Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.09.2014, Az. 1 StR 314/14

1. Strafsenat | REWIS RS 2014, 3123

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Gegenstand

Strafverfahren wegen Massenbetruges: Irrtumsbedingte Vermögensverfügung bei Zahlung auf unberechtigte Rechnung; notwendige Feststellungen zum Irrtum der Verfügenden


Tenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 16. Oktober 2013 werden als unbegründet verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten wie folgt verurteilt: Den Angeklagten A.    wegen Betruges in sechs tatmehrheitlichen Fällen sowie versuchten Betruges in drei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten M.    wegen versuchten Betruges sowie zweier Fälle der Beihilfe zum versuchten Betrug zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Hiergegen wenden sich die jeweils mit Verfahrensbeanstandungen und der Sachrüge geführten Revisionen der Angeklagten. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s organisierte der Angeklagte A.    unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes verschiedene "Anrufwellen" durch Call-Center, wobei eine erhebliche Anzahl der Angerufenen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen dazu gebracht wurde, gegen [X.] zwischen 75 und 97 Euro ein "[X.]" zu erwerben, das der Abwehr von Ansprüchen ihrerseits betrügerisch agierender Gewinnspieleintragungsdienste und der Rückforderung bereits an diese gezahlter Geldbeträge dienen sollte. Zudem sorgte der Angeklagte A.    dafür, dass an viele der durch die Anrufe zum telefonischen Vertragsschluss gebrachten Geschädigten weitere Schreiben gesandt wurden, in denen diese unter Vortäuschung offener Forderungen aus dem angeblich weiter bestehenden Vertragsverhältnis ("2. Rechnung", "Letzte Zahlungsaufforderung" etc.) zur Zahlung von Beträgen in Höhe zwischen 59,95 und 91,80 Euro aufgefordert wurden. Zahlreiche der angeschriebenen Personen überwiesen die jeweils geforderten Beträge. Sämtliche Geldbeträge gingen auf Konten ein, über die der Angeklagte A.    unmittelbar oder über Mittelsmänner verfügen konnte. Der Angeklagte M.    beteiligte sich an zweien dieser Projekte (Beihilfefälle) und organisierte in einem Fall ohne den Angeklagten A.    selbst eine [X.].

3

Im Einzelnen kam es auf die beschriebene Art und Weise zu folgenden Taten:

4

a) Im Rahmen des "Projekts [X.]" zahlten nach telefonischer Anwerbung für ein "[X.]" 1.036 Personen per Nachnahme insgesamt 79.756 Euro. An 853 Personen wurde anschließend ein inhaltlich unzutreffendes Schreiben "2. Rechnung" gesandt, woraufhin 152 Personen insgesamt 12.075 Euro zahlten. Auf ein weiteres Schreiben "Letzte Zahlungsaufforderung", das an 719 Personen verschickt wurde, zahlten 119 der Angeschriebenen insgesamt 10.924,20 Euro. An 671 Personen wurde im Rahmen dieses "Projekts" noch eine unzutreffende "Rechnung 1.7.2011 - 31.12.2011" versandt, woraufhin 62 Personen insgesamt 5.170 Euro überwiesen.

5

b) Bei dem "Projekt Deutsche Verbraucherberatung" kam es 2010 nach der durchgeführten [X.] zur Zahlung von insgesamt 12.192 Euro durch 140 telefonisch kontaktierte Personen für ein "[X.]" per Nachnahme. [X.] zahlten nach einer vom Angeklagten M.    durchgeführten Telefonaktion 461 Personen insgesamt 41.029 Euro.

6

c) Im Rahmen des "Projekts [X.]" erhielten 6.380 Personen, deren Daten sich der Angeklagte A.    zuvor von dritter Seite beschafft hatte, ein inhaltlich unzutreffendes Schreiben "2. Rechnung", woraufhin 1.147 Personen insgesamt 68.762,65 Euro überwiesen. Unter der Überschrift "[X.], Rechnung 1.7.2011 - 31.12.2011" wurden zudem 10.062 Personen angeschrieben und zur Zahlung aufgefordert, woraufhin 648 Personen insgesamt 38.847,60 Euro zahlten.

7

2. Die Feststellungen zum Tatgeschehen hat das [X.] insbesondere auf ein Teilgeständnis der Angeklagten, die Angaben weiterer nichtrevidierender Mitangeklagter, die Angaben des als Zeugen gehörten [X.] K.    , zahlreiche E-Mails und andere Urkunden, die Inhalte von Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation der Beteiligten, die Angaben von "Mitarbeitern" aus den Callcentern sowie auf die zeugenschaftlichen Äußerungen von angerufenen Kunden gestützt.

