10. Senat | REWIS RS 2013, 1082
Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.
Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Entscheidung über Richterablehnung als Verfahrensmangel; Unterlassen richterlicher Hinweise; Verfahren vor dem FG richtet sich nach der FGO
1. NV: Ein die Ablehnung von Gerichtspersonen zurückweisender Beschluss des FG kann nur dann zur Revisionszulassung wegen Verfahrensmangel führen, wenn die Zurückweisung willkürlich ist und deshalb die Vorenthaltung des gesetzlichen Richters zur Folge hat.
2. NV: Das Unterlassen richterlicher Hinweise führt bei sachkundig vertretenen Beteiligten zu keinem Verfahrensfehler.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Zu Unrecht sehen die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) einen Verfahrensmangel darin, dass der von ihnen abgelehnte Berichterstatter als Einzelrichter das angefochtene Urteil gefällt hat. Eine Zulassung der Revision aus diesem Grund kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil das Ablehnungsgesuch wegen Befangenheit durch Beschluss des Finanzgerichts ([X.]) abgelehnt wurde und diese Ablehnung nach § 128 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) unanfechtbar ist.
Nach § 124 Abs. 2 [X.]O unterliegen dem Endurteil vorausgegangene Entscheidungen, die nach der [X.]O unanfechtbar sind, nicht der Beurteilung durch die Revision. Daher kann eine Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich nicht auf die Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs gestützt werden (vgl. Beschlüsse des [X.] --BFH-- vom 13. Januar 2003 III B 51/02, [X.] 2003, 640, und vom 4. August 2008 VIII B 82/08, nicht veröffentlicht).
Allerdings schließt § 124 Abs. 2 [X.]O die Rüge solcher Verfahrensmängel nicht aus, die als Folge der beanstandeten Vorentscheidung fortwirken und damit dem angefochtenen Urteil anhaften, sofern die Vorentscheidung gegen das Willkürverbot verstößt oder ein Verfahrensgrundrecht verletzt wird, wie der Anspruch auf rechtliches Gehör oder auf den gesetzlichen [X.] (BFH-Urteil vom 21. Februar 1980 V R 71-73/79, [X.], 157, [X.] 1980, 457; [X.] vom 25. November 1999 VII B 140/99, [X.] 2000, 589). Ein derartiger Verstoß durch Zurückweisung eines [X.] kann indessen nur dann als Verfahrensmangel i.S. der §§ 115 Abs. 2 Nr. 3, 119 Nr. 1 und 3 [X.]O geltend gemacht werden (vgl. Begründung zum [X.] zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2000 zu Art. 1 Nr. 18 in BTDrucks 14/4061, S. 11 f.; ferner [X.] vom 19. August 2002 VIII B 112/02, [X.] 2003, 65, m.w.[X.]), wenn der Beschluss über die Zurückweisung des [X.] greifbar gesetzwidrig und damit willkürlich ist (vgl. [X.] vom 21. Oktober 1999 VII R 15/99, [X.], 47, [X.] 2000, 88; in [X.] 2003, 640; vom 3. Juni 2005 XI S 7/04 (PKH), [X.] 2005, 1556; vom 28. Juli 2005 II B 81/04, [X.] 2005, 2221).
Für eine solche willkürliche Zurückweisung des [X.] bestehen im Streitfall keine Anhaltspunkte. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 42 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein [X.] wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Ein derartiger Grund besteht, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus --jedoch nach Maßgabe einer vernünftigen, objektiven [X.] davon ausgehen kann, der [X.] werde nicht unvoreingenommen, sondern unsachlich oder willkürlich entscheiden. Im Allgemeinen lassen die von dem [X.] vorgenommenen Verfahrenshandlungen keinen Schluss auf dessen Befangenheit zu. Dabei rechtfertigen auch fehlerhafte Entscheidungen grundsätzlich keine [X.]ablehnung; vielmehr hat die Überprüfung richterlicher Entscheidungen im [X.] zu erfolgen (ständige Rechtsprechung, s. z.B. [X.] vom 14. Juni 1994 VII B 34/94, [X.] 1995, 131; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 51 Rz 47, jeweils m.w.[X.]). Dies gilt auch für behauptete Rechtsverstöße eines [X.]s in einem Parallelverfahren.
Die Erwägungen des [X.] im Beschluss vom 5. September 2012, in dem es das Ablehnungsgesuch der Kläger zurückgewiesen hat, orientieren sich erkennbar an dieser Rechtsprechung. Die Ausführungen setzen sich mit den vorgebrachten Ablehnungsgründen auseinander und kommen zu dem jeweils gut nachvollziehbaren Schluss, dass aus objektiver Sicht für eine Voreingenommenheit des abgelehnten [X.]s den Klägern gegenüber keine Anhaltspunkte bestehen. Die [X.] sind keineswegs greifbar gesetzwidrig und damit willkürlich, oder mit anderen Worten: völlig unvertretbar.
