

4

I. Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

5

1. Das Streitpatent betrifft eine Seitenaufprall-Schutzeinrichtung für Fahrzeuginsassen mit einem [X.].

6

Nach den Angaben im Streitpatent ist im Stand der Technik ein [X.] bekannt, der schlauchförmig ausgebildet ist, an der A- und der [X.] befestigt wird und im aufgeblasenen Zustand verhindert, dass ein Frontinsasse auf die Seitenscheibe aufprallen kann. Weiterhin zeigten zwei nachveröffentlichte Schriften [X.] mit einem langgestreckten Airbag, der sich jeweils seitlich eines Frontinsassen bis seitlich eines [X.] erstreckt und nach Art eines Vorhangs oder einer Luftmatratze gestaltet ist.

7

2. Der Lehre des Streitpatents liegt die Aufgabe zugrunde, in möglichst einfacher Weise einen Schutz gegen einen Seitenaufprall sowohl für den Front- als auch den [X.] zu bieten.

8

3. Zur Lösung schlägt Patentanspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor (die Nummerierung folgt derjenigen aus dem angegriffenen Urteil):

9

Seitenaufprall-Schutzeinrichtung für Fahrzeuginsassen mit

1. einem [X.] ([X.]), der

2. langgestreckt ist,

3. für einen Front- und einen [X.] vorgesehen ist,

4. sich in aufgeblasenem Zustand von einem Bereich seitlich eines Frontinsassen bis in einen Bereich seitlich eines [X.] erstreckt und

5. in gefaltetem Zustand in einem [X.] angeordnet ist.

Die nachfolgenden Figuren 1 und 3 des Streitpatents zeigen zwei Ausführungsbeispiele der erfindungsgemäßen Lehre.

Abbildung

Abbildung

4. Der Patentanspruch bedarf im Hinblick auf ein Merkmal näherer Erörterung.

a) Das Patentgericht hat angenommen, die Anordnung in einem [X.] gemäß Merkmal 5 solle der einfacheren Montage des [X.] dienen. Hierfür sei erforderlich, dass der Airbag bereits während des Montagevorgangs von einem [X.] umfasst sei. Der Schlauch müsse hierfür eine gewisse Festigkeit aufweisen, damit der Airbag bei der Montage und im eingebauten Zustand so zusammengehalten werde, dass dessen Querfaltung nicht bereits vor der [X.] verloren gehe.

Bei einem [X.] handele es sich um ein längliches und flexibles Gebilde. Dies bedeute nicht, dass der Schlauch insgesamt aus flexiblem Material hergestellt sein müsse; der Schlauch könne auch aus mehreren für sich gesehen unflexiblen Gliedern bestehen, wenn diese nicht starr, sondern flexibel zueinander angeordnet seien.

b) Dies hält den Angriffen der Berufung stand.

Die Beschreibung des Streitpatents hebt hervor, dass der [X.] zur einfacheren Montage in einem [X.] angeordnet ist ([X.]. 2 Abs. 13 Z. 45 bis 49). Diese Funktion des [X.]s entspricht dem allgemeinen [X.]rachverständnis, wonach ein als [X.] bezeichnetes Bauteil die ihm zukommende Funktion, hier das Zusammenhalten des [X.] im zusammengefalteten Zustand, bereits während der Montage erfüllt und so die Montage erleichtert.

Weiterhin bedingt die Bezeichnung als "Schlauch", dass es sich um ein insbesondere in Längsrichtung im Wesentlichen flexibles Gebilde handelt. Dies entspricht dem allgemeinen [X.]rachgebrauch und wird vom Streitpatent als besonders vorteilhaft hervorgehoben, weil damit der [X.] und der sich darin befindliche Airbag an die Kontur des Fahrzeugs angepasst werden können (Streitpatent, [X.]. 2 Abs. 14).

