Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.08.2022, Az. VIII ZB 87/20

8. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 6440

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Gegenstand

Kostenfestsetzung: Erstattungsfähigkeit der für die Beauftragung eines Unterbevollmächtigten anfallenden Kosten bei Hinzuziehung eines weder am Gerichtsort noch am Sitz der Partei ansässigen Hauptbevollmächtigten


Leitsatz

Zur Erstattungsfähigkeit der für die Beauftragung eines Unterbevollmächtigten anfallenden Kosten bei Hinzuziehung eines weder am Gerichtsort noch am Sitz der Partei ansässigen Hauptbevollmächtigten (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 14. September 2021 - VIII ZB 85/20, NJW 2021, 3663 Rn. 10 ff. und vom 5. Juli 2022 - VIII ZB 33/21, juris Rn. 12 ff.).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des [X.] - 11. Zivilsenat - vom 11. November 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 337,90 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin, eine Leasing-Gesellschaft mit Sitz in [X.], machte gegenüber der Beklagten Ansprüche aus einem beendeten Leasingvertrag vor dem [X.] [X.] I geltend. Mit ihrer Vertretung in diesem Verfahren beauftragte sie eine in [X.] ansässige Rechtsanwaltskanzlei.

2

In dem Verhandlungstermin vom 5. November 2019, zu dem für die Beklagte niemand erschien, wurde die Klägerin durch einen [X.] aus [X.] vertreten. Das [X.] gab der Klage im Wege des Versäumnisurteils statt und legte der Beklagten die Kosten des Verfahrens auf. Den hiergegen eingelegten Einspruch der Beklagten verwarf das [X.] als unzulässig und verurteilte sie, auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3

Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die zum Vorsteuerabzug berechtigte Klägerin unter anderem die Festsetzung der Kosten für die Terminsvertretung durch den [X.] in Höhe von 382,70 € begehrt.

4

Das [X.] hat mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. Juni 2020 der Klägerin statt der Kosten für den [X.] lediglich fiktive Reisekosten ihrer Hauptbevollmächtigten (Fahrtkosten in Höhe von 19,80 € und eine Abwesenheitspauschale in Höhe von 25 €) zuerkannt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin mit dem Ziel der antragsgemäßen Festsetzung der Kosten für die Beauftragung eines [X.] hat das [X.] mit Beschluss vom 11. November 2020 zurückgewiesen.

5

Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihr Kostenfestsetzungsbegehren weiter, soweit es in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben ist.

II.

6

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, § 575 ZPO). Der [X.] ist gemäß § 8 Abs. 2 [X.] für die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde der Klägerin zuständig, weil im vorliegenden Fall ausschließlich Bundesrecht Anwendung findet (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Juni 2019 - [X.]/18, NJW 2020, 691 Rn. 6). Die entgegen § 7 Abs. 1 Satz 1 EGZPO in Verbindung mit § 8 Abs. 1 [X.] und Art. 11 Abs. 1 des [X.] zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen des Bundes ([X.]) durch das Beschwerdegericht unterbliebene Bestimmung des zuständigen [X.] muss daher auch in Ansehung des grundrechtsgleichen Rechts auf [X.] aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nachgeholt werden (vgl. [X.], Urteile vom 15. April 2021 - [X.], [X.], 1079 Rn. 9, insoweit in [X.]Z 229, 299 nicht abgedruckt; vom 18. Februar 2021 - [X.]/19, juris Rn. 11 [jeweils zur Revision]; [X.], Beschlüsse vom 5. Juli 2022 - [X.], unter [X.], zur [X.] vorgesehen; vom 6. Juni 2019 - [X.]/18, aaO; vom 20. März 2003 - [X.] 598/02, juris Rn. 2; vgl. auch [X.]/[X.], ZPO, 34. Aufl., § 7 EGZPO Rn. 4; aA MünchKommZPO/[X.], 6. Aufl., § 7 EGZPO Rn. 8).

7

2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

8

a) Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, das [X.] habe zu Recht der Klägerin die geltend gemachten [X.] lediglich in Höhe der fiktiven Reisekosten eines Anwalts an dem am weitesten vom Gerichtsort entfernt gelegenen Ort innerhalb des Gerichtsbezirks zuerkannt, weil auch bei Wahrnehmung des [X.] durch die Hauptbevollmächtigten der Klägerin selbst deren Reisekosten nur in dieser Höhe zu erstatten gewesen wären.

