Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 11.05.2010, Az. 2 B 5/10

2. Senat | REWIS RS 2010, 6736

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Gegenstand

Überlange Verfahrensdauer; Berücksichtigung bei der Disziplinarmaßnahme


Gründe

1

[X.]ie auf die grundsätzliche Bedeutung der Sache und auf Verfahrensrügen im Sinne des § 73 [X.], § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde des Beklagten ist unbegründet.

2

1. Für grundsätzlich klärungsbedürftig hält die Beschwerde,

ob das in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] enthaltene Beschleunigungsgebot auf die Rechtsfolge im [X.]isziplinarverfahren Einfluss hat in der Weise, dass unter bestimmten, hier gegebenen Voraussetzungen auf Grund eines Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot die Höchststrafe, nämlich die Aberkennung des Ruhegehalts a) unzulässig ist oder b) mit einer Kompensation gemäß § 13 Abs. 3 [X.] verbunden werden muss, die die überlange Verfahrensdauer angemessen ausgleicht.

3

Zunächst ist klarzustellen, dass das [X.]isziplinarverfahren anderen Zwecken dient als das Strafverfahren und dass im [X.]isziplinarverfahren deshalb keine Strafen, sondern disziplinarische Maßnahmen verhängt werden. Hiervon abgesehen ist die aufgeworfene Frage nicht klärungsbedürftig. Sie ist vielmehr durch die Rechtsprechung des [X.] dahingehend geklärt, dass - unabhängig davon, ob darin zugleich ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] zu sehen ist (vgl. hierzu Beschluss vom 16. Februar 2010 - BVerwG 2 [X.] - juris) - eine überlange Verfahrensdauer sich bei solchen [X.]isziplinarmaßnahmen als [X.] auswirken kann und u.U. muss, die der Pflichtenmahnung dienen. Hierbei steht die Überlegung im Vordergrund, dass das [X.]isziplinarverfahren als solches belastend ist und der von ihm ausgehende andauernde Leidensdruck und die mit ihm verbundenen Nachteile bereits pflichtenmahnende Wirkung haben. [X.]eswegen kann eine pflichtenmahnende [X.]isziplinarmaßnahme unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden, wenn das [X.]isziplinarverfahren unverhältnismäßig lange dauert. Bei Fortbestand des Beamtenverhältnisses kann das durch ein [X.]ienstvergehen ausgelöste Sanktionsbedürfnis gemindert werden oder sogar entfallen, weil die mit dem [X.]isziplinarverfahren verbundenen wirtschaftlichen und dienstlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben (Beschlüsse vom 26. August 2009 - BVerwG 2 [X.] - juris und vom 5. März 2010 - BVerwG 2 [X.] - juris; vgl. auch Urteil vom 14. November 2007 - BVerwG 1 [X.] 6.06 - [X.] 2008, 200 = NVwZ 2008, 1375 ).

4

[X.]emgegenüber ist geklärt, dass die Verfahrensdauer es nicht rechtfertigt, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder der Aberkennung des Ruhegehalts abzusehen, wenn diese Maßnahme geboten ist. Bei der [X.]ienstentfernung geht es darum, das Beamtenverhältnis in Fällen besonders schwerwiegender [X.]ienstvergehen zu beenden, weil der Beamte im öffentlichen [X.]ienst untragbar geworden ist. An dem endgültigen Vertrauensverlust, den er durch sein Fehlverhalten herbeigeführt hat, vermag eine lange Verfahrensdauer nichts zu ändern. [X.]as verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wiederhergestellt werden. [X.]ies gilt gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 [X.] gleichermaßen für die Aberkennung des Ruhegehalts (vgl. [X.], Beschluss vom 4. Oktober 1977 - 2 BvR 80/77 - [X.]E 46, 17 <28 f.>; Kammerbeschluss vom 9. August 2006 - 2 BvR 1003/05 - [X.]VBl 2006, 1372; BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2005 - BVerwG 1 [X.] 30.03 - juris Rn. 80 und vom 8. Juni 2005 - BVerwG 1 [X.] 3.04 - juris Rn. 27; Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 - BVerwG 2 B 19.05 - [X.] 235.1 § 15 B[X.]G Nr. 2 Rn. 8, vom 28. Oktober 2008 - BVerwG 2 B 53.08 juris, vom 26. August 2009 - BVerwG 2 [X.] juris und vom 16. Februar 2010 - BVerwG 2 [X.] juris).