Dem steht nicht entgegen, dass nach [X.] 4 der Gegenstand des Patentanspruchs 1 dadurch gekennzeichnet ist, dass der [X.] aus einem flexiblen Material ist. [X.] gestalten die im [X.] unter Schutz gestellte Lösung weiter aus und können daher - mittelbar - Erkenntnisse über deren technische Lehre zulassen. Inwieweit sich aus dem Gegenstand eines [X.]s tragfähige Rückschlüsse für das Verständnis des [X.]s und der in ihm verwendeten Begriffe gewinnen lassen, hängt indessen von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere auch davon, worin die mit dem [X.] vorgeschlagene Ergänzung der technischen Lehre des [X.]s besteht und auf welche Weise sie den Gegenstand des [X.]s fortbildet ([X.], Urteil vom 10. Mai 2016 - [X.], [X.], 1031 Rn. 15 mwN - Wärmetauscher). Auch wenn der Gegenstand eines [X.]s regelmäßig enger ist als der des zugrundeliegenden [X.]s, lässt sich allein aus seiner Existenz nicht zwingend ableiten, dass der [X.] einen weiteren Gegenstand erfassen muss und seine Verwirklichung auch in einer Weise möglich sein muss, die nicht gleichzeitig die Merkmale des [X.]s erfüllt.

Nach dem Gesamtverständnis des Streitpatents erlaubt Patentanspruch 4 jedenfalls nicht den Schluss, dass ein "Schlauch" auch ein im Wesentlichen starres Bauteil sein könnte. Die Streitpatentschrift enthält keinen Anhaltspunkt, dass eine solche vom allgemeinen [X.]rachgebrauch abweichende Ausgestaltung zum Gegenstand des Streitpatents gehören könnte. Insofern kommt es nicht darauf an, inwieweit Ausführungsformen für einen Schlauch denkbar sind, in denen der Schlauch insgesamt ein flexibles Gebilde darstellt und gleichwohl nicht aus einem flexiblen Material hergestellt ist.

II. Das Patentgericht hat den Gegenstand des Streitpatents für patentfähig erachtet und seine Entscheidung wie folgt begründet:

Der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht durch die nachveröffentlichte [X.] [X.] 196 47 679 ([X.]) vorweggenommen. Diese zeige zwar einen Seitenaufprallschutz mit den Merkmalen 1 bis 4. Jedoch sei dieser Schrift nicht das Merkmal 5 zu entnehmen, weil der Airbag in einem starren Gehäuse und mithin nicht in einem flexiblen [X.] untergebracht sei.

Die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 werde nicht durch die von der Klägerin behaupteten Vorbenutzungshandlungen im Rahmen eines [X.] der [X.] in Frage gestellt. Insoweit komme es auf die Offenkundigkeit dieser Handlungen nicht an. Die hierzu vorgelegten Schriftstücke enthielten keine Angaben zu den Merkmalen 4 und 5. Die vorgelegten Skizzen zeigten keinen Airbag, der sich im aufgeblasenen Zustand über den [X.] bis zum [X.]bereich erstrecke. Gleiches gelte für die Unterlagen aus Entwicklungsarbeiten für die V.     AG.

Der Gegenstand von Anspruch 1 beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit. Aus der [X.] Patentanmeldung 2 293 355 ([X.]) gehe ein [X.] hervor, der sich seitlich eines Frontinsassen erstrecke und in gefaltetem Zustand in einem [X.] angeordnet sei (Merkmale 1, 2 und 5). Der Fachmann, bei dem es sich um einen Diplomingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau mit [X.]ezialkenntnissen in der Entwicklung von Schutzeinrichtungen für Fahrzeuginsassen handele, werde jedoch durch die [X.] nicht angeregt, einen Kopfschutz sowohl für den Front- wie den [X.] durch eine Erstreckung des in [X.] gezeigten [X.] bis in den Heckbereich zu bewerkstelligen. Vielmehr werde dem Fachmann von der [X.] die Lehre vermittelt, einen größeren Airbag lediglich für den [X.] vorzusehen. Bei einer Verlagerung des [X.] weiter nach hinten wiese dieser im aufgeblasenen Zustand seine größte Dicke etwas hinter der [X.] auf, während aufgrund der Sichelform des [X.] im Bereich der [X.] kein optimaler Schutz zu erreichen wäre. Der Fachmann sähe deshalb von einer Verlängerung des in [X.] gezeigten [X.] ab und dächte eher daran, für den Heckpassagier einen separaten Airbag vorzusehen.

