Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.11.2017, Az. AK 61/17, AK 62/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2017, 1478

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Gegenstand

Untersuchungshaft: Dringender Tatverdacht der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung


Tenor

Die Untersuchungshaft hat [X.].

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den [X.] findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe

I.

1

Die Angeschuldigten wurden am 9. Mai 2017 festgenommen und befinden sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft, der Angeschuldigte [X.]  auf Grund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 4. Mai 2017 (2 [X.] 586/17), abgeändert und neugefasst durch dessen Haftbefehl vom 25. Oktober 2017 (2 [X.] 941/17), der Angeschuldigte  [X.]auf Grund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 5. Mai 2017 (2 [X.] 611/17).

2

Gegenstand des gegen den Angeschuldigten [X.]   vollzogenen Haftbefehls ist der Vorwurf, er habe

- von Anfang 2012 bis Mitte 2013 in [X.], [X.], [X.] und anderen Gebieten im Osten [X.] sich an einer terroristischen Vereinigung im Ausland ("[X.]") als Mitglied beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 [X.]) sowie gemeingefährliche Straftaten in den Fällen des § 308 Abs. 1 bis 4 StGB zu begehen, und

- durch eine weitere rechtlich selbständige Handlung seit Mitte 2013 bis zu seiner Festnahme am 9. Mai 2017 in [X.], [X.] und anderen Regionen im Osten [X.] sowie in [X.] sich an einer terroristischen Vereinigung im Ausland ("[X.]") als Mitglied beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 [X.]) sowie gemeingefährliche Straftaten in den Fällen des § 308 Abs. 1 bis 4 StGB zu begehen,

3

strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, § 129b Abs. 1 Satz 1, 2, § 53 StGB.

4

Gegenstand des gegen den Angeschuldigten   [X.] vollzogenen Haftbefehls ist der Vorwurf, er habe sich "im September 2012" in [X.] an einer terroristischen Vereinigung im Ausland ("[X.]") als Mitglied beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) sowie gemeingefährliche Straftaten in den Fällen des § 308 Abs. 1 bis 4 StGB und Straftaten nach § 22a Abs. 1 bis 3 [X.] zu begehen, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, 4, § 129b Abs. 1 Satz 1, 2 StGB.

5

Mit Anklageschrift vom 21. November 2017 hat der [X.] die öffentliche Klage gegen die Angeschuldigten zum [X.] erhoben.

II.

6

Die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft und ihre Fortdauer über sechs Monate hinaus liegen für beide Angeschuldigte vor.

7

1. Die Angeschuldigten sind der ihnen in den Haftbefehlen vom 25. Oktober 2017 ([X.]  ) bzw. vom 5. Mai 2017 (  S.  ) zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.

8

a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

9

aa) Die außereuropäischen terroristischen Vereinigungen

(1) Die "[X.]" ("[X.] al-nusra li-ahli ash-sham" [Hilfsfront für das Volk [X.]]) wurde Ende 2011 von Abu [X.] [X.] und anderen [X.] Mitgliedern der seinerzeitigen Organisation "[X.] im [X.]" ([X.]) im Auftrag deren Anführers [X.] in [X.] gegründet und sollte als Ableger der [X.] Organisation im Nachbarland operieren. Die Gründung wurde im Januar 2012 in einem im [X.] veröffentlichten Video bekannt gegeben. Zwischen den zwei Gruppierungen kam es im April 2013 zum Bruch, als [X.] die [X.] [X.] und [X.] im neu ausgerufenen "[X.] im [X.] und Großsyrien" ([X.]G) verkündete. [X.] wies dies als Anführer der [X.] zurück, betonte die Eigenständigkeit seiner Gruppierung und legte den Treueeid auf [X.] der [X.], [X.], ab; sie fungierte danach als Regionalorganisation von [X.] in [X.]. In der Folge kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der [X.] und dem [X.]G.

Gemäß einer Videoverlautbarung von [X.] vom 28. Juli 2016 benannte sich die [X.] um in "[X.]" (Front zur Eroberung [X.]) und löste sich einvernehmlich von der [X.]. Im Januar 2017 schloss sich die [X.] wiederum mit anderen jihadistischen Gruppierungen zu dem Bündnis "[X.]" ([X.] [X.]) zusammen. Sie soll in diesem [X.]-nahen Bündnis, dessen militärische Führung [X.] übernahm, vollständig aufgegangen sein.