9

Die Klägerin sei zwar nicht gehalten gewesen, für die Vielzahl von im gesamten [X.] zu führenden ähnlich gelagerten Prozessen jeweils erneut einen Prozessbevollmächtigten am Prozessort zu beauftragen und diesen neu zu instruieren. Damit liege ein Ausnahmefall im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO vor mit der Folge, dass kostenrechtlich die Hinzuziehung eines weder am Gerichts- noch am Geschäftssitz ansässigen Anwalts akzeptiert werde.

Soweit nach diesen Grundsätzen die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts am dritten Ort als notwendig und damit verbundene Mehrkosten als grundsätzlich erstattungsfähig anzusehen seien, stelle sich jedoch die Frage, ob die hierdurch ausgelösten Mehrkosten automatisch in voller Höhe erstattungsfähig seien. Nach Ansicht des [X.] gehe dies zu weit. Wenn am Geschäftssitz der [X.] - wie hier - ebenfalls Rechtsanwälte zugelassen seien, die in der Lage wären, die Funktion "als Hausanwalt" zu übernehmen, seien lediglich die Reisekosten eines (fiktiven) Anwalts erstattungsfähig, dessen - wiederum fiktiver - Kanzleisitz an dem vom Gerichtsgebäude am weitesten entfernten Ort innerhalb des Gerichtsbezirks liege.

b) Diese Beurteilung hält in einem entscheidenden Punkt rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht des [X.] können, wenn die Hinzuziehung eines weder am Gerichtsort noch am Sitz der [X.] ansässigen Rechtsanwalts ("Rechtsanwalt am dritten Ort") notwendig im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO war, die erstattungsfähigen Reisekosten des Prozessbevollmächtigten und damit auch die Kosten für die Beauftragung eines [X.] nicht auf die Kosten beschränkt werden, die einem in dem vom Gericht am weitest entfernten Ort im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalt entstanden wären. Eine solche Begrenzung der für den auswärtigen Rechtsanwalt zu erstattenden Reisekosten über die sich aus § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO ergebenden Einschränkungen hinaus sieht die Zivilprozessordnung nicht vor.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.]s stellen die Kosten eines [X.] dann notwendige Kosten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO dar, wenn durch die Tätigkeit des [X.] erstattungsfähige Reisekosten des Hauptbevollmächtigten in vergleichbarer Höhe erspart werden, die ansonsten bei der Wahrnehmung des Termins durch den Hauptbevollmächtigten entstanden wären (vgl. [X.], Beschlüsse vom 26. Februar 2014 - [X.] 499/11, NJW-RR 2014, 763 Rn. 8; vom 10. Juli 2012 - [X.] 106/11, NJW 2012, 2888 Rn. 7 mwN; vom 16. Oktober 2002 - [X.] 30/02, NJW 2003, 898 unter [X.] c).

Gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind Reisekosten eines Rechtsanwalts der obsiegenden [X.], der - wie im vorliegenden Fall - nicht in dem Bezirk des [X.] niedergelassen ist und am Ort des [X.] auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit zu erstatten, als dessen Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig war. Diese Voraussetzungen liegen - wovon auch das Berufungsgericht ausgegangen ist - vor (siehe zu vergleichbaren Fallgestaltungen bereits Senatsbeschlüsse vom 14. September 2021 - [X.] 85/20, NJW 2021, 3663 Rn. 10 ff.; vom 5. Juli 2022 - [X.], juris Rn. 12 ff.).

bb) War die Hinzuziehung der Hauptbevollmächtigten der Klägerin somit im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO notwendig, können entgegen der Ansicht des [X.] die zu erstattenden Kosten bei der Vertretung der Klägerin vor dem Gericht an ihrem Gesellschaftssitz nicht auf die fiktiven Kosten eines Anwalts begrenzt werden, dessen Kanzleisitz sich an dem von dem Gericht am weitesten entfernten Ort innerhalb des Gerichtsbezirks befindet. Die Vorschrift des § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO verlangt im Fall der notwendigen Einschaltung eines auswärtigen Anwalts regelmäßig keine zusätzliche Prüfung, ob im konkreten Einzelfall auch die Wahrnehmung des [X.] gerade durch diesen Rechtsanwalt unbedingt erforderlich war oder auch durch einen im Gerichtsbezirk ansässigen Anwalt hätte erfolgen können (Senatsbeschlüsse vom 14. September 2021 - [X.] 85/20, NJW 2021, 3663 Rn. 15; vom 5. Juli 2022 - [X.], juris Rn. 25; jeweils mwN).

