Bundespatentgericht, Beschluss vom 19.11.2012, Az. 27 W (pat) 571/11

27. Senat | REWIS RS 2012, 1294

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – "Ney" – keine geographische Herkunftsangabe – kein Freihaltungsbedürfnis - Unterscheidungskraft


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2011 024 757.9

hat der 27. Senat ([X.]) des [X.] durch [X.] [X.], [X.] und die Richterin [X.] am 19. November 2012

beschlossen:

Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 43 des [X.] vom 14. September 2011 wird aufgehoben.

Gründe

I.

1

Die Zurückweisung der zur Eintragung für die Waren und Dienstleistungen

2

Klasse 25:

3

Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen

4

Klasse 29:

5

Fleisch, Fisch, Geflügel und Wild; Fleischextrakte; konserviertes, tiefgekühltes, getrocknetes und gekochtes Obst und Gemüse; Gallerten (Gelees), Konfitüren, Kompotte; Eier, Milch und Milchprodukte; Speiseöle und -fette;

6

Klasse 43:

7

Dienstleistungen zur Verpflegung und Beherbergung von Gästen,

8

angemeldeten Wortmarke 30 2011 024 757.9

9

[X.]

hat die Markenstelle im [X.]uss vom 14. September 2011 damit begründet, das angemeldete Zeichen bestehe im Hinblick auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen ausschließlich aus einer Angabe, die zu deren Bezeichnung nach Art und Beschaffenheit bzw. eines wesentlichen Faktors der Waren und Dienstleistungen sowie deren geographischen Herkunft dienen könne und daher eine freihaltungsbedürftige Angabe im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] sei.

„[X.]“ sei der Name einer Ortsgemeinde im [X.] in [X.], sowie die Bezeichnung einer Gemeinde in [X.], im Departement Jura.

Somit stelle die Bezeichnung „[X.]“ in Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen eine Bezeichnung der geographischen Herkunft der Produkte dar und weise darauf hin, dass diese aus einem Ort dieses Namens stammen könnten.

Darüber hinaus fehle dem angemeldeten Zeichen auch jegliche Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] im Hinblick auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen.

Ein Recht auf Eintragung könne von [X.] nicht abgeleitet werden.

Die Anmelderin hat dagegen am 20. September 2011 Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, derzeit werde die Bezeichnung „[X.]" weder beschreibend in Form einer geographischen Herkunftsangabe verwendet noch existierten derzeit Mitbewerber, die ein Interesse daran hätten, ihre Waren oder Dienstleistungen mit der Bezeichnung „[X.]" zu kennzeichnen. Aufgrund der fehlenden Bekanntheit der Gemeinde wäre diese Angabe im Übrigen derzeit auch ohne Belang, da die Bezeichnung von den angesprochenen Verbrauchern - mangels Kenntnis des Ortes - nicht als Herkunftsangabe verstanden werde.

Dementsprechend bestünden auch keine schützenswerte Interessen von Mitbewerbern an der Freihaltung der Bezeichnung.

Über die Herstellung bestimmter landwirtschaftlicher Produkte oder Wirtschaftsgüter aus der Gemeinde [X.] sei nichts bekannt. Auch für verarbeitende Betriebe habe sich die Region keinen Namen gemacht. Vielmehr zeichne sich die Gemeinde durch eine landschaftliche Umgebung sowie eine Kapelle und einen alten Brunnen aus. Überdies spräche die nach den Angaben des S…[X.] rückläufige demographische Entwicklung der Gemeinde sogar dagegen, dass sich Betriebe gleich welcher Art in der Gemeinde [X.] ansiedeln würden.

Auch im Hinblick auf die [X.] Gemeinde [X.] bestehe kein Eintragungshindernis gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.]. Auch dieser komme keine weitere Bedeutung oder Bekanntheit zu, welche die Annahme eines aktuellen oder künftigen [X.] rechtfertige. Die Ortschaft weise mit 579 Einwohnern ebenfalls nur eine geringe Einwohnerzahl auf und sei darüber hinaus weder in wirtschaftlicher noch kultureller Hinsicht bekannt.

Eine solche weitgehend unbekannte geographische Ortsbezeichnung, die das Publikum als Phantasiewort verstehe, habe eine produktidentifizierende Unterscheidungskraft.

Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

den [X.]uss der Markenstelle für Klasse 43 des [X.] vom 14. September 2012 aufzuheben.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Einer Registrierung des angemeldeten Zeichens stehen keine Schutzhindernisse aus § 8 Abs. 2 [X.] entgegen.

1.

Angesichts der Größe, Struktur und Bedeutung der Ortschaft [X.] handelt es sich bei „[X.]“ nicht um eine i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] freihaltebedürftige geographische Herkunftsangabe.