Ziel der [X.] war der Sturz des [X.] in [X.], das sie durch einen [X.] Staat auf der Grundlage ihrer eigenen Interpretation der Sharia ersetzen wollte. Darüber hinaus erstrebte sie die "Befreiung" des historischen Großsyrien, das heißt [X.] einschließlich von Teilen der südlichen [X.], des [X.], [X.], [X.] und der palästinensischen Gebiete. Diese Ziele verfolgte die Vereinigung mittels militärischer Operationen, aber auch durch Sprengstoffanschläge, Selbstmordattentate, Entführungen, gezielte Tötungen von Angehörigen des [X.] Militär- und Sicherheitsapparats und nicht am Konflikt beteiligten Zivilisten. Insgesamt werden der Gruppierung mehr als 2.000 Anschläge zugerechnet, bei denen mindestens 10.000 Menschen getötet wurden.

Die [X.] war militärisch-hierarchisch organisiert. Dem Anführer [X.] war ein aus fünf bis sechs Personen gebildeter [X.] zugeordnet. Unterhalb dieser Führungsebene standen die Kommandeure der insgesamt aus mehreren Tausend Personen bestehenden kämpfenden Einheiten, die ihrerseits in die vor Ort agierenden Kampfgruppen untergliedert waren. Ihre militärische Ausbildung erhielten die Kämpfer in einem verzweigten Netz von Trainingslagern. Daneben gab es Hinweise auf sogenannte "[X.]" in den von der Organisation kontrollierten Gebieten, die religiöse Angelegenheiten regelten und den Aufbau eines eigenen Justiz- und Verwaltungssystems vorantrieben. Für ihre Öffentlichkeitsarbeit bediente sie sich einer eigenen Medienstelle, über die sie im [X.] Verlautbarungen, Operationsberichte und [X.] verbreitete. Darüber hinaus unterhielt sie ein Netzwerk von "Korrespondenten" in [X.], die ihre Berichte über Twitter-Kanäle veröffentlichten.

(2) Der "[X.]" ([X.]) ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen [X.] und die historische Region "ash-Sham" - die heutigen [X.] [X.], [X.] und [X.] sowie [X.] - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden "Gottesstaat" unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im [X.] und das Regime des [X.] Präsidenten [X.] zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als "Feind des Islam" begreift; die Tötung solcher "Feinde" oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitimes Mittel des Kampfes an.

Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des "Kalifats" im Juni 2014 aus "[X.] im [X.] und in Großsyrien" ([X.]G) in "[X.]" ([X.]) umbenannte - wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm -, hat seit 2010 [X.] inne. Hinweise, dass er zwischenzeitlich getötet wurde, konnten bisher nicht verifiziert werden. Bei der Ausrufung des Kalifats war [X.] von seinem Sprecher zum "Kalifen" erklärt worden, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Dem "Kalifen" unterstehen ein Stellvertreter sowie "Minister" als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein "[X.]" und ein "Propagandaminister". Zur Führungsebene gehören außerdem beratende "[X.]". Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung "[X.]" produziert und über die Medienstelle "al-I'tisam" verbreitet, die dazu einen eigenen Twitter-Kanal und ein [X.]forum nutzt. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem "Prophetensiegel", einem weißen Oval mit der Inschrift "[X.] - [X.] - [X.]", auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem [X.] Glaubensbekenntnis. Die mehreren Tausend Kämpfer sind dem "[X.]" unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die von ihr besetzten Gebiete hat die Vereinigung in Gouvernements eingeteilt und einen [X.] eingerichtet; diese Maßnahmen zielen auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der [X.] Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum [X.] stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsanspruch des [X.] in Frage stellen, sehen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom [X.] zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht der [X.] immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So hat er auch für Anschläge in [X.], etwa in [X.] und [X.], die Verantwortung übernommen.

bb) Die Tathandlungen des Angeschuldigten [X.]

(1) Der Angeschuldigte [X.]  schloss sich in der ersten Jahreshälfte 2012 in [X.] der [X.] an. Er stieg dort in kurzer Zeit zu einem ranghohen Befehlshaber der Organisation im östlichen [X.] auf. In dieser Funktion war er insbesondere im Frühjahr 2013 an der Eroberung des Gasfelds bei [X.] in der Nähe von [X.] beteiligt, das er im weiteren Verlauf des Jahres 2013 für die [X.] verwaltete. Des Weiteren nahm er als ein militärischer Anführer der zu dieser Vereinigung gehörenden Kampfeinheit "[X.]" im Februar 2013 an der Eroberung der Stadt [X.] sowie den Kämpfen um den dortigen Flughafen teil.

(2) Nachdem der [X.] die Kontrolle über seine Heimatstadt, [X.], übernommen hatte, schloss sich der Angeschuldigte [X.]  Mitte 2014 dieser Vereinigung an. Zunächst war er für sie an kleineren Kampfhandlungen, wie insbesondere der Einnahme des Ortes [X.] in der Nähe von [X.] im Juli 2014, beteiligt. [X.]sbald wies der [X.] ihm zwischen Mitte 2014 und Mitte 2015 die Aufgabe zu, den 2013 eroberten - strategisch wichtigen - Euphrat-Staudamm nahe [X.] für die Organisation zu verwalten.

