Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21.05.2013, Az. 2 B 67/12

2. Senat | REWIS RS 2013, 5653

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Gegenstand

Zusteller; Dienstpflichtverletzung; vorzeitige Beendigung von Zustelltouren


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 6. Juli 2012 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

[X.]ie auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Verfahrensfehler (§ 69 [X.]. § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) gestützte Beschwerde des [X.] ist unbegründet.

2

[X.]er Kläger steht als [X.] im [X.]ienst der [X.]. [X.]ie Beklagte kürzte die [X.]ienstbezüge des [X.] durch [X.]isziplinarverfügung um ein Fünfundzwanzigstel für die [X.]auer von 25 Monaten, weil der Kläger seine tägliche [X.] mehrfach vorzeitig, d.h. vor Erreichen der täglichen Höchstarbeitszeit, beendet habe, ohne alle Sendungen ausgeliefert zu haben ([X.]e 1 und 3) und einen Arbeitstag unentschuldigt gefehlt habe ([X.] 2).

3

Auf die Anfechtungsklage hat das Oberverwaltungsgericht im Berufungsurteil anstelle der Gehaltskürzung eine Geldbuße von 500 € verhängt. [X.]ies beruht im Wesentlichen darauf, dass das Oberverwaltungsgericht die Berücksichtigung des dritten [X.]es aus verfahrensrechtlichen Gründen für unzulässig gehalten hat.

4

1. [X.]ie Grundsatzrüge kann keinen Erfolg haben. Es bedarf keines Revisionsverfahrens, um zu klären, dass Änderungen der Arbeitszeit nur für den künftigen [X.]ienst, nicht aber rückwirkend für bereits verstrichene Arbeitstage Geltung beanspruchen.

5

Mit der aufgeworfenen Frage macht der Kläger geltend, bei Anwendung einer später getroffenen Betriebsvereinbarung hätte er seine [X.] nicht vorzeitig beendet ([X.] 1). [X.]aher könne ihm nach der Meistbegünstigungsregel des § 2 Abs. 3 StGB keine [X.]ienstpflichtverletzung vorgeworfen werden. Es liegt auf der Hand, dass dies nicht zutrifft. Ob ein Beamter seine [X.]ienstleistungspflicht in zeitlicher Hinsicht erfüllt, ist nach den Arbeitszeitregelungen zu beurteilen, die an dem jeweiligen Arbeitstag gelten. [X.]eren Missachtung kann nicht nachträglich durch eine Änderung des Arbeitszeitrechts ungeschehen gemacht werden.

6

[X.]ie Arbeitszeit von Zustellern wird grundsätzlich in [X.]ienstplänen festgelegt. Sie dürfen ihre Arbeit jedoch vor dem vorgesehenen [X.]ienstzeitende beenden, wenn sämtliche Sendungen ihres Zustellungsbezirkes zugestellt sind. Umgekehrt muss ein Zusteller seinen [X.]ienst über das vorgesehene [X.]ienstzeitende hinaus versehen, wenn noch Sendungen zuzustellen sind. Nach der zum Tatzeitpunkt gültigen Betriebsvereinbarung hatte der Kläger in diesen Fällen eine Tages-Höchstarbeitszeit von zehn Stunden zu leisten. [X.]iese Verpflichtung ist durch die seit 19. [X.]ezember 2008 geltende Betriebsvereinbarung auf neun Stunden reduziert worden. Ginge man für die disziplinarrechtliche Bewertung des Verhaltens des [X.] von der nachträglich eingeführten Arbeitszeitregelung aus, läge ein [X.]ienstvergehen nicht vor. [X.]ie danach erforderlichen neun Stunden Tagesarbeitszeit hat der Kläger geleistet.

7

Nach § 2 Abs. 1 StGB bestimmt sich die Strafe nach dem Gesetz, das zur [X.] gilt. Ändert sich das Gesetz nachfolgend noch vor der gerichtlichen Entscheidung, ist gemäß § 2 Abs. 3 StGB aber das mildeste Gesetz anzuwenden. [X.]ie Norm trifft damit eine Regelung zur Geltung von Strafgesetzen bei nachträglichen Änderungen der Strafbarkeit oder des Strafrahmens und ordnet zu Gunsten des [X.] ein Meistbegünstigungsprinzip an. § 2 Abs. 3 StGB lässt damit die geänderten Vorstellungen des Gesetzgebers über Recht und Unrecht sowie die Strafwürdigkeit dem Täter auch für frühere Taten zu [X.] kommen (vgl. [X.], in: [X.] Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2007, § 2 Rn. 56). [X.]ieser Rechtsgedanke gilt auch für die Bestimmung von [X.]isziplinarmaßnahmen (Urteil vom 19. August 2010 - BVerwG 2 C 5.10 - [X.] L[X.]isziplinarG Nr. 12 Rn. 11 m.w.N.).