Eine Anregung, den aus [X.] bekannten Kopfschutz entsprechend den Merkmalen 3 und 4 weiterzuentwickeln, habe sich auch nicht aus der [X.] [X.] Sho 47-27580 ([X.]) oder der [X.]n [X.] 1 555 142 ([X.]) ergeben. Die [X.] verfolge eine andere technische Lösung, indem ein Sackkörper in der Decke eines [X.] untergebracht sei. Im Falle eines Aufpralls expandiere der Sackkörper in der Weise, dass er von der Fahrzeugdecke herabhänge und die Insassen in einhüllender Weise bedecke. Dem ließen sich keine Hinweise auf die Merkmale 3 und 4 entnehmen. Solche Hinweise ließen sich auch nicht der [X.] entnehmen, die eine Einrichtung zur Erhöhung der Sicherheit von Fahrzeuginsassen zeige, derzufolge die Fahrzeuge mit pneumatisch wirksamen Polsterungen vorwiegend hinter den Köpfen der Insassen ausgestattet würden.

Weiterhin habe die [X.] [X.] 43 04 152 ([X.]), die eine Kombination eines in der Tür angebrachten Tür-[X.] und eines oberhalb des Fensters befindlichen [X.] zeige, den Fachmann nicht zum Gegenstand des Streitpatents geführt. Der [X.] sei kein Hinweis dazu zu entnehmen, einen dieser [X.] sowohl für den Front- als auch für den [X.] vorzusehen. Der Fachmann, der um die Problematik großvolumiger Systeme wisse, werde zu einer Ausdehnung des [X.] auch nicht angeregt. Dies gelte auch hinsichtlich einer Kombination der in [X.] und [X.] gezeigten Vorrichtungen.

Schließlich werde der Fachmann auch nicht durch ein im Rahmen eines [X.] der [X.] erstelltes Lastenheft ([X.]), dessen öffentliche Zugänglichkeit bestritten sei, in Zusammenschau mit [X.] zum Gegenstand von Anspruch 1 angeregt. Aus der Anmerkung in [X.], wonach der aufgeblasene Kopfschutz den gesamten möglichen Kontaktbereich abdecken solle, also A-Säule, [X.] bis einschließlich C-Säule, sei lediglich der Umfang des Insassenschutzes zu entnehmen, jedoch kein Hinweis darauf, auf welche Weise dieser Schutz zu bewerkstelligen sei. Die Entwicklung solcher Lösungen sei von den Teilnehmern des [X.] gerade gefordert gewesen.

III. Dies hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren stand.

1. Der Gegenstand des Streitpatents ist neu.

a) Er wird nicht von [X.] vorweggenommen.

aa) Entsprechend den zutreffenden und von den Parteien nicht bestrittenen Ausführungen des Patentgerichts zeigt die [X.] einen langgestreckten [X.] 42 als Seitenaufprallschutz, der entsprechend der nachfolgenden Figur 7 der [X.]

Abbildung

sowohl die gesamte obere Hälfte des frontseitigen Fensters 22 als auch die gesamte obere Hälfte des rückseitigen Fensters 40 überdeckt ([X.], [X.]. 5 Z. 37 bis 44) und sich demzufolge im aufgeblasenen Zustand von einem Bereich seitlich eines Frontinsassen bis in einen Bereich seitlich eines [X.] erstreckt (Merkmale 1 bis 4).