Die Regelung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] verfolgt das im Allgemeininteresse liegende Ziel, dass unmittelbar waren- und dienstleistungsbeschreibende Angaben, einschließlich solcher über die geographische Herkunft, von [X.] frei verwendet werden können ([X.] [X.], 723, 725, Nr. 25 [X.]). Im Vordergrund stehen dabei die Interessen der Mitbewerber auf dem Markt. Einer Registrierung von geographischen Bezeichnungen steht zudem generell das Allgemeininteresse entgegen, welches insbesondere darauf beruht, dass diese [X.] nicht nur die Qualität und andere Eigenschaften der betreffenden Warengruppen anzeigen, sondern auch die Vorlieben der Verbraucher in anderer Weise beeinflussen können, etwa dadurch, dass diese eine Verbindung zwischen den Waren bzw. Dienstleistungen und einem Ort herstellen, mit dem sie positiv besetzte Vorstellungen verbinden ([X.] [X.], 723, 725, Nr. 26 [X.]).

Für die Frage der Schutzfähigkeit geographischer Herkunftsangaben ist daher maßgeblich, ob angesichts der objektiven Gesamtumstände, insbesondere der wirtschaftlichen Bedeutung des Ortes und der Infrastruktur der umliegenden Region, die Möglichkeit der Eröffnung von Betrieben zur Produktion der beanspruchten Waren bzw. zur Erbringung der beanspruchten Dienstleistungen vernünftigerweise zu erwarten ist (vgl. [X.], [X.], 723, 726, Nr. 31-34 –[X.]).

Das Eintragungsverbot des § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] ist demnach nicht gegeben, sofern auszuschließen ist, dass die beanspruchten Waren und Dienstleistungen mit dem als solchen erkennbaren Ort in Verbindung gebracht werden können (vgl. [X.], [X.], 723, 726, Nr. 31-34 – [X.]; [X.], 534, 536 – Pranahaus; [X.] GRUR 2006, 509, 510 – [X.]). Dabei muss das angesprochene Publikum sofort und ohne weiteres Nachdenken in der Lage sein, einen konkreten und direkten Bezug zwischen dem in Rede stehenden Zeichen und den betreffenden Waren und Dienstleistungen herzustellen.

Demnach ist erheblich, ob vernünftigerweise zu erwarten ist, dass die beteiligten [X.] die angemeldete Bezeichnung in Zukunft mit den betreffenden Waren bzw. Dienstleistungen in Verbindung bringen können. Hierfür kommt es insbesondere darauf an, inwieweit die Bezeichnung den Beteiligten bekannt ist und welche Eigenschaften der bezeichnete Ort sowie die betreffenden Waren bzw. Dienstleistungen besitzen. Grundsätzlich sind geographische Bezeichnungen eintragbar, die den Angesprochenen als solche nicht bekannt sind oder bei denen es wegen der Eigenschaften des bezeichneten Ortes wenig wahrscheinlich ist, dass das Publikum annehmen könnte, die Waren stammten von dort ([X.], [X.]. v. 27. Januar 2009 – 27 W (pat) 15/09 – [X.]; [X.]. v. 7. September 2011 – 26 W (pat) 19/11 – [X.]).

So liegt der Fall hier.

Wegen der Eigenschaften des bezeichneten Ortes ist es unwahrscheinlich, dass die Beteiligten annehmen könnten, die beanspruchten Waren bzw. Dienstleistungen stammten von diesem Ort.

„[X.]“ ist der Name einer nicht einmal 400 Einwohner zählenden in [X.] gelegenen Ortschaft dörflicher Struktur, die sich über eine Gesamtfläche von 6,16 km², davon sind 2,29 km² mit Wald bedeckt, erstreckt. Ein Gewerbegebiet ist in [X.] weder ausgewiesen, noch ist die künftige Ausweisung eines solchen bekannt.

Auch ohne rückläufige demoskopische Entwicklung der Gemeinde sprechen die geringe Einwohnerzahl, die ländliche Struktur ohne Industrie und das Fehlen jeglichen Marketing-Konzepts, das die zukünftige Vermarktung der Gemeinde als geographischen Herkunftsort für bestimmte Wirtschaftsgüter erwarten lassen könnte, gegen die Annahme eines künftig wachsenden Bekanntheitsgrad.

Auch die weiteren Recherchen des Senats haben keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Mitbewerber betreffend Bekleidung, landwirtschaftlichen Produkten sowie Verpflegungs- und Beherbergungsdienstleistungen gegenwärtig oder künftig ein Freihaltungsbedürfnis an der Herkunftsangabe „[X.]“ haben könnten.