5

2. Auch die Verfahrensrügen greifen nicht durch.

6

a) [X.]ie Beschwerde beanstandet als Verfahrensmangel, dass dem Beklagten das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen nicht mitgeteilt und ihm die Möglichkeit nicht eingeräumt worden sei, weitere Ermittlungen zu beantragen und sich abschließend zu äußern.

7

[X.]as Berufungsgericht hat diesen im behördlichen Verfahren unterlaufenen Fehler erkannt und den Kläger unter Fristsetzung aufgefordert, die Mitteilung und die Anhörung nachzuholen. Wie der Beklagte selbst vorträgt, ist dies geschehen. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund die Rüge (noch) durchgreifen könnte.

8

b) Ferner rügt die Beschwerde, dass der Kläger zwei im Zuge der Anhörung gestellten Beweisanträgen des Beklagten nicht stattgegeben hat. Hierin liege ein Mangel, da der [X.]ienstherr innerhalb der ihm zur Nachbesserung gesetzten Frist die aufgezeigten Mängel zu beheben, nicht aber neue zu produzieren habe.

9

Auch diese Rüge greift nicht durch. Zwar ist der [X.]ienstherr nach pflichtgemäßem Ermessen verpflichtet, Beweisanträgen nachzugehen (§ 27 Abs. 3 Satz 1 [X.]). Verletzt er diese Pflicht, stellt dies jedoch keinen zur Einstellung des [X.]isziplinarverfahrens führenden Verfahrensmangel dar; vielmehr kann der Fehler im gerichtlichen Verfahren geheilt werden, weil die Festsetzung der zu treffenden [X.]isziplinarmaßnahme Sache des Gerichts ist. [X.]as Berufungsgericht hat im Einzelnen ausgeführt ([X.]), dass dem Beklagten aus einem Schriftsatz des [X.] die Gründe bekannt waren, weshalb der Kläger den Anträgen des Beklagten auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens und auf Vernehmung des Vertreters der Einleitungsbehörde nicht nachgegangen war. Wie das Berufungsgericht hierzu zutreffend ausgeführt hat, war es dem Beklagten möglich, hierzu Stellung zu nehmen, und dem Kläger, den Vortrag des Beklagten während des laufenden Klageverfahrens zur Kenntnis zu nehmen und hierauf zu reagieren. Schließlich hat das Berufungsgericht mit Recht auf die Möglichkeit des Beklagten hingewiesen, im gerichtlichen Verfahren Beweisanträge zu stellen.

c) Ohne Erfolg bleibt auch die weitere Rüge des Beklagten, verfahrensfehlerhaft sei seinem Antrag nicht entsprochen worden, ein Sachverständigengutachten zu seiner Behauptung einzuholen, er sei im Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Straftat dienstunfähig gewesen.

Bei der Prüfung, ob das Berufungsgericht seine Aufklärungspflicht verletzt hat, ist seine materiell-rechtliche Auffassung zu Grunde zu legen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts kam es darauf an, ob der Beklagte krankheitsbedingt nur eingeschränkt für sein Handeln verantwortlich gemacht werden konnte, nicht dagegen darauf, ob seine [X.]ienstfähigkeit zum Tatzeitpunkt eingeschränkt war. Von diesem materiell-rechtlichen Standpunkt aus war die beantragte Beweisaufnahme nicht erforderlich.

Meta

2 B 5/10

11.05.2010

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 10. November 2009, Az: 28 A 2446/08.D, Urteil

§ 16 Abs 2 DG HE, § 13 Abs 3 DG HE, § 15 BDG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 11.05.2010, Az. 2 B 5/10 (REWIS RS 2010, 6736)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6736

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Referenzen
Wird zitiert von

B 6 KA 15/12 B

16a D 14.991

26 K 3078/20

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