        
Abbildung

bb) Gemäß der [X.] wird der [X.] in gefaltetem Zustand
entsprechend der nebenstehenden Figur 4 in einem Gehäuse 30
untergebracht, welches aus einer Basis 30B und einem Deckel 30A
besteht und sich entlang der Vordersäule und der [X.] 28
erstreckt ([X.], [X.]. 3 Z. 39 bis 43).
Beim Entfalten des [X.] wird der Deckel aufwärts um einen
Scharnierabschnitt 30C verschwenkt

Dies entspricht nicht dem Merkmal 5. Bei dem Gehäuse handelt es sich um ein starres Gebilde. Aus der Verschwenkbarkeit des Deckels ergibt sich nicht, dass es sich insgesamt um ein flexibles Gebilde handelt; insbesondere entspricht das Gehäuse nicht den Eigenschaften eines Schlauchs. Zudem offenbart die [X.] nicht, dass das Gehäuse dazu geeignet ist, den [X.] vor der Montage aufzunehmen, um so das Gehäuse gemeinsam mit dem Airbag im Fahrzeug montieren zu können.

b)Der Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 stehen nicht die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen zu einer gemeinsamen Entwicklungsarbeit für Seiten- und Kopfairbags entgegen, die sie vom [X.] 1995 bis ins Frühjahr 1996 gemeinsam mit der [X.] anstrengte ([X.] bis [X.]). Gleiches gilt für das Schreiben der [X.] vom 20. Februar 1996 ([X.]), mit dem diese einen Konzeptwettbewerb für Rückhaltesysteme ...  zu der Komponente "[X.] für zusätzlichen Kopfschutz" initiierte. Diese Unterlagen gehörten nicht zum Stand der Technik, denn sie waren der Öffentlichkeit nicht zugänglich.

aa) Den Stand der Technik bildet alles, was vor dem Anmeldetag der Öffentlichkeit durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist. Für die öffentliche Zugänglichkeit reicht es aus, dass ein nicht begrenzter Personenkreis nach den gegebenen Umständen in der Lage war, die Kenntnis zu erlangen ([X.], Urteil vom 15. Januar 2013 - [X.], [X.], 367 Rn. 20 mwN - Messelektronik für Coriolisdurchflussmesser).

Bei gewerblicher Entwicklungs- oder Erprobungstätigkeit, bei der ein betriebliches Interesse daran besteht, die dabei entstehenden Kenntnisse nicht nach außen dringen zu lassen, ist im Regelfall und ohne Hinzutreten besonderer Umstände die öffentliche Zugänglichkeit der gewonnenen Kenntnisse zu verneinen. Dies gilt jedenfalls solange, wie die Kenntnisse nur solchen Personen zugänglich sind, die an dieser Entwicklungs- und Erprobungstätigkeit beteiligt sind ([X.], Urteil vom 10. November 1998 - [X.], [X.]. 1999, 362 [zu [X.]] - Herzklappenprothese).

bb) Nach diesen Grundsätzen waren die Unterlagen gemäß [X.] bis [X.] nicht der Öffentlichkeit zugänglich, denn es handelte sich um Schriftstücke, die allein zwischen der [X.] und der Rechtsvorgängerin der Klägerin sowie einem Kooperationspartner der Klägerin ausgetauscht wurden. Der Personenkreis, dem diese Unterlagen zugänglich waren, war und blieb begrenzt.

cc) Gleiches gilt für das Schreiben [X.], mit dem die [X.] einen Konzeptwettbewerb einleitete. Nach dem Vortrag der Klägerin ist dieses Schreiben verschiedenen, potenziellen Zulieferern einschließlich des Kooperationspartners der Klägerin und der Beklagten zugegangen. Darüber hinaus hat die Klägerin keine weiteren Empfänger für dieses Schreiben konkret benannt. Der Umstand, dass [X.] einen Wettbewerb betraf, rechtfertigt nicht die Überzeugung, es sei einem nicht begrenzten Personenkreis zugeleitet worden. Für einen Wettbewerb reichen bereits zwei Unternehmen aus. [X.] enthält zudem die Angabe, sämtliche Informationen, die der Empfänger erhalte, seien vertraulich zu behandeln. Dies deutet auf einen so begrenzten Empfängerkreis hin, dass der Absender eine Wahrung der Vertraulichkeit erwarten konnte, mithin nur ein begrenzter Personenkreis von dem Inhalt der Unterlagen Kenntnis erhielt.