(3) Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Anklagesatz der Anklageschrift vom 21. November 2017 Bezug genommen.

cc) Die Tathandlungen des Angeschuldigten   S.

Der Angeschuldigte   [X.] schloss sich zu einem nicht bekannten Zeitpunkt vor dem 17. September 2012 der [X.] an. In der Folge nahm er bis November 2013 für die zu dieser Vereinigung gehörende Kampfeinheit "[X.]" an bewaffneten Kampfhandlungen gegen die Truppen des [X.] Regimes des Präsidenten [X.] im Raum [X.] teil. So wirkte er unter anderem am 17. September 2012 an einem Angriff auf eine Kolonne des [X.] Militärs mit, in dessen Verlauf mindestens sieben Soldaten getötet wurden; im November 2013 beteiligte er sich an der Eroberung eines großen Waffenlagers der [X.] Armee nahe der Stadt Mahin.

b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus Folgendem:

aa) Bezüglich der außereuropäischen terroristischen Vereinigungen [X.] und [X.] gründet er sich auf die islamwissenschaftlichen Gutachten und sonstigen Dokumente, die der [X.] zu diesen Organisationen in den sieben Stehordnern "Strukturerkenntnisse" zusammengetragen hat. Erkenntnisse zu den die [X.] betreffenden jüngeren Entwicklungen sind namentlich in dem Behördenzeugnis des [X.] vom 13. Oktober 2016, der Behördenerklärung des [X.] vom 6. Februar 2017 sowie dem Auswertebericht "Zwischenstand März 2017" des [X.] und dessen Vermerk vom 27. Juni 2017 enthalten (s. Band 3.1 [X.] 144 ff., 155 ff., 172 ff., 199 ff.). Dass es sich bei der Gruppe "[X.]" mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine unselbständige Kampfeinheit der [X.] handelte, beruht vor allem auf den Angaben [X.].     und [X.].   sowie Zeugenaussagen, insbesondere derjenigen einer vom [X.] vernommenen (gesperrten) Person, der gemäß § 68 Abs. 2, 3 [X.] gestattet wurde, Personalien und Anschrift nicht zu benennen. Die Angaben werden gestützt durch mehrere auf der [X.]plattform "[X.]" gesicherte Videoaufnahmen (s. auch Senatsbeschlüsse vom 13. Juli 2017 - AK 31/17, juris Rn. 11, 17; vom 13. September 2017 - AK 38-40/17, juris Rn. 17, 22).

bb) Die Angeschuldigten haben die ihnen vorgeworfenen Beteiligungshandlungen bislang im Wesentlichen bestritten. Nach Aktenlage kann der jeweilige Nachweis voraussichtlich wie folgt geführt werden:

Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der dem Angeschuldigten [X.]  angelasteten Handlungen beruht auf den Angaben [X.].     . Diese werden bestätigt durch die Ergebnisse der [X.]auswertung (drei den Angeschuldigten betreffende Videoaufnahmen mit Bezug zur [X.] und eine mit Bezug zum [X.]; relevante Facebook-Veröffentlichungen), das Gutachten des [X.] zur visuellen Personenidentifizierung vom 23. Januar 2017, das Behördenzeugnis des [X.] Verfassungsschutzes zu Angaben eines namentlich nicht bekannten Hinweisgebers vom 20. Dezember 2016 sowie die Aussagen der Zeugen [X.], [X.]und [X.]t.  .

Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der dem Angeschuldigten  [X.]  zur Last gelegten Tathandlungen folgt aus den Angaben des anderweitig verfolgten [X.].  , die ebenfalls in diversen weiteren Ergebnissen der Ermittlungen ihre Bestätigung finden, namentlich denjenigen zu einem dem Angeschuldigten zuordenbaren Facebook-Account (Lichtbilder), der [X.]plattform "[X.]" sowie seinem Mobiltelefon.

Im Hinblick auf beide Angeschuldigte wird der dringende Tatverdacht jeweils nicht zuletzt durch die [X.] verfestigt, die sie am 23. September 2015 miteinander führten.

cc) Wegen der Einzelheiten der Beweisführung und (vorläufigen) -würdigung wird auf das in der Anklageschrift vom 21. November 2017 dargelegte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen verwiesen. In Bezug auf den Angeschuldigten [X.]  hat sich die Beweislage gegenüber den Angaben in dem Haftbefehl vom 25. Oktober 2017 lediglich insoweit wesentlich verändert, als nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen davon auszugehen ist, dass er erst Mitte des Jahres 2014 zum [X.] wechselte.

