Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.10.2012, Az. VI ZB 68/11

6. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 2657

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Gegenstand

Kostenfestsetzung: Rechtsmissbrauch durch getrennte Geltendmachung von Unterlassungsverfügungen gegen Online- und Printausgabe


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 2. Zivilsenats des [X.] vom 30. November 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

[X.]: 389,75 €

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin nahm die Antragsgegnerin wegen einer Wort- und Bildberichterstattung über die Fernsehsendung "[X.]" in der Online-Ausgabe der [X.] im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung in Anspruch. Das [X.] gab dem Antrag statt und erlegte der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens auf. Den Gegenstandswert setzte das Gericht auf 20.000 € fest. In einem weiteren Verfahren erwirkte die Antragstellerin wegen der gleichen Berichterstattung in der Publikation einer mit der Antragsgegnerin konzernrechtlich verbundenen Verlagsgesellschaft gegen diese eine Unterlassungsverfügung.

2

In ihrem Kostenfestsetzungsantrag hat die Antragstellerin eine Vergütung in Höhe einer 1,3-fachen Verfahrensgebühr gemäß [X.] Nr. 3100 nebst Auslagenpauschale, Umsatzsteuer und Gerichtsvollzieherkosten in Höhe von insgesamt 872,80 € zur Festsetzung angemeldet. Die Rechtspflegerin beim [X.] hat dem Antrag entsprochen. Hiergegen hat die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde mit der Begründung eingelegt, die Verfolgung der Unterlassungsansprüche in getrennten Verfahren sei rechtsmissbräuchlich und die hierdurch verursachten Mehrkosten nicht notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Antragstellerin müsse sich so behandeln lassen, als habe sie beide Verlagsgesellschaften in einem Verfahren in Anspruch genommen. In diesem Fall wäre lediglich eine Verfahrensgebühr aus den addierten Gegenstandswerten der beiden Einzelverfahren (80.000 €) nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 1.880,20 € angefallen, die nach dem Verhältnis der Gegenstandswerte zueinander zu einem Viertel, d.h. in Höhe von 470,05 €, auf das vorliegende Verfahren entfalle. Hinzuzurechnen seien noch die Gerichtsvollzieherkosten in Höhe von 13 €, so dass zugunsten des Antragstellers im vorliegenden Verfahren nur ein Betrag in Höhe von 483,05 € festgesetzt werden könne. Die sofortige Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragsgegnerin ihr Begehren weiter.

II.

3

Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dass der von der Antragsgegnerin erhobene Einwand der rechtsmissbräuchlichen Rechtsverfolgung im Kostenfestsetzungsverfahren keine Berücksichtigung finden könne. Das Kostenfestsetzungsverfahren diene lediglich dazu, die vom Prozessgericht getroffene Kostengrundentscheidung der Höhe nach auszufüllen und sei deshalb auf eine formale Prüfung der Kostentatbestände und die Beurteilung einfacher Fragen des Kostenrechts zugeschnitten. Die Entscheidung zwischen den [X.]en [X.] Tatsachen und komplizierter Rechtsfragen sei in diesem Verfahren nicht vorgesehen. Nach diesen Grundsätzen könne der Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren nicht überprüfen, ob das Vorgehen einer [X.] gegen mehrere [X.]en oder das Vorgehen mehrerer [X.]en gegen eine [X.] in getrennten Verfahren rechtsmissbräuchlich sei. Bei dieser Frage gehe es nicht um die Ausfüllung einer konkreten Kostengrundentscheidung, sondern um die Kürzung der Erstattungsansprüche aufgrund umfangreicher materiell-rechtlicher Erwägungen, die die Entscheidungsmacht und die Entscheidungsmöglichkeiten des [X.] überschreite und in die Kompetenz des Prozessrichters gehöre.

III.

4

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

5

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Ihrer Statthaftigkeit steht nicht entgegen, dass dem angefochtenen Beschluss ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zugrunde liegt, in dem die Rechtsbeschwerde wegen des durch § 574 Abs. 1 Satz 2, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO begrenzten Instanzenzugs auch im Fall ihrer Zulassung ausgeschlossen ist ([X.], Beschluss vom 27. Februar 2003 - [X.], [X.]Z 154, 102, 103 f.). Diese Begrenzung gilt nicht für das Kostenfestsetzungsverfahren, das als selbständige [X.] mit einem eigenen Rechtsmittelzug ausgestattet ist ([X.], Beschlüsse vom 6. April 2005 - [X.], [X.], 2233; vom 19. April 2007 - [X.], [X.], 999 Rn. 8; vom 6. Dezember 2007 - [X.], [X.], 2040 Rn. 6).