Es war auch nicht zu erwarten, dass die Empfänger der [X.] die in dem beigefügten Lastenheft enthaltenen Angaben unter 4 zu den Eigenschaften eines zu entwickelnden [X.]s mit zusätzlichem Kopfschutz einem unbegrenzten Personenkreis zugänglich machten. Dies gilt auch für die Angabe, der aufgeblasene Kopfschutz solle den gesamten möglichen Kontaktbereich von der A- bis einschließlich zur C-Säule abdecken ([X.] [X.]). Diese Angaben in der [X.] betrafen eine noch zu entwickelnde Vorrichtung. Die Initiatorin des [X.] erwartete umfassende Vertraulichkeit zu den enthaltenden Informationen, weil sie sich - letzten Endes auch hinsichtlich des Umfangs eines [X.] - von dieser Entwicklung einen [X.]vorteil versprach. Zudem bestand das Interesse, aus dieser Entwicklung hervorgehende Erfindungen als Patent anmelden zu können, an dem sie als Patentinhaber oder Lizenznehmer hätte partizipieren können. Insoweit kommt es nicht darauf an, inwieweit anderer Stand der Technik ebenfalls Hinweise in Richtung der in [X.] enthaltenen Vorgaben enthielt. Für die Initiatorin des [X.] war es bereits von Interesse, dass andere Automobilhersteller als Wettbewerber nicht Kenntnis von den Planungen zur eigenen Fahrzeugentwicklung erhielten. Im Hinblick darauf war zu erwarten, dass über den Empfängerkreis und die aufgrund dessen an der Entwicklungstätigkeit beteiligten Personen hinaus der Inhalt der [X.], auch soweit es die Angaben unter 4 des [X.] betraf, keinen weiteren Personen zugänglich wurde. Die Angaben waren damit der Öffentlichkeit nicht zugänglich.

2. Der Gegenstand des Streitpatents beruht auf erfinderischer Tätigkeit. Er hat sich nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben.

a) Die [X.] offenbart entsprechend den nachfolgenden Figuren 12 und 13

Abbildung Abbildung

eine Seitenaufprall-Schutzeinrichtung in Form eines [X.] 8, welcher sich seitlich eines Frontinsassen erstreckt und in gefaltetem Zustand in einer Stofftasche angeordnet ist ([X.], [X.] 24 bis 25). Diese Stofftasche fungiert bei der Montage als [X.]. [X.] zeigt demnach die Merkmale 1, 2 und 5; sie zeigt nicht die Merkmale 3 und 4, weil der Airbag sich nicht auch in den Bereich des [X.] erstreckt. Die Parteien ziehen diese Würdigung auch nicht in Zweifel.

b) Die [X.] enthält für den vom Patentgericht zutreffend definierten Fachmann keine Anregung, den in [X.] dargestellten [X.] soweit zu verlängern, dass er sich auch in den Bereich eines [X.] erstreckt. Die Angabe in [X.], ein größerer Airbag lasse sich durch zwei Gasgeneratoren aufblasen ([X.], [X.] bis 14), und der Umstand, dass die [X.] selbst verschiedene Formen für [X.] aufzeigt, geben dem Fachmann nicht den Hinweis, die Form eines [X.] über die Bereiche eines Front- und eines [X.] hinweg zu erstrecken. Die Angabe, mit zwei Gasgeneratoren einen größeren Airbag aufblasen zu können, bezieht sich damit auf die Möglichkeit, mit einem solchen Airbag einen größeren Bereich um einen Frontinsassen herum ausfüllen zu können ([X.], [X.] 12 bis 14). Mit dem Aufzeigen einer Vielzahl von Gestaltungsformen werden dem Fachmann nur Anregungen für diese jeweils gezeigten Formen und nicht auch für mögliche andere Formen aufgezeigt.

