Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.12.2019, Az. V S 24/19

5. Senat | REWIS RS 2019, 764

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Rügefrist, Bekanntgabefiktion, tatsächliche Zugangsvermutung, gesetzlicher Richter


Leitsatz

1. NV: Für die Berechnung der zweiwöchigen Rügefrist nach § 133a Abs. 2 Satz 1 FGO ist die Bekanntgabefiktion des § 133a Abs. 2 Satz 3 FGO zwar nicht anwendbar; das Gericht darf jedoch beim Fehlen anderweitiger konkreter Anhaltspunkte im Wege der tatsächlichen Vermutung davon ausgehen, dass einfache Post drei Tage nach der Aufgabe zur Post dem Empfänger zugegangen ist .

2. NV: Soweit der Rügeführer behauptet, der mit der Anhörungsrüge angefochtene Beschluss sei (wesentlich) später bei ihm eingegangen, hat er dies substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen .

3. NV: Die Rüge einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist im Rahmen einer Anhörungsrüge nicht statthaft .

Tenor

Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss des [X.] - [X.] (PKH) wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Den Antrag des [X.], Antragstellers und [X.]s ([X.]) auf Prozesskostenhilfe (PKH) für eine beabsichtigte Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision hat der Senat durch Beschluss vom 29.08.2019 - V S 12/19 (PKH) abgelehnt. Dieser Beschluss ist dem [X.] mit einem von der Geschäftsstelle am [X.] abgesandten Brief bekannt gegeben worden.

2

In einem als "Befangenheitsantrag" überschriebenen Fax vom 15.10.2019 lehnt der [X.] den gesamten Spruchkörper wegen "nicht vorurteilsfreier und rechts- und verfahrensfehlerfreier Entscheidung" ab und fordert dienstliche Äußerungen. Durch die Entscheidung des --seiner Ansicht nach befangenen-- Spruchkörpers sei er in seinem Grundrecht aus Art. 101 des Grundgesetzes (GG) verletzt. Unter VII. seines Schreibens "Entscheidungsgründe und adversative oder disjunktive Gegenrede" wiederholt der [X.] die einzelnen Begründungselemente des [X.] (PKH), setzt diesen seine davon abweichende Ansicht entgegen und macht geltend, dass der Senatsbeschluss seinen Anspruch auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletze.

Entscheidungsgründe

II.

3

Der Senat kann trotz der Erklärung des [X.]s, er lehne die an der Beschlussfassung beteiligten [X.] ab, in der aus dem Rubrum ersichtlichen Besetzung über die Anhörungsrüge entscheiden. Diese ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 133a Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

4

1. Da sich der [X.] gegen den Beschluss vom 29.08.2019 - [X.] (PKH) wendet, wertet der Senat das Rechtsmittel als Anhörungsrüge nach § 133a der FGO.

5

Danach ist das Verfahren auf die [X.] eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

6

a) Die Zulässigkeit der Anhörungsrüge erfordert schlüssige und substantiierte Darlegungen, zu welchen Sach- oder Rechtsfragen in dem vorausgegangenen Verfahren, auf das sich die Anhörungsrüge bezieht (hier: [X.] (PKH)), sich der [X.] nicht hat äußern können oder welches entscheidungserhebliche Vorbringen das Gericht nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen habe, und dass die Entscheidung ohne die behauptete Gehörsverletzung anders ausgefallen wäre (vgl. Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 11.03.2010 - V S 20/09, [X.], 1289). Die [X.] ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben (§ 133a Abs. 2 Satz 1 FGO); der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen.

7

b) Die Anhörungsrüge ist im vorliegenden Fall unzulässig, weil sie verspätet eingelegt wurde und darüber hinaus keine substantiierte Darlegung einer Gehörsverletzung beinhaltet.