6

2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des [X.] ist der von der Antragsgegnerin erhobene Einwand, die Antragstellerin habe durch das Erwirken von gleichlautenden und auf identische Veröffentlichungen gestützten Unterlassungsverfügungen in getrennten Verfahren ungerechtfertigt Mehrkosten verursacht, im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen.

7

a) Es erscheint allerdings fraglich, ob die Erstattungsfähigkeit der durch die getrennte Geltendmachung der Unterlassungsansprüche entstandenen erhöhten Rechtsanwaltsgebühren mit der Begründung verneint werden kann, dass diese Kosten nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewesen seien (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Juli 2010 - [X.], NJW-RR 2011, 230 Rn. 14 für den Fall einer Anfechtungsklage mehrerer Kläger gegen denselben Beschluss der Wohnungseigentümer; [X.], [X.] 2011, 536; [X.], [X.] 2003, 1381, 1382; [X.], [X.] 1972, 522, 523; [X.]/Wache in [X.], [X.] ZPO, § 91 Rn. 119 (Stand: April 2012)). Denn die [X.] richtet sich nicht nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, sondern nach § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO. Nach dieser Bestimmung sind die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden [X.] in allen Prozessen zu erstatten. Die Norm bildet insofern eine Ausnahme, als sie für ihren Anwendungsbereich von der grundsätzlich gebotenen Prüfung der Notwendigkeit entstandener Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung entbindet (vgl. [X.], Beschlüsse vom 2. November 2011 - [X.] 458/10, NJW 2012, 459 Rn. 35; vom 26. April 2005 - [X.], [X.], 2317; vom 27. März 2003 - [X.], juris Rn. 6; vom 4. Februar 2003 - [X.], NJW 2003, 1532, jeweils mwN; [X.], [X.], 1301, 1302; [X.]/Giebel, 3. Aufl., § 91 Rn. 47; [X.] in [X.], aaO, § 104 Rn. 22 (Stand: April 2012), jeweils mwN). Diese Frage kann indes offen bleiben.

8

b) Denn der Einwand der Antragsgegnerin ist im Kostenfestsetzungsverfahren jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs zu berücksichtigen.

9

aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des [X.] und des [X.] unterliegt jede Rechtsausübung - auch im Zivilverfahren - dem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten Missbrauchsverbot ([X.], Beschlüsse vom 10. Mai 2007 - [X.], [X.]Z 172, 218 Rn. 13 f.; vom 2. Mai 2007 - [X.] 156/06, NJW 2007, 2257 Rn. 12 f.; Urteil vom 19. Dezember 2001 - [X.], [X.]Z 149, 311, 323; [X.], NJW 2002, 2456, jeweils mwN). Als Ausfluss dieses auch das gesamte Kostenrecht beherrschenden Grundsatzes ist die Verpflichtung jeder Prozesspartei anerkannt, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle ihres Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung kann dazu führen, dass das [X.] als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist und die unter Verstoß gegen Treu und Glauben zur Festsetzung angemeldeten Mehrkosten vom Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren abzusetzen sind ([X.], Beschlüsse vom 31. August 2010 - [X.], NJW 2011, 529 Rn. 10; vom 2. Mai 2007 - [X.] 156/06, aaO Rn. 12 ff.; KG, [X.] 2002, 172, 173; 2000, 414, 415; [X.], [X.] 2001, 427, 428; [X.], [X.] 2001, 105; [X.]/Giebel, aaO Rn. 41, 48, 110; Musielak/[X.], ZPO, 9. Aufl., § 91 Rn. 9; [X.]/Wache in [X.], aaO, § 91 Rn. 152 (Stand: April 2012); [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO, 70. Aufl., § 91 Rn. 140; von [X.]/[X.], [X.], 20. Aufl., Rn. [X.]; vgl. auch Senatsurteil vom 1. März 2011 - [X.], [X.], 184).