Eine greifbare Gesetzwidrigkeit folgt insbesondere auch nicht daraus, dass die vom [X.] beauftragte [X.] in den Ermittlungsakten gegen den Kläger und einer Internetplattform recherchiert hat. Zum einen wäre das Verhalten der [X.] --worauf das [X.] zutreffend hingewiesen [X.] dem abgelehnten [X.] nicht zuzurechnen. Zum anderen gilt im finanzgerichtlichen Verfahren der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O). Das [X.] kann und muss den Sachverhalt auch ohne entsprechende Anträge der Beteiligten erforschen. Im Übrigen kam die [X.] in ihrer Stellungnahme zu der Geldverkehrsrechnung zu insgesamt geringeren Ausgabeüberschüssen als der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) und dieses hat auf Anregung des abgelehnten [X.]s auf dieser Grundlage geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2003 und 2004 erlassen. Weshalb die Kläger durch die Kostenentscheidung im Urteil deutlich bestraft worden sein sollen, ist nicht nachvollziehbar. Das [X.] hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen, bei der Kostenentscheidung jedoch berücksichtigt, dass die [X.] zum Verfahrensgegenstand geworden sind und deshalb die Kosten gegeneinander aufgehoben. Die Entscheidung, ob den Klägern Prozesskostenhilfe (PKH) zu gewähren ist, obliegt nicht der Beurteilung der Revision.
2. Die Kläger rügen ferner einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung gemäß Art. 10 der [X.] vom 10. Dezember 1948 (zutreffend wohl Art. 6 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten). Das [X.] habe die Vorschriften des Strafprozesses ausweislich des angefochtenen Urteils nicht eingehalten. Hätte das [X.] beachtet, dass der Kläger nicht Straftäter, schuldig der Steuerhinterziehung sei, hätte es nicht von einer Festsetzungsverjährung von zehn Jahren ausgehen dürfen. Die Schätzungen wären anders ausgefallen, die Kostenentscheidung anders getroffen worden und den Klägern wäre Prozesskostenhilfe bewilligt worden.
Mit diesem Vorbringen legen die Kläger einen Verfahrensmangel schon deshalb nicht schlüssig dar, weil das Verfahren vor dem [X.] kein Strafprozess ist. Das Verfahren vor dem [X.] richtet sich nach der [X.]O. Dies gilt auch insoweit, als das [X.] im Rahmen der Prüfung der Festsetzungsverjährung nach § 169 Abs. 2 Satz [X.] zu beurteilen hat, ob objektiv und subjektiv der Tatbestand einer Steuerhinterziehung erfüllt ist. Zwar ist insoweit auch im Besteuerungsverfahren der Grundsatz "in dubio pro reo" zu beachten (vgl. z.B. [X.] vom 29. Januar 2002 VIII B 91/01, [X.] 2002, 749, m.w.[X.]). Die Kläger haben aber nicht schlüssig dargelegt, dass das [X.] diesen Grundsatz verletzt hätte. Dieser greift nur ein, so lange Zweifel nicht zu beheben sind. Er untersagt dem [X.] indes nicht, aufgrund vielfältiger Feststellungen zu der vollen Überzeugung zu gelangen, dass eine Steuerhinterziehung zu bejahen ist. Ebenso wenig steht der Grundsatz "in dubio pro reo" der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen entgegen, da der Steuerpflichtige im Besteuerungsverfahren zur Mitwirkung verpflichtet bleibt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 23. Januar 2002 XI R 10, 11/01, [X.], 7, [X.] 2002, 328; Beschluss des [X.] vom 12. Januar 2005 5 StR 191/04, [X.] 2005, Beilage 2, 125).
3. Auch das weitere Vorbringen der Kläger rechtfertigt keine Zulassung der Revision wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 [X.]O).
a) Die Kläger machen zu Unrecht geltend, das [X.] habe ihren Gehörsanspruch verletzt, weil es entschieden habe ohne Beweise zu erheben, ohne Zwischenergebnisse mit ihnen zu erörtern und Hinweise zu erteilen, auf die sie hätten eingehen können. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit [X.] des Vorbringens auseinanderzusetzen. Indes ist das Gericht nicht verpflichtet, den Beteiligten die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte anzudeuten, sie mit ihnen umfassend zu erörtern ([X.] vom 12. Juli 2012 I B 131/11, [X.] 2012, 1815) oder der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (vgl. Beschluss des [X.] vom 11. Juni 2008 2 BvR 2062/07, [X.], 1056; [X.] vom 11. Mai 2011 V B 113/10, [X.] 2011, 1523).
