Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29.08.2013, Az. IX B 17/13

9. Senat | REWIS RS 2013, 3137

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Gegenstand

(Beidseitige Vertragsbindung im Rahmen des § 7i Abs. 1 Satz 5 EStG - Feststellungsumfang - Verfahrensmängel - Verstöße gegen §§ 75, 78 FGO - Rechtliches Gehör - Terminsänderung)


Leitsatz

1. NV: Es ist geklärt, dass ein "rechtswirksamer Abschluss eines obligatorischen Erwerbsvertrags oder gleichstehenden Rechtsakts" i.S.v. § 7i Abs. 1 Satz 5 EStG erst mit Annahme des (notariellen) Kaufvertragsangebots des Käufers durch den Voreigentümer vorliegt .

2. NV: Die Frage, ob im Rahmen des Feststellungsverfahrens auch das Vorliegen eines Neubaus zu klären ist, stellt sich nicht, wenn ausweislich der Verfügungssätze des maßgebenden Feststellungsbescheids lediglich die Anschaffungskosten und deren Aufteilung auf Grund und Boden, Altbausubstanz und Sanierungskosten gesondert festgestellt sind .

3. NV: Bei im Klageverfahren durch einen sachkundigen Prozessbevollmächtigten vertretenen Beteiligten stellt das Unterlassen eines (von ihnen angeforderten und nach ihrer Ansicht notwendigen) Hinweises i.S.d. § 76 Abs. 2 FGO regelmäßig keinen Verfahrensmangel dar .

4. NV: Ein Verstoß gegen die in § 75 FGO geregelte Pflicht, den Beteiligten die Unterlagen der Besteuerung mitzuteilen, liegt nicht vor, wenn die der Entscheidung des FG (und der Finanzbehörde) zugrunde liegenden Besteuerungsgrundlagen dem Kläger bereits bekannt waren .

5. NV: Ein Verstoß gegen § 78 Abs. 1 FGO liegt nur dann vor, wenn dem Kläger Akteneinsicht ausdrücklich verwehrt wurde .

6. NV: Ein für eine Terminsänderung erforderlicher erheblicher Grund i.S.d. § 227 Abs. 1 ZPO kann nicht in dem --vom Kläger zu vertretenden-- fehlenden Kontakt des Prozessbevollmächtigten zum Kläger wegen dessen Umzugs gesehen werden .

Gründe

1

Die Beschwerde ist unbegründet. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht gegeben.

2

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O). Die aufgeworfene Rechtsfrage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ist durch die Rechtsprechung geklärt. § 7i Abs. 1 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verlangt den "rechtswirksamen Abschluss eines obligatorischen Erwerbsvertrags oder gleichstehenden Rechtsakts", also eine beidseitige Bindung von Voreigentümer und Erwerber (vgl. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 19. Februar 2013 IX R 32/12, [X.], 322, [X.], 482). Danach hat das Finanzgericht ([X.]) einen solchen Vertrag zu Recht (§ 152 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) erst mit Annahme des (notariellen) [X.] des [X.] durch den Voreigentümer am 24. Oktober 2003 als erfüllt angesehen. Daher bedarf es auch keiner Entscheidung des [X.] zur Fortbildung des Rechts i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2  1. Alt. [X.]O.

3

2. Die Frage, ob im Rahmen des Feststellungsverfahrens auch das Vorliegen eines Neubaus zu klären ist, stellt sich im Streitfall nicht. Nach Aktenlage und den insoweit bindenden Feststellungen des [X.] (vgl. § 118 Abs. 2 [X.]O) wurden im --nach § 180 Abs. 2 der Abgabenordnung [X.]) i.V.m. der Verordnung zu  § 180 Abs. [X.] und § 7i EStG-- durchgeführten Verfahren ausweislich der Verfügungssätze (vgl. [X.]-Urteil vom 29. Februar 2012 IX R 21/10, [X.]/NV 2012, 1297) des maßgebenden Feststellungsbescheids (i.d.[X.] vom 23. November 2010) lediglich die Anschaffungskosten und deren Aufteilung auf Grund und Boden, Altbausubstanz und Sanierungskosten gesondert festgestellt. Nur in diesem Umfang bestimmte sich zulässigerweise der Gegenstand des Klageverfahrens. Daher geht auch die erhobene Rüge (IV.6.) der unterlassenen Sachaufklärung zur Frage eines Neubaus ins Leere.