8

aa) Die behauptete Gehörsverletzung ergibt sich aus der Begründung des Beschlusses [X.] (PKH) vom 29.08.2019, sodass die Frist mit Kenntnis des Beschlusses begann. Die Bekanntgabefiktion des § 133a Abs. 2 Satz 3 FGO ist insoweit zwar nicht anwendbar (Beschluss des [X.] vom 04.04.2007 - 1 BvR 66/07, Neue Juristische Wochenschrift 2007, 2242), mangels anderweitiger konkreter Anhaltspunkte darf das Gericht aber gleichwohl im Wege der tatsächlichen Vermutung davon ausgehen, dass einfache Post drei Tage nach der Aufgabe zur Post dem Empfänger zugegangen ist ([X.] vom 15.12.2014 - [X.], [X.], 508, Leitsatz 2).

9

Im Hinblick darauf, dass der Beschluss am 26.09.2019 mit einfachem Brief abgesandt wurde und es sich beim [X.] um einen Sonntag handelt, verschiebt sich die Bekanntgabe auf den darauffolgenden Montag, den 30.09.2019 (vgl. hierzu [X.] vom 05.05.2014 - III B 85/13, [X.], 1186). Die [X.] endete daher mit Ablauf des 14.10.2019. Da die Anhörungsrüge erst am 15.10.2019 bei Gericht einging, ist sie bereits verfristet. Soweit der [X.] behauptet, der Beschluss sei erst am 05.10.2019 und damit neun Tage nach Absendung der Geschäftsstelle des [X.] bei ihm eingegangen, hat er diesen --bei gerichtsbekannten Postlaufzeiten innerhalb [X.] von einem Tag (vgl. hierzu Beschluss des [X.] vom 21.10.2010 - IX ZB 73/10, [X.] 2011, 487, [X.] unwahrscheinlichen Sachverhalt weder substantiiert dargelegt noch glaubhaft gemacht.

bb) Darüber hinaus wird die Anhörungsrüge den Darlegungsanforderungen des § 133a Abs. 2 Satz 5 FGO nicht gerecht, weil der [X.] keine Gehörsverletzung geltend macht. Aus seinen Ausführungen unter "Kardinalfragen" ergibt sich vielmehr, dass der Senat in dem angegriffenen Beschluss alle Einwendungen des [X.]s zur Kenntnis genommen und sich mit ihnen umfassend auseinandergesetzt hat. Der [X.] macht mit seinem gesamten Vorbringen denn auch keine Verletzung rechtlichen Gehörs geltend, sondern streitet weiter in der Sache, weil er die Begründung des [X.] für unzutreffend hält. Dass der Senat der Auffassung des [X.]s nicht gefolgt ist, stellt keine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs dar, denn dieser Anspruch bedeutet nicht, dass das Gericht den [X.] "erhören", sich also seinen rechtlichen Ansichten anschließen müsste (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.]-Beschlüsse vom 22.11.2017 - V S 18/17 (PKH), [X.]/NV 2018, 225, sowie vom 24.03.2015 - X B 127/14, [X.], 809). Die Anhörungsrüge dient nicht dazu, die Richtigkeit der zugrunde liegenden Entscheidung zu überprüfen ([X.] vom 10.05.2016 - III S 10/16, [X.]/NV 2016, 1290).

cc) Soweit der [X.] die fehlerhafte Besetzung der [X.]bank und damit eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 GG im angegriffenen Beschluss [X.] (PKH) rügt, ist dieses Vorbringen bei einer Anhörungsrüge nicht statthaft ([X.]beschluss vom 11.05.2007 - V S 6/07, [X.]E 217, 230, BStBl II 2007, 653; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 133a FGO Rz 3; [X.] in [X.]/ [X.]/[X.], § 133a FGO Rz 5).

2. Sollte das [X.] des [X.]s (auch) darauf gerichtet sein, den Spruchkörper wegen der Abweisung seines [X.] im Verfahren [X.] (PKH) nachträglich abzulehnen, wäre dieses Ablehnungsgesuch bereits unzulässig. Einem Ablehnungsgesuch fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Sachentscheidung, an der mitzuwirken ein [X.] durch Ablehnung gehindert werden soll, bereits wirksam ergangen ist (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 27.06.2011 - III B 91/10, [X.]/NV 2011, 1164, Rz 20, sowie vom 17.08.2007 - IV B 143/06, juris). Vorliegend wurde der Befangenheitsantrag mehr als zwei Wochen nach Bekanntgabe des [X.]es [X.] (PKH) gestellt. Er konnte sich daher auf diesen nicht mehr auswirken.