bb) So kann es als rechtsmissbräuchlich anzusehen sein, wenn der Antragsteller die Festsetzung von Mehrkosten beantragt, die dadurch entstanden sind, dass er einen oder mehrere gleichartige, aus einem einheitlichen Lebensvorgang erwachsene Ansprüche gegen eine oder mehrere Personen ohne sachlichen Grund in getrennten Prozessen verfolgt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 2. Mai 2007 - [X.] 156/06, NJW 2007, 2257 Rn. 13; [X.], [X.] 1982, 602; 2002, 486; 2011, 648, 649; KG, [X.] 2002, 172, 173; 2000, 414, 415; [X.], [X.] 2001, 105 f.; [X.], [X.] 2001, 427, 428). Gleiches gilt für [X.] in Bezug auf Mehrkosten, die darauf beruhen, dass mehrere von demselben Prozessbevollmächtigten vertretene Antragsteller in engem zeitlichem Zusammenhang mit weitgehend gleichlautenden Antragsbegründungen aus einem weitgehend identischen Lebenssachverhalt ohne sachlichen Grund in getrennten Prozessen gegen den- oder dieselben Antragsgegner vorgegangen sind (vgl. [X.], [X.] 1974, 1599; [X.], [X.] 2001, 427, 428; [X.], [X.] 2001, 105 f.; KG, [X.] 2000, 414, 415; 2002, 172, 173; [X.]/Giebel, aaO Rn. 110; Musielak/[X.], aaO; [X.]/Wache in [X.], aaO Rn. 119.8 (Stand: April 2012)).

c) Nach dem von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen Vorbringen der Antragsgegnerin, das mangels entsprechender Feststellungen des [X.] im Rechtsbeschwerdeverfahren zu unterstellen ist, erweist sich das [X.] der Antragstellerin, soweit es auf die Erstattung der durch die getrennte Rechtsverfolgung entstandenen Mehrkosten gerichtet ist, als rechtsmissbräuchlich. Danach hatte die Antragstellerin die Antragsgegnerinnen wegen der identischen Berichterstattung in der Online-Ausgabe der [X.] einerseits und der Printausgabe der [X.] a. S. andererseits mit jeweils gleichlautenden Schreiben abgemahnt und anschließend mit jeweils gleichlautenden Verfügungsanträgen beim [X.] Berlin auf Unterlassung in Anspruch genommen. Sachliche Gründe für eine getrennte Geltendmachung der gleichartigen Unterlassungsansprüche sind weder ersichtlich noch dargetan. Insbesondere begründet die Aktenbearbeitung und Abwicklung eines Verfahrens, in dem ein Antragsteller gleichgerichtete Ansprüche aus einem einheitlichen Lebensvorgang gegen zwei Antragsgegnerinnen verfolgt, keine erhöhten Anforderungen, die eine getrennte Rechtsverfolgung als sachgemäß erscheinen lassen könnten (vgl. [X.], Urteil vom 17. November 2005 - [X.], NJW-RR 2006, 474 Rn. 21).

3. Der angefochtene Beschluss war aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen treffen kann (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Sollte sich das [X.] als rechtsmissbräuchlich erweisen, müsste sich die Antragstellerin [X.] so behandeln lassen, als habe sie ein einziges Verfahren gegen die beiden Antragsgegnerinnen als Streitgenossen geführt (vgl. [X.], Beschluss vom 2. Mai 2007 - [X.] 156/06, juris Rn. 6 (insoweit nicht in NJW 2007, 2257 abgedruckt); KG, [X.] 2000, 414, 416; 2002, 172, 174; [X.], [X.] 2001, 105; [X.]/Giebel, aaO, § 91 Rn. 110; [X.] in [X.], aaO, § 104 Rn. 25 (Stand: April 2012)). Sie könnte die Kosten der Rechtsverfolgung dann nicht in voller Höhe erstattet verlangen, sondern nur anteilig im Verhältnis der [X.] zum - gemäß § 22 Abs. 1 [X.] ermittelten - (fiktiven) Gesamtgegenstandswert eines einheitlichen Verfahrens (vgl. KG, [X.] 2002, 172, 174).

Galke                      Wellner                            Diederichsen

             Pauge                         von [X.]

Meta

VI ZB 68/11

02.10.2012

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend KG Berlin, 30. November 2011, Az: 2 W 204/10

§ 91 Abs 1 S 1 ZPO, § 91 Abs 2 S 1 Halbs 1 ZPO, § 941 Abs 1 S 1 ZPO, Nr 3100 RVG-VV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.10.2012, Az. VI ZB 68/11 (REWIS RS 2012, 2657)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2657

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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