4

3. Eine Entscheidung des [X.] zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alt. [X.]O) ist nicht erforderlich. Denn die Frage des Neubaus stellt sich schon aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht (s. vorstehend zu 2.); das [X.] brauchte daher auf diese Frage nicht weiter einzugehen. Die gerügte Divergenz zu den [X.]-Urteilen vom 25. Mai 2004 VIII R 6/01 ([X.]E 206, 266, [X.], 783) und vom 24. Juni 2009 [X.] ([X.]E 225, 431, [X.], 960) sowie den Urteilen des Hessischen [X.] vom 12. Dezember 2011  8 K 1754/08 (Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 2012, 828; Revision [X.]) und des Sächsischen [X.] vom 11. Januar 2012  2 K 1416/11 (E[X.] 2012, 1633; die dagegen erhobene Revision wurde durch Erledigung der Hauptsache mit [X.]-Beschluss vom 29. August 2012 X R 5/12, [X.]/NV 2013, 53 erledigt) liegt aber auch angesichts unterschiedlicher Sachverhalte nicht vor. Die [X.]-Urteile mit Sachverhalten, in denen kein gesondertes Feststellungsverfahren vorgeschaltet war, stehen schon deshalb nicht entgegen, weil im Streitfall die Frage eines (steuerrechtlichen/bautechnischen) Neubaus eben aus verfahrensrechtlichen Gründen noch offen ist. Anders als im Streitfall geht es im Urteil des Hessischen [X.] in E[X.] 2012, 828 um einen hier unstreitig nicht vorliegenden "völligen Neubau".

5

4. Die gerügten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O) liegen nicht vor.

6

a) [X.] der Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 [X.]O) durch das [X.] als (verzichtbaren) Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O in Gestalt einer unterlassenen Amtsermittlung (zu den Anforderungen: z.B. [X.]-Beschluss vom 28. Juli 2004 IX B 136/03, [X.]/NV 2005, 43) oder in Gestalt des Übergehens von --in der mündlichen Verhandlung gestellten-- Beweisanträgen (zu den Anforderungen: z.B. [X.]-Beschluss vom 15. September 2006 IX B 209/05, [X.]/NV 2007, 80) greift nicht durch. Das [X.] hat sich mit den insoweit gestellten Beweisanträgen auseinandergesetzt und eine weitere Sachaufklärung (durch Zeugenvernehmung) für nicht erforderlich erachtet. Der auch dem Kläger bekannte Akteninhalt --so das [X.]-- liege der Entscheidung zugrunde, die Höhe der Aufwendungen sei aus Rechnungen ersichtlich, die danach erbrachten Leistungen wurden nicht substantiiert bestritten, auch seien ansonsten insoweit keine konkreten Umstände für Zweifel an diesen Feststellungen dargetan. Zudem habe der Kläger die von ihm geleisteten Abschlagszahlungen, aus denen Schlüsse hätten gezogen werden können, nicht vorgelegt. Entsprechend seien die angebotenen Beweise jedenfalls im Ergebnis nicht erheblich. Angesichts des aus der Bescheinigung der Denkmalschutzbehörde sich ergebenden Sanierungsanteils erübrige sich die Beiziehung der entsprechenden Akten. Diese Würdigung des [X.] wäre auch revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

7

Im Übrigen begründen Sachaufklärungsfehler der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren keinen Verfahrensmangel im Sinne des Revisionszulassungsrechts (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 25. März 2010 X B 165/09, [X.]/NV 2010, 1461; vom 13. Januar 2010 IX B 109/09, [X.]/NV 2010, 917).

8

b) Der Kläger macht zu Unrecht geltend, das [X.] habe eine Überraschungsentscheidung erlassen und dadurch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 [X.]O) verletzt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit [X.] des Vorbringens auseinanderzusetzen. Indes ist das Gericht nicht verpflichtet, den Beteiligten die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte anzudeuten, sie mit den Beteiligten umfassend zu erörtern ([X.]-Beschluss vom 12. Juli 2012 I B 131/11, [X.]/NV 2012, 1815) oder der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (vgl. Beschluss des [X.] vom 11. Juni 2008  2 BvR 2062/07, [X.], 1056; [X.]-Beschluss vom 11. Mai 2011 V B 113/10, [X.]/NV 2011, 1523).