Aus dem Bedürfnis, sowohl dem Front- als auch dem [X.] einen Schutz gegen einen Seitenaufprall zu bieten, folgt für den Fachmann ausgehend von der [X.] nicht die Überlegung, beide Insassen mit nur einem Airbag zu schützen. Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, ergibt sich dies auch nicht aus dem in Figur 13 der [X.] gezeigten hinteren Befestigungspunkt des vorderen [X.]. Dieser Punkt ließe zum einen nach hinten noch genügend Platz, um einen weiteren Airbag zu befestigen, der sich mit dem vorderen Airbag nicht überkreuzt. Zum anderen ist es auch nicht zwingend erforderlich, den vorderen Airbag so weit hinten zu befestigen. Insbesondere den Figuren der [X.] sind insoweit zahlreiche Beispiele für eine andere Airbag-Geometrie zu entnehmen.

c) Der Fachmann erhielt auch aus der [X.] keine Anregung, für einen [X.] eine Form und Länge zu wählen, die sich über die Bereiche sowohl des Front- als auch des [X.] erstreckte. Die [X.] zeigt keinen Airbag, der durch Gasgeneratoren wie Druckluft oder [X.]rengmittel aufgeblasen würde, sondern nur einen [X.], der durch eine weniger laute Antriebsvorrichtung aufgeblasen wird. Nähere Ausführungen zu dieser Antriebsvorrichtung sind in der [X.] nicht enthalten. Der [X.] erstreckt sich vom Dach aus und umhüllt entsprechend den nachfolgenden Figuren 2 und 3 der [X.] sämtliche Insassen im Front- und Heckbereich.

Abbildung Abbildung

Das Patentgericht hat in dieser Entgegenhaltung mit zutreffenden Ausführungen ein andersartiges Konzept erkannt, von dem nicht zu erwarten war, dass der Fachmann daraus Anregungen für eine Weiterentwicklung des in [X.] offenbarten [X.] ableitet.

d) Eine Anregung, einen [X.] über die Bereiche eines Front- und eines [X.] zu erstrecken, ergab sich auch nicht aus der [X.].

Die [X.] offenbart mehrere [X.]-Schutzelemente zum Schutz von Fahrzeuginsassen, die im Falle eines Aufpralls mit Pressluft gefüllt werden ([X.], [X.]). Unter anderem zeigt sie entsprechend der nachfolgenden Figur 2 für die [X.] eine durchgehende [X.] mit drei Einbuchtungen für drei Heckpassagiere ([X.], [X.]) sowie mehrere einzelne [X.]-Schutzelemente 20, die zusammen eine Art Sicherheitswand bilden ([X.], [X.]).

Abbildung

Auch dieser Entgegenhaltung konnte der Fachmann nur eine Anregung zu Formen und Gestaltungen entnehmen, die in diesem Dokument gezeigt sind. Der Umstand, dass mit der [X.] ein größerer Airbag gezeigt ist, der mehrere Insassen zusammen schützt, bot keinen Hinweis dafür, beliebige Fahrzeuginsassen mit einem Airbag gemeinsam zu schützen, denn insoweit gilt es im Hinblick auf den Fahrzeugaufbau und insbesondere die Anordnung von Säulen und Türen die jeweiligen konstruktiven Bedingungen für die Anbringung und das Aufblasen eines [X.] zu beachten.

e) Ebenso bot die [X.] keinen Hinweis dafür, einen Kopf- oder [X.] über beide Fahrgastbereiche in Front und Heck zu erstrecken.

        

           

Abbildung

Die [X.] zeigt unter anderem einen zwischen der Türaußenwand und
dem Fensterbereich angeordneten Tür-Airbag 20
sowie einen oberhalb des Fensters und des Kopfes
angebrachten Airbag 25, welche die nebenstehende
Figur 1 im aufgeblasenen Zustand zeigt,
bei dem der Tür-Airbag sich am Fenster abstützen kann.

Zum Abstützen der [X.] führt die [X.] weiterhin aus, dass bei entsprechender Dimensionierung der [X.] in Richtung senkrecht zur Zeichenebene der Figur 1 diese sich auch an angrenzenden [X.] (A-, B- und C-Säule) abstützen können. Damit seien alle harten Bereiche der Fahrgaststruktur gegen den Körper des Fahrzeuginsassen, insbesondere gegen seinen Kopf, nachgiebig abgedeckt ([X.], [X.]. 3 Z. 14 bis 20).