8

Ohne insoweit einen Zeugen gehört zu haben, hat sich das [X.] davon überzeugt, dass bei den übersandten falschen Rechnungen jeweils mindestens ein Kunde den geforderten Betrag überwiesen habe, weil er aufgrund der Rechnung irrig davon ausgegangen sei, er sei zur Zahlung verpflichtet. Hierfür hat das [X.] folgende Gründe genannt: Es bestehe nach aller Lebenserfahrung ein allgemeiner Erfahrungssatz dahingehend, dass eine Person, der gegenüber eine Rechnung gestellt wird und die diese bezahlt, dies grundsätzlich nicht täte, wenn sie davon ausginge, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein. Zwar sei es durchaus möglich, dass im Einzelfall eine Person eine Rechnung nur bezahle, "um ihre Ruhe zu haben", auch wenn sie davon ausgehe, nicht zur Zahlung verpflichtet zu sein. Es sei aber ausgeschlossen, dass jeweils alle Kunden aus diesem Grund gezahlt hätten, zumal die [X.] nicht in hoher Frequenz zugesandt worden seien. Weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass zumindest vereinzelt Kunden die Rechnung gezahlt hätten, obwohl sie davon ausgingen, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein, könne nicht der Schluss gezogen werden, dass alle Kunden irrtumsbedingt gezahlt hätten.

9

Auf den diesbezüglichen Vorsatz und die betrügerischen Absichten der Angeklagten hat das [X.] aus dem äußeren Geschehensablauf, dem Auftreten unter Aliasnamen und aus dem Inhalt von überwachter Telekommunikation geschlossen.

3. Ausgehend hiervon hat das [X.] die Organisation der "Anrufwellen" über Call-Center als drei Betrugsversuche des Angeklagten A.    und einen Betrugsversuch des Angeklagten M.    (in Form eines uneinheitlichen Organisationsdelikts) gewertet. Bezüglich der Versendung unzutreffender Rechnungen oder Mahnungen hat das [X.] pro Aktion einen Fall des vollendeten Betruges angenommen, weil jeweils mindestens ein Kunde irrtumsbedingt gezahlt habe. Als Vollendungsschaden wurde in diesen Fällen nur ein geringer Betrag angesehen, im Rahmen der Strafzumessung indes negativ gewertet, dass sich der Vorsatz der Angeklagten auf hohe Schadensbeträge bezogen habe.

II.

Den Revisionen der Angeklagten bleibt der Erfolg versagt.

1. Die Verfahrensrügen bleiben aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des [X.] vom 25. Juni 2014 ohne Erfolg. Der weitergehenden Erörterung bedarf insoweit nur Folgendes:

a) Die Angeklagten beanstanden u.a. die Ablehnung mehrerer Beweisanträge als rechtsfehlerhaft, mit denen insbesondere beantragt worden war, sämtliche Zeugen, "deren Namen und ladungsfähige Anschriften sich aus den Akten [X.] 0023 Band I Blatt 257 - 287 ergeben" bzw. "deren Namen und ladungsfähige Anschriften sich aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft [X.] - Liste nach Seite 18 ergeben" zu laden und in der Hauptverhandlung als Zeugen zu hören. Beweisthema war der Inhalt der jeweiligen Telefonate. Aus den Aussagen der Zeugen sollte sich ergeben, dass diese am Telefon wahrheitsgemäß informiert worden seien. Das [X.] hat diese Anträge abgelehnt, indem [X.] teils als wahr unterstellt, teils als bedeutungslos angesehen wurden, teils wurde dem Antrag die Qualität als Beweisantrag abgesprochen, weil der Beweisantrag "aufs Geratewohl" gestellt worden sei oder es an der notwendigen Konnexität zwischen [X.] und Beweismittel fehle. Ein weiterer, ergänzter Beweisantrag ähnlichen Inhalts wurde zudem wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt.

