Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 07.07.2016, Az. 2 B 1/16

2. Senat | REWIS RS 2016, 8604

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Gegenstand

Rügeobliegenheit bei Mängeln des behördlichen Disziplinarverfahrens; Ausschluss der Grundsatzrüge


Leitsatz

Eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO scheidet aus, wenn der Beamte im gerichtlichen Disziplinarverfahren den nunmehr in Gestalt der Grundsatzrüge beanstandeten Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens nicht entsprechend der ordnungsgemäßen Belehrung des Gerichts geltend gemacht hat (hier: gemäß § 60 Abs. 1 HDG , entspricht § 55 Abs. 1 BDG).

Gründe

1

Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 73 [X.] und § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des [X.]n ist unbegründet.

2

1. Der 1961 geborene [X.] steht als Polizeioberkommissar im Dienst des [X.]. Der [X.] ist disziplinarisch vorbelastet. Im November 2008 wurden seine Dienstbezüge für die Dauer von 18 Monaten um 15 v.H. gekürzt. Zum einen hatte der [X.] bei einer Bußgeldstelle telefonisch und sodann schriftlich unter Verwendung des Briefkopfs des [X.] erreicht, dass ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen einen Bekannten eingestellt wurde. Dabei hatte er gegenüber dem Mitarbeiter der Bußgeldstelle wahrheitswidrig behauptet, die betreffende Ordnungswidrigkeit bereits geahndet zu haben. Zudem hatte er zuvor vergeblich versucht, eine Kollegin zur Rücknahme der betreffenden Anzeige zu bewegen. Zum anderen war der [X.] Ende Februar 2007 nach einer Brauereibesichtigung unter Alkoholeinfluss in eine Schlägerei verwickelt, die einen Polizeieinsatz erforderlich gemacht hatte.

3

Gegenstand des streitgegenständlichen Disziplinarverfahrens ist der Vorwurf, eine Verwaltungsangestellte der Polizei über einen längeren Zeitraum hinweg mit sexistischen Äußerungen verbal und körperlich belästigt sowie gegenüber einer Auszubildenden und einer sechzehnjährigen Schülerpraktikantin ebenfalls Bemerkungen sexistischen Inhalts gemacht zu haben. Das Verwaltungsgericht hat den [X.]n in das [X.] zurückgestuft. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des [X.]n mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die [X.] auf zwei Jahre verkürzt wird. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:

4

Der [X.] habe durch sein innerdienstlich begangenes Dienstvergehen seine Dienstpflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten vorsätzlich und schuldhaft verletzt. Bei Abwägung der mildernden und erschwerenden Gesichtspunkte unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des [X.]n sei die Zurückstufung in das [X.] die tat- und schuldangemessene Disziplinarmaßnahme. Das Dienstvergehen könne mit einer erneuten Kürzung der Bezüge nicht mehr angemessen geahndet werden. Im Hinblick auf die Dauer des Disziplinarverfahrens, das bereits vor sechseinhalb Jahren eingeleitet worden sei, sei die [X.] nach § 12 Abs. 3 Satz 2 [X.] auf zwei Jahre zu verkürzen.

5

2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 73 [X.] und § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde des [X.]n beimisst.

6

Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des [X.] erheblich sein wird (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Das ist hier nicht der Fall.

7

Die in der Beschwerde aufgeworfene Frage,

"ob es notwendig ist, dass ein [X.] im Rahmen eines förmlichen Disziplinarverfahrens bei der Annahme eines 'wichtigen Grundes' i.S.v. § 27 Abs. 4 [X.] vor einer Entscheidung allen am Verfahren beteiligten Personen, somit auch Zeugen, rechtliches Gehör gewähren muss."

vermag die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht zu rechtfertigen, weil der [X.] das für die Geltendmachung von Mängeln des behördlichen Disziplinarverfahrens im [X.] vorgeschriebene Verfahren, das bei einem Fehler des Berufungsgerichts zu einem Verfahrensmangel i.S.v. § 73 [X.] und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen kann, nicht beachtet hat.

8

Das Vorbringen, der mit der Durchführung der Ermittlungen beauftragte Bedienstete (§ 24 Abs. 3 [X.]) müsse vor einer Entscheidung über den Ausschluss des betroffenen Beamten von der Teilnahme an der Vernehmung von Zeuginnen und Zeugen dem Beamten und auch den Zeuginnen und Zeugen nach § 27 Abs. 4 [X.] rechtliches Gehör gewähren, und die Rüge, der [X.] habe hier vor seiner Entscheidung über den Ausschluss des [X.]n vor der Vernehmung der Zeuginnen sowohl den [X.]n als auch die Zeuginnen nicht angehört, betreffen den Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens.

9

Fehler des behördlichen Disziplinarverfahrens sind für das gerichtliche Verfahren nur insoweit von Belang, als das Gericht die Vorschrift des § 60 [X.] zu beachten hat. Das [X.] sieht zur Klärung von Fragen, die etwaige Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens betreffen, eine Rügeobliegenheit des betroffenen Beamten und ein gesondertes Verfahren vor, das - wird der Mangel nicht behoben - zu Gunsten des Beamten in Gestalt eines rechtskräftigen Beschlusses über die Einstellung des Disziplinarverfahrens nach § 60 Abs. 3 Satz 3 [X.] sogar die Durchführung eines weiteren Disziplinarverfahrens wegen des zugrunde liegenden Dienstvergehens ausschließt. Dieses Verfahren hat der [X.] wegen des nunmehr der Sache nach gerügten Mangels des behördlichen Disziplinarverfahrens aber nicht eingehalten. [X.] der Beamte im Hinblick auf - tatsächliche oder vermeintliche - Mängel des behördlichen Verfahrens nicht den ihm durch seine Rügeobliegenheit vorgegebenen Weg, der bei einer fehlerhaften Handhabung des § 60 [X.] durch das Berufungsgericht (§ 70 Abs. 1 und 2 [X.]) die Möglichkeit der Verfahrensrüge nach § 73 [X.] und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO eröffnet (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 - 2 C 15.09 - BVerwGE 137, 192 Rn. 18 f.; Beschlüsse vom 26. Februar 2008 - 2 B 122.07 - [X.] 235.1 § 55 [X.] Nr. 2 Rn. 3 und vom 23. September 2013 - 2 B 51.13 - Rn. 5), kann im Hinblick auf einen vermeintlichen Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache erreicht werden.

