Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.09.2012, Az. VI ZB 59/11

6. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 3353

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Gegenstand

Rechtsmissbräuchlichkeit eines Kostenfestsetzungsverfahrens bei Verfolgung einheitlicher Ansprüche in getrennten Verfahren


Leitsatz

1. Ein Kostenfestsetzungsverlangen kann als rechtsmissbräuchlich anzusehen sein, wenn der Antragsteller die Festsetzung von Mehrkosten beantragt, die dadurch entstanden sind, dass er einen oder mehrere gleichartige, aus einem einheitlichen Lebensvorgang erwachsene Ansprüche gegen eine oder mehrere Personen ohne sachlichen Grund in getrennten Prozessen verfolgt hat.

2. Gleiches gilt für Erstattungsverlangen in Bezug auf Mehrkosten, die darauf beruhen, dass mehrere von demselben Prozessbevollmächtigten vertretene Antragsteller in engem zeitlichem Zusammenhang mit weitgehend gleichlautenden Antragsbegründungen aus einem weitgehend identischen Lebenssachverhalt ohne sachlichen Grund in getrennten Prozessen gegen den- oder dieselben Antragsgegner vorgegangen sind.

3. Erweist sich das Kostenfestsetzungsverlangen als rechtsmissbräuchlich, muss sich der Antragsteller kostenrechtlich so behandeln lassen, als habe er ein einziges Verfahren geführt.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 2. Zivilsenats des [X.] vom 7. September 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

[X.]: 701,04 €

Gründe

I.

1

Der Antragsteller hat die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung der Verbreitung der Behauptung in Anspruch genommen, seine Mutter habe mit ihren Kindern A., [X.], dem Antragsteller und Al. zum Skifahren in [X.] geweilt. Das [X.] hat dem Antrag stattgegeben und der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens auferlegt. Die Mutter und die drei Geschwister des Antragstellers haben in jeweils getrennten Verfahren vor dem [X.] gleichlautende Unterlassungsverfügungen erwirkt.

2

In seinem Kostenfestsetzungsantrag hat der Antragsteller eine Vergütung in Höhe einer 1,3-fachen Verfahrensgebühr gemäß [X.] Nr. 3100 nebst Auslagenpauschale, Umsatzsteuer und Gerichtsvollzieherkosten in Höhe von insgesamt 784,03 € zur Festsetzung angemeldet. Die Rechtspflegerin beim [X.] hat dem Antrag entsprochen. Hiergegen hat die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde mit der Begründung eingelegt, die Verfolgung der Unterlassungsansprüche der fünf Familienmitglieder in fünf getrennten Verfahren sei rechtsmissbräuchlich und die hierdurch verursachten Mehrkosten nicht notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die einzelnen Antragsteller müssten sich so behandeln lassen, als hätten sie gemeinsam ein Verfahren durchgeführt. In diesem Fall wären Anwaltskosten in Höhe von lediglich 1.650,35 € entstanden, so dass unter Berücksichtigung der - in zwei der weiteren Verfahren geleisteten - Zahlungen der Antragsgegnerin in Höhe von 784,33 € und 783,33 € nur noch der Differenzbetrag in Höhe von 82,99 € festgesetzt werden könne. Die sofortige Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragsgegnerin ihr Begehren weiter.

II.

3

Das Beschwerdegericht, dessen Beschluss in [X.] 2012, 146 veröffentlich ist, ist der Auffassung, dass der von der Antragsgegnerin erhobene Einwand der rechtsmissbräuchlichen Rechtsverfolgung im Kostenfestsetzungsverfahren keine Berücksichtigung finden könne. Das Kostenfestsetzungsverfahren diene lediglich dazu, die vom Prozessgericht getroffene Kostengrundentscheidung der Höhe nach auszufüllen und sei deshalb auf eine formale Prüfung der Kostentatbestände und der Beurteilung einfacher Fragen des Kostenrechts zugeschnitten. Die Entscheidung zwischen den [X.]en [X.] Tatsachen und komplizierter Rechtsfragen sei in diesem Verfahren nicht vorgesehen. Nach diesen Grundsätzen könne der Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren nicht überprüfen, ob das Vorgehen einer [X.] gegen mehrere [X.]en oder das Vorgehen mehrerer [X.]en gegen eine [X.] in getrennten Verfahren rechtsmissbräuchlich sei. Bei dieser Frage gehe es nicht um die Ausfüllung einer konkreten Kostengrundentscheidung, sondern um die Kürzung der Erstattungsansprüche aufgrund umfangreicher materiell-rechtlicher Erwägungen, die die Entscheidungsmacht und die Entscheidungsmöglichkeiten des [X.] überschreite und in die Kompetenz des Prozessrichters gehöre.

III.