Dies liegt nicht nur an der geringen Größe des Ortes und der dementsprechend geringen wirtschaftlichen Bedeutung, sondern auch daran, dass in [X.] weder historisch, politisch, kulturell, sportlich oder sonst wie aufmerksamkeitserregende Ereignisse stattgefunden haben noch irgendwelche herausragenden Produkte oder Dienstleistungen mit einem überregionalen Ruf hergestellt, erbracht oder angeboten werden.

Die beiden einzigen Betriebe, die [X.] [X.] und die Ferienwohnungsvermietung [X.], weisen auf den Namen der Ortschaft nicht hin. Wichtige Ausgangsprodukte für Bekleidung oder Nahrungsmittel tierischer Herkunft werden dort weder hergestellt noch verarbeitet noch anderweitig erzeugt; die Möglichkeiten für die Herstellung von Waren und die Erbringung von Dienstleitungen sind angesichts der geringen Größe des Gemeindegebietes, das zudem zum großen Teil aus Wald besteht, beschränkt. Auch für die Zukunft ist eine nennenswerte wirtschaftliche Entwicklung in [X.] vernünftigerweise nicht zu erwarten.

Zudem vermittelt die Bezeichnung „[X.]“ in den meisten Teilen [X.] nicht den Eindruck eines typischen Ortsnamens. Es erscheint damit unwahrscheinlich, dass die angesprochenen Verbraucher - auch für Waren und Dienstleistungen, die einen bezeichnungsfähigen gedanklichen Inhalt aufweisen oder aufweisen können - einen Bezug zu einer Stadt namens [X.] annehmen werden.

Es wäre Sache der Markenstelle gewesen, nachzuweisen, dass „[X.]“ dem Publikum als Bezeichnung eines existierenden Ortes bekannt ist. Die angefochtene Entscheidung enthält jedoch keine präzisen Angaben, die eine solche Bekanntheit belegen könnten. Allein eine [X.] und eine Ferienwohnungsvermietung sind nicht geeignet, eine hinreichende Bekanntheit einer Kleinstadt beim maßgeblichen Publikum nachzuweisen. Die Markenstelle hat sich darauf beschränkt, diese Unterkunftsmöglichkeiten in [X.] aufzuführen, ohne Gründe anzuführen, die geeignet wären, eine Kenntnis des maßgeblichen Publikums nachzuweisen.

Allein ein geographischer Bezug ist wegen seiner Allgemeinheit nicht geeignet, plausibel zu machen, dass die maßgeblichen [X.] (in Zukunft) eine Verbindung zwischen [X.] und den strittigen Waren und Dienstleistungen herstellen werden.

Dementsprechendes gilt für die [X.] Gemeinde [X.]. Sie weist ebenfalls nur eine geringe Zahl von nicht einmal 600 Einwohnern auf und ist darüber hinaus ebenfalls weder in wirtschaftlicher noch kultureller Hinsicht bekannt.

Die bloße theoretische Möglichkeit, dass sich in [X.] künftig tatsächlich landwirtschaftliche Betriebe oder Unternehmen zur Textilherstellung oder Gaststätten und Pensionen ansiedeln könnten, reicht nicht aus, die Anmeldung zurückzuweisen (vgl. [X.] [X.]. v. 27. Januar 2009 – 27 W (pat) 15/09 – [X.]; [X.]. v. 7. September 2011 – 26 W (pat) 19/11 – [X.]; [X.]. v. 20. November 2006 – 26 W (pat) 20/04 – Lichtenauer Wellness).

2.

Insoweit ist es wegen der Eigenschaften des bezeichneten Ortes zudem unwahrscheinlich, dass die beteiligten [X.] annehmen könnten, die beanspruchten Waren bzw. Dienstleistungen stammten von diesem Ort.

Einer Eintragung des zu betrachtenden Gesamtzeichens steht daher auch nicht das Schutzhindernis fehlender Unterscheidungskraft im Sinn von § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] entgegen, da das angesprochene Publikum den Ortsnamen [X.] regelmäßig nicht kennen und die Anmeldemarke nicht mit einer Kleinstadt in Verbindung bringen wird, sondern die Bezeichnung als Phantasiewort auffassen wird.

„[X.]“ ist auch kein gebräuchliches Wort der [X.] oder einer bekannten Fremdsprache, das die Verbraucher, etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung, stets nur als solches und nicht als Unterscheidungsmittel verstehen ([X.], 1050 - Cityservice).

3.

Zu einer Erstattung der Beschwerdegebühr (§ 71 Abs. 3 [X.]) besteht kein Anlass.

Die Markenstelle hat ihre Argumentation auf die Entscheidung des 33. Senats ([X.], 491 - [X.]) gestützt. Dies ist kein Vorgehen, das eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigt.

Meta

27 W (pat) 571/11

19.11.2012

Bundespatentgericht 27. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 19.11.2012, Az. 27 W (pat) 571/11 (REWIS RS 2012, 1294)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1294

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27 W (pat) 5/14

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