Nach § 60 Abs. 1 [X.] hat der Beamte bei einer Disziplinarklage wesentliche Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens innerhalb zweier Monate nach Zustellung der Klage geltend zu machen. Damit hat der Gesetzgeber dem Beamten in Bezug auf solche Mängel eine Rügeobliegenheit auferlegt (Gansen, Disziplinarrecht in [X.] und Ländern, § 55 [X.] Rn. 9; [X.], in: [X.], § 55 [X.] Rn. 19), deren Verletzung nach § 60 Abs. 2 [X.] die Nichtberücksichtigung nicht oder nicht rechtzeitig vorgebrachter Mängelrügen zur Folge hat. Ein Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens ist wesentlich i.S.d. § 60 [X.], wenn sich nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt, dass er sich auf das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens ausgewirkt haben kann. Hingegen kommt es für die Frage der Wesentlichkeit eines Mangels weder darauf an, ob er behebbar ist noch darauf, ob und ggf. wie intensiv schutzwürdige - insbesondere grundrechtsbewehrte - Rechtspositionen Betroffener durch den Mangel berührt worden sind. Maßgeblich ist wegen der Funktion des Disziplinarverfahrensrechts, bei der Prüfung und ggf. Ahndung von Dienstvergehen gesetzmäßige Ergebnisse zu erzielen, vielmehr die Ergebnisrelevanz (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 - 2 C 15.09 - BVerwGE 137, 192 Rn. 19 zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 55 [X.]). Das Gericht kann dem Dienstherrn nach § 60 Abs. 3 [X.] zur Beseitigung eines wesentlichen Mangels, den der Beamte rechtzeitig geltend gemacht hat oder dessen Berücksichtigung es unabhängig davon für angezeigt hält, eine Frist setzen. Wird der Mangel innerhalb dieser Frist nicht beseitigt, wird das Disziplinarverfahren durch Beschluss des Gerichts eingestellt (§ 60 Abs. 3 Satz 3 [X.]); die rechtskräftige Einstellung nach Abs. 3 steht einem rechtskräftigen Urteil gleich (§ 60 Abs. 4 [X.]).

Mit Verfügung vom 28. September 2010, mit der dem [X.]n die Klageschrift zugestellt worden ist, ist er vom Verwaltungsgericht über seine aus § 60 Abs. 1 [X.] folgende Pflicht zur Geltendmachung von wesentlichen Mängeln des behördlichen Disziplinarverfahrens entsprechend § 60 Abs. 2 [X.] belehrt worden. Der [X.] hat auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht die Umstände der Vernehmung der Zeuginnen gerügt. Er hat aber unter Verweis auf eine angebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs lediglich geltend gemacht, ein Grund für seinen Ausschluss von der Vernehmung der Zeuginnen im behördlichen Disziplinarverfahren habe nicht vorgelegen. Dagegen hat er nicht gerügt, dass - was die Beschwerde nunmehr als Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft - er selbst und auch die Zeuginnen vor der auf § 27 Abs. 4 Satz 2 [X.] gestützten Entscheidung des [X.]s über seinen Ausschluss von der Zeugenvernehmung von diesem hätten angehört werden müssen. Im Berufungsverfahren hat der [X.] nicht einmal den vom Verwaltungsgericht als unbegründet bewerteten Einwand aufrechterhalten, er sei zu Unrecht von der Vernehmung der Zeuginnen ausgeschlossen gewesen.

3. Eine Zulassung der Revision kann der [X.] auch nicht erreichen, wenn man zu seinen Gunsten die von ihm aufgeworfene Grundsatzfrage als Rüge eines Verfahrensmangels i.S.v. § 133 Abs. 2 Nr. 3 VwGO verstünde.

Insoweit kommt allenfalls die Rüge in Betracht, der Verwaltungsgerichtshof habe die Vorschrift des § 60 Abs. 3 Satz 1 [X.] fehlerhaft gehandhabt (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 - 2 C 15.09 - BVerwGE 137, 192 Rn. 18 f.; Beschlüsse vom 26. Februar 2008 - 2 B 122.07 - [X.] 235.1 § 55 [X.] Nr. 2 Rn. 3, vom 23. September 2013 - 2 B 51.13 - Rn. 5 und zuletzt vom 30. Juni 2016 - 2 B 40.15 - Rn. 10). Dies ist aber gerade ausgeschlossen, weil es der [X.], wie dargelegt, versäumt hat, den von ihm nunmehr als Grundsatzfrage thematisierten Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens, zu dessen Behebung das Gericht dem Dienstherrn eine Frist hätte setzen müssen, im gerichtlichen Verfahren geltend zu machen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 4 [X.] i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 82 Abs. 1 Satz 1 [X.] erhoben werden.

Meta

2 B 1/16

07.07.2016

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 20. Oktober 2015, Az: 28 A 178/14.D, Urteil

§ 55 BDG, § 24 DG HE, § 27 DG HE, § 60 DG HE, § 73 DG HE, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 07.07.2016, Az. 2 B 1/16 (REWIS RS 2016, 8604)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8604

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