4

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

5

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Ihrer Statthaftigkeit steht nicht entgegen, dass dem angefochtenen Beschluss ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zugrunde liegt, in dem die Rechtsbeschwerde wegen des durch § 574 Abs. 1 Satz 2, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO begrenzten Instanzenzugs auch im Fall ihrer Zulassung ausgeschlossen ist ([X.], Beschluss vom 27. Februar 2003 - [X.], [X.]Z 154, 102, 103 f.). Diese Begrenzung gilt nicht für das Kostenfestsetzungsverfahren, das als selbständige [X.] mit einem eigenen Rechtsmittelzug ausgestattet ist ([X.], Beschlüsse vom 6. April 2005 - [X.], [X.], 2233; vom 19. April 2007 - [X.], [X.], 999 Rn. 8; vom 6. Dezember 2007 - [X.], [X.], 2040 Rn. 6).

6

2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des [X.] ist der von der Antragsgegnerin erhobene Einwand, der Antragsteller und seine Angehörigen hätten durch das Erwirken von fünf gleichlautenden und auf dieselbe Berichterstattung gestützten Unterlassungsverfügungen in getrennten Verfahren ungerechtfertigt Mehrkosten verursacht, im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen.

7

a) Es erscheint allerdings fraglich, ob die Erstattungsfähigkeit der durch die getrennte Geltendmachung der Unterlassungsansprüche entstandenen erhöhten Rechtsanwaltsgebühren mit der Begründung verneint werden kann, dass diese Kosten nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewesen seien (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Juli 2010 - [X.], NJW-RR 2011, 230 Rn. 14 für den Fall einer Anfechtungsklage mehrerer Kläger gegen denselben Beschluss der Wohnungseigentümer; [X.], [X.] 2011, 536; [X.], [X.] 2003, 1381, 1382; [X.], [X.] 1972, 522, 523; [X.]/Wache in [X.], [X.] ZPO, § 91 Rn. 119 (Stand: April 2012)). Denn die [X.] richtet sich nicht nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, sondern nach § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO. Nach dieser Bestimmung sind die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden [X.] in allen Prozessen zu erstatten. Die Norm bildet insofern eine Ausnahme, als sie für ihren Anwendungsbereich von der grundsätzlich gebotenen Prüfung der Notwendigkeit entstandener Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung entbindet (vgl. [X.], Beschlüsse vom 2. November 2011 - [X.] 458/10, NJW 2012, 459 Rn. 35; vom 26. April 2005 - [X.], [X.], 2317; vom 27. März 2003 - [X.], juris Rn. 6.; vom 4. Februar 2003 - [X.], NJW 2003, 1532, jeweils mwN; [X.], [X.], 1301, 1302; [X.]/Giebel, 3. Aufl., § 91 Rn. 47; [X.] in [X.], aaO, § 104 Rn. 22, jeweils mwN). Diese Frage kann indes offen bleiben.

8

b) Denn der Einwand der Antragsgegnerin ist im Kostenfestsetzungsverfahren jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs zu berücksichtigen.

9

aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des [X.] und des [X.] unterliegt jede Rechtsausübung - auch im Zivilverfahren - dem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten Missbrauchsverbot ([X.], Beschlüsse vom 10. Mai 2007 - [X.], [X.]Z 172, 218 Rn. 13 f.; vom 2. Mai 2007 - [X.] 156/06, NJW 2007, 2257 Rn. 12 f.; Urteil vom 19. Dezember 2001 - [X.], [X.]Z 149, 311, 323; [X.], NJW 2002, 2456, jeweils mwN). Als Ausfluss dieses auch das gesamte Kostenrecht beherrschenden Grundsatzes ist die Verpflichtung jeder Prozesspartei anerkannt, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle ihres Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung kann dazu führen, dass das [X.] als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist und die unter Verstoß gegen Treu und Glauben zur Festsetzung angemeldeten Mehrkosten vom Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren abzusetzen sind ([X.], Beschlüsse vom 31. August 2010 - [X.], NJW 2011, 529 Rn. 10; vom 2. Mai 2007 - [X.] 156/06, aaO Rn. 12 ff.; KG, [X.] 2002, 172, 173; 2000, 414, 415; [X.], [X.] 2001, 427 Rn. 12; [X.], [X.] 2001, 105; [X.]/Giebel, aaO Rn. 41, 48, 110; Musielak/[X.], ZPO, 9. Aufl., § 91 Rn. 9; [X.]/Wache in [X.], aaO, § 91 Rn. 152 (Stand: April 2012); [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO, 70. Aufl., § 91 Rn. 140; von [X.]/[X.], [X.], 20. Aufl., Rn. [X.]; vgl. auch Senatsurteil vom 1. März 2011 - [X.], [X.], 184).