Die in [X.] gezeigten [X.] sind in ihrer Ausdehnung jeweils auf den Bereich einer Tür und eines Fahrzeuginsassen beschränkt, wie es unter anderem in der Figur 1 gezeichnet ist. Entsprechend den zutreffenden Ausführungen des Patentgerichts versteht der Fachmann die Angabe, mittels einer Vergrößerung der [X.] ein Abstützen an den angrenzenden [X.] zu ermöglichen, dahin, dass die [X.] jeweils nur bis zur nächsten Fahrzeugsäule vergrößert werden. Dies ergibt sich bereits aus dem Adjektiv "angrenzend", womit die [X.] sich an den nächsten [X.], an die der Airbag nach einer Vergrößerung angrenzt, abstützen können sollen. Die Überlegung, einen gemeinsamen Airbag über alle drei [X.] hinweg (A-, B- und C-Säule) vorzusehen, ist damit nicht verbunden. Die Erwähnung dieser drei Säulen ist allein dem Umstand geschuldet, dass die in [X.] gezeigten [X.] auch für einen [X.] vorgesehen werden können und für diesen nicht die A- und die [X.], sondern die B- und die C-Säule als Abstützung dienen können.

Soweit die Berufung anführt, der Fachmann sähe bei zwei getrennten [X.] für den Front- und den [X.] Probleme, weil die [X.] sich nicht beide an einer schmalen [X.] abstützen könnten, führt dies gleichwohl nicht zu einem Naheliegen der Lehre des Streitpatents. Es kann dahinstehen, ob solche technischen Schwierigkeiten tatsächlich auftreten oder ob die beiden [X.] sich bei einer Vergrößerung auch gegenseitig abstützen würden. Auch wenn der Fachmann vor solchen Problemen stünde, böte die [X.] gleichwohl keinen Hinweis, einen gemeinsamen Airbag für vorne und hinten vorzusehen und damit das Problem zu lösen.

f) Für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit ist der erstmals im Berufungsverfahren vorgelegte Artikel "Seitwärts marsch" aus der Zeitschrift "mot", Heft Februar 1996, [X.] gemäß § 117 [X.] i.V.m. § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen.

Bei dem Artikel handelt es sich um ein neues [X.] im Sinne von § 117 [X.] i.V.m. § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin macht geltend, der Fachmann habe daraus eine Anregung für eine Weiterentwicklung des Gegenstandes der [X.] entsprechend den Merkmalen 3 und 4 erhalten. Das [X.] wäre im Berufungsverfahren deshalb nur zuzulassen, wenn es einen von der ersten Instanz übersehenen Gesichtspunkt betreffen würde, von der Klägerin in erster Instanz infolge eines [X.] oder aus Gründen nicht geltend gemacht wurde, die nicht auf Nachlässigkeit beruhen. Die Klägerin trägt solche Gründe nicht vor. Da die Klägerin bereits im qualifizierten Hinweis darauf hingewiesen wurde, dass nach dem damaligen Sach- und Streitstand eine mangelnde Patentfähigkeit nicht zu erkennen sei, sie somit Anlass hatte, weitere [X.] vorzutragen, sind solche Gründe für eine Zulassung des neuen [X.]s auch nicht ersichtlich.

IV. [X.] beruht auf § 121 Abs. 2 [X.], § 97 Abs. 1 ZPO.

Meier-Beck     

        

Grabinski     

        

Hoffmann

        

Kober-Dehm     

        

Marx     

        

Meta

X ZR 93/17

14.05.2019

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend BPatG München, 13. Juli 2017, Az: 7 Ni 2/16 (EP), Urteil

§ 3 Abs 1 PatG, § 4 PatG, § 14 PatG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.05.2019, Az. X ZR 93/17 (REWIS RS 2019, 7332)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 7332

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

8 Ni 8/23 (EP)

X ZR 73/20

Zitiert

X ZR 114/13

X ZR 81/11

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