(1) Denn bei der Prüfung der Notwendigkeit einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme ist eine typisierende Betrachtungsweise geboten (vgl. hierzu [X.], Beschlüsse vom 28. Januar 2010 - [X.], juris Rn. 7; vom 25. Oktober 2011 - [X.] 93/10, NJW-RR 2012, 695 Rn. 13; vom 27. Februar 2018 - [X.], NJW 2018, 1693 Rn. 10; vom 14. September 2021 - [X.] 85/20, aaO Rn. 16). Der Gerechtigkeitsgewinn, der bei einer übermäßig differenzierenden Beurteilung im Einzelfall zu erzielen ist, steht in keinem Verhältnis zu den sich ergebenden Nachteilen, wenn in nahezu jedem Einzelfall darum gestritten werden kann, ob die Kosten zu erstatten sind oder nicht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 28. Januar 2010 - [X.], aaO; vom 25. Oktober 2011 - [X.] 93/10, aaO; vom 27. Februar 2018 - [X.], aaO; vom 14. September 2021 - [X.] 85/20, aaO).

Vor diesem Hintergrund bedarf es zur Beurteilung der Erstattungsfähigkeit von Reisekosten grundsätzlich nicht zusätzlich der gesonderten Feststellung, ob die mit der Beauftragung eines Rechtsanwalts am dritten Ort verbundenen Mehrkosten in voller Höhe erstattungsfähig sind, wenn das Beschwerdegericht die Notwendigkeit der Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung - wie hier - rechtsfehlerfrei bejaht hat.

(2) Soweit das Beschwerdegericht seine abweichende Auffassung auf die Entscheidung des [X.]s Düsseldorf vom 15. März 2007 (10 [X.]/06) stützt, gelten die Ausführungen in den Senatsbeschlüssen vom 14. September 2021 ([X.] 85/20, aaO Rn. 18) und vom 5. Juli 2022 ([X.], aaO Rn. 28) entsprechend.

(3) In der vom Beschwerdegericht weiterhin angeführten Entscheidung des [X.]s vom 9. Mai 2018 ([X.]/17) hat sich der [X.] ebenfalls lediglich mit der Frage befasst, welche Reisekosten eine [X.] erstattet bekommen kann, wenn die Hinzuziehung eines auswärtigen Rechtsanwalts - anders als im vorliegenden Fall - nicht notwendig im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO war (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Mai 2018 - [X.]/17, NJW 2018, 2572 Rn. 12).

III.

Das Beschwerdegericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zur Höhe der den Hauptbevollmächtigten der Klägerin im Fall der Wahrnehmung des Termins beim [X.] [X.] I zustehenden Reisekosten im erstinstanzlichen Verfahren getroffen. Im Rechtsbeschwerdeverfahren können diese Feststellungen nicht nachgeholt werden (§ 577 Abs. 2 Satz 4 ZPO iVm § 559 ZPO). Der angefochtene Beschluss ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO), damit die erforderlichen Feststellungen zur Höhe der über den Betrag von 44,80 € hinaus ersparten Reisekosten getroffen werden können. Das Beschwerdegericht wird dabei zu beachten haben, dass eine geringfügige Überschreitung der ersparten Reisekosten der Erstattung der Kosten des [X.] nicht entgegensteht. Eine wesentliche Überschreitung wird im Regelfall erst dann anzunehmen sein, wenn die Kosten des [X.] die ersparten Reisekosten des Hauptbevollmächtigten um mehr als 1/10 überschreiten (vgl. [X.], Beschlüsse vom 6. November 2014 - [X.]/14, NJW-RR 2015, 761 Rn. 17; vom 10. Oktober 2002 - [X.] 30/02, NJW 2003, 898 unter [X.] c).

[X.]     

      

Dr. Bünger     

      

Kosziol

      

Dr. Schmidt     

      

Dr. Matussek     

      

Meta

VIII ZB 87/20

30.08.2022

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG München, 11. November 2020, Az: 11 W 1430/20

§ 91 Abs 2 S 1 Halbs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.08.2022, Az. VIII ZB 87/20 (REWIS RS 2022, 6440)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6440 MDR 2023, 63 REWIS RS 2022, 6440

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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