bb) So kann es als rechtsmissbräuchlich anzusehen sein, wenn der Antragsteller die Festsetzung von Mehrkosten beantragt, die dadurch entstanden sind, dass er einen oder mehrere gleichartige, aus einem einheitlichen Lebensvorgang erwachsene Ansprüche gegen eine oder mehrere Personen ohne sachlichen Grund in getrennten Prozessen verfolgt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 2. Mai 2007 - [X.] 156/06, NJW 2007, 2257 Rn. 13; [X.], [X.] 1982, 602; 2002, 486; 2011, 648, 649; KG, [X.] 2002, 172, 173; 2000, 414, 415; [X.], [X.] 2001, 105 f.; [X.], [X.] 2001, 427, 428). Gleiches gilt für [X.] in Bezug auf Mehrkosten, die darauf beruhen, dass mehrere von demselben Prozessbevollmächtigten vertretene Antragsteller in engem zeitlichem Zusammenhang mit weitgehend gleichlautenden Antragsbegründungen aus einem weitgehend identischen Lebenssachverhalt ohne sachlichen Grund in getrennten Prozessen gegen den- oder dieselben Antragsgegner vorgegangen sind (vgl. [X.], [X.] 1974, 1599; [X.], [X.] 2001, 427, 428; [X.], [X.] 2001, 105 f.; KG, [X.] 2000, 414, 415; 2002, 172, 173; [X.]/Giebel, aaO Rn. 110; Musielak/[X.], aaO; [X.]/Wache in [X.], aaO Rn. 119.8 (Stand: April 2012)).

cc) Auf der Grundlage der vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen kann nicht abschließend beurteilt werden, ob das [X.] des Antragstellers, soweit es auf die Erstattung der durch die getrennte Rechtsverfolgung entstandenen Mehrkosten gerichtet ist, als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist. Zwar stimmten die Gegenstände aller fünf Verfahren nach den Feststellungen des [X.] inhaltlich überein. Angegriffen war jeweils dieselbe Aussage in einem Halbsatz eines Artikels, deren weitere Verbreitung der Antragsgegnerin in jeweils gleichlautenden Unterlassungsverfügungen verboten wurde. Auch sind sachliche Gründe für eine getrennte Geltendmachung der jeweiligen Unterlassungsansprüche nicht ersichtlich. Insbesondere begründet die Aktenbearbeitung und Abwicklung eines Verfahrens, in dem fünf Antragsteller gleichgerichtete Ansprüche aus einem identischen Lebenssachverhalt gegen eine Antragsgegnerin verfolgen, keine erhöhten Anforderungen, die eine getrennte Rechtsverfolgung als sachgemäß erscheinen lassen könnten (vgl. [X.], Urteil vom 17. November 2005 - [X.], NJW-RR 2006, 474, 476). Das Beschwerdegericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - aber keine Feststellungen zum zeitlichen Zusammenhang der Verfahren und zu der Frage getroffen, ob der Antragsteller und seine Angehörigen von denselben Prozessbevollmächtigten vertreten wurden (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Juli 2010 - [X.], aaO; [X.], [X.] 2002, 172, 173; [X.], [X.] 2001, 105, 106).

3. Der angefochtene Beschluss war aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen treffen kann (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Sollte sich das [X.] als rechtsmissbräuchlich erweisen, müsste sich der Antragsteller kostenrechtlich so behandeln lassen, als hätten er und seine Angehörigen als Streitgenossen ein einziges Verfahren geführt (vgl. [X.], Beschluss vom 2. Mai 2007 - [X.] 156/06, juris Rn. 6 f. (insoweit nicht in NJW 2007, 565 abgedruckt); KG, [X.] 2000, 414, 416; 2002, 172, 174; [X.], [X.] 2001, 105; [X.]/Giebel, aaO, § 91 Rn. 110; [X.] in [X.], aaO, § 104 Rn. 25 (Stand: April 2012)). Er könnte die Kosten der Rechtsverfolgung dann nicht in voller Höhe erstattet verlangen, sondern nur anteilig unter Berücksichtigung der Kosten der Parallelverfahren, d.h. ihm stände ein Anspruch auf Ersatz von einem Fünftel der bei Führung eines Verfahrens entstandenen (fiktiven) Kosten zu (vgl. KG, [X.] 2002, 172, 174).

Galke                              Wellner                              Pauge

                   [X.]                              von [X.]

Meta

VI ZB 59/11

11.09.2012

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend KG Berlin, 7. September 2011, Az: 2 W 123/10, Beschluss

§ 91 Abs 2 S 1 ZPO, § 103 ZPO, § 242 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.09.2012, Az. VI ZB 59/11 (REWIS RS 2012, 3353)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3353

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