Da die Kläger auch im Klageverfahren durch ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten vertreten worden sind, stellt auch das Unterlassen eines Hinweises gemäß § 76 Abs. 2 [X.]O regelmäßig keinen Verfahrensmangel dar (vgl. [X.] vom 5. August 2011 III B 144/10, [X.] 2011, 1915; vom 24. Juli 2006 IX B 48/06, [X.] 2006, 2269, m.w.[X.]). Ein sachkundig vertretener Beteiligter muss gerade bei umstrittener Sach- und/oder Rechtslage grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten (vgl. [X.] vom 14. Oktober 2009 IX B 86/09, [X.] 2010, 222, m.w.[X.]; vom 24. August 2011 IX B 89/11, [X.] 2012, 11).
b) Das Recht auf Akteneinsicht (§ 78 [X.]O) gehört zu den verzichtbaren [X.] (vgl. [X.] vom 25. Mai 2011 VI B 3/11, [X.] 2012, 46), denn die Gewährung von Akteneinsicht setzt naturgemäß einen Antrag und die entsprechende Mitwirkung des Beteiligten oder seines Vertreters voraus und ist daher disponibel. Im Übrigen wurde den Klägern nach ihrem Vorbringen im Schreiben vom 4. Januar 2013 Akteneinsicht gewährt. Weshalb in der Tatsache, dass ihnen diese in den Räumen des [X.] ermöglicht worden ist, eine Gehörsverletzung liegen soll, ist nicht nachvollziehbar.
c) Das Unterlassen richterlicher Hinweise führt bei sachkundig vertretenen Beteiligten zu keinem Verfahrensfehler (vgl. oben). Deshalb bedurfte es auch keines Hinweises des [X.], auf welche Aktenteile ihre "Verteidigung" zu fokussieren war.
d) Eine Gehörsverletzung ist --entgegen dem Vorbringen in der [X.] auch nicht darin zu sehen, dass das Gericht nicht das persönliche Erscheinen der Kläger in der mündlichen Verhandlung angeordnet hat ([X.] vom 20. August 2010 IX B 41/10, [X.] 2010, 2239). Es blieb ihnen unbenommen, den Termin zur mündlichen Verhandlung --neben ihrem [X.] gleichwohl persönlich wahrzunehmen.
4. Das angefochtene Urteil leidet ebenfalls nicht an dem gerügten Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 [X.]O), weil das [X.] den von den Klägern im Schriftsatz vom 3. September 2012 gestellten Beweisanträgen (Sachverständigengutachten, Zeugnis des [X.]) nicht nachgekommen ist. Es kann dahingestellt bleiben, inwieweit diese Beweisanträge ausreichend substantiiert waren, da die im finanzgerichtlichen Verfahren sachkundig vertretenen Kläger ausweislich des [X.] vom 10. Oktober 2012 das Übergehen von Beweisanträgen weder gerügt noch dargelegt haben, warum sie entschuldbar an der Rüge gehindert waren. Bei der Verletzung der Sachaufklärungspflicht handelt es sich um einen verzichtbaren Verfahrensmangel (§ 155 [X.]O i.V.m. § 295 ZPO), bei dem das [X.] nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem [X.] verloren geht, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge (vgl. z.B. [X.] vom 25. März 2013 IX B 180/12, [X.] 2013, 968).
5. Im [X.] wenden sich die Kläger gegen die (vermeintlich) fehlerhafte Rechtsanwendung durch das [X.], die grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führt (z.B. [X.] vom 30. Mai 2008 IX B 216/07, [X.] 2008, 1510).
Meta
18.11.2013
Beschluss
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 10. Oktober 2012, Az: 2 K 13285/10, Urteil
§ 51 Abs 1 S 1 FGO, § 76 Abs 1 S 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 124 Abs 2 FGO, Art 103 Abs 2 GG, § 42 ZPO, Art 6 Abs 2 MRK, § 76 Abs 2 FGO, § 169 Abs 2 S 2 AO
Zitiervorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 18.11.2013, Az. X B 237/12 (REWIS RS 2013, 1082)
Papierfundstellen: REWIS RS 2013, 1082
Auf Mobilgerät öffnen.
Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
Nichtzulassungsbeschwerde: Ablehnung eines Antrags auf Terminsverlegung - Ablehnung einer Besetzungsrüge
(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Beschluss vom 22.10.2021 IX B 15/21 - Ablehnung eines "coronabedingten" Terminsverlegungsantrags)
Rechtsmissbräuchliches Ablehnungsgesuch - Besorgnis der Befangenheit - Unzulässigkeit der Klage mangels Angabe der ladungsfähigen Anschrift …
(Einkünfteerzielungsabsicht bei § 21 EStG)
VIII B 10/23 (Bundesfinanzhof)
Nichtzulassungsbeschwerde gegen eine durch Ergänzungsurteil abgelehnte Urteilsergänzung