8

[X.]ies ändert aber nichts daran, dass Beamte verpflichtet sind, ihren [X.]ienst nach den aktuell geltenden [X.]ienstvorschriften zu verrichten. [X.]eren nachträgliche Änderung kann sich allenfalls je nach den konkreten Umständen auf die Maßnahmebemessung auswirken. Ein Beamter war damals und ist verpflichtet, dienstliche Anordnungen seines Vorgesetzten auszuführen und dessen allgemeine Richtlinien zu befolgen. Hierzu gehört auch die Einhaltung der geltenden Arbeitszeit (§ 55 Satz 2 [X.] a.F., § 62 Abs. 1 Satz 2 [X.] n.F.). Er war (§ 73 Abs. 1 Satz 1 [X.] a.F.) und ist (§ 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]) unverändert nicht berechtigt, dem [X.]ienst ohne Genehmigung fernzubleiben oder ihn vorzeitig zu beenden. Ein für die Anwendung des [X.] aus § 2 Abs. 3 StGB erforderlicher Wandel der gesetzgeberischen Vorstellungen über Recht und Unrecht oder die [X.] von Verstößen gegen die Gehorsamspflicht liegt nicht vor (vgl. Urteile vom 19. August 2010 - BVerwG 2 C 5.10 - [X.] L[X.]isziplinarG Nr. 12 Rn. 11, vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 - BVerwGE 136, 173 = [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 11 Rn. 17 und vom 25. August 2009 - BVerwG 1 [X.] 1.08 - [X.] 232.0 § 77 [X.] 2009 Nr. 1 Rn. 33).

9

[X.]ie vom Kläger in Bezug genommene Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitregelung dagegen betrifft die Frage, welche Anordnungen zur zeitlichen [X.]ienstleistungspflicht für den Kläger gelten. Sie konkretisieren damit den Inhalt seiner [X.]ienstleistungspflicht. [X.]iese Vorgaben haben sich geändert. Während der [X.] noch verpflichtet war, eine Höchst-Tagesarbeitszeit von zehn Stunden zu erbringen, ist dieser Umfang durch die später geänderte Betriebsvereinbarung reduziert worden. [X.]ie Tatsache, dass der Kläger nach der seit 19. [X.]ezember 2008 geltenden Betriebsvereinbarung nur noch eine Höchst- Tagesarbeitszeit von neun Stunden zu erbringen hat und unter Geltung dieser Anordnung ein Zustellabbruch nach neun Stunden zulässig ist, ändert aber nichts daran, dass der Kläger am 21. April 2004 eine Höchst-Tagesarbeitszeit von zehn Stunden zu erbringen hatte und ein vorzeitiges [X.]ienstende damit nicht den gültigen Anordnungen entsprach.

2. [X.]er Kläger hat keine Verfahrensmängel (vgl. § 69 [X.]. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) dargelegt.

a) [X.]er behauptete Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius liegt nicht vor. [X.]as Oberverwaltungsgericht hat die von der [X.] verhängte [X.]isziplinarmaßnahme nicht verschärft, sondern von einer Gehaltskürzung auf eine Geldbuße abgemildert.

Soweit die Beschwerde darauf verweist, das Verwaltungsgericht habe den Schwerpunkt der Verfehlungen in den Zustellabbrüchen (Vorwurf 3) gesehen, deren Einbeziehung das Oberverwaltungsgericht als unzulässig angesehen habe, ist damit kein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot aufgezeigt. Aus dem nach § 3 [X.] anwendbaren § 129 VwGO folgt zwar, dass die Änderungsbefugnis des Berufungsgerichts an die Anträge gebunden ist, so dass der Tenor insoweit nicht mehr zu Lasten des Berufungsführers abgeändert werden kann. Eine Bindungswirkung für einzelne Begründungselemente folgt aus der Anordnung indes nicht (vgl. hierzu etwa [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 3. Aufl. 2010, § 129 Rn. 5 m.w.N.). Eine abweichende Einschätzung zum Gewicht der einzelnen [X.]ienstvergehen ist dem Berufungsgericht durch § 129 VwGO daher nicht verwehrt.