c) In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

aa) Der Angeschuldigte [X.]  ist der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in zwei Fällen nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1, § 53 StGB dringend verdächtig, indem er sich zunächst der [X.] und sodann dem [X.] anschloss und sich für beide Organisationen betätigte. Der Angeschuldigte   [X.]ist der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB dringend verdächtig, indem er der [X.] beitrat und Betätigungsakte für diese ausführte. Darauf, inwieweit neben § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB auf weitere Zielsetzungen des § 129a Abs. 2 Nr. 1 bis 5 StGB zurückzugreifen ist, kommt es vorliegend nicht an.

bb) Für die Angeschuldigten gilt nach § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 4 StGB [X.] Strafrecht (zum Strafanwendungsrecht im Einzelnen s. [X.], Beschluss vom 6. Oktober 2016 - AK 52/16, juris Rn. 33 ff.).

cc) Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2, 3 StGB erforderlichen Ermächtigungen zur strafrechtlichen Verfolgung liegen hinsichtlich der [X.] und des [X.] vor.

2. Bei den Angeschuldigten besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 [X.].

Die Angeschuldigten haben im Fall ihrer Verurteilung jeweils empfindliche, einen hohen Fluchtanreiz begründende Strafen zu erwarten. Beide terroristischen Vereinigungen sind als außerordentlich gefährlich einzustufen; in besonderer Weise gilt dies, den Angeschuldigten [X.]  betreffend, für den [X.], der sich durch ein ausnehmend grausames Vorgehen gegen seine Gegner auszeichnet. Darüber hinaus haben die den Angeschuldigten zur Last gelegten mitgliedschaftlichen Betätigungshandlungen, namentlich die Kampfeinsätze in [X.], ganz erhebliches Gewicht. Der Angeschuldigte [X.]  hatte noch dazu mutmaßlich eine herausgehobene Stellung als militärischer Anführer und bedeutender Verwalter inne.

Dem von der Straferwartung ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine fluchthindernden Umstände gegenüber. Insbesondere verfügen die Angeschuldigten im Inland nicht über familiäre oder [X.] Bindungen; beide reisten erst 2015 nach [X.] ein.

Überdies ist der Haftgrund der [X.] gemäß § 112 Abs. 3 [X.], auch bei der gebotenen restriktiven Handhabung der Vorschrift (vgl. [X.]/[X.], [X.], 60. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN), gegeben.

3. Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 [X.] mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 [X.]) ist unter den gegebenen Umständen nicht erfolgversprechend.

4. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 [X.]) sind gegeben; der außergewöhnliche Umfang der Ermittlungen und deren besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft:

Die [X.] umfassen mittlerweile 41 Stehordner. Die Ermittlungen gestalteten sich zeitaufwändig. Insbesondere waren in erheblichem Umfang sichergestellte fremdsprachige Textdateien auszuwerten. So fielen allein in Bezug auf die Auswertung des Mobiltelefons des Angeschuldigten [X.]  13 Stehordner Chat-Verkehr an, der zu übersetzen und auszuwerten war. Darüber hinaus wurden zahlreiche Zeugen vernommen und vom Angeschuldigten [X.]  zu seiner Entlastung vorgebrachte Beweise erhoben. Die vollständigen Übersetzungen der zu sichtenden Chat-Nachrichten wurden dem [X.] am 18. Oktober 2017 vorgelegt; erst danach konnte er die Auswertung in dem für die Anklageerhebung gebotenen Umfang beenden.

Wenngleich die kriminalpolizeilichen Ermittlungen hinsichtlich des Angeschuldigten   [X.] bereits Anfang September 2017 abgeschlossen waren, war der [X.] durch das Beschleunigungsgebot nicht gehalten, vorab Anklage nur gegen diesen Angeschuldigten zu erheben. Denn beide Angeschuldigte waren nach den bisherigen Ergebnissen der Ermittlungen Angehörige der Kampfeinheit "[X.]" und nahmen als solche an den Kampfhandlungen im Raum [X.] teil. Der [X.] war daher nicht gehindert, mit der Anklageerhebung bis zum damals bereits absehbaren Abschluss der Ermittlungen bezüglich des Angeschuldigten [X.]  abzuwarten, um etwaige noch zu gewinnende Erkenntnisse auch für den Angeschuldigten  [X.] verwerten zu können und eine einheitliche Aufklärung der die Angeschuldigten gemeinsam betreffenden Geschehnisse in der Hauptverhandlung zu gewährleisten.

In Anbetracht dessen und der unter dem 21. November 2017 erhobenen Anklage ist das Ermittlungsverfahren bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.

5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nach alledem nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafen (§ 120 Abs. 1 Satz 1 [X.]).

Becker                        Spaniol                       [X.]

Meta

AK 61/17, AK 62/17

30.11.2017

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: AK

§ 129a Abs 1 Nr 1 StGB, § 129b Abs 1 S 1 StGB, § 112 Abs 2 Nr 2 StPO, § 112 Abs 3 StPO, § 121 Abs 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.11.2017, Az. AK 61/17, AK 62/17 (REWIS RS 2017, 1478)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 1478

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