Bundessozialgericht, Beschluss vom 27.01.2021, Az. B 13 R 123/20 B

13. Senat | REWIS RS 2021, 9167

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - tatrichterliche Sachaufklärungspflicht - Ablehnung eines Beweisantrages bei Vorliegen bereits mehrerer einschlägiger Fachgutachten


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 30. April 2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Mit Urteil vom 30.4.2020 hat das [X.] einen Anspruch des [X.] auf Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung verneint.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim [X.] eingelegt. Er beruft sich ausschließlich auf Verfahrensmängel ([X.] nach § 160 Abs 2 [X.] [X.]G).

3

II. Die Beschwerde des [X.] ist als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G den allein geltend gemachten [X.] nicht hinreichend bezeichnet.

4

Der Kläger macht ausschließlich geltend, die angegriffene Entscheidung des [X.] beruhe auf einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 [X.]G), weil das [X.] einem kurz vor der mündlichen Verhandlung mit Schreiben vom 24.4.2020 gestellten Beweisantrag, von Amts wegen erneut ein ärztliches Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet einzuholen, nicht gefolgt ist. Soweit der Kläger in diesem Kontext auf seinen wiederholten Antrag einer Begutachtung nach § 109 [X.]G hinweist, lässt dies eine eigenständige Rüge der Verletzung dieser Vorschrift nicht erkennen. Anderenfalls wäre die Beschwerde aber auch insoweit unzulässig, denn nach § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung des § 109 [X.]G gestützt werden.

5

Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.]G ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB [X.] Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - [X.], 81 - juris Rd[X.] 4; [X.] Beschluss vom 30.10.2018 - [X.] R 59/18 B - juris Rd[X.] 7). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Zugrunde zu legen ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des [X.] ([X.] Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - [X.] [X.] 79 zu § 162 [X.]G; [X.] Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - [X.] 1500 § 160 [X.]3; [X.] Beschluss vom 16.11.2000 - [X.] RA 122/99 B [X.] 3-1500 § 160 [X.]3 - juris Rd[X.] 23). Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des [X.] möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB [X.] Beschluss vom 16.11.2000 - [X.] RA 122/99 B - [X.] 3-1500 § 160 [X.]3 - juris Rd[X.] 16 mwN; [X.] Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.]0 Rd[X.] 16 mwN). Dem genügt die Beschwerdebegründung vom 30.7.2020 nicht.

6

Die Amtsermittlungspflicht sieht der Kläger verletzt, weil das [X.] seinem Beweisantrag zu der Frage, "ob durch die psychische und Verhaltensstörung durch Cannabinoide, schädlicher Gebrauch F12.1", die "dem Behandlungsbericht des [X.] vom 03.06.2019 zu entnehmen ist, noch ein dauerhafter Arbeitseinsatz … möglich ist im Umfang von 6 Stunden und mehr im Hinblick auf leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt" nicht nachgekommen ist. Insoweit habe er ausdrücklich auf den Behandlungsbericht dieses Klinikums vom [X.] verwiesen, in dem er sich vom [X.] bis [X.] wegen rezidivierender depressiver Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, in teilstationärer Behandlung befunden habe. Dabei sei ein positives Drogenscreening auf THC und Kokain erfolgt. Drogen konsumiere er weiterhin, was zu einem massiven Konflikt mit seiner Ehefrau führe. Es sei davon auszugehen, dass dies seine Leistungsfähigkeit erheblich herabsetze und in Kombination mit bestehenden psychiatrischen Erkrankungen vollständig aufhebe. Zu Unrecht habe das [X.] den Beweisantrag mit der Begründung abgelehnt, dass bezüglich der aufgeworfenen Fragen kein Klärungsbedarf bestehe.

7

Der Kläger hat damit nicht schlüssig dargetan, dass das [X.] diesem Antrag ohne eine iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G "hinreichende" Begründung nicht gefolgt ist. Für die Frage, ob ein hinreichender Grund für die unterlassene Beweiserhebung vorliegt, kommt es darauf an, ob das Gericht objektiv gehalten war, den Sachverhalt zu den von dem Beweisantrag erfassten Punkten weiter aufzuklären, ob es sich also zur beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr; zB [X.] Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 S[X.]7/10 B - juris Rd[X.] 4; [X.] Beschluss vom [X.] [X.]/18 B - juris Rd[X.] 8). Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das [X.] nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten iS von § 118 Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 412 Abs 1 ZPO ungenügend sind, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl [X.] Urteil vom 12.12.2003 - [X.] RJ 179/03 B - [X.] 4-1500 § 160a [X.] Rd[X.] 9 mwN; [X.] Beschluss vom 20.2.2018 - [X.] LW 3/17 B - juris Rd[X.] 9). Ein derartiger Sachverhalt wird aus der Beschwerdebegründung des [X.] nicht erkennbar. Vielmehr gibt er an, dass die seinen Rentenantrag ablehnende Entscheidung der Beklagten auf einem "ärztlichen Rehaentlassbericht" beruht habe. Erster Instanz sei durch das [X.] ein nervenärztliches Gutachten eingeholt worden, wonach er (der Kläger) noch mindestens sechs Stunden täglich leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne. Dies sei durch ein im Berufungsverfahren erstattetes weiteres Gutachten eines Arztes für Neurologie und Psychiatrie bestätigt worden. Dass diese Gutachten grob mangelhaft gewesen sind, hat der Kläger nicht behauptet.

8

Es ist anhand der Beschwerdebegründung auch nicht erkennbar, dass die sachlichen Voraussetzungen, von denen die Sachverständigen bei Erstattung ihres Gutachtens ausgingen, zum Zeitpunkt der Entscheidung des [X.] nicht mehr zutreffend gewesen wären. Hierzu hätte dargelegt werden müssen, welche Diagnosen und Befunde den erstatteten Gutachten zugrunde lagen und dass sich in Bezug hierauf aus dem Behandlungsbericht des [X.] vom [X.] wesentlich neue Gesichtspunkte ergeben. Aber selbst wenn davon auszugehen wäre, dass der Drogenkonsum des [X.], der nach seinen in der Beschwerdebegründung wiedergegebenen Angaben gegenüber dem [X.] bereits im Oktober 2018 begonnen hatte, erstmals während der dortigen Behandlung diagnostiziert worden ist, wäre eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nicht hinreichend bezeichnet. In diesem Fall hätte es dem Kläger oblegen, in der Beschwerdebegründung darzustellen, welche Einschränkungen seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit mit dem Drogenkonsum einhergehen, die noch keinen Eingang in die früheren Gutachten finden konnten bzw gefunden haben. Die unbestimmte Vermutung ("geht davon aus") einer aufgehobenen Leistungsfähigkeit ohne jede konkrete Angabe, dass und in Bezug auf welche Anforderungen sich die Leistungsfähigkeit gegenüber den eingeholten Gutachten verschlechtert hat, genügt hierfür nicht.

9

Dass der Kläger das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB [X.] Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] 22 Rd[X.] 4; [X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 96/10 - [X.] 4-1500 § 178a [X.] 11 Rd[X.] 28 mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 [X.]G durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 [X.]G.

Meta

B 13 R 123/20 B

27.01.2021

Bundessozialgericht 13. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Heilbronn, 27. Februar 2018, Az: S 4 R 2374/16, Gerichtsbescheid

§ 103 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 412 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 27.01.2021, Az. B 13 R 123/20 B (REWIS RS 2021, 9167)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 9167

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvR 96/10

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