Im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht gemäß § 60 Abs. 3 [X.] auch die Zweckmäßigkeit der angefochtenen [X.]isziplinarentscheidung überprüft. Anders als sonst bei einer Anfechtungsklage ist das Gericht nicht darauf beschränkt, rechtswidrige Verfügungen aufzuheben. Es trifft in Anwendung der in § 13 Abs. 1  Satz 2 bis 4 [X.] niedergelegten Grundsätze vielmehr eine eigene Bemessungsentscheidung (Urteil vom 15. [X.]ezember 2005 - BVerwG 2 A 4.04 - [X.] 235.1 § 24 [X.] Nr. 1 Rn. 23). Unter Beachtung des Verschlechterungsverbots kann das Gericht die angefochtene [X.]isziplinarverfügung daher auch abändern, wenn es die vom [X.]ienstherrn festgelegte Maßnahme für unangemessen hält. [X.]ies gilt auch im Berufungsverfahren (vgl. § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.]).

b) Soweit mit der Beschwerde vorgetragen wird, das Oberverwaltungsgericht habe die Angaben zum Grund des vorzeitigen Abbruchs des [X.]ienstes am 21. April 2004 nicht zutreffend gewürdigt, ist ein Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht aufgezeigt.

[X.]as Oberverwaltungsgericht hat die Angabe des [X.], er sei aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen, die [X.] zu beenden, zur Kenntnis genommen und sich mit ihr ausführlich auseinander gesetzt (S. 26 ff. des Urteils). Eine Verletzung des Gebotes der Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO ist damit weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Aus Art 103 Abs. 1 GG folgt nicht, dass der klägerische Vortrag einem Gerichtsurteil als zutreffend zugrunde gelegt werden muss.

Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zeigt die Beschwerde indes nicht auf. Sie begnügt sich vielmehr damit, ihre Einschätzung an die Stelle derjenigen des [X.] zu setzen. [X.]amit ist den Anforderungen an die [X.]arlegung eines Verfahrensfehlers nicht genügt.

c) Entsprechendes gilt für die vom Kläger beanstandete Würdigung seines Vortrags, er sei irrtümlich davon ausgegangen, am 24. Mai 2004 nicht zum [X.]ienst eingeteilt gewesen zu sein. Mit dem Vorbringen, eine andere Würdigung der Angaben des [X.] und der Zeugen sei durchaus denkbar, ist kein Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO dargelegt.

[X.]ie Sachverhalts- und Beweiswürdigung einer Tatsacheninstanz ist der Beurteilung des [X.] nur insoweit unterstellt, als es um Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geht. [X.] ist damit nicht das Ergebnis der Beweiswürdigung, sondern nur ein Verfahrensvorgang auf dem Weg dorthin. [X.]erartige Mängel liegen insbesondere vor, wenn das angegriffene Urteil von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, also etwa entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder auf einer aktenwidrigen Tatsachengrundlage basiert (Beschluss vom 18. November 2008 - BVerwG 2 [X.] - [X.] 235.1 § 17 [X.] Nr. 1 Rn. 27 f.).

Einen derartigen Verfahrensmangel zeigt die Beschwerde nicht auf. Mit dem Vortrag, aus dem Sachverhalt hätten auch andere Schlussfolgerungen gezogen werden können, wird vielmehr nur die Würdigung selbst in Frage gestellt. [X.] könnte dies nur dann sein, wenn die Schlussfolgerung bereits aus Gründen der Logik nicht gezogen werden könnte (Beschluss vom 26. Oktober 2011 - BVerwG 2 B 4.11 - juris Rn. 12). [X.]erartiges behauptet auch die Beschwerde nicht.

3. [X.]ie Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 [X.]. § 154 Abs. 2 VwGO. Ein Streitwert für das Beschwerdeverfahren muss nicht festgesetzt werden, weil sich die Höhe der Gerichtskosten streitwertunabhängig aus dem Gesetz ergibt (vgl. § 78 Satz 1 [X.]. Nr. 15 und 62 des Gebührenverzeichnisses der Anlage zu diesem Gesetz).

Meta

2 B 67/12

21.05.2013

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, 6. Juli 2012, Az: 11 Bf 251/10.F, Urteil

§ 62 Abs 1 BBG 2009, § 96 Abs 1 S 1 BBG 2009

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21.05.2013, Az. 2 B 67/12 (REWIS RS 2013, 5653)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5653

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