b) Die genannten [X.] entsprechen schon nicht den Formerfordernissen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und sind deshalb unzulässig. Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO müssen bei Verfahrensrügen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden. Dies hat so vollständig und genau zu geschehen, dass das Revisionsgericht aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären. Dabei genügt es nicht, Fundstellen in den Akten in Bezug zu nehmen, auch wenn es - wie hier - im Wortlaut eines Antrags geschieht. Vielmehr müssen solche Stellen, wenn sie für die Beurteilung der Rüge von Bedeutung sein können, in ihrem Wortlaut oder ihrem wesentlichen Inhalt nach in der Rechtfertigungsschrift wiedergegeben werden ([X.], Urteil vom 8. Dezember 1993 - 3 [X.], [X.]St 40, 3, 5). Da für die Prüfung des Revisionsgerichts, ob ein formgerechter Beweisantrag vorliegt, die in den Anträgen in Bezug genommenen Aktenstellen entscheidend sind, in denen die Zeugen nach dem Beweisantrag mit Namen und ladungsfähiger Anschrift genannt sind, muss deren Inhalt im Rahmen der [X.] umfassend vorgetragen werden (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Mai 2009 - 5 [X.], [X.], 649, 650; vgl. auch [X.], Beschluss vom 8. Mai 2003 - 5 [X.], [X.]R StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 40).

c) Der Senat kann deshalb offenlassen, ob den Anträgen schon die Qualität als Beweisantrag fehlt, weil die Beweismittel durch einen Verweis auf andere Aktenstellen nicht hinreichend bezeichnet sein könnten. Grundsätzlich bedarf es bei Zeugen der Benennung von Name und ladungsfähiger Anschrift, wenn der Antragsteller - wie hier - dazu in der Lage ist (vgl. [X.] in [X.], 26. Aufl., § 244 Rn. 105; Dallmeyer in [X.], [X.] im Strafprozess, 6. Aufl., Rn. 106 ff., jeweils mwN). Indes hat die Rechtsprechung von diesem Grundsatz eine Ausnahme zugelassen, wenn alle Individualisierungsfaktoren dem Tatgericht eindeutig bekannt sind, etwa aus der Anklageschrift (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Mai 2009 - 5 [X.], [X.], 649 f.). In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem für das Tatgericht kein Zweifel über die Identität der benannten Beweismittel bestand, könnte es als bloße "[X.]" erscheinen, wenn man von dem Antragsteller über die konkrete Benennung der Aktenstelle, aus der sich die Namen einer Vielzahl von Zeugen mit ladungsfähiger Anschrift eindeutig ergibt, das Kopieren zahlreicher Seiten und das Einfügen dieser Kopien in den Beweisantrag fordern würde.

2. Auch die jeweils erhobenen Sachrügen decken keine die Angeklagten [X.] Rechtsfehler auf. Der Erörterung bedarf insoweit nur Folgendes:

a) Die Beweiswürdigung ist - wie der [X.] in seiner Zuschrift zutreffend ausgeführt hat - entgegen der Auffassung der [X.] rechtsfehlerfrei. Dies gilt auch hinsichtlich der Feststellungen, die das [X.] zu Irrtum und irrtumsbedingter Vermögensverfügung der angeschriebenen Geschädigten in den Fällen des vollendeten Betruges getroffen hat.

aa) Der [X.] hat sich in den letzten Jahren in einer Reihe von Fällen mit der Frage beschäftigt, wie in (Massen-)Betrugsverfahren in tragfähiger Weise Feststellungen zum inneren Vorstellungsbild der getäuschten Personen getroffen werden können (vgl. aus sachlich-rechtlicher Perspektive [X.], Urteil vom 5. Dezember 2002 - 3 [X.], NJW 2003, 1198; Urteil vom 9. Juni 2009 - 5 [X.], [X.], 697; Beschluss vom 22. Januar 2012 - 3 StR 285/11, [X.], 315; Beschluss vom 6. Februar 2013 - 1 [X.], [X.], 422; Urteil vom 22. November 2013 - 3 [X.], [X.], 215; Urteil vom 5. März 2014 - 2 [X.], NJW 2014, 2595; Urteil vom 27. März 2014 - 3 [X.], NJW 2014, 2054; Urteil vom 22. Mai 2014 - 4 [X.], [X.], 459; Beschluss vom 17. Juni 2014 - 2 [X.]; vgl. aus verfahrensrechtlicher Perspektive [X.], Urteil vom 17. Juli 2009 - 5 [X.], [X.], 433, 434 [insoweit in [X.]St 54, 44 nicht abgedruckt]; Beschluss vom 15. Oktober 2013 - 3 [X.], [X.], 111 m. Anm. [X.]; vgl. zur Beschränkung gemäß § 154a StPO auf den Vorwurf des nur versuchten Betruges in vergleichbaren Fällen [X.], Beschluss vom 22. Januar 2013 - 1 StR 416/12, [X.]St 58, 119, 122; Urteil vom 22. Mai 2014 - 4 [X.], [X.], 459).