9

Bei im Klageverfahren durch einen sachkundigen Prozessbevollmächtigten vertretenen Beteiligten stellt das Unterlassen eines (von ihnen angeforderten und nach ihrer Ansicht notwendigen) Hinweises gemäß § 76 Abs. 2 [X.]O regelmäßig keinen Verfahrensmangel dar (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 5. August 2011 II B 144/10, [X.]/NV 2011, 1915; vom 24. Juli 2006 IX B 48/06, [X.]/NV 2006, 2269, m.w.N.). Zudem muss ein --zumindest sachkundig vertretener-- Beteiligter gerade bei umstrittener Sach- und/oder Rechtslage grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 24. August 2011 IX B 89/11, [X.]/NV 2012, 11; vom 14. Oktober 2009 IX B 86/09, [X.]/NV 2010, 222, m.w.N.).

c) Das [X.] hat auch nicht gegen § 75 [X.]O verstoßen. Die dort geregelte Pflicht, den Beteiligten die Unterlagen der Besteuerung mitzuteilen, hat als spezielle Ausprägung des Rechts auf Gehör lediglich klarstellende Bedeutung und den Zweck, Überraschungsentscheidungen zu vermeiden (vgl. [X.]-Beschluss vom 25. Februar 2010 V B 14/09, [X.]/NV 2010, 1286; [X.]-Urteil vom 22. Mai 2007 [X.], [X.]/NV 2007, 1817, m.w.N.). Eine solche Überraschungsentscheidung liegt nicht vor; denn die der Entscheidung des [X.] (und der Finanzbehörde) zugrunde liegenden Besteuerungsgrundlagen waren dem Kläger bekannt.

d) [X.] des [X.], das [X.] habe den Anspruch auf rechtliches Gehör durch Verweigerung der Akteneinsicht (§ 78 Abs. 1 [X.]O) verletzt, greift nicht durch. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs begründet zwar das Recht der Beteiligten, Einsicht in den gesamten Inhalt der Gerichtsakten und der dem Gericht vorliegenden Akten zu nehmen (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 16. Juli 2012 IX B 67/12, [X.]/NV 2012, 1637; vom 30. Januar 2007 VII B 3/06, [X.]/NV 2007, 1324). Ein Verstoß gegen § 78 Abs. 1 [X.]O liegt aber nur dann vor, wenn dem Kläger Akteneinsicht ausdrücklich verwehrt wurde. Dies macht der Kläger selbst nicht geltend; hingegen rügt er, die Akteneinsicht sei ihm "nicht vollständig" gewährt worden (z.T. fehlten Seiten, Unterlagen z.T. geschwärzt, z.T. Seiten nicht paginiert); diese "Bereinigung" sei zudem erst durch das [X.] veranlasst worden. Zu Recht hat das [X.] die "vollständige" Einsicht in "unbereinigte" Akten verwehrt, weil dies durch den Schutz des Steuergeheimnisses der anderen Feststellungsbeteiligten geboten war. Zudem wurden dem Kläger mit dem gesonderten Feststellungsbescheid (i.d.[X.] vom 23. November 2010) gemäß § 6 Abs. 4 der Verordnung zu § 180 Abs. [X.] "nur die ihn betreffenden Besteuerungsgrundlagen" bekannt gegeben.

e) Den Antrag auf Terminsänderung hat das [X.] im Ergebnis verfahrensfehlerfrei abgelehnt. Ein für eine Terminsänderung erforderlicher erheblicher Grund i.S. des § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung kann jedenfalls --unabhängig von der vom [X.] angenommenen mangelnden Vorbereitung-- nicht in dem fehlenden Kontakt des Prozessbevollmächtigten zum Kläger wegen dessen Umzugs gesehen werden (vgl. Beschlüsse des [X.] vom 8. Juni 1988 [X.] ZB 68/88, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1988, 2672, [X.] --[X.]-- 1989, 447; vom 5. November 2002 VI ZB 54/01, [X.], 903, [X.] 2003, 734). Diesen Mangel hat allein der Kläger zu vertreten. Daran ändern auch die vergeblichen Versuche des Prozessbevollmächtigten, den Kontakt zum Kläger wieder herzustellen, nichts. Zudem war der Kläger zur mündlichen Verhandlung nicht geladen und sein persönliches Erscheinen nicht angeordnet worden.

Meta

IX B 17/13

29.08.2013

Bundesfinanzhof 9. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 26. Oktober 2012, Az: 10 K 4743/10, Urteil

§ 180 Abs 2 AO, § 152 BGB, § 7i Abs 1 S 5 EStG 2002, § 75 FGO, § 76 Abs 1 FGO, § 76 Abs 2 FGO, § 78 Abs 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 118 Abs 2 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 227 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29.08.2013, Az. IX B 17/13 (REWIS RS 2013, 3137)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3137

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