3. Der Senat konnte über die Anhörungsrüge in seiner sich aus dem senatsinternen Geschäftsverteilungsplan vorgesehenen Besetzung entscheiden. Denn das Ablehnungsgesuch des [X.]s, mit dem die [X.] des [X.] pauschal als befangen abgelehnt werden, ist rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig. Über das Ablehnungsgesuch muss nicht durch gesonderten Beschluss entschieden werden ([X.]beschluss vom 03.07.2014 - V S 13/14, [X.]/NV 2014, 1572, m.w.N.).

a) Im Streitfall ist ein Ablehnungsgrund i.S. des § 51 FGO i.V.m. § 42 der Zivilprozessordnung (ZPO) weder hinreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht worden. Der [X.] hat lediglich vorgebracht, er lehne die am PKH-Beschluss [X.] (PKH) beteiligten [X.] wegen "nicht vorurteilsfreier und rechts- und verfahrensfehlerhafter Entscheidung" als befangen ab. Hiermit legt er nicht einmal ansatzweise dar, woraus der [X.] folgert, dass der Spruchkörper nicht vorurteilsfrei entschieden habe. Er kritisiert nur die sachliche Entscheidung des [X.] im Beschluss [X.] (PKH) als rechtsfehlerhaft. Damit zeigt er aber keine konkreten Anhaltspunkte auf, die bei vernünftiger objektiver Betrachtung auf eine Befangenheit jedes einzelnen Mitglieds des Spruchkörpers hindeuten könnten. Letzteres wäre aber erforderlich gewesen, um eine Ablehnung des gesamten Spruchkörpers zu begründen. Denn das [X.]ablehnungsverfahren dient nicht dazu, die Beteiligten gegen unrichtige Rechtsauffassungen des [X.]s zu schützen. Deshalb kann aus der im Rahmen einer früheren richterlichen Entscheidung vertretenen, für den Betroffenen ungünstigen Rechtsansicht allein kein Ablehnungsgrund hergeleitet werden, auch wenn diese Auffassung falsch sein sollte ([X.]beschluss vom 22.05.2017 - V B 133/16, [X.]/NV 2017, 1199, sowie [X.]-Beschlüsse vom 20.06.2016 - X B 167/15, [X.]/NV 2016, 1577, Rz 23; vom 29.12.2015 - IV B 68/14, [X.]/NV 2016, 575, Rz 6, und vom 29.07.1998 - VII S 11/98, [X.]/NV 1999, 201, Rz 16).

b) Ist das Ablehnungsgesuch rechtsmissbräuchlich und deshalb offensichtlich unzulässig, entscheidet das Gericht darüber in der nach dem Geschäftsverteilungsplan vorgesehenen Besetzung, ohne dass es einer vorherigen dienstlichen Äußerung der abgelehnten [X.] nach § 51 FGO i.V.m. § 44 Abs. 3 ZPO bedarf (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.]-Beschlüsse in [X.]/NV 2016, 1577, Rz 21; vom 03.07.2014 - V S 15/14, [X.], 1574, Rz 5, sowie vom 16.12.2009 - V B 23/08, [X.], 1866, Rz 15).

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133a Abs. 4 Satz 4 FGO ab.

5. Die Kostenpflicht der Anhörungsrüge folgt aus Nr. 6400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz --GKG-- Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG). Es fällt eine Festgebühr von 60 € an.

Meta

V S 24/19

05.12.2019

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend BFH, 29. August 2019, Az: V S 12/19 (PKH), Beschluss

Art 101 Abs 1 GG, § 51 FGO, § 133a FGO, § 42 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.12.2019, Az. V S 24/19 (REWIS RS 2019, 764)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 764

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