Für die Beweiswürdigung in derartigen Fällen gilt: Da der [X.] voraussetzt, dass die Vermögensverfügung durch den Irrtum des [X.] veranlasst worden ist, und das gänzliche Fehlen einer Vorstellung für sich allein keinen tatbestandsmäßigen Irrtum begründen kann, muss der Tatrichter insbesondere mitteilen, wie er sich die Überzeugung davon verschafft hat, dass der Verfügende einem Irrtum erlegen ist. In einfach gelagerten Fällen mag sich dies von selbst verstehen. Im Bereich gleichförmiger, massenhafter oder routinemäßiger Geschäfte, die von selbstverständlichen Erwartungen geprägt sind, kann der Tatrichter befugt sein, auf die täuschungsbedingte Fehlvorstellung auf der Grundlage eines "sachgedanklichen Mitbewusstseins" indiziell zu schließen, wobei er dies im Urteil darzulegen hat ([X.], Urteil vom 22. Mai 2014 - 4 [X.], [X.], 459, 460 mwN; vgl. auch [X.], Urteil vom 22. November 2013 - 3 [X.], [X.], 215 f.).

bb) Dies hat das [X.] im vorliegenden Fall getan. Es hat aus einer Reihe von Indizien den Schluss gezogen, dass mindestens einer der jeweils Angeschriebenen auf die inhaltlich unzutreffenden, als "Rechnung" oder "Zahlungsaufforderung" bezeichneten Schreiben in der irrigen Vorstellung gezahlt hat, er sei zur Zahlung des geforderten Geldbetrages aufgrund des (konkludent) vorgespiegelten [X.] verpflichtet. Vor dem Hintergrund, dass die Forderungen eine nicht unerhebliche Summe (deutlich über der [X.] von 25 Euro, [X.], 61. Aufl., § 243 Rn. 25 mwN) betrafen und bei derartigen Beträgen jedenfalls grundsätzlich davon auszugehen ist, dass niemand eine so hohe angebliche Forderung bezahlt, von der er weiß, dass sie zu Unrecht erhoben wird, konnte die [X.] aus den erfolgten Zahlungen insgesamt den Schluss ziehen, dass mindestens eine von über 50 Personen irrtumsbedingt gezahlt hat. Die Schlussfolgerung des [X.]s, dass jedenfalls nicht alle Geschädigten nur deshalb gezahlt haben, "um ihre Ruhe zu haben", ist lebensnah und nachvollziehbar und deshalb vom Revisionsgericht nicht zu beanstanden. Die Erwägung eines solchen Zahlungsmotivs gewinnt bei unberechtigt übersandten Rechnungen und Mahnschreiben zwar an Gewicht, je niedriger der angeforderte Zahlbetrag und je stärker die [X.] und Mahnintensität - und damit die [X.] - ist. Bei Fällen wie dem vorliegenden (Zahlbetrag deutlich über 25 Euro, jeweils über 50 Geschädigte, keine hohe Aufforderungsfrequenz und -intensität) lässt die Annahme, mindestens eine dieser Personen habe irrtumsbedingt und nicht lästigkeitsbedingt verfügt, Rechtsfehler nicht erkennen.

cc) Ein Rechtsfehler liegt auch nicht darin, dass sich das Gericht zur Feststellung dieses Irrtums nicht auf die Aussage eines oder mehrerer Zeugen, sondern auf äußere Umstände und allgemeine Erfahrungssätze gestützt hat.

Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des [X.]s, dass das Gericht in der Regel - vor allen Dingen bei einem normativ geprägten Vorstellungsbild der Geschädigten - auch lediglich aus Indizien auf einen Irrtum schließen kann (vgl. [X.], Urteil vom 22. November 2013 - 3 [X.], [X.], 215, 216 mwN). Die Feststellung des [X.] geschädigter Personen beim Betrug folgt dabei keinen anderen Regeln als die Feststellung sonstiger innerer Tatsachen wie etwa des Vorsatzes beim Angeklagten. Auch dort ist der Schluss von äußeren Umständen auf eine innere Einstellung regelmäßig möglich und teilweise auch geboten (vgl. nur zum Tötungsvorsatz bei objektiv äußerst gefährlichen Gewalthandlungen [X.], Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, [X.]St 57, 183, 186). Feste [X.] für die Feststellung innerer Sachverhalte kennt das Gesetz weder hinsichtlich des Angeklagten noch hinsichtlich möglicher Geschädigter. Es gilt vielmehr - unabhängig vom Tatbestand - der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO).

Soweit in einigen Entscheidungen des [X.]s anklingt, Feststellungen zum Irrtum seien beim Betrug in aller Regel nur möglich, wenn die irrende Person oder bei [X.] jedenfalls einige der Geschädigten ermittelt und als Zeugen in der Hauptverhandlung vernommen würden (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Juni 2014 - 2 [X.], [X.], 644, 645; [X.], Urteil vom 22. Mai 2014 - 4 [X.], [X.], 459 f.), könnte der Senat dem nicht ohne weiteres folgen. Denn gerade bei einem normativ geprägten Vorstellungsbild wird der Schluss auf einen Irrtum des [X.] häufig allein auf tragfähige Indizien gestützt werden können (vgl. [X.], Urteil vom 22. November 2013 - 3 [X.], [X.], 215, 216). Grundlage eines solchen Indizschlusses können auch äußere Umstände sein, die der Angeklagte glaubhaft gestanden hat, weshalb es keinen Rechtssatz des Inhalts gibt, Feststellungen zu einem Irrtum beim Betrug könnten nicht auf der Grundlage eines Geständnisses des Angeklagten getroffen werden (in diese Richtung aber wohl [X.], Beschluss vom 17. Juni 2014 - 2 [X.], [X.], 644, 645; vgl. zu dieser Problematik auch [X.], Urteil vom 22. Mai 2014 - 4 [X.], [X.], 459, 460).

dd) In [X.] kann sich das Gericht seine Überzeugung von einem Irrtum vieler Geschädigter auch dadurch verschaffen, dass es einige der Geschädigten als Zeugen vernimmt (oder deren Aussagen auf andere Art und Weise in die Hauptverhandlung einführt) und aus deren Angaben zum Vorliegen eines Irrtums indiziell auf einen Irrtum bei anderen Geschädigten schließt (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Februar 2013 - 1 [X.], [X.], 422; Urteil vom 22. November 2013 - 3 [X.], [X.], 215; Urteil vom 5. März 2014 - 2 [X.], NJW 2014, 2595; Urteil vom 27. März 2014 - 3 [X.], NJW 2014, 2054; Urteil vom 22. Mai 2014 - 4 [X.], [X.], 459).

b) Soweit es danach nahe gelegen hätte, die Angeklagten auch in den Fällen der Organisation einer "Anrufwelle" jeweils wegen vollendeten Betruges zu verurteilen, sind sie durch die wenig nachvollziehbare Annahme bloßen Versuchs nicht beschwert.

c) Die Strafzumessung des [X.]s ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Es hat in den Vollendungsfällen jeweils zu Gunsten der Angeklagten gewürdigt, dass der Vollendungsschaden nur sehr gering war, zu ihren Lasten aber die Höhe des erstrebten unrechtmäßigen Vermögensvorteils. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des [X.]s (vgl. [X.], Urteil vom 15. Dezember 2006 - 5 [X.], [X.]St 51, 165, 179). Weil in derartigen Fällen regelmäßig ein gegenüber dem Erfolgsunrecht besonders gesteigertes Handlungsunrecht vorliegt, ist es für die Strafzumessung nicht immer von entscheidender Bedeutung, ob es bei (einzelnen) Betrugstaten zur Vollendung kommt oder mangels Irrtums des [X.] oder wegen fehlender Kausalität zwischen Irrtum und Vermögensverfügung beim Versuch bleibt. Wenn die Taten eine derartige Nähe zur Tatvollendung aufweisen, dass es vom bloßen Zufall abhängt, ob die Tatvollendung letztlich doch noch am fehlenden Irrtum des [X.] scheitert, kann das Tatgericht unter besonderer Berücksichtigung der versuchsbezogenen Gesichtspunkte auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des [X.] und der Tatumstände des konkreten Einzelfalls zum Ergebnis gelangen, dass jedenfalls die fakultative Strafmilderung gemäß § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB zu versagen ist (Senat, Beschluss vom 6. Februar 2013 - 1 [X.], [X.], 422, 424).

Raum                           [X.]                                Graf

                Radtke                             [X.]

Meta

1 StR 314/14

04.09.2014

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Würzburg, 16. Oktober 2013, Az: 5 KLs 771 Js 11617/11

§ 261 StPO, § 263 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.09.2014, Az. 1 StR 314/14 (REWIS RS 